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03.04.2008 · IWW-Abrufnummer 081049

Bundesfinanzhof: Urteil vom 08.11.2007 – V R 72/05

1. Die Verpflichtung des Unternehmers nach § 6a Abs. 3 UStG, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach Maßgabe der §§ 17a, 17c UStDV nachzuweisen, ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.



2. Die Nachweispflichten des Unternehmers sind keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung. Die Regelungen des § 6a Abs. 3 UStG und §§ 17a, 17c UStDV bestimmen vielmehr lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat (Änderung der Rechtsprechung).



3. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind.



4. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG 1999 vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die erforderlichen Nachweise nicht erbrachte.


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt einen Handel mit Kfz.

Er lieferte mit Rechnung vom 12. Juli 2000 einen gebrauchten PKW der Marke Mercedes-Benz E 290 TD an das Unternehmen L, Spanien, zum Kaufpreis von 32 500 DM. Nach Angaben des Klägers holte der beauftragte C aus F in Deutschland den PKW im Auftrag der L ab und der Kaufpreis wurde in bar gezahlt.

Der Kläger behandelte diesen Vorgang in seiner Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 2000, die zu einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung führte, als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung.

Durch die Auswertung von Kontrollmaterial des damaligen Bundesamtes für Finanzen (BfF) vom 15. Oktober 2001 wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) bekannt, dass die spanischen Finanzbehörden L als Scheinfirma ansahen. Nach diesem Schreiben hat L im Streitjahr 2000 "innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 1 167 Millionen Peseten bezogen", ohne diese in Spanien anzumelden; "gleichwohl wurden" danach "in hohem Umfang Geldbeträge nach Deutschland überwiesen". Ferner ist nach dem BfF die Umsatzsteuer-Identfikationsnummer der L seit dem 28. Juli 2000 ungültig.

Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Nachschau war das FA der Auffassung, "dass eine Vollmacht für C fehlen würde".

Das FA änderte daraufhin gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) den Umsatzsteuerbescheid für 2000 und behandelte die streitige Lieferung als steuerpflichtigen Umsatz.

Der Einspruch blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 8. April 2003 vertrat das FA die Auffassung, der Kläger habe nicht den "wirklichen" Abnehmer aufgezeichnet, weil L eine Scheinfirma sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

In seinem Urteil, das in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2006, 453 veröffentlicht ist, führt es aus, der streitige Umsatz sei eine innergemeinschaftliche Lieferung (§ 6a Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 --UStG 1999--), und der Kläger habe den erforderlichen Beleg- und Buchnachweis (§ 6a Abs. 3 UStG 1999 i.V.m. §§ 17a, 17c der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1999 --UStDV 1999--) erbracht. Der Nachweis des Bestimmungsorts des Fahrzeugs ergibt sich nach der Auffassung des FG aus der in der Rechnung ausgewiesenen Anschrift der L.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des materiellen Rechts.

Nach seiner Auffassung sind bei einem Barverkauf eines hochwertigen PKW, wie in diesem Fall, besonders hohe Anforderungen an die Nachweispflichten zu stellen. Daher sei die ausdrückliche Angabe des Bestimmungsortes und nicht nur des Bestimmungslandes erforderlich.

Das FA beantragt, die angegriffene Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG ging zu Recht davon aus, dass die Lieferung des PKW als innergemeinschaftliche Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b des UStG 1999 steuerfrei ist. Ohne Bedeutung ist im Streitfall, ob der Unternehmer seinen Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG 1999 nachgekommen ist.

1. Eine --gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG 1999 steuerfreie-- innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet;

2. der Abnehmer ist

a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,

b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder

c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber

und

3. der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.

a) Diese Vorschrift steht im Einklang mit der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe des Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der im Streitjahr geltenden Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach befreien die Mitgliedstaaten u.a. die Lieferungen, die durch den Erwerber nach Orten außerhalb des Inlandes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt werden, der als solcher in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versandes oder der Beförderung des Gegenstandes handelt.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) setzt die innergemeinschaftliche Lieferung --in Übereinstimmung mit den nationalen Grundsätzen-- neben den Voraussetzungen in Bezug auf die Eigenschaft der Steuerpflichtigen voraus, dass die Befugnis, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übergegangen ist und der gelieferte Gegenstand vom Lieferstaat in einen anderen Mitgliedstaat physisch verbracht worden ist (EuGH-Urteile vom 27. September 2007 Rs. C-409/04, Teleos u.a., Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2007, 774, BFH/NV Beilage 2008, 25 Randnrn. 42, 70; vom 27. September 2007 Rs. C-184/05, Twoh, UR 2007, 782, BFH/NV Beilage 2008, 39 Randnr. 23). Hingegen ist nicht erforderlich, dass der innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert worden ist (EuGH-Urteil Teleos u.a. in UR 2007, 774, BFH/NV Beilage 2008, 25 Randnrn. 69 ff.).

b) Nach diesen Grundsätzen ist der streitige Umsatz eine innergemeinschaftliche Lieferung. Das Fahrzeug ist nach den Feststellungen des FG nach Spanien gelangt.

An der Unternehmereigenschaft der Leistungsempfängerin, der L, bestehen entgegen der Auffassung des FA keine Zweifel. Die Annahme der spanischen Finanzbehörden, es handle sich bei L um eine Scheinfirma, beruht (lediglich) darauf, dass das Unternehmen seine innergemeinschaftlichen Erwerbe aus Deutschland im Jahr 2000 in Spanien nicht anmeldete. Die ordnungsgemäße Erfüllung von Steuererklärungspflichten ist aber kein Tatbestandsmerkmal der Unternehmereigenschaft (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Februar 2004 V B 180/03, BFH/NV 2004, 988; vom 5. Dezember 2005 V B 44/04, BFH/NV 2006, 625).

Ferner ist die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der L erst seit dem 28. Juli 2000 ungültig. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Lieferung am 12. Juli 2000 war daher von ihrer Gültigkeit auszugehen.

2. Ohne Bedeutung ist im Streitfall, ob der Kläger die Nachweise für eine innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a Abs. 3 UStG 1999 erbrachte, weil feststeht, dass der streitige Umsatz eine innergemeinschaftliche Lieferung ist.

a) Gemäß § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG 1999 hat der Unternehmer die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG 1999 nachzuweisen. Diesen Nachweis hat er durch Belege und buchmäßig (§ 6a Abs. 3 Satz 2 UStG 1999 i.V.m. §§ 17a ff. UStDV 1999) zu erbringen.

b) Hierzu hat der EuGH ausgeführt:

"Hinsichtlich der Nachweise, die die Steuerpflichtigen für eine Mehrwertsteuerbefreiung zu führen haben, ist festzustellen, dass die Sechste Richtlinie keine Vorschrift enthält, die sich unmittelbar mit dieser Frage befasst. Sie bestimmt lediglich in Art. 28c Teil A erster Halbsatz, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die Befreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen von Gegenständen festlegen" (EuGH-Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-146/05, Collée, UR 2007, 813, BFH/NV Beilage 2008, 34 Randnr. 24).

"Art. 22 der Richtlinie 77/388/EWG regelt zwar bestimmte formelle Pflichten der Steuerschuldner in Bezug auf Aufzeichnungen, Rechnungen, Steuererklärungen und die der Finanzverwaltung vorzulegende Aufstellung. Nach Abs. 8 dieses Artikels können die Mitgliedstaaten jedoch weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern.

Aus der ständigen Rechtsprechung ergibt sich, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG erlassen dürfen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen, die ein Grundprinzip des durch das einschlägige Gemeinschaftsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist" (EuGH-Urteil Collée in UR 2007, 813, BFH/NV Beilage 2008, 34 Randnrn. 25, 26).

Der Grundsatz der Neutralität erfordert es, dass "die Mehrwertsteuerbefreiung gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Anders verhielte es sich nur, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhinderte, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden" (EuGH-Urteil Collée in UR 2007, 813, BFH/NV Beilage 2008, 34 Randnr. 31).

"Bei der Ausübung ihrer Befugnisse müssen die Mitgliedstaaten ... die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, zu denen u. a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören" (EuGH-Urteil Twoh in UR 2007, 782, BFH/NV Beilage 2008, 39 Randnr. 25).

c) Hieraus ergibt sich, dass die Verpflichtung des Unternehmers nach § 6a Abs. 3 UStG 1999, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach Maßgabe der §§ 17a, 17c UStDV 1999 nachzuweisen, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (vgl. bereits BFH-Urteile vom 18. Juli 2002 V R 3/02, BFHE 199, 80, BStBl II 2003, 616, unter II.2.b; vom 1. Februar 2007 V R 41/04, BFH/NV 2007, 1059, unter II.2.b).

Die Nachweispflichten sind aber keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung. Soweit die bisherige Rechtsprechung (BFH-Beschlüsse vom 2. April 1997 V B 159/96, BFH/NV 1997, 629; in BFH/NV 2004, 988; BFH-Urteil vom 30. März 2006 V R 47/03, BFHE 213, 148, BStBl II 2006, 634, unter II.2.a) von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, hält der Senat angesichts der dargelegten neueren Rechtsprechung des EuGH daran nicht mehr fest.

Die Regelungen des § 6a Abs. 3 UStG 1999 und §§ 17a, 17c UStDV 1999 bestimmen vielmehr lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat.

Daraus folgt: Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG 1999) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn trotz der Nichterfüllung der --formellen-- Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG 1999 vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG 1999 erforderlichen Nachweise nicht erbrachte.

d) Vorliegend steht zweifelsfrei fest, dass der streitige Umsatz eine innergemeinschaftliche Lieferung und demnach steuerfrei ist. Somit kommt es nicht darauf an, ob der Kläger die Nachweise gemäß § 6a Abs. 3 UStG 1999 erbrachte.

RechtsgebieteUStG 1999, UStDV 1999, Richtlinie 77/388/EWGVorschriftenUStG 1999 § 6a, UStDV 1999 § 17a, UStDV 1999 § 17c, Richtlinie 77/388/EWG Art. 22, Richtlinie 77/388/EWG Art. 28c Teil A

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