17.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242709
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 03.05.2024 – 9 Sa 4/24
Im Falle einer einseitigen Freistellung in der Kündigungsfrist nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung unterlässt es der Arbeitnehmer innerhalb der Kündigungsfrist nicht böswillig, anderweitigen Verdienst zu erzielen, wenn er mit Bewerbungen auf vom Arbeitgeber mitgeteilte offene Stellen zuwartet bis zu einem zeitnah anberaumten Kammertermin über die Kündigungsschutzklage.
In der Rechtssache
- Kläger/Berufungskläger -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagter/Berufungsbeklagter -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 9. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Tillmanns, den ehrenamtlichen Richter Grassl und den ehrenamtlichen Richter Herbstritt auf die mündliche Verhandlung vom 03.05.2024
für Recht erkannt:
Tenor: I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen, Kammern Radolfzell vom 16.11.2023 - 7 Ca 216/23 - abgeändert: 1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.440,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2023 zu bezahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufung über Annahmeverzugsvergütung. Die Beklagte wendet ein, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Der Kläger ist bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 18. Oktober 2019 seit dem 01. November 2019 zuletzt als Senior Consultant zu einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von 6.440,- EUR beschäftigt.
Mit Schreiben vom 29. März 2023 - dem Kläger am 31. März 2023 zugegangen - kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. Juni 2023 und stellte ihn unwiderruflich unter Fortzahlung der vertraglichen Vergütung unter Anrechnung etwaiger noch bestehender sowie ggf. neu entstehender Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche frei. In der Kündigung heißt es weiter: "Ihren noch bestehenden Urlaub im Umfang von 11 Urlaubstagen gewähren wir Ihnen zu Beginn der unwiderruflichen Freistellung ab dem 03.04.2023. Anderweitige Einkünfte, die Sie im Freistellungszeitraum nach der Abgeltung etwaiger Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche erzielen, werden gemäß § 615 Satz 2 BGB auf Ihre laufenden Vergütungsansprüche angerechnet."
Der Kläger meldete sich Anfang April 2023 bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend. Die verbliebenen 11 Resturlaubstage des Klägers wurden im April und Mai 2023 genommen. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2023 ein Exposé mit elf Jobangeboten übersandt. Mit Schreiben vom 24. Mai 2023, 02.Juni 2023 und 19. Juni 2023 hat die Beklagte dem Kläger jeweils ein weiteres Exposé mit weiteren Jobangeboten (24. Mai 2023: 11 Jobangebote; 02. Juni 2023: 9 Jobangebote; 19. Juni 2023: 12 Jobangebote) übersandt. Sämtliche dieser Stellenangebote sahen etwa umfangreiche Home-Office Möglichkeiten vor und/oder befanden sich in Süddeutschland, sodass der Kläger die Arbeitsstätte mit zumutbarem Aufwand hätte erreichen können. Es handelte sich um anerkannte Arbeitgeber und vergleichbare Stellen im Tätigkeitsfeld des Consultants und auch im Bereich Data Engineering, welches der Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers ist. Die Beklagte hat den Kläger in ihren Schreiben jeweils gleichzeitig aufgefordert, sich um eine Anstellung auch bezogen auf diese Jobangebote zu bemühen, auf § 615 S. 2 BGB verwiesen und den Kläger jeweils auch von seinem vertraglichen und gesetzlichen Wettbewerbsverbot befreit. Der Kläger hat sich erstmals am 28. Juni 2023 auf ein Jobangebot beworben. Von den 43 von der Beklagten an den Kläger übersandten Stellenangeboten hat sich der Kläger auf sieben Stellenangebote beworben. Eine Lohnzahlung für Juni 2023 an den Kläger durch die Beklagte erfolgte nicht.
Durch Urteil des Arbeitsgerichts Villingen - Schwenningen - Kammern Radolfzell - vom 29.Juni
2023 (Az.: 7 Ca 113/23) wurde die Kündigung für unwirksam erklärt. Das Berufungsverfahren vor dem LAG Baden-Württemberg ist unter dem Az. 11 Sa 61/23 anhängig.
Mit seiner am 03. Juli 2023 beim Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen - Kammern Radolfzell - erhobenen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Lohnzahlung für Juni 2023.
Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger vorgetragen, es sei lebensfremd davon auszugehen, dass bei einer Bewerbung im Mai 2023 eine Einstellung am 1. Juni 2023 erfolgen würde. Der Kläger habe daher nicht den Ausdrucken aus den Jobportalen im Einzelnen nachgehen und sich darauf bewerben müssen. Ferner habe er erst im Laufe des Juli 2023 erste durch die Agentur für Arbeit vorgeschlagene Stellenangebote erhalten.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.440,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2023 zu bezahlen.Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.Sie hat vorgetragen, dass ohne anderweitiger Angaben seitens des Klägers, insbesondere mangels Informationen über Bewerbungserfolge auf ihm übersandte Jobangebote, davon ausgegangen werden müsse, dass der Wert der dem Kläger zumutbaren Arbeit, die dieser abgelehnt oder vorsätzlich verhindert habe, etwaigen Annahmeverzugslohnansprüchen entspreche.
Mit Schriftsatz vom 30. August 2023 hat die Beklagte Widerklage auf Auskunftserteilung erhoben. Diese ist rechtskräftig vom Arbeitsgericht abgewiesen worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe es böswillig im Sinne von § 615 S. 2 BGB unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, da er sich auf die von dem Beklagten übersandten ihm zumutbaren Stellenangebote nicht beworben habe. Der Kläger habe sich erstmals am 28. Juni 2023 auf ein Jobangebot beworben. Zumindest das Exposé vom 12. Mai 2023 sei so rechtzeitig übersandt worden, dass eine Einstellung zum 1. Juni 2023 durchaus möglich erscheine. Entgegen der Auffassung des Klägers sei das angesichts des drängenden Fachkräftemangels nicht lebensfremd. Ferner komme es für § 615 S. 2 BGB nicht darauf an, ob der Kläger auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten hoffe. Nachdem die übersandten Jobangebote in Tätigkeit und Vergütung dem bisherigen Arbeitsplatz des Klägers ähneln, sei davon auszugehen, dass der Kläger einen Zwischenverdienst ab Juni 2023 mindestens in der Höhe des von der Beklagten geschuldeten Arbeitsentgelts hätte erzielen können. Damit entfalle der Annahmeverzugslohnanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten vollständig.
Das arbeitsgerichtliche Urteil vom 16.11.2023 wurde dem Klägervertreter am 07.12.2023 zugestellt. Die Berufung hiergegen ging fristgerecht am 08.01.2024 beim Landesarbeitsgericht ein und wurde innerhalb der bis zum 08.03.2024 verlängerten Berufungsbegründungsfrist fristgerecht am 08.03.2024 begründet.
Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass es ihm ersichtlich darum gehe, seine bisherige Arbeitsstelle bei der Beklagten zu erhalten. Daher sei die Eingehung eines Dauerarbeitsverhältnisses bei einem anderen Arbeitgeber problematisch. Dies gelte umso mehr bei Berücksichtigung der Verhältnisse Mitte Mai 2023, da eine Entscheidung über die zu verhandelnde streitgegenständliche Kündigung der Beklagten noch nicht ergangen sei. Von den angebotenen Stellen sei keine einzige als befristete Stelle angeboten worden und daher sei die Vorstellung, der Kläger würde aufgrund der von der Beklagten weitergeleiteten Stellenanzeigen eine befristete Arbeitsstelle für nur einen Monat bekommen unrealistisch. Die Eingehung von Dauerschuldverhältnissen während des Annahmeverzugs sei nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts mit Rücksicht auf den Fortbestand des vom Annahmeverzug betroffenen Arbeitsverhältnisses in der Regel nicht zuzumuten, jedenfalls dann nicht, wenn ihm dadurch die Möglichkeit der alsbaldigen Rückkehr in die vertragsgemäße Position genommen oder erschwert werden würde. Des Weiteren hätte er den Stellenanbieter darauf aufmerksam machen müssen, dass er nur dann die neue Stelle antreten könne, wenn er sich wieder kurzfristig lösen könne, sollte er aufgrund einer gewonnenen Kündigungsschutzklage wieder kurzfristig bei der Beklagten arbeiten können. Schließlich müsse ein neuer Arbeitgeber nicht dulden, dass sich der Kläger noch in einem anderen Arbeitsverhältnis, welches mindestens bis zum 30.06.2023 fortbestehe und das unter Umständen eine Konkurrenzsituation der Arbeitgeber begründe befinde. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes sei es lebensfremd, bei einer Bewerbung Mitte 2023 eine Einstellung zum 01.06.2023 bei rechtlichen Bestehen des bisherigen Arbeitsverhältnisses anzunehmen.
Der Kläger beantragt daher:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen - Schwenningen - Kammern Radolfzell - vom 16.11.2023, Az. 7 Ca 216/23 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 6.440,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2023 zu bezahlen.Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.Sie trägt zur Begründung vor, der vorliegende Fall betreffe den Annahmeverzug im laufenden Arbeitsverhältnis, nicht im gekündigten Arbeitsverhältnis. Träfe die Argumentation des Klägers zu, hätte § 615 S. 2 BGB keinen Anwendungsbereich. Unzutreffend sei auch, dass er einem anderen Arbeitgeber offenbaren müsste, dass er sich in einem Rechtsstreit befinde und ein Interesse daran habe, auf seinen ehemaligen - gekündigten - Arbeitsplatz zurückzukehren. Selbst wenn eine solche Offenbarungspflicht bestehen würde, entbinde sie den Kläger noch nichts davon, zu den von ihm angenommenen Bedingungen zu versuchen, anderweitige Einkünfte während der Freistellung zu generieren. Das habe er jedoch erstmals Ende Juni gemacht. Fälschlich gehe der Kläger auch davon aus, dass er anderweitige Einkünfte nur bei einem Wettbewerber der Beklagten erzielen könne. Dafür gebe es aufgrund der vorgelegten offenen Stellen keine Anhaltspunkte. Vielmehr habe der Kläger schlicht überhaupt nichts unternommen, um einen möglichen Zwischenverdienst zu erzielen. Die vom Kläger angerissenen Probleme würden erst relevant, wenn er sie im Rahmen eines Vorstellungsgespräches tatsächlich vorgetragen hätte. Allein wegen seiner Bedenken könne er jedoch nicht vollständig auf Bewerbungen auf angebotene Stellen verzichten. Die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1965 betreffe die Verhältnisse vor 60 Jahren.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Euro 6.440,00 brutto nebst Zinsen an den Kläger.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG an sich statthafte Berufung ist innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden. Berufung und Berufungsbegründung sind entsprechend den Vorschriften des §§ 46c Abs. 1, Abs. 3 S. 1 ArbGG mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen worden. Die Berufung setzt sich in hinreichendem Maß im Sinne des § 520 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO mit dem angefochtenen Urteil auseinander. Die Berufung ist daher insgesamt zulässig.
II.
Die Berufung ist auch begründet, denn dem Kläger steht nach § 611a Abs. 2 i.V.m. §§ 615. S. 1, 293 ff. BGB für den Monat Juni 2023 ein Anspruch auf Zahlung von Euro 6.440,00 brutto zu.
Anders als vom Arbeitsgericht angenommen kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, er habe es im Sinne von § 615 S. 2 BGB für den Monat Juni 2023 böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
1. Das Arbeitsgericht hat die Voraussetzungen für die Zahlung der Annahmeverzugsvergütung in seinem Urteil zutreffend dargestellt. Auf II. A. 1. und 2. der Urteilsgründe des angegriffenen Urteils wird daher Bezug genommen.
Zutreffend geht das Arbeitsgericht zunächst davon aus, dass sich die Beklagte im Hinblick auf die einseitige unwiderrufliche Freistellung des Klägers von der Arbeitsleistung im Kündigungsschreiben auch ohne ein tatsächliches oder wörtliches Arbeitsangebot des Klägers im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung des Klägers im Sinne von § 615 S. 1, § 293 ff. BGB befand. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand noch im Juni 2023 fort, da die Kündigungsfrist erst am 30.06.2023 endete.
2. Anders als vom Arbeitsgericht angenommen muss sich der Kläger aber nach § 615 S. 2 BGB keinen (fiktiven) anderweitigen Verdienst anrechnen lassen, den zu erzielen er böswillig unterlassen hätte.
a) Das Arbeitsgericht hat in dem angegriffenen Urteil zunächst die Grundsätze der Rechtsprechung für die Anrechnung böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes zutreffend unter A.II.3. dargestellt. Hierauf wird Bezug genommen. Das Berufungsgericht kommt aber bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung zu einem anderen Ergebnis, dass nämlich dem Kläger für den Monat Juni 2023 der Vorwurf des böswilligen Unterlassens des Erzielens anderweitiger Einkünfte nicht gemacht werden kann. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
b) Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Beklagte zunächst gehalten ist vorzutragen, dass der Arbeitnehmer in Kenntnis von Arbeitsmöglichkeiten vorsätzlich untätig geblieben ist bzw. die Arbeitsaufnahme verhindert hat. Da die primär darlegungsbelastete Beklagte jedoch keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände hat, während dem Kläger nähere Angaben zu den unterlassenen Bewerbungen ohne weiteres möglich und zumutbar sind genügt die Beklagte ihrer Darlegungslast bereits damit, nur Indizien vorzutragen, die für das Vorliegen der Voraussetzungen eines böswilligen Unterlassens sprechen.
Dem ist die Beklagte auch nachgekommen, indem sie Arbeitsmöglichkeiten gegenüber dem Kläger aufgezeigt hat. Unstreitig hat der Kläger sich erst Ende Juni - statt wie möglich bereits Mitte Mai - überhaupt auf solche Stellen beworben.
c) Ob der Kläger mit dem Einwand gehört werden kann, dass er sich in der Kündigungsfrist eines gekündigten Arbeitsverhältnisses, dessen Kündigung durch eine Kündigungsschutzklage überprüft wird befindet bereits aus diesem Grunde von keinem Arbeitgeber eingestellt worden wäre, ist differenziert zu bewerten:
Der Einwand des Klägers zielt darauf ab, dass die unterbliebene Bewerbung nicht kausal gewesen ist für den ausgebliebenen Zwischenverdienst.
Dem Kläger ist zwar zuzubilligen, dass er im Mai 2023 aller Voraussicht nach von keinem Arbeitgeber eingestellt worden wäre. Ob er verpflichtet gewesen wäre, bei einem solchen Vorstellungsgespräch zu offenbaren, dass er an dem bisherigen Arbeitsverhältnis festhalten will kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls wäre er schon alleine aus Gründen des Anstandes berechtigt gewesen, das einem potentiellen neuen Arbeitgeber mitzuteilen. Im Übrigen spricht auch viel für eine rechtliche Verpflichtung in der konkreten Situation zu einer Offenlegung dieses Umstandes nach § 241 Abs. 2 BGB. Ein neuer Arbeitgeber, der davon weiß, dass der Kläger im Falle des Obsiegens im Kündigungsschutzprozess gegen die Beklagte ihn sofort wieder verlassen wird, würde von einer Einstellung Abstand nehmen, weil sich Einarbeitungskosten dann nicht rentierten. Er würde stattdessen einen anderen Bewerber einstellen. Insbesondere ist auch ein kurzfristiger wirtschaftlich sinnvoller Einsatz in dem Tätigkeitsfeld, in dem der Kläger sich als Senior Consultant bewerben würde angesichts der hohen Anforderungen kaum möglich. Das gilt umso mehr, als der Kammertermin beim Arbeitsgericht bereits auf Ende Juni 2023 anberaumt war und hier bereits mit einer Beendigung eines neu eingegangenen Arbeitsverhältnisses durch den Kläger gerechnet werden musste.
Die Kausalität der unterbliebenen Bewerbung kann aber ohne eine tatsächliche Bewerbung des Klägers nicht überprüft werden. Mit anderen Worten: Solange der Kläger sich nicht tatsächlich bewirbt, kann er auch nicht geltend machen, die Bewerbung wäre (sowieso) nutzlos gewesen.
d) Es war dem Kläger jedoch nach einer Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen und Gesamtumstände unzumutbar im Sinne des § 615 S. 2 BGB, sich bereits im Mai 2023 auf - im Übrigen zumutbare - Stellenangebote zu bewerben und dann ein solches "Zwischenarbeitsverhältnis" gegebenenfalls auch einzugehen. Die Unzumutbarkeit kann sich ergeben aus der Person des neuen Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen (KR/Spilger, § 11 KSchG, Rn 50 mwN). Hier kommen nur die sonstigen Arbeitsbedingungen in Betracht, zu denen auch der Zeitpunkt einer Arbeitsaufnahme zu rechnen ist. Der Zeitpunkt einer Arbeitsaufnahme bereits im Juni 2023 war dem Kläger unzumutbar. Ob eine Bewerbung auf einen späteren Zeitpunkt zumutbare Arbeitsbedingungen darstellen, ist hier nicht zu entscheiden.
aa) Nach älterer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil vom 18.06.1965 Az. 5 AZR 351/64; BB 1965, Seite 1070) ist die Eingehung von Dauerarbeitsverhältnissen während des Annahmeverzuges des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer im allgemeinen mit Rücksicht auf den Fortbestand des vom Annahmeverzug betroffenen Arbeitsverhältnisses in der Regel nicht zumutbar, jedenfalls dann, wenn ihm dadurch die Möglichkeit der alsbaldigen Rückkehr in die vertragsgemäße Position genommen oder erschwert werden würde. Der Arbeitgeber würde sonst vor allem bei für den Arbeitnehmer günstigeren Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt von den Rechtsfolgen des von ihm zu vertretenden Annahmeverzuges selbst weitgehend befreit werden. Dies sei jedoch nicht der Sinn der Anrechnungsvorschrift und erschiene überdies gerade in Fällen der vorliegenden Art in denen der Annahmeverzug durch ein vorsätzliches unrechtmäßiges Verhalten des Arbeitgebers ausgelöst worden ist durchaus unbillig.
Auch in der Fachliteratur wird vertreten, dass es dem Arbeitnehmer in der Regel nicht zuzumuten ist, sich während des Kündigungsrechtstreits um die Begründung eines anderweitigen Dauerarbeitsverhältnisses zu bemühen, das ihm die Rückkehr auf den bisherigen Arbeitsplatz erschweren könnte, insbesondere, wenn er sich durch die Vereinbarung langer Kündigungsfristen binden müsste (KR/Spilger, § 11 KSchG Rn 50). Danach wäre dem Kläger angesichts des Umstandes, dass der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf die erhobene Kündigungsschutzklage noch offen war, die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit generell nicht zumutbar gewesen.
Ob dem in dieser Absolutheit zu folgen ist, ist fraglich. Je nach Art des Arbeitsverhältnisses, insbesondere bei Tätigkeiten, die schnell zu erlernen sind, kann es durchaus zumutbar sein, eine Zwischenbeschäftigung mit Probezeitvereinbarung unter Offenlegung der Rückkehrabsicht in das bisherige Arbeitsverhältnis einzugehen. Die Einhaltung einer Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Nr. 1 oder Abs. 3 BGB erscheint zumutbar.
bb) Die Frage kann aber offenbleiben, da im vorliegenden Fall dem Kläger jedenfalls bereits im Mai 2023 die Bewerbung auf andere Stellen bei einer Gesamtabwägung aus anderen Gründen unzumutbar im Sinne des § 615 S. 2 BGB gewesen ist.
(1) Der Kläger wollte an seinem bisherigen Arbeitsverhältnis - was ihm ohne weiteres zusteht - festhalten und hat deshalb die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen. Da der Kammertermin bereits am 29.06.2023 - und damit noch innerhalb der Kündigungsfrist für die ausgesprochene ordentliche Kündigung lag - lag es im berechtigten Interesse des Klägers, zunächst einmal zumindest die Entscheidung des Gerichtes im Kammertermin abzuwarten. Der Kläger hat zwar keinen Weiterbeschäftigungsantrag in dem Kündigungsschutzverfahren gestellt. Das bedeutet aber nicht zugleich, dass nicht die Beklagte - auch zur Abwendung des Annahmeverzuges - bereit gewesen wäre, den nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts bestehenden Weiterbeschäftigungsanspruch nach erstinstanzlichem Obsiegen auch ohne entsprechende Verurteilung zu erfüllen. Angesichts der kurzen Zeit bis zum Kammertermin war es dem Kläger unzumutbar, bereits vorher ein anderes Arbeitsverhältnis einzugehen und somit auch unzumutbar, sich darauf zu bewerben. Es ist dem Kläger zuzubilligen, dass er, bevor er mit Bewerbungen auf Stellenangebote für die baldige Aufnahme einer neuen Tätigkeit beginnt einen zeitnahen Kammertermin abwarten darf, um Klarheit darüber zu haben, ob der Arbeitgeber im Falle einer obsiegenden erstinstanzlichen Entscheidung an der Kündigung festhält. Fordert der Arbeitgeber nach einem Urteil zu Gunsten des Klägers diesen aber nicht zur Arbeitsaufnahme zeitnah wieder auf, hat der Arbeitnehmer dann aber unverzüglich mit der Bewerbung zu beginnen.
(2) Im Rahmen der Gesamtabwägung ist auch zu würdigen, dass die Beklagte durch die einseitige unwiderrufliche Freistellung des Arbeitgebers den aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG folgenden Beschäftigungsanspruch des Klägers vorsätzlich verletzt hat und sich durch die Zusendung massenhafter Stellenanzeigen den Rechtsfolgen der Verletzung der Beschäftigungspflicht, nämlich der Zahlung von Annahmeverzugsvergütung entziehen wollte. Der in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.06.1965 (5 AZR 351/64) enthaltene Rechtsgedanke, dass bei einer für den Arbeitnehmer günstigen Arbeitsmarktlage der Arbeitgeber von den Folgen des von ihm selbst zu vertretenden Annahmeverzug weitgehend befreit werde ist heute so aktuell wie damals.
(3) In die Gesamtabwägung ist auch einzustellen, dass in der Situation des Monats Mai 2023 mit noch bevorstehendem Kammertermin eine Bewerbung auf die freien Stellenanzeigen für die dort verlangte qualifizierte Tätigkeit mit geringen Erfolgsaussichten verbunden gewesen wäre, wenn der Kläger zulässigerweise offenbart hätte, dass er im Falle eines Obsiegens das alte Arbeitsverhältnis bei seinem bisherigen Arbeitgeber wiederaufnehmen will. Damit ist zwar nicht die Kausalität der unterlassenen Bewerbung für den entgangenen Zwischenverdienst aufgehoben. Die geringe Wahrscheinlichkeit, dass eine Bewerbung des Klägers angesichts der konkreten Situation zum Zeitpunkt Mai 2023 Erfolg gehabt hätte, kann aber bei der Gesamtabwägung bezüglich der Zumutbarkeit des Eingehens und damit der Bewerbung auf eine neue Stelle zugunsten des Klägers einbezogen werden. Andernfalls würde vom Kläger ein entwürdigendes "Klinkenputzen" bei anderen potentiellen Arbeitgebern durch von vorneherein zum Scheitern verurteile Bewerbungen verlangt. Außerdem hätte sich der Kläger hier möglicherweise durch eine solche - vom Stellenanbieter als sinnlos empfundene - Bewerbung die Chance genommen, bei dem jeweiligen Stellenanbieter zu einem späteren Zeitpunkt sich erfolgreich für ein länger andauerndes Arbeitsverhältnis zu bewerben. Er würde durch eine Bewerbung mit der Ankündigung, dieses Arbeitsverhältnis im Falle eines Obsiegens im Kündigungsschutzprozess sofort wieder zu beenden bei diesem Arbeitgeber an Ansehen einbüßen.
Aus dem Grunde war es dem Kläger unzumutbar, sich auf die von der Beklagten angebotenen Stellen bereits Mitte Mai 2023 zu bewerben. Er hat es nicht böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Der entsprechende Einwand der Beklagten ist daher nicht begründet. Dem Kläger steht folglich der Anspruch auf Annahmeverzug zu.
3. Die Verzinsung der Klageforderung ergibt sich aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB i.V.m. der Fälligkeitsregelung nach Nr. 2 (1) des Arbeitsvertrages.
III.
Nach § 91 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie vollständig unterlegen ist.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
TillmannsGrasslHerbstrittVerkündet am 03.05.2024