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13.08.2001 · IWW-Abrufnummer 011011

Oberverwaltungsgericht Münster: Beschluss vom 04.05.2000 – 12 d A 4145/99

1. Zu den Voraussetzungen, unter denen in Anwendung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO Steuerdaten an die für das Disziplinarverfahren zuständige Stelle weitergeleitet werden dürfen.

2. Zu der Frage, ob die Selbstanzeige nach § 371 AO im Disziplinarrecht einen Milderungsgrund darstellt und welche Folgerungen daraus ggf. für die Prüfung der Wahrscheinlichkeit der Entfernung aus dem Dienst in Verfahren nach § 92 Abs. 1 DO NW zu ziehen sind.


OVG NRW

Beschluss vom 4.5.2000

12d A 4145/99.O ﷓

I. Instanz: VG Düsseldorf - 31 K 4422/99.O ﷓.

Ein in der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen beschäftigter Beamter wurde im Zusammenhang mit einem gegen ihn eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren vorläufig des Dienstes enthoben; außerdem wurde ein Teil seiner Dienstbezüge einbehalten. Zugrunde lag der Verdacht der Steuerhinterziehung durch Nichtangabe von Zinsen für im Ausland angelegte Gelder in der Steuererklärung. In dem Verfahren war insbesondere über die Fragen zu entscheiden, ob im Falle einer Selbstanzeige nach § 371 AO das Steuergeheimnis einer Weitergabe von Daten an die für die disziplinare Verfolgung zuständigen Stellen entgegensteht und ob die Selbstanzeige im Disziplinarrecht maßnahmemildernd wirken kann.

Der Disziplinarsenat bestätigte im Beschwerdeverfahren die vorläufige Dienstenthebung, hob hingegen die Einbehaltung von Dienstbezügen auf.


Aus den Gründen:

1. Betreffend die vorläufige Dienstenthebung des Beamten hat die Disziplinarkammer die Verfügung der Oberfinanzdirektion zu Recht aufrecht erhalten.

Gemäß § 91 DO NRW kann die Einleitungsbehörde einen Beamten vorläufig des Dienstes entheben, wenn ein dienstliches Bedürfnis vorliegt und das förmliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Durch Verfügung vom ... hat die Oberfinanzdirektion das förmliche Disziplinarverfahren gegen den Beamten ﷓ wirksam ﷓ eingeleitet. Dieses Verfahren ist auch nicht wegen eines nicht behebbaren Verfahrensmangels sonst unzulässig und einzustellen (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 1 DO NRW). Insbesondere war hier die Einleitungsbehörde nicht wegen eines Verwertungsverbots gehindert, die im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren über den Beamten gewonnenen und ihr mitgeteilten Erkenntnisse disziplinarrechtlich zu verwerten. Dies gilt auch insoweit, als der Beamte die zugrunde liegenden Sachverhalte im Zusammenhang mit einer Selbstanzeige nach § 371 AO selbst offenbart hat. Zwar könnte ein solches Verwertungsverbot ﷓ sei es in analoger Anwendung der spezialgesetzlichen Regelung des § 393 Abs. 2 AO, sei es kraft unmittelbarer Herleitung aus der Verfassung ﷓ bestehen, wenn hier von einem Verstoß gegen das Steuergeheimnis auszugehen wäre. Letzteres ist indes nach Auffassung des Senats zu verneinen.

Das Steuergeheimnis des § 30 AO schützt den Steuerbürger - und als solchen hier auch den Beamten - grundsätzlich vor dem unbefugten Offenbaren und Verwerten von Steuerdaten durch einen Amtsträger; im Grundsatz sollen Steuerdaten nicht für andere als steuerliche Zwecke verwendet werden. Allerdings ist dieser Schutz nicht schrankenlos. Er greift gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO (u.a.) dann nicht ein, wenn für die Offenbarung - Gleiches dürfte betreffend die Verwertung bzw. Verwendung gel-ten, siehe etwa § 393 Abs. 2 Satz 2 AO - ein zwingendes öffentliches Interesse be-steht. Eine dem entsprechende Durchbrechung des Steuergeheimnisses findet sich für den spezifischen Bereich der Mitteilungen in Strafsachen gegen Beamte als un-mittelbar geltendes Bundesrecht nunmehr auch in § 125 c Abs. 6 BRRG, die aller-dings für den hier betroffenen Fall des Satzes 2 nicht weiter reicht als diejenige in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO. Vielmehr begnügt sich § 125 c Abs. 6 Satz 2 BRRG mit einer ausdrücklichen Verweisung auf die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO.

Ein zwingendes öffentliches Interesse im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ist dann gegeben, wenn im Falle des Unterbleibens der Mitteilung die Gefahr besteht, dass schwere Nachteile für das allgemeine Wohl eintreten.

Vgl. etwa BFH, Urteil vom 10.2.1987
- VII R 77/81 -, BStBl. II S. 545 (548); BVerwG, Urteil vom 2.2.1982
- 1 C 146.80 -, DVBl. 1982, 694 (697); Tipke/Kruse, AO, § 30 Rdnr. 61; Koch/Scholtz, AO, 4. Aufl., § 30 Rdnr. 24.

Die in § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. a bis c AO ausdrücklich benannten, wenngleich nicht abschließenden Beispielsfälle bieten insoweit einen zusätzlichen Anhaltspunkt dafür, unter welchen Voraussetzungen schwere Nachteile für das allgemeine Wohl zu erwarten sind. Wesentlich ist, dass es sich um (Ausnahme-)Fälle handeln muss, die von ähnlichem Gewicht wie die gesetzlichen Beispielsfälle sind. Dementsprechend muss bei einer Abwägung zwischen dem Interesse des Steuerpflichtigen an der Geheimhaltung und dem öffentlichen Interesse an der Offenbarung und Verwertung der dem Steuergeheimnis unterfallenden persönlichen Daten das Letztere (deutlich) überwiegen.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29.4.1968, a.a.O., S. 796; OVG NRW, Beschluss vom 28.8.1997 ﷓ 15 A 3432/94 -, NWVBl. 1998, 110 (113).

In Anwendung dieser Grundsätze hält der Senat, welcher das Vorliegen der Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals "zwingende öffentliche Gründe" voll überprüfen darf und muss und in diesem Zusammenhang insbesondere nicht an bestehende norminterpretierende Verwaltungsvorschriften gebunden ist,

Vgl. Tipke/Kruse, AO, § 30 Rdnr. 37; hierzu auch - betreffend § 125 c BRRG ﷓ BT-Drucks. 13/4709 S. 18 f.,

derartige zwingende Gründe hier im Ergebnis für gegeben.

Dabei hat man sich im Ausgangspunkt zu vergegenwärtigen, dass dem öffentlichen Interesse an der Reinhaltung und Aufrechterhaltung der Vertrauenswürdigkeit der Beamtenschaft grundsätzlich ein hoher Rang zuzumessen ist. Deshalb darf ﷓ wovon auch § 125 c BRRG ausgeht ﷓ die Disziplinarbefugnis des Dienstherrn nicht deswegen leer laufen oder auch nur schwere Einbußen erleiden, weil die im Disziplinarverfahren zuständigen Stellen infolge einer strikten Wahrung des Steuergeheimnisses von wesentlichen Informationen über Dienstvergehen ihrer Beamten abgeschnitten wären. Die dienstrechtlichen Belange verdienen grundsätzlich keinen geringeren Schutz als etwa das öffentliche Interesse daran, steuerlich unzuverlässige Gewerbetreibende durch Informationen der Finanzbehörden an die für die Gewerbeuntersagung zuständige Behörde von weiterer gewerblicher Tätigkeit auszuschließen. In jenem Beispielsfall wird von der Rechtsprechung ein zwingendes öffentliches Interesse im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO bejaht, wenn bestimmte Steuerdaten allein oder im Zusammenhang mit anderen Tatsachen den Rückschluss auf die allgemeine Unzuverlässigkeit des Steuerpflichtigen im Sinne von § 35 GewO zulassen und damit eine entsprechende Untersagungsverfügung zu tragen vermögen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.2.1982 ﷓ 1 C 146.80 -, DVBl. 1982, 694 (697); BFH, Urteil vom 10.2.1987 ﷓ VII R 77/84 -, BStBl. 1987 II, 545 (548 f.); dazu auch ﷓ zum Teil kritisch ﷓ Tipke/Kruse, AO, § 30 Rdnr. 68.

Da das Steuergeheimnis ebenfalls einen hohen, letztlich im Verfassungsrecht (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) wurzelnden Rang hat, würde allerdings ein absoluter Vorrang der dienstrechtlichen Belange dem Rangverhältnis der beiden betroffenen Schutzgü-ter nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund ist bei der Anwendung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO auf die Belange des Dienst- bzw. Disziplinarrechts in Anlehnung insbeson-dere an die Regelbeispiele in Buchstabe a und b (besonders schwere und für die Allgemeinheit bzw. den Bestand der Wirtschaftsordnung gefährliche Rechtsbrüche) in erster Linie darauf abzustellen, ob die Vorgänge, deren disziplinare Überprüfung in Rede steht, ihrer Art nach oder aus Gründen des Einzelfalles von erheblichem dis-ziplinaren Gewicht sind. Dieses Gewicht muss eine nähere dienstrechtliche Prüfung unabhängig von der Herkunft der zugrunde liegenden Informationen grundsätzlich unabweisbar erscheinen lassen. Von Letzterem ist in der Regel auszugehen, wenn auf der Grundlage einer
Vorab-Bewertung der mitteilenden Stelle, die nur in einer Art Schlüssigkeitsprüfung bestehen kann,

vgl. dazu auch die Äußerung des Bundesrats zur Entwurfsfassung des § 125 c BRRG, BT-Drucks. 13/4709 S. 46,

die ihr vorliegenden, an sich dem Steuergeheimnis unterliegenden Informationen generell geeignet sind, eine im förmlichen Verfahren zu verhängende Disziplinarmaßnahme von Gewicht ﷓ insbesondere eine reinigende Maßnahme wie die Entfernung aus dem Dienst oder zumindest eine Degradierung ﷓ zu tragen. Demgegenüber muss die abschließende Prüfung und Entscheidung darüber, ob tatsächlich ein förmliches Disziplinarverfahren gegen den Beamten einzuleiten und welche Disziplinarmaßnahme letztlich zu verhängen ist, dem Empfänger der Mitteilung bzw. den sonst im Disziplinarverfahren zuständigen Stellen vorbehalten bleiben.

Grundsätzlich unbedenklich ist es ferner, wenn die oberste Dienstbehörde im Er-lasswege den ihr unterstellten Behörden einen Kriterienkatalog an die Hand gibt, an-hand dessen in Konkretisierung des Merkmals "zwingendes öffentliches Interesse" die Beurteilung des disziplinaren Gewichts des bekannt gewordenen Verhaltens des Beamten von den zur Mitteilung berufenen Stellen grundsätzlich einheitlich zu hand-haben ist. Allerdings darf hierbei die verfassungsrechtlich und gesetzlich vorgegebe-ne Gewichtung zwischen den kollidierenden Schutzgütern nicht grundlegend und einseitig verschoben werden. Ob die insoweit in dem Erlass des Finanzministeriums NRW vom 14.5.1998 ﷓ S 0130 ﷓ 8 ﷓ V C 2 ﷓ konkret aufgestellten Beurteilungskrite-rien, welche hier in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Übermittlung der Daten an das Disziplinarreferat gegolten haben, diesen Vorgaben in allen Punkten entsprechen oder aber möglicherweise die Erheblichkeitsschwelle (ganz oder zum Teil) zu niedrig ansetzen, kann für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren dahinstehen. Denn unabhängig von der Frage, wo der Beginn der disziplinaren Erheblichkeitsschwelle in Bezug auf eine Bewertung von Steuerdelikten von Finanzbeamten vor dem Hinter-grund der Durchbrechung des Steuergeheimnisses exakt zu verorten ist ﷓ wobei der Senat das Bestehen einer gewissen Bandbreite nicht von vornherein ausschließen will -, ist jedenfalls in dem hier zur Entscheidung stehenden Fall des Beamten eine Überschreitung dieser Erheblichkeitsschwelle zu bejahen.

Bereits der Sachverhalt, wie er sich aufgrund der Selbstanzeige der Eheleute darstellte und wie er hier Grundlage der Entscheidung über die Unterrichtung des Disziplinarreferats war, ließ nämlich im Grundsatz auf ein schweres disziplinarrechtlich relevantes Fehlverhalten schließen. So offenbarte die Selbstanzeige mehrjährige unvollständige Mitteilungen der Eheleute über Einkünfte aus Kapitalvermögen unter Verschweigen von Zinseinnahmen in der Gesamthöhe von mehr als 200.000,﷓ DM allein bezogen auf die Jahre 1993 bis 1997. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Höhe der daraus folgenden Steuerverkürzungen des Beamten noch nicht konkret errechnet war, lag doch bereits aufgrund dieser Umstände der Verdacht eines Steuerdelikts von Gewicht vor. Die damit einhergehende Dienstpflichtverletzung ist zumal dann, wenn ﷓ wie hier ﷓ ein Finanzbeamter Täter oder Mittäter ist, jedenfalls im Rahmen einer Vorabprüfung der mitteilenden Stelle grundsätzlich geeignet, die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst zu rechtfertigen.

Ständige Rechtsprechung des beschließenden Disziplinarsenats; vgl. z.B. Urteile vom 29.4.1999
12d A 1476/98.O -, vom 15.3.1996 ﷓ 12d A 3213/95.O ﷓ und vom 19.10.1995 ﷓ 12d A 3156/94.O -.

Des Weiteren steht der Annahme eines zwingenden öffentlichen Interesses im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO nicht entgegen, dass die dem disziplinaren Vorwurf gegen den Beamten zugrunde liegenden Tatsachen den Finanzbehörden im Wege einer Selbstanzeige nach § 371 AO bekannt geworden sind. Zwar mag die Tatsache, dass den an das Disziplinarreferat der Oberfinanzdirektion weitergegebenen Daten eine Selbstbezichtigung des betroffenen Beamten zugrunde liegt, ein Umstand sein, der mit in die Abwägung zwischen einem durch Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gewährleiste-ten Geheimschutzinteresse und einem damit kollidierenden öffentlichen Interesse einzubeziehen ist.

Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Urteil vom 15.12. 1983 ﷓ 1 BvR 209/83 u.a. -, BVerfGE 65, 1 (46); Klein/Orlopp, AO, 5. Aufl., § 393 Anm. 7 g und § 30 Anm. 4.

Jedoch ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass im Falle der Selbstanzeige das Steuergeheimnis stets den Vorrang vor den kollidierenden öffentlichen Belangen verdient. Vielmehr kann nach Auffassung des Senats die mit einer Selbstanzeige nach § 371 AO für einen Beamten vor dem Hintergrund drohender disziplinarer Reaktionen verbundene Konfliktsituation, wenn ﷓ wie hier ﷓ auf der anderen Seite dienstrechtliche Belange von erheblichem Gewicht betroffen sind, für sich genommen keine hinreichende Rechtfertigung dafür sein, die für das Disziplinarverfahren zuständige Stelle von vornherein von den für eine nähere Beurteilung erforderlichen Informationen abzuschneiden. Stattdessen ist insoweit ﷓ wie später noch dargelegt werden wird ﷓ ein Interessenausgleich auf der Ebene der disziplinarrechtlichen Milderungsgründe zu suchen und herzustellen.

Schließlich verliert das öffentlichen Interesse hier auch nicht dadurch seinen "zwingenden" Charakter im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO, dass in der Verwaltungspraxis Mitteilungen der Finanzbehörden an die für ein Disziplinarverfahren zuständige Stelle in Bezug auf andere Beamte als Finanzbeamte bei durch Selbstanzeige aufgedeckter Steuerhinterziehung nicht erfolgen bzw. erfolgt sein mögen, wie der Beamte geltend macht. Abgesehen davon, dass das disziplinare Fehlverhalten ﷓ unbeschadet einer auch in diesen Fällen vorzunehmenden Einzelfallwürdigung ﷓ bei Steuerdelikten von Finanzbeamten grundsätzlich ein höheres Gewicht hat als bei Steuerdelikten sonstiger Beamter und sich schon hieraus eine zulässige Differenzierungsmöglichkeit ergeben könnte, obliegt die letztverbindliche Auslegung des angesprochenen Tatbestandsmerkmals nämlich nicht der Verwaltung, sondern ﷓ wie schon an anderer Stelle ausgeführt ﷓ den Gerichten.

b) Vom Vorliegen eines dienstlichen Bedürfnisses für die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung sowie des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des § 91 DO NRW, dass gegen den Beamten der Verdacht eines Dienstvergehens besteht, welches geeignet ist, ein allein in die Zuständigkeit der Disziplinargerichte fallende Disziplinarmaßnahme, also mindestens eine Gehaltskürzung nach sich zu ziehen, ist die Disziplinarkammer zu Recht ausgegangen. Zur Vermeidung von Wiederholungen macht sich der Senat insoweit die Ausführungen der Disziplinarkammer in dem angefochtenen Beschluss auch für das Beschwerdeverfahren zu Eigen.

2. Die Anordnung der Einbehaltung von 50 v.H. der Dienstbezüge des Beamten als weiterer Bestandteil der Verfügung des Präsidenten der Oberfinanzdirektion vom ... ist dagegen nicht gerechtfertigt. Insoweit bedurfte es einer Korrektur des erst-instanzlichen Beschlusses.

Nach § 92 Abs. 1 DO NRW kann die Einleitungsbehörde gleichzeitig mit der vorläufigen Dienstenthebung oder später anordnen, dass dem Beamten ein Teil, höchstens die Hälfte, der jeweiligen Dienstbezüge einbehalten wird, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird.

Die Disziplinarkammer hält es bei überschlägiger Prüfung des Sachverhalts für wahrscheinlich, dass im vorliegenden Falle auf eine Entfernung aus dem Dienst, also auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zwar trifft die Aussage der Disziplinarkammer, Steuerhinterziehung durch einen Finanzbeamten in einer Größenordnung, wie sie hier in Rede stehe, sei eine derart massive Pflichtverletzung, dass hiervon ausgehend das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn in aller Regel vollständig zerstört sei, im Allgemeinen zu. Allerdings hat es die Disziplinarkammer versäumt, der Frage nachzugehen, ob hier nicht eine typische Ausnahmesituation vorgelegen hat, die für eine mildere Maßnahme streiten kann. Letzteres hält der Senat in Fällen, in denen ﷓ wie hier ﷓ maßgeblicher Auslöser für die Einleitung und Durchführung des Disziplinarverfahrens eine Selbstanzeige nach § 371 AO gewesen ist, grundsätzlich für gegeben.

Zwar bestimmt § 371 AO unmittelbare Rechtsfolgen nur für den Bereich des Strafrechts; dort ist die Selbstanzeige nach h.M. ein persönlicher Strafaufhebungsgrund.

Vgl. etwa Engelhardt in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO, § 371 Rdnr. 35 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

Das allein ist aber noch kein Hinderungsgrund, ihr nicht zusätzlich auch eine disziplinarrechtliche Bedeutung zuzumessen. Von Letzterem ist nach Auffassung des Senats auszugehen. Der Selbstanzeige kommt hiernach - wie im Folgenden näher begründet wird - grundsätzlich die Bedeutung eines disziplinarrechtlichen Milderungsgrundes zu.

Grundsätzlich können sämtliche Umstände, die geeignet erscheinen, Persönlichkeitselemente zu offenbaren, die für eine günstige Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten Raum lassen, im Disziplinarrecht Bedeutung für die Maßnahmebemessung ﷓ und dabei ggf. auch das Absehen von der Höchstmaßnahme ﷓ erlangen. Auf den grundsätzlich abschließenden Katalog von Milderungsgründen, den die Rechtsprechung beim Zugriff des Beamten auf anvertrautes Vermögen entwickelt hat,

vgl. dazu näher Schwandt, DÖD 1999, 169 (179 f.), m.w.N.,

kommt es hier nicht an.

Die den Voraussetzungen des § 371 AO genügende Selbstanzeige steht - anders als das schlichte Geständnis - dem anerkannten Maßnahmemilderungsgrund der freiwilligen, nicht durch Furcht vor Entdeckung bestimmten, vollständigen und vorbehaltlosen Offenbarung des Fehlverhaltens vor Tatentdeckung in Verbindung mit dem Milderungsgrund der freiwilligen Wiedergutmachung des Schadens zumindest nahe.

Vgl. zu jenen Milderungsgründen etwa BVerwG, Urteil vom 9.5.1990 ﷓ 1 D 81.89 -, BVerwGE 86, 283; Urteil vom 6.9.1994 ﷓ 1 D 18.94 -, BVerwGE 103, 164; Urteil vom 5.10.1994 ﷓ 1 D 31.94 -, BVerwGE 103, 177; Urteil vom 28.5.1997 ﷓ 1 D 74.96 -, DÖD 1998, 69.

Zwar findet das Angebot der Straffreiheit bei der Selbstanzeige nach § 371 AO seine Rechtfertigung vornehmlich in einer fiskalischen bzw. steuerpolitischen Zielsetzung, nämlich dem Bestreben des Staates nach einer Vermehrung des Steueraufkommens. Dieser fiskalische Gesetzeszweck wird jedoch wesentlich erst dadurch erreicht, dass der Steuerpflichtige durch den Schritt der Selbstanzeige ﷓ möglicherweise dabei auch aus Gewissensnot ﷓ zur Steuerehrlichkeit zurückkehrt und zugleich das begangene Steuerunrecht wieder gutmacht. Insofern beinhaltet die Selbstanzeige durchaus auch Elemente eines Akts "tätiger Reue". Der Senat verkennt dabei nicht, dass § 371 AO weder ein freiwilliges Handeln des Täters noch ein im Übrigen moralisch positiv bewertbares Motiv notwendig voraussetzt.

Vgl. Engelhardt in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO, § 371 Rdnr. 28.

Gleichwohl wird durch die Ausschlussgründe des Absatzes 2 ﷓ und insbesondere dessen Nr. 2 ﷓ aber im Ergebnis sichergestellt, dass die von der Strafbefreiung tatsächlich nur erfassten Fälle denen einer freiwilligen Offenbarung der Pflichtverletzung zumindest nahe kommen. Denn das Verhalten des Beamten dürfte in der Regel dann nicht durch Furcht vor Entdeckung bestimmt (gewesen) sein, wenn im Zeitpunkt der Offenbarung die Tat als solche noch nicht entdeckt worden war, wenn also wegen der konkreten Tat, deren Täter der Beamte ist, noch keine (gezielten) Ermittlungen stattgefunden haben und der Beamte deshalb mit seiner Überführung (noch) nicht konkret rechnen musste. Die bloß abstrakte Möglichkeit, der Schaden oder die Tat werde ﷓ etwa vor dem Hintergrund allgemein durchgeführter Kontrollen ﷓ dem Dienstherrn alsbald offenbar werden, reicht demgegenüber nicht aus, um den Entschluss des Beamten zur Offenbarung der Tat und/oder Wiedergutmachung des Schadens als unfreiwillig erscheinen zu lassen.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 5.10.1994, a.a.O.; Urteil vom 5.5.1999 ﷓ 1 D 37.98 -.

Auch kann es dem Beamten, wenn er von der Möglichkeit des § 371 AO Gebrauch macht, disziplinarrechtlich nicht ausschlaggebend zum Nachteil gereichen, wenn er sich ﷓ wie hier ﷓ zunächst an den strafrechtlichen Folgen seiner Tat orientiert und davon ausgehend Angaben über strafrechtlich verjährte Zeiträume zunächst weglässt und diese erst in einem zweiten Schritt ﷓ sei es auch nach zwischenzeitlicher Aufforderung seines Dienstherrn - nachholt. Die Voraussetzung der vorbehaltlosen und vollständigen Offenbarung als weitere Voraussetzung einer freiwilligen Selbstoffenbarung ist insoweit bei einer Selbstanzeige in Steuerdelikten vor dem spezifischen Hintergrund der in erster Linie strafrechtlichen Bedeutung des § 371 AO zu relativieren.

Nicht zuletzt streitet für eine disziplinarrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit der Selbstanzeige nach § 371 AO als Milderungsgrund schließlich auch noch folgender Gesichtspunkt: Gerade die strafrechtlich günstigen Wirkungen der Selbstanzeige nach § 371 AO können den betroffenen Beamten auch disziplinarrechtlich in eine kaum auflösbare Konflikt- bzw. Zwangslage bringen. Entschließt er sich nämlich zu einer Selbstanzeige, so entgeht er im Ergebnis zwar - unter gleichzeitiger nachträglicher Erfüllung seiner steuerlichen Erklärungspflichten - der sonst im Falle einer Entdeckung drohenden strafrechtlichen Verfolgung. Zugleich riskiert er damit aber, dass gerade aufgrund seiner Selbstoffenbarung wegen bislang noch unentdeckter Vorgänge disziplinarrechtlich gegen ihn vorgegangen wird. Unterlässt er demgegenüber die Selbstanzeige, so drohen bis zu seiner - ggf. noch ungewissen - Entdeckung disziplinare Sanktionen jedenfalls nicht unmittelbar, der Beamte könnte sich aber auch nicht von der ihm außerdem drohenden Kriminalstrafe "befreien". Die geschilderte Zwangslage ist umso größer und deutlicher, je höher die ggf. zu erwartende Disziplinarmaßnahme voraussichtlich ausfallen wird. Entschließt sich der Beamte zur Selbstanzeige und wird allein hierdurch ﷓ wie oben dargelegt ﷓ die Zulässigkeit einer Übermittlung der entsprechenden Daten an die für das Disziplinarverfahren zuständige Stelle nicht gesperrt, so ist der Schwierigkeit seiner Lage jedenfalls bei der Maßnahmebemessung angemessen Rechnung zu tragen.

Unter Berücksichtigung all dessen hält der Senat die Selbstanzeige nach § 371 AO für einen Umstand, dem bei der disziplinarrechtlich gebotenen Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten grundsätzliches Gewicht beizumessen ist. Dies hat in der Weise zu geschehen, dass eine Selbstanzeige jedenfalls im Rahmen der überschlägigen Wahrscheinlichkeitsprüfung im Verfahren nach § 92 DO NRW in der Regel die Erwartung stützt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Finanzbeamten, der eine Steuerhinterziehung begangen hat, nicht notwendig endgültig zerstört ist, sondern noch eine hinreichende Vertrauensbasis besteht. Ob allerdings letztlich bei der Verhängung der Disziplinarmaßnahme tatsächlich von der Höchstmaßnahme abzusehen ist, bedarf einer sorgfältigen Prüfung anhand sämtlicher im Untersuchungsverfahren und ggf. im gerichtlichen Disziplinarverfahren festzustellender Umstände des Einzelfalles. Hierbei muss sich der Milderungsgrund der Selbstanzeige ﷓ etwa in Fällen mit einem außerordentlich hohen Schaden und/oder einer besonderen kriminellen Energie des Täters ﷓ nicht zwangsläufig durchsetzen und zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme führen.

Vorliegend macht die Selbstanzeige des Beamten in Anwendung der aufgezeigten Grundsätze eine Maßnahmemilderung nach der bisherigen Erkenntnislage bei summarischer Prüfung wahrscheinlich. Zunächst fehlt es gegenwärtig an eindeutigen Umständen, die - wie etwa eine offenkundig fehlende Freiwilligkeit - das Gewicht der Selbstanzeige selbst entscheidend mindern. Auch die Schadenshöhe, die in der Einleitungsverfügung bezogen auf beide Eheleute und einen Zeitraum von zehn Jahren mit ca. 75.000,﷓﷓ DM Einkommen- und Vermögenssteuerausfall errechnet worden ist, vermag hier nicht von vornherein einen Sonderfall zu rechtfertigen. Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass diese Höhe nach der nicht ohne weiteres widerlegbaren Einlassung des Beamten nur zu einem geringeren Teil auf seine Person (und wegen des übrigen Teils auf seine Ehefrau) entfällt und die konkrete Schadenshöhe auch noch aus weiteren Gründen zwischen ihm und der Einleitungsbehörde umstritten ist. Schließlich sind keine Umstände ersichtlich, die auf eine besondere kriminelle Energie des Beamten schließen lassen.

RechtsgebieteAbgabenordnung, DisziplinarrechtVorschriften§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO, § 371 AO, § 92 Abs. 1 DO NW

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