25.02.2025 · IWW-Abrufnummer 246775
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 27.11.2024 – XII ZB 164/24
a) Die geschlossene Unterbringung eines Minderjährigen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist auch bei vorliegenden Anzeichen für eine psychische Störung unverhältnismäßig, wenn bei dem Minderjährigen im Schwerpunkt pädagogische Defizite bestehen, die nur die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung rechtfertigen. Das gilt auch bei Fehlen eines (regionalen) Angebots an geeigneten Jugendhilfeeinrichtungen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 18. Juli 2012 - XII ZB 661/11 -FamRZ 2012, 1556).
b) Erfordert das vor Genehmigung einer Unterbringung stets einzuholende Sachverständigengutachten eine stationäre diagnostische Abklärung, kann das Familiengericht unter den Voraussetzungen des § 284 FamFG die Unterbringung des Minderjährigen zur Begutachtung anordnen.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Pernice und Dr. Recknagel
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Oldenburg (Oldb) vom 1. März 2024 und des 4. Zivilsenats - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 26. März 2024 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Die außergerichtlichen Kosten beider Rechtsmittelverfahren werden der Staatskasse auferlegt.
Eine Wertfestsetzung ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
1
Der betroffene Jugendliche wurde im August 2008 als Sohn der seinerzeit fünfzehnjährigen Kindesmutter (Beteiligte zu 3) in Ungarn geboren. Er lebte zeitweilig bei seinem Vater in Ungarn, der inzwischen Suizid beging.
2
Für den Betroffenen ist nach teilweiser Entziehung der elterlichen Sorge der Beteiligte zu 2 seit 2019 als Ergänzungspfleger für die Gesundheitssorge sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt. Nach zahlreichen Inobhutnahmen und Unterbringungen in Jugendhilfeeinrichtungen sowie zunehmendem Schulabsentismus des Betroffenen haben seine Mutter und der Ergänzungspfleger die Genehmigung seiner Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie beantragt.
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Das Amtsgericht hat eine Verfahrensbeiständin bestellt, ein Sachverständigengutachten eingeholt sowie den Betroffenen und seine Mutter angehört. Es hat mit Beschluss vom 1. März 2024 die freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen in einer psychiatrischen Klinik bis 31. Mai 2024 genehmigt. Der Betroffene wurde am 6. März 2024 einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie zugeführt.
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Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Betroffenen nach dessen Anhörung durch den Berichterstatter und anschließender Einholung von ergänzenden Stellungnahmen der Klinik und des beteiligten Jugendamts mit Beschluss vom 26. März 2024 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit welcher er nach Ablauf der festgesetzten Unterbringungsdauer die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorinstanzlichen Beschlüsse beantragt.
II.
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Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 4 , 167 Abs. 3 FamFG verfahrensfähigen Betroffenen ist begründet. Sie führt nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2023 - XII ZB 130/22 -FamRZ 2023, 638Rn. 4 mwN) zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts.
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1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Unterbringung zum Wohl des Jugendlichen, insbesondere zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für seine psychische und seelische Entwicklung, notwendig, wobei der Gefahr nicht auf anderem Weg begegnet werden könne. Zwar bestehe keine akute Eigengefährdung im Sinne einer Suizidalität oder eines selbstverletzenden Verhaltens. Der Betroffene erkenne aber nicht, dass er dringend einer therapeutischen Anbindung bedürfe. Zudem sei es für seine psychische und seelische Entwicklung erforderlich, dass er lerne, sich an Regeln zu halten, und beginne, seine bestehende dissoziative Verhaltensstörung zu bearbeiten. Nach dem Sachverständigengutachten, dem Bericht des Jugendamts und der im Beschwerdeverfahren eingeholten fachärztlichen Stellungnahme sei er nicht in der Lage, seine derzeitige Situation realitätsnah einzuschätzen. Es bestehe bei ihm ein erheblicher Therapiebedarf. Die festgelegte Dauer der Unterbringung begegne keinen Bedenken, weil der Betroffene eine gewisse Zeit brauchen werde, um eine nachhaltige Therapiemotivation zu entwickeln. Zudem müsse die Gesamtdauer nicht zwingend ausgenutzt werden, wenn der Betroffene etwa mit einer Unterbringung in einer offenen Einrichtung der stationären Jugendhilfe einverstanden sei. Da ausweislich des Berichts des Jugendamts jedenfalls kurzfristig keine geeignete geschlossene Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe zur Verfügung stehe, sei weiterhin die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie erforderlich.
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2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und führt nach Ablauf der Genehmigungsfrist zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts.
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a) Gemäß § 1631 b Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts.
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aa) § 1631 b BGB ist durch das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vom 4. Juli 2008 (BGBl. I S. 1188) dahin konkretisiert worden, dass die Unterbringung zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann ( § 1631 b Abs. 1 Satz 2 BGB ). Dadurch wird klargestellt, dass die geschlossene Unterbringung aus Gründen des Kindeswohls erforderlich und verhältnismäßig sein muss. Die Entscheidung des Gerichts hat zugleich dem Freiheitsrecht des Minderjährigen Rechnung zu tragen. Eine geschlossene Unterbringung kommt daher nur als letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit in Betracht (vgl. auch Art. 37 lit. b der UN-Kinderrechtekonvention). Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, Gründe für eine geschlossene Unterbringung abschließend aufzuzählen, da diese Gründe zu vielschichtig sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2012 - XII ZB 661/11 -FamRZ 2012, 1556Rn. 19 und vom 24. Oktober 2012 - XII ZB 386/12 -FamRZ 2013, 115Rn. 20).
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bb) § 1631 b Abs. 1 BGB ermöglicht allgemein die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung eines betroffenen Kindes, ohne die Einrichtungsart festzulegen (vgl. BT-Drucks. 8/2788 S. 38). In Betracht kommen grundsätzlich Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Jugendhilfe (Pheiler-Cox/LentzFamRZ 2024, 1515; BeckOGK/Kerscher [Stand: 1. November 2024] § 1631 b BGB Rn. 11). Im Rahmen der Jugendhilfe ist die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung als Hilfe zur Erziehung ( §§ 27 , 34 SGB VIII ) oder Hilfe zur Eingliederung ( § 35 a SGB VIII ; vgl. HoffmannFamRZ 2013, 1346, 1348) möglich, was grundsätzlich eine Bewilligung der entsprechenden Jugendhilfeleistung und in diesem Zusammenhang die Aufnahmebereitschaft der jeweiligen Einrichtung voraussetzt (vgl. Pheiler-Cox/LentzFamRZ 2024, 1515, 1517). Demgegenüber sind Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter bestimmten Voraussetzungen zur Aufnahme verpflichtet (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ). Jugendhilfeeinrichtungen unterscheiden sich mit ihrem vorwiegend pädagogischen Ansatz sowohl in struktureller Hinsicht als auch bezüglich der Eingriffsintensität von der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie als medizinische Einrichtung zur Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von psychischen, psychosomatischen und neurologischen Störungen. Kommen mehrere Formen der geschlossenen Unterbringung in Betracht, muss die Erforderlichkeit der Unterbringung bezogen auf die konkret angeordnete Unterbringungsart festgestellt werden (vgl. BVerfGFamRZ 2007, 1627, 1629zu § 70 Abs. 1 Nr. 2 FGG; Senatsbeschluss vom 15. Mai 2024 - XII ZB 490/23 -FamRZ 2024, 1583Rn. 5 zur Unterbringung Volljähriger).
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(1) Die Genehmigung der Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie als Sonderform der psychiatrisch-medizinischen Behandlung setzt grundsätzlich eine entsprechende medizinische Indikation voraus (vgl. Rüth FPR 2011, 554, 555 f., 558). Liegt eine solche nicht vor, so wird es bereits an der Geeignetheit der Maßnahme fehlen und besteht für eine Unterbringung regelmäßig keine Grundlage. Erfordert das vor Genehmigung einer Unterbringung nach §§ 167 Abs. 1 Satz 1 , 321 FamFG stets einzuholende Sachverständigengutachten zunächst eine stationäre diagnostische Abklärung, kann das Familiengericht gemäß §§ 167 Abs. 1 Satz 1 , 322 , 284 FamFG die Unterbringung des Minderjährigen zur Begutachtung anordnen (Prütting/Helms/Hammer FamFG 6. Aufl. § 167 Rn. 36 mwN).
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(2) Ohne vorliegende medizinische Indikation ist die Genehmigung der Unterbringung zur Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie rechtswidrig. Ist die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht zulässig, so ändert sich nichts dadurch, dass es (regional) an geeigneten und aufnahmebereiten Jugendhilfeeinrichtungen für eine freiheitsentziehende Unterbringung fehlt. Denn das Fehlen derartiger von den Trägern der Jugendhilfe im Rahmen ihrer gesetzlichen Gesamtverantwortung nach § 79 Abs. 1 SGB VIII bereitzustellenden Einrichtungen darf nicht dazu führen, dass Minderjährige in einer für ihre spezifischen Defizite unzureichend geeigneten Einrichtung geschlossen untergebracht werden. Auch einer Unterbringungsgenehmigung für eine Übergangsfrist, etwa um dem Sorgeberechtigten Zeit zu geben, für den Betroffenen eine Jugendhilfeeinrichtung zu finden, fehlt die Rechtsgrundlage (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2024 - XII ZB 463/23 -FamRZ 2024, 1580Rn. 19 zur Unterbringung Volljähriger; aA offenbar AG Landau [Isar]FamRZ 2024, 1542, 1546).
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Liegt bei dem Betroffenen zwar eine psychische Störung vor, rechtfertigt diese aufgrund ihres gegenüber zugleich vorliegenden pädagogischen Defiziten geringeren Schweregrades aber nicht die stationäre Therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern allenfalls eine von ambulanter Therapie begleitete Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung (vgl. Pheiler-Cox/LentzFamRZ 2024, 1515, 1516 f.mwN), so ist auch dann die geschlossene Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unzulässig. Selbst wenn in einem solchen Fall keine geeignete Jugendhilfeeinrichtung zur Verfügung steht und die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gegenüber der Rückkehr in den elterlichen Haushalt sogar die für das Kindeswohl bessere Alternative darstellen würde, ist diese Form der Unterbringung mit Rücksicht auf den hohen Rang des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGFamRZ 2007, 1627, 1628) unverhältnismäßig (im engeren Sinne) und darf nicht genehmigt werden.
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b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe war die Unterbringung des Betroffenen auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht genehmigungsfähig.
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aa) Nach dem vom Amtsgericht eingeholten jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachten vom 26. Februar 2024 war von einer Zwangsstörung, zumindest mit Zwangshandlungen, ggf. auch mit Zwangsgedanken (F42 ICD-10) auszugehen. Des Weiteren ist darin ausgeführt, es "dürfte eine depressive Entwicklung in Gang gekommen sein (F32.1)". Inwieweit eine latent suizidale Gefährdung vorliege, könne nicht sicher eingeschätzt werden. Die Beweisfrage, ob beim Betroffenen eine psychische Krankheit, geistige oder seelische Behinderung vorliege, hat der Sachverständige dahin beantwortet, es liege eine psychische Erkrankung und seelische Behinderung "im Sinne von § 35 a SGB VIII " vor. Es sei "von einer Zwangsstörung und depressiven Entwicklung auszugehen, inwieweit darüber hinausgehend psychiatrische Diagnosen vorliegen, sollte im Rahmen eines stationären Aufenthalts überprüft werden."
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Das Sachverständigengutachten begründete eine Unterbringung mit dem vom Amtsgericht festgelegten Zeitraum von nahezu drei Monaten schon deshalb nicht, weil der Sachverständige selbst zwar von einer Dauer der stationären Behandlung von mindestens drei Monaten ausgegangen ist, davon aber nur (mindestens) sechs Wochen im geschützt-geschlossenen Setting für erforderlich gehalten hat. Abgesehen davon rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass darauf ohnedies keine stationäre Unterbringung zur Behandlung gestützt werden konnte. Denn das Sachverständigengutachten beruhte in verschiedener Hinsicht, etwa bezüglich der depressiven Entwicklung, auf Vermutungen. Dass allein die Feststellung einer Zwangsstörung die stationäre Unterbringung rechtfertigte, ist vom Sachverständigen weder zur damit verbundenen konkreten Therapie noch zum erzielbaren Therapieerfolg bezüglich der beim Betroffenen vorliegenden Defizite begründet worden (zu den Qualitätsanforderungen an Gutachten s. Arbeitsgruppe familienrechtliche GutachtenFamRZ 2021, 654). Auf den zum Teil ersichtlich nur vorläufigen und zum Teil nicht ausreichend begründeten Befund des Sachverständigen, dessen Untersuchung lediglich auf einem kurzen Kontakt mit dem Betroffenen beruhte, konnte das Amtsgericht die Genehmigung der Unterbringung zur Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mithin nicht stützen. Eine allenfalls gerechtfertigte Unterbringung zur Begutachtung gemäß §§ 167 Abs. 1 Satz 1 , 322 , 284 FamFG hat das Amtsgericht nicht angeordnet.
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Zudem hat das Amtsgericht lediglich die Alternative einer Unterbringung des Betroffenen in einer offenen Jugendhilfeeinrichtung geprüft. Da es sich nicht die Frage vorgelegt hat, ob auch eine Unterbringung in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung in Betracht kommt, hat es seine für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitseingriffs erforderliche Betrachtung unzulässig verkürzt.
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bb) Auch die vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen rechtfertigten - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - keine Unterbringung des Betroffenen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Nach der fachärztlichen Stellungnahme des Klinikums O. vom 20. März 2024 zeigten sich vielmehr im Rahmen der stationären Behandlung vorwiegend Hinweise auf das Vorliegen einer ausgeprägten Störung des Sozialverhaltens. Zwar ergäben sich in der Verhaltensbeobachtung und aus den Einzelgesprächen diskrete Hinweise auf eine psychiatrische Erkrankung, die aber in ihrer Schweregradausprägung den dissozialen Verhaltensweisen deutlich unterlegen erschienen. Darauf beruhte die fachärztliche Empfehlung einer intensivpädagogischen, stationären Jugendhilfemaßnahme, um einen engen, kontinuierlichen Betreuungsrahmen und stabile, korrigierende Beziehungserfahrungen darzustellen. Diese Empfehlung hat der Oberarzt der Klinik Dr. G. in einem Telefongespräch mit dem Berichterstatter des Beschwerdegerichts bestätigt. Der pädagogische Bedarf sei auf jeden Fall als gewichtiger einzuschätzen.
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Damit lag keine die geschlossene Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie rechtfertigende medizinische Diagnose vor. Selbst eine vorhandene psychische Störung war von ihrem Schweregrad her der ausgeprägten Störung des Sozialverhaltens untergeordnet. Wegen des darauf beruhenden vorrangigen pädagogischen Bedarfs war auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen, die auch keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung ergeben haben, stattdessen die hauptsächlich pädagogisch orientierte - ggf. geschlossene - Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung angezeigt.
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Dass ausweislich des Berichts des Jugendamts jedenfalls kurzfristig keine geeignete geschlossene Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe zur Verfügung stand, rechtfertigte die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht. Selbst wenn die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie für den Betroffenen besser geeignet war als eine Rückkehr in den Haushalt der Mutter, vermag dies eine stationäre Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht zu begründen. Zwar hätten dort die beim Betroffenen vorhandenen psychiatrischen Symptome behandelt werden können, sodass die Maßnahme nicht von vornherein ungeeignet gewesen wäre. Zur Behandlung der beim Betroffenen hauptsächlich vorhandenen Erziehungsdefizite wäre die Kinder- und Jugendpsychiatrie aber abgesehen von der insoweit kaum ausreichenden Dauer der Maßnahme nicht die geeignete Einrichtung gewesen, sodass sich die im vorliegenden Fall genehmigte Freiheitsentziehung als übermäßig (unverhältnismäßig im engeren Sinne) und damit rechtswidrig erweist.
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c) Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten -Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 - XII ZB 146/20 -FamRZ 2021, 145Rn. 20 mwN).
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d) Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Guhling Klinkhammer BoturPernice Recknagel