26.09.2006 · IWW-Abrufnummer 062859
Bundesgerichtshof: Urteil vom 06.07.2006 – IX ZR 88/02
Durch Steuerzahlungen entsteht dem Mandanten eines Steuerberaters ein ersatzfähiger Schaden dann nicht, wenn er keinen Anspruch auf Steuerbefreiung hat. Dem steht nicht entgegen, dass die zuständigen Finanzbehörden zeitweise den gegenteiligen Standpunkt eingenommen haben (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 28. September 1995 - IX ZR 158/94, NJW 1995, 3248).
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 88/02
Verkündet am:
6. Juli 2006
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Dr. Ganter, Raebel, Cierniak und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Teilend- und Grundurteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. März 2002 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 19. März 1998 wird auch insoweit zurückgewiesen, als dies nicht bereits durch das Teilurteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Mai 1999 geschehen ist.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin betreibt ebenso wie ihre Rechtsvorgängerin, eine Kommanditgesellschaft (im Folgenden nur: Klägerin), einen Reiterhof mit Pensionspferdehaltung, Pferdezucht und Aufnahme von Pensionsgästen. Die Umsätze aus der Beherbergung und Beköstigung von Kindern und Jugendlichen wurden beginnend mit dem Jahr 1982 als nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbare und mangels Eingreifens eines Befreiungstatbestandes auch steuerpflichtige Umsätze behandelt. Demgemäß erließ das zuständige Finanzamt auf der Grundlage einer Umsatzsteuersonderprüfung im Jahre 1986/1987 am 8. Februar 1991 die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1982 bis 1984. Die Klägerin legte diese innerhalb der Rechtsbehelfsfrist der beklagten Steuerberatungsgesellschaft, welche die Klägerin allgemein in steuerlichen Angelegenheiten beriet, zur Prüfung vor. Die Beklagte legte keinen Einspruch ein.
Sie nahm für die Klägerin auch die Umsatzsteuervoranmeldungen und die Umsatzsteuerjahresanmeldungen für die Jahre 1985 bis 1993 vor. Hierbei ging sie ebenso wie das zuständige Finanzamt von steuerbaren und steuerpflichtigen Umsätzen nach § 1 Abs. 1 UStG aus. Im Anschluss an eine weitere, im Jahr 1995 durchgeführte Betriebsprüfung ergingen am 30. Januar 1996 Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1989 bis 1993. Hierbei behandelte das Finanzamt die Umsätze der Klägerin bei der Beköstigung, Unterbringung und Fortbildung von Kindern und Jugendlichen als umsatzsteuerfrei.
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der nicht beantragten Steuerbefreiung für die Jahre 1982 bis 1984 sowie für die Jahre 1992 und 1993 auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat, nachdem es die Berufung der Klägerin mit Teilurteil vom 6. Mai 1999 in einzelnen Punkten zurückgewiesen hatte, mit dem angefochtenen Teilend- und Grundurteil das Bestehen einer Schadensersatzpflicht bejaht. Hiergegen richtet sich die vom Senat angenommene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
1. Das Rubrum war dahin zu berichtigen, dass nicht die R. GmbH & Co. KG als Klägerin aufzuführen ist, sondern die R. , Inhaberin I. G. , selbst Klägerin ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass auch bei äußerlich unrichtiger Bezeichnung grundsätzlich das Rechtssubjekt als Partei anzusehen ist, das durch die fehlerhafte Bezeichnung nach deren objektivem Sinn betroffen werden soll (BGH, Beschl. v. 15. Mai 2006 - II ZB 5/05, Rn. 11, z.V.b.). Diese Grundsätze gelten auch, wenn sich die klagende Partei selbst fehlerhaft bezeichnet hat (BGH, Urt. v. 12. Oktober 1987 - II ZR 21/87 - NJW 1988, 1585, 1587 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall spricht entscheidend für die Zulässigkeit einer bloßen Rubrumsberichtigung, dass die Klägerin von vornherein einen Schadensersatzanspruch des Unternehmensträgers, der durch eine steuerliche Fehlberatung des Unternehmens entstanden sein soll, geltend machen wollte. Der behauptete Anspruch wäre in der Person der damaligen Kommanditgesellschaft entstanden. Deren Vermögen ist vor Klageerhebung auf die im Rubrum aufgeführte Einzelkauffrau - bis dahin Kommanditistin - übergegangen, als die persönlich haftende Gesellschafterin aus der zweigliedrigen Gesellschaft ausschied (vgl. BGHZ 48, 203, 206; 113, 132, 133 f; Baumbach/Hopt, HGB 32. Aufl. Einl. V. § 105 Rn. 22). Daher handelte es sich entgegen der äußeren Parteibezeichnung von Anfang an um eine Klage des fortgeführten einzelkaufmännischen Betriebs.
2. Das Berufungsgericht meint, die Beklagte habe die Verfügung der Oberfinanzdirektion Koblenz vom 1. September 1989 (UR 1990, 224 f) kennen müssen. Aufgrund dieser Verfügung sei sie gehalten gewesen, bei der Klägerin nachzufragen, ob die in der Verfügung dargestellten Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung bei Lieferungen und sonstigen Leistungen gemäß § 4 Nr. 23 UStG auch bei ihrem Reiterhof vorliegen. Sie hätte der Klägerin raten müssen, Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide vom 8. Februar 1991 einzulegen. Entsprechend diesem Rat hätte sich die Klägerin verhalten. Das zuständige Finanzamt hätte dem Einspruch stattgegeben. Aus den gleichen Gründen habe die Beklagte es schuldhaft pflichtwidrig versäumt, für die Jahre 1992 und 1993 die Steuerbefreiung zu beantragen.
3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ob die Beklagte überhaupt, bezogen auf den der Klage zugrunde liegenden Zeitraum, eine ihr der Klägerin gegenüber obliegende Pflicht verletzt hat, kann dahinstehen. Jedenfalls ist dieser dadurch, dass die Beklagte sie nicht auf die Steuerbefreiung bei Lieferungen und sonstigen Leistungen gemäß § 4 Nr. 23 UStG hingewiesen und die Befreiung bei ihrer umsatzsteuerrechtlichen Betreuung berücksichtigt hat, kein Schaden entstanden. Das folgt aus dem normativen Schadensbegriff: Der Geschädigte soll im Wege des Schadensersatzes grundsätzlich nicht mehr erhalten als das, was er nach der materiellen Rechtslage verlangen kann. Der Verlust oder die Vorenthaltung einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, auf die nach der Rechtsordnung kein Anspruch besteht, stellt keinen ersatzfähigen Nachteil dar (BGHZ 124, 86, 95; 125, 27, 34; Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 1095). Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 23 UStG. Nach dieser Vorschrift ist steuerfrei die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen durch Personen und Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke bei sich aufnehmen, soweit die Leistung an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung, Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen ausgeführt wird. Jugendliche im Sinne dieser Vorschrift sind alle Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres.
a) Hierzu hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 28. September 2000 (BFH BStBl. 2001 II 691, 692) entschieden, dass der Unternehmer, der Jugendliche für Erziehungszwecke bei sich aufnimmt, eine Einrichtung auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendbetreuung oder der Kinder- und Jugenderziehung im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h oder i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) unterhalten muss (übereinstimmend Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen v. 28. September 2001, BStBl. 2001 Teil I S. 726). Nach diesen Bestimmungen befreien die Mitgliedstaaten die eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen sowie die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchem Auftrag betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung. Befreit sind demnach Einrichtungen des öffentlichen Rechts auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendbetreuung sowie der Kinder- und Jugenderziehung und vergleichbare privatrechtliche Einrichtungen nach näherer Maßgabe des nationalen Rechts. Mit Urteil vom 19. Mai 2005 hat der Bundesfinanzhof erneut bestätigt, dass es sich um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts oder eine anerkannte Einrichtung handeln muss (BFH UR 2005, 503, 505; ebenso etwa Bunjes/Geist/Heidner, UStG 8. Aufl. § 4 Nr. 23 Rn. 3). Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG umschrieben sind, eng auszulegen sind (EuGH DStRE 1997, 688, 690; 1999, 803, 804).
Zwar sind die Entscheidungen nach dem Ende des hier zu beurteilenden Schadenszeitraums ergangen. Sie bedeuteten jedoch keine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung; denn der Bundesfinanzhof hatte bereits in dem Urteil vom 7. Juli 1960 (BFHE 71, 393) die Vorläufervorschrift des § 4 Nr. 13 UStG a.F. auf ein Jugendwohnheim angewandt. Dort ist im Tatbestand (aaO S. 394) hervorgehoben, dass der Beigeladene ein mit staatlichen Mitteln errichtetes und durch Zuschüsse aus dem Landesjugendplan gefördertes, vom zuständigen Landesminister anerkanntes Wohnheim unterhielt.
b) Die danach erforderliche staatliche Anerkennung, insbesondere durch eine Genehmigung des hierfür zuständigen Landesamtes für Jugend und Soziales in M. , hat die Klägerin für ihren Reiterhof nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erhalten. Aus diesen Feststellungen ergibt sich auch nicht, dass der Klägerin staatliche Mittel zur Förderung des in § 4 Nr. 23 UStG bezeichneten Zwecks zugeflossen sind, was nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. September 2001 (BStBl. I 726) zur Erlangung der Steuerbefreiung genügen soll; übergangenen Sachvortrag hierzu zeigt die Revisionerwiderung der Klägerin nicht auf. Damit liegen die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes in § 4 Nr. 23 UStG nicht vor.
c) Die Klägerin kann sich nicht auf die von der Oberfinanzdirektion Koblenz in ihrer Verfügung vom 1. September 1989 (UR 1990, 224 f) vertretene Auffassung berufen. Zwar lag der Verfügung auch die Frage einer Umsatzsteuerbefreiung bei dem Betrieb eines Ponyhofs zugrunde. Jedoch handelte es sich um eine von dem Landesamt für Jugend und Soziales in M. genehmigte Einrichtung.
d) Unerheblich ist, wie das zuständige Finanzamt einen Einspruch der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide vom 8. Februar 1991 tatsächlich verbeschieden hätte. Zwar hat das Berufungsgericht sich nach Beweisaufnahme davon überzeugt, dass das Finanzamt eine begehrte Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG gewährt hätte. Darauf kommt es aber nicht an.
aa) Wenn im Haftpflichtprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Steuerberaters ein Schaden entstanden ist, vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängt, muss das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre (BGHZ 133, 110, 111; BGH, Urt. v. 27. Januar 2000 - IX ZR 45/98, WM 2000, 966, 968). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Einspruchsverfahren befasste Finanzamt seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, ist ohne Belang. Vielmehr ist die Sicht des Regressgerichts maßgeblich.
Die hypothetische Betrachtung, ob die Klägerin bei sachgemäßer Vertretung das Einspruchsverfahren gewonnen hätte, betrifft nicht nur Rechtsfragen, sondern auch Tatsachenfeststellungen. Die Frage, wie das frühere Verfahren richtigerweise hätte entschieden werden müssen, beantwortet sich nach § 287 ZPO, weil es sich um ein Element der haftungsausfüllenden Kausalität handelt (BGH, Urt. v. 5. November 1992 - IX ZR 12/92, WM 1993, 382). Das Regressgericht hat seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde zu legen, welcher der im Vorverfahren entscheidenden Stelle bei pflichtgemäßem Verhalten des Steuerberaters unterbreitet und von ihm aufgeklärt worden wäre (BGHZ 133, 110, 111 f; 163, 223, 227).
Die Beklagte hätte im Einspruchsverfahren nicht vortragen können, dass die Klägerin eine von der zuständigen Behörde genehmigte Einrichtung betreibt. Daher hätte sie die Voraussetzungen des § 4 Nr. 23 UStG nicht darlegen können. Eine Befreiung kam von Rechts wegen nicht in Betracht.
bb) Der Hinweis des Berufungsgerichts auf das Urteil des Senats vom 28. September 1995 (IX ZR 158/94, NJW 1995, 3248) geht fehl. Die Entscheidung befasst sich mit dem Fall, dass der zuständigen Behörde bei ihrer Entscheidung ein Ermessensspielraum verbleibt und der Schadensersatzrichter die Ermessensentscheidung dieser Behörde festgestellt hat (vgl. hierzu auch BGHZ 79, 223, 226; Zugehör/Fischer, aaO Rn. 1105 ff). Nur in einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob dem Mandanten dadurch ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist, dass er sich eine ständige ermessensfehlerhafte Verwaltungspraxis nicht hat zunutze machen können. So liegt es hier aber nicht: Sowohl bei § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG als auch bei § 4 Nr. 23 UStG handelt es sich um zwingende Rechtsnormen; dem zuständigen Finanzamt steht kein Ermessensspielraum zu (vgl. hierzu BGHZ 124, 86, 95 f; BGH, Urt. v. 21. September 1995 - IX ZR 228/94, NJW 1996, 48, 49).
e) Dahinstehen kann, ob die Beklagte sich aus Anlass der Verfügung der Oberfinanzdirektion Koblenz vom 1. September 1989 bei der Klägerin nach dem maßgeblichen Sachverhalt hätte erkundigen müssen. Dessen Ermittlung hätte keinen Anlass gegeben, eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG geltend zu machen.
III.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da der Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu erkennen (§ 563 Abs. 3 ZPO) und das mit der Berufung angefochtene Urteil des Landgerichts in vollem Umfang wiederherzustellen.