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25.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239297

Landesarbeitsgericht Sachsen: Urteil vom 06.07.2023 – 4 Sa 73/23

Die Verwertung der an einem Zutrittskontrollsystem (Drehkreuz) aufgrund eines personalisierten Transponders (Einlasschip) gewonnenen Daten über das Kommen und Gehen, ist unzulässig. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Arbeitnehmer eine Erhebung, Erfassung und Speicherung der Daten nicht bekannt war.


In dem Rechtsstreit
...
...
- Berufungsbeklagte / Klägerin -
Prozessbevollm.:Rechtsanwalt ...
...
gegen
...
...
...
- Berufungsklägerin / Beklagte -
Prozessbevollm.:
...
Rechtsanwälte. ...
...
hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 4 - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ... auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2023
fürRechterkannt:

Tenor: 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 06.02.2023 wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte ist ein Reparaturdienstleister für digitale mobile Endgeräte und Logistikdienstleister. Sie beschäftigt ca. 420 Arbeitnehmer. Die 1983 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.11.2013 als Mitarbeiterin Logistik beschäftigt. Ihre Aufgabe besteht im Einbuchen und Verbringen gelieferter Ersatzteile, die für die Reparatur der mobilen Endgeräte erforderlich sind, an vorgesehene Lagerplätze. Die Klägerin erzielte zuletzt eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.080,00 EUR.

Der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag enthält in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung u.a. folgende Regelung:

"... 4. Arbeitszeit Der Arbeitnehmer wird Vollzeit mit einer Jahresarbeitszeit von 2080,00 Stunden beschäftigt. Hieraus leitet sich eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40,00 Stunden ab. Die Arbeitszeit kann je nach Arbeitsanfall oder betrieblichen Erfordernissen unter Berücksichtigung der in Ziffer 3 vereinbarten verstetigten Arbeitsvergütung ungleichmäßig auf einzelne Tage, Wochen und Monate flexibel verteilt werden... Der Arbeitgeber führt für den Mitarbeiter ein Arbeitszeitkonto, auf dem die tatsächlich geleistete Arbeitszeit erfasst und Abweichungen zur vertraglich geschuldeten Arbeitszeit (Plus- und Minusstunden) miteinander verrechnet werden. Plusstunden sind grundsätzlich durch Freizeitgewährung und Minusstunden durch Nacharbeit auszugleichen. Ergänzend finden die betrieblichen Regelungen zur Arbeitszeit gemäß bestehender Betriebsvereinbarungen Anwendung..."

Die von der Beklagten vorgelegte Betriebsvereinbarung 2019/04 vom 19.06.2019 zur Arbeitszeit enthält u.a. folgende Regelungen:

"... 2. Grundsätze der Arbeitszeit ... 2.4. Die Arbeitszeit beginnt und endet am Zeiterfassungsterminal frühestens jedoch mit Beginn der jeweiligen Schicht. 2.5. Das Erfassen der Arbeitszeit erfolgt über die Buchung an einem Zeiterfassungsterminal als relevanter Beginn und Ende der Arbeitszeit. Es wird darauf hingewiesen, dass die Arbeitszeiten aufgezeichnet werden. ... 4. Pausenzeiten ... 4.3. Die Pausenzeit beginnt und endet an dem Zeiterfassungsterminal, das dem Arbeitsplatz am nächsten ist. Es wird darauf hingewiesen, dass auch die Pausenzeiten aufgezeichnet werden. 4.4. Alle Arbeitszeitunterbrechungen, inklusive Raucherpausen, sind über das Zeiterfassungsterminal zu buchen. 4.5. Das Ein- oder Ausbuchen der Pausenzeit kann ausnahmsweise entfallen, wenn der Mitarbeiter an einem Termin vor oder direkt nach einer Pause teilnimmt und das Buchen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde (z.B. Gebäudewechsel). 4.6. Den Mitarbeitern ist gestattet, während der Pausenzeiten das Betriebsgelände zu verlassen, solange sie sicherstellen können, dass sie sich mit Ende ihrer Pausenzeit wieder an ihrem Arbeitsplatz befinden. ... 7. Zeiterfassung 7.1. Das Erfassen der Arbeitszeit erfolgt über die Buchung an einem Zeiterfassungsterminal als relevanter Beginn und Ende der Arbeitszeit. Es wird darauf hingewiesen, dass die Arbeitszeiten aufgezeichnet werden. 7.2. Dabei ist das Zeiterfassungsterminal, das dem Arbeitsplatz am nächsten ist, zu nutzen. 7.3. Die Zeiterfassung dient zur Abrechnung von Zuschlägen, Erfassung von Mehr-/ Minderarbeit, Beginn und Ende der Arbeitszeit und Pausenzeiten. ... "

Das grundsätzlich von der Klägerin zu nutzende Zeiterfassungsgerät des Zeiterfassungssystems "Time Perfect" befindet sich ca. 50 Meter von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Die Arbeitnehmer bedienen die Zeiterfassungsgeräte mit einem Transponder, dem sogenannten "Ping", mit dem sie sich am Eingabefeld ausweisen und anschließend über ein Tastenfeld "Kommen", "Gehen" bzw. "Pause" und nach der Pause "Kommen" buchen. Mit diesem Transponder erhalten die Mitarbeiter auch Zutritt zum Betriebsgelände am Gebäudeeingang, indem sie damit ein Drehkreuz öffnen. Das "Kommen" und "Gehen" über dieses Drehkreuz wird von der Fremdfirma ... mit dem Zutrittssystem "Getronic" erfasst und kann dem personenbezogen registrierten Transponder zugeordnet werden.

Am 02.08.2022 erhielt die Beklagte einen mit "eine besorgte Kollegin aus der Werkstatt" als Absender unterzeichneten Brief mit einer "Anzeige Arbeitszeitbetrug", in dem u.a. mitgeteilt wird, dass die Klägerin sich regelmäßig nach der Pause anmelde, dann aber, ohne sich an der Zeiterfassung abzumelden, zum Rauchen gehe. Hier müsse ein Arbeitszeitbetrug vorliegen, der eine fristlose Kündigung rechtfertige. Dem Schreiben beigefügt waren tabellarische Übersichten für den Zeitraum vom 06.06.2022 bis 15.07.2022, in denen die anonyme Erstatterin der Anzeige die aus ihrer Sicht eingelegten Pausen sowie die behauptete Differenz zur Soll-Arbeitszeit der Klägerin erfasst hat .

Die Beklagte ließ sich mit Zustimmung des Betriebsrats die Daten des Zugangssystems "Getronic" für den Zeitraum 01.06.2022 bis 04.08.2022 von der ... bereitstellen und wertete diese unter Hinzuziehung des Betriebsratsvorsitzenden durch Gegenüberstellung der Zutrittsdaten mit den im Zeiterfassungssystem gebuchten Daten aus.

In der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen und weiteren hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 12.08.2022 beschrieb die Beklagte den Grund für die beabsichtigte Kündigung wie folgt:

"Der Geschäftsführung ist ein anonymer Hinweis zugegangen mit der Beschwerde, dass Frau H. in schwerwiegendem Maße Arbeitszeitbetrug im Unternehmen ...begehe - siehe Anlage. Aufgrund der Ausführlichkeit der angegebenen Beispiele in diesem Hinweis sah sich die Geschäftsführung angehalten, diese Anschuldigungen zu prüfen. Hierfür wurde gemeinsam mit dem Betriebsrat eine Auswertung der Zeiterfassungsdaten bzw. der uns zur Verfügung gestellten Daten des Zutrittssystems durchgeführt. Im Ergebnis ist ein umfangreicher und über längere Zeit durchgeführter Arbeitszeitbetrug zu erkennen. Des Weiteren wurde in Kalenderwoche 31 durch die Führungskraft W. Pause beobachtet, welche im dafür vorgesehenen System nicht dokumentiert wurde. Die Geschäftsführung sieht darin den Tatbestand des Arbeitszeitbetrugs durch Frau H. und somit den wichtigen Grund zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung gegeben".

Dem Schreiben fügte die Beklagte die anonyme Anzeige einschließlich der dazugehörigen tabellarischen Erfassung bei.

Mit Schreiben vom 18.08.2022, der Klägerin zugegangen am gleichen Tag, kündigte die Beklagte außerordentlich. Mit Schreiben vom 23.08.2022, der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte hilfsweise ordentlich zum 30.11.2022.

Hiergegen hat die Klägerin am 23. 08.2022 Klage zum Arbeitsgericht erhoben und das Vorliegen eines wichtigen Grundes für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung und die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung bestritten.

Jedenfalls sei die Beklagte gehalten gewesen, vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Die vorgelegte Betriebsvereinbarung sei ihr unbekannt. Soweit die Beklagte von Hinweisen auf die Regelungen der Betriebsvereinbarung spräche, könne sie sich nicht daran erinnern, davon erfahren zu haben. Das Zeiterfassungssystem sei unzuverlässig gewesen und habe nicht funktioniert. Häufig habe es auf den Transponder nicht reagiert. Das System sei 15 Jahre alt, störanfällig und dafür verrufen. Es könne sein, dass es die Klägerin in Einzelfällen einfach aufgegeben habe, es zu benutzen. Sie habe auch regelmäßig Arbeiten außerhalb des Betriebsgebäudes zu erledigen gehabt, z.B. Meetings im Nachbargebäude Beta und die Entsorgung von Elektroschrott. Hierfür habe sie sich nicht "auspingen" müssen, da sie weitergearbeitet habe. Die Beklagte führe auch kein Arbeitszeitkonto mit laufender Erfassung. Die Arbeitszeiterfassung gehe von täglich 8 Stunden aus. Auch wenn sie länger da sei, werde dafür keine Vergütung gezahlt. Die Zeiterfassung sei darauf ausgerichtet, dass Arbeitnehmer Zeit schenken müssten und sollten. Sie habe jeweils mindestens 8 Stunden gearbeitet. Sie habe regelmäßig 06:45 Uhr die Arbeit begonnen und ca. 15:30 Uhr aufgehört. Soweit sie für Mittags- und Frühstückspausen nur 15 bis 20 Minuten benötigt habe, hätte sie in der restlichen Zeit rauchen gehen können. Sie habe nie das Bewusstsein gehabt, dass die Raucherpausen die Pausenzeiten überschritten hätten. Es sei ihr nicht bekannt und auch im Betrieb nicht bekanntgegeben worden, dass es ein Zugangserfassungssystem beim Drehkreuz gebe. Sie bestreite, dass es dieses Erfassungssystem überhaupt gebe und dass es funktioniere. Die angeblichen Auslesungen und deren Richtigkeit bestreite sie mit Nichtwissen. Außerdem sei es unzulässig, über ein automatisches Zugangssystem Daten über Mitarbeiter zu sammeln, ohne dass dies vorher bekanntgegeben werde. Sie beruft sich auf die einschlägigen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes und des europäischen Rechts. Sie habe keine Kenntnis von der Erfassung und Speicherung der Daten gehabt. Daraus, dass man einen Schlüssel in Form des Transponders habe, folge noch nicht, dass die Daten von dessen Verwendung gespeichert und ausgewertet werden könnten. Des Weiteren bestreite sie ausdrücklich, dass die vorgelegten schriftlichen Unterlagen zur Betriebsratsanhörung dem Betriebsrat wie dargelegt zugeleitet worden seien.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 18.08.2022 noch durch die Kündigung vom 23.08.2022 aufgelöst ist.

Die Beklagte hat beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, dass die Kündigung wegen eines massiven Arbeitszeitbetrugs wirksam sei. Die Klägerin bestreite wider besseren Wissen die Kenntnis von der Betriebsvereinbarung. Diese sei mit E-Mail vom 20.06.2019 an alle Mitarbeiter kommuniziert worden und seitdem im Intranet zugänglich. Mit E-Mails vom 22.06.2018 und 12.04.2019 sei noch einmal darauf hingewiesen worden, dass jede Unterbrechung als Pause zu erfassen sei. Das System sei auch nicht störanfällig; insbesondere im relevanten Zeitraum habe es ausweislich der vollständigen Aufzeichnungen keine Störungen gegeben. Der anonyme Brief habe bei der Beklagten zu dem Verdacht geführt, dass die Klägerin einen Arbeitszeitbetrug begangen habe. Der Verdacht habe sich erhärtet, als die Vorgesetzte die Klägerin am 02.08.2022, 07:30 Uhr, in der Cafeteria habe sitzen sehen, ohne dass sich die Klägerin abgemeldet habe. Auf diesen Verdacht hin habe die Beklagte durch Einsicht in das Zugangssystem "Getronic" festgestellt, dass die Klägerin im Zeitraum vom 01.06.2022 bis 04.08.2022 mehrmals täglich das Gebäude verlassen und nach der Pause wieder betreten habe. Sie habe in diesem Zeitraum täglich drei bis sechs zusätzliche Pausen gemacht und diese nicht gebucht. Nach der Gegenüberstellung ergebe sich ein Umfang nicht gebuchter Pausen für Juni 2022 in Höhe von 19 Stunden und 12 Minuten, für Juli 2022 im Umfang von 7 Stunden und 10 Minuten und August 2022 im Umfang von 3 Stunden und 24 Minuten, insgesamt also 29 Stunden und 48 Minuten. Die Klägerin habe ausweislich der vorgelegten Auswertung an allen Arbeitstagen die Soll-Arbeitszeit unterschritten. Im Übrigen flüchte sich die Klägerin in Schutzbehauptungen. Es habe im fraglichen Zeitraum nur wenige Meetings gegeben, die allesamt im Gebäude und nicht im Haus ... stattgefunden hätten. Für die Entsorgung des Elektroschrotts sei die Klägerin nur vertretungsweise für einen anderen Mitarbeiter zuständig gewesen. Im streitgegenständlichen Zeitraum sei keine Vertretung erforderlich gewesen. Dass das "Kommen" und "Gehen" im Gebäude personenbezogen erfasst werde, müsse der Klägerin schon deswegen bekannt gewesen sein, weil es verschiedene Berechtigungen zum Betreten der Räumlichkeiten gebe, die über den Transponder verwaltet würden.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 06.02. 2023 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 18.2.2022 noch durch die ordentliche Kündigung vom 23.08.2022 aufgelöst worden ist. Soweit die Beklagte die Kündigungen auf dem aus einer anonymen Anzeigen und einer einmaligen Beobachtung durch eine andere Mitarbeiterin entstandenen Verdacht einer Arbeitspflichtverletzung stütze, seien die Kündigungen unwirksam, da die Klägerin dazu nicht angehört worden sei. Die Anhörung sei regelmäßig Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Die Beklagte habe die Klägerin nach Entstehen des Verdachts nicht angehört, sondern nach weiteren Tatsachenfeststellungen ohne Anhörung gekündigt. Auf den konkreten, aus der Auswertung des Zutrittssystems ermittelten Tatsachenvortrag könne die Beklagte die Kündigung ebenfalls nicht stützen, da insoweit ein Sachverwertungsverbot bestehe. Ein solches könne sich in verfassungskonformer Auslegung des Verfahrensrechts ergeben, wenn die Nichtverwertung aufgrund einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten wäre. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die fragliche Erkenntnis oder das betreffende Beweismittel unter Verletzung von Grundrechten einer Partei beschafft worden sei. Für die Frage des Vorliegens einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten sei, unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, auf das jeweils einschlägige Datenschutzgesetz abzustellen. Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht könne danach dann im Rahmen der Interessenabwägung gerechtfertigt sein, wenn die durchgeführte Überwachung nicht anlasslos erfolge und es kein milderes Mittel zur Aufklärung eines bestehenden Verdachts auf die konkret durchgeführte Überwachung gebe. Unter Beachtung dieser Grundsätze stünde das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG der Verwertung der durch die Gegenüberstellung der Arbeitszeiterfassung mit der Zutrittskontrolle gewonnenen Daten entgegen.

Gegen das ihr am 20.2.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.2.2023 Berufung zum Sächsischen Landesarbeitsgericht eingelegt. Die Beklagte vertritt die Ansicht, das Arbeitsgericht habe ihr Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Die Beklagte habe - anders als die Klägerin - keine Gelegenheit erhalten, sich schriftsätzlich zur Frage der Kenntnis über die Speicherung personenbezogener Daten durch das Zutrittssystem "Getronic" zu äußern. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages sei die Klägerin über eine Anlage zum Arbeitsvertrag vom 10.10.2013 belehrt worden, dass betriebliche Regelungen im Intranet veröffentlicht würden und die Klägerin die Pflicht habe, sich über den aktuellen Stand dieser Regelungen zu informieren. Die Richtlinie "Benutzung von Zutrittskarten, ... Cards und Besucherausweisen" habe die Beklagte im Intranet veröffentlicht. Die Richtlinie regele den Umgang und die Benutzung von Zutrittskarten.

Unter Ziff. 2 der Richtlinie 2 unter anderem ausgeführt:

"... Zutrittskarten dienen der eindeutigen Identifikation von Mitarbeitern, die in einem Arbeits- oder Vertragsverhältnis mit einem Unternehmen der ... Gruppe stehen... Die Zutrittskarte hat drei Funktionen: - Zutrittsberechtigung für die freigeschalteten Bereiche - Anwesenheitskontrolle - Bargeldloses Bezahlen bei ... ... Zu Beginn der täglichen Arbeitszeit und am Ende des Arbeitstages ist jeder Mitarbeiter der ... Gruppe, welcher sich in ... Objekten von ... aufhält, verpflichtet, sich am Anwesenheitssystem an bzw. abzumelden. Wird das Gebäude für einen Dienstgang/Dienstreise zu Orten außerhalb der ... Objekte angetreten oder das Gebäude länger als 15 Minuten verlassen, ist jeder Mitarbeiter verpflichtet, sich ebenfalls abbzw. nach Rückkehr anzumelden... Jeder Mitarbeiter hat das Recht, persönliche Auskunft über die mit der Zutrittskarte generierten Daten bei Security zu erhalten. Auf der Zutrittskarte werden keine personenbezogenen Daten gespeichert. Eine Datenerfassung ohne aktives Mitwirken des Karteninhabers ist technisch nicht möglich. ..."

Rechtsfehlerhaft sei daher das Arbeitsgericht von einem Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot aus einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ausgegangen. Die Beklagte habe die Daten des Kommens und Gehens der Klägerin zu Recht erheben und nach § 26 Abs. 1 BDSG auch verarbeiten dürfen. Die Verarbeitung der über das Zutrittssystem "Getronic" gewonnenen Daten sei aus Gründen des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit notwendig gewesen. Der Arbeits- und Brandschutz gebiete es, die Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter zu erfassen. Darüber hinaus gewährleiste das System eine Zugangskontrolle. Nur damit sei es möglich, Unberechtigten den Zutritt zum Betriebsgelände zu verwehren und Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Daraus sei ersichtlich, dass über das Zugangssystem nicht willkürlich Daten der Mitarbeiter gesammelt würden. Nach alledem sei die Datenerhebung über das Zugangssystem "Getronic" nicht anlasslos, sondern zulässig im Sinne des BDSG erfolgt.

Die Beklagte beantragt:

Unter Abänderung des am 06.02.2023 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz, Az. 11 Ca 1196/22, die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Klägerin beantragt:

Die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Das Zutrittssystem "Getronic" sei der Klägerin weder dem Namen nach, noch nach seiner Funktion bekannt. Sie habe daher erstinstanzlich zur Funktionsweise des Systems nicht vortragen können. Es werden mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerin im Oktober 2013 die Anlage zum Arbeitsvertrag erhalten habe. Es werde auch mit Nichtwissen bestritten, dass sich die Anlage bzw. die Richtlinie im Intranet der Beklagten befunden habe. Es werde bestritten, dass die Klägerin durch die Beklagte jemals ab dem 01.04.2020 aufgefordert worden wäre, die Richtlinien zur Kenntnis zu nehmen. Das Arbeitsgericht habe nicht rechtsfehlerhaft entschieden. Der Auffassung des Arbeitsgerichts zur Zutrittserfassung und Datenerhebung sei zu folgen. Die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt darüber informiert worden, dass eine solche Datenerhebung durch das Zutrittssystem "Geotronic" erfolge. Ohne eine solche Information sei die Feststellung jedoch unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in beiden Verfahrenszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht verwiesen und diese in Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 lit. b ArbGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage im vollen Umfang stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist weder durch die außerordentliche Kündigung vom 18.08.2022 noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 23.08.2022 beendet worden. Die Beklagte konnte eine schwerwiegende Arbeitspflichtverletzung der Klägerin nicht nachweisen. Ein vorsätzlicher Verstoß der Klägerin gegen die bestehende Verpflichtung einer ordnungsmäßen Dokumentation ihrer geleisteten Arbeitszeiten ist nicht mit verwertbaren Unterlagen zu belegen.

I.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d.h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 15; Urteil vom 25.01.2018 - 2 AZR 382/17 - Rn. 26; Urteil vom 14.12.2017 - 2 AZR 86/17 - Rn. 27).

1.

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG, Urteil vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 17; Urteil vom 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 - Rn.14; Urteil vom 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - 18). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (BAG, Urteil vom 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 - Rn.14; 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - 18). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG, Urteil vom 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 - Rn.14). Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer vertrauen können (BAG, Urteil vom 13.12. 2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 17). Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG, Urteil vom 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 - Rn.14). Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme i.S.v.§ 241 Abs. 2 BGB (BAG, Urteil vom 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 - Rn.14).

2.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht unter Zugrundelegung dieser Grundsätze festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin weder durch die außerordentliche Kündigung vom 18.08.2022 noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 23.08.2022 beendet worden ist. Die Beklagte hat der Klägerin nicht wegen des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gekündigt. Bei einer solchen würde es bereits an der erforderlichen Anhörung der Klägerin fehlen (BAG, Urteil vom 20.03.2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 23). Ein vorsätzliches vertragswidriges Verhalten der Klägerin ist allerdings nicht festzustellen, da die von der Fa. ... für den Zeitraum vom 01.06.2022 bis 04.08.2022 bereit gestellten Daten des Zugangssystems "Getronic" - welcher den Zugang in das Gebäude der Beklagten über ein Drehkreuz ermöglicht - unberücksichtigt zu bleiben haben. Der diesbezügliche Sachvortrag der Beklagten, anhand dieser Daten stehe fest, die Klägerin habe in der Zeit vom 01.06.2022 bis 04.08.2022 insgesamt 168 zusätzliche - und nicht am Zeiterfassungsterminal registrierte - Pausen im Umfang von insgesamt 29:48:02 Stunden eingelegt, ist nicht verwertbar.

3.

Der unter Auswertung der ermittelten Daten des Zugangssystems "Getronic" getätigte Vortrag der Beklagten unterliegt einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.

a.)

Das Bundesarbeitsgericht hat zwar bereits mehrfach entschieden, dass weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz Bestimmungen enthalten, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, welche eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14). Ein Verwertungsverbot kann sich danach allerdings aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein "verfassungsrechtliches Verwertungsverbot" jedoch nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14; Urteil vom 22. 09. 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 20 ff.). Das setzt in aller Regel voraus, dass bereits durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt worden ist, ohne dass dies durch überwiegende Belange der anderen Partei gerechtfertigt gewesen wäre.

b.)

Des Weiteren muss die prozessuale Verwertung des unrechtmäßig Erlangten selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen. Das ist der Fall, wenn das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingreift, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten vertieft. Dies setzt wiederum voraus, dass die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) nicht erlaubt ist (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15). Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan "aufgesattelt" werden (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 31. 07. 2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b bb der Gründe).

c.)

Die Berücksichtigung der Datenerhebung durch das Zugangssystem "Getronic" aus der Eingangskontrolle am Drehkreuz und die Verwertung dieses Vorbringens der Beklagten wäre vorliegend mit dem Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung i.S.v. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar.

aa.)

Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet in ständiger Rechtsprechung zwischen Sachvortrags- und Beweisverwertungsverboten (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 16). Ein Sachvortragsverwertungsverbot ist danach nicht einschlägig, wenn der Arbeitnehmer den betreffenden Vortrag des Arbeitgebers ausreichend bestreitet. Dann greift die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO nicht ein. Sieht der Arbeitnehmer hingegen von einem Bestreiten ab, bewirkt ein Sachvortragsverwertungsverbot, dass das Vorbringen des Arbeitgebers gleichwohl als bestritten zu behandeln ist (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 16). Damit wird der Streit auf die Beweisebene gehoben. Dort greift zu Lasten des Arbeitgebers ggf. ein korrespondierendes Beweisverwertungsverbot mit der Folge, dass er für seinen - als streitig anzusehenden - Vortrag beweisfällig bleibt (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 16).

bb.)

Die Klägerin wendet sich gegen die Verwertung der am Drehkreuz durch die Firma ... für den Zeitraum vom 01.06.2022 bis 04.08.2022 erfassten Daten. Die Beklagte hat durch einen Vergleich der Daten des Arbeitszeiterfassungssystems "Time Perfect" und des Zutrittskontrollsystems "Getronic" einen vorsätzlichen Betrug der Klägerin im Rahmen der Erfassung der Arbeitszeit zu Lasten des Arbeitgebers behauptet. Die Klägerin räumt weitere, nicht durch die Zeiterfassungsterminals registrierten, Pausen ein. Sie hat sich hierbei als Rechtfertigung auf die Störanfälligkeit des Arbeitszeiterfassungssystems, das Fehlen eines laufenden Arbeitszeitkontos und die Erledigung von dienstlichen Aufgaben außerhalb des Betriebsgeländes berufen. Daneben hat sie bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass es ihr nicht bekannt gewesen und auch im Betrieb nicht bekanntgegeben worden sei, dass es Datenerhebungen beim Drehkreuz gebe. Sie hat bestritten, dass es dieses Erfassungssystem überhaupt gibt und dass es funktioniert. Die angeblichen Auslesungen und deren Richtigkeit bestreitet sie mit Nichtwissen. Außerdem sei es nach ihrer Ansicht unzulässig, über ein automatisches Zugangssystem Daten über Mitarbeiter zu sammeln, ohne dass dies vorher bekanntgegeben wird. Sie beruft sich hierzu auf die einschlägigen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes und des europäischen Rechts. Sie hat im Laufe des Verfahrens vorgetragen, dass sie keine Kenntnis von der Erfassung und Speicherung der Daten gehabt habe. Allein aus dem Umstand, dass sie einen Schlüssel in Form des Transponders, genannt "Ping" gehabt habe, folge noch nicht, dass die Daten von dessen Verwendung gespeichert und ausgewertet werden können.

cc.)

Damit beruft sich die Klägerin auf eine Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Falle der Beweisverwertung. Die Verwertung der persönlichen Daten der Klägerin durch das Gericht wäre nur zulässig, wenn dies durch die einschlägigen Normen des Bundesdatenschutzgesetzes und der Datenschutzgrundverordnung erlaubt ist.

aaa.)

Ein Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa von § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ergeben. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung (BVerfG, Beschluss vom 13. 02. 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93, BVerfGE 117, 202) hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BAG, Urteil vom 29.06.2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 21; Urteil vom 20.10.2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 18; 22.09.2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 23).

bbb.)

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin ist vorliegend durch die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung der durch das Zugangssystem "Getronic" erfassten persönlichen Daten der Klägerin hinsichtlich ihres Kommen und Gehens am Drehkreuz verletzt.

(1.)

Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nicht - öffentliche Stellen i.S.d. § 1 Abs. 2 BDSG in diese Rechtspositionen zulässig sind. Sie ordnen nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften (BAG 20.10.2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 17; Urteil vom 22.09.2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 22). Ist allerdings die Datenverarbeitung gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt insoweit keine Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor (BAG, Urteil vom 29. 06.2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 22).

(2.)

Durch die Erhebung, Erfassung und Speicherung personenbezogener Daten der Klägerin am Zugangssystem "Getronic" hat die Beklagte in das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung in unzulässiger Art und Weise eingegriffen. Die Datenerhebung war für die Klägerin weder erkennbar noch hat sie dieser im Vorfeld zugestimmt.

(3.)

Eine Zulässigkeit der Datenerhebung ergibt sich - entgegen der Einschätzung der Beklagten - nicht aus der im Intranet der Beklagten veröffentlichten Richtlinie "Benutzung von Zutrittskarten, ... Cards und Besucherausweisen" vom 21. Dezember 2016. Die Klägerin hat - sowohl erstinstanzlich als auch im Berufungsverfahren - vorgetragen, keine Kenntnis über die Funktionsweise des Zutrittssystems gehabt zu haben. Sie hat mit Nichtwissen bestritten, bei Abschluss des Arbeitsvertrages im Oktober 2013, eine Anlage zum Arbeitsvertrag erhalten zu haben, in welcher sie darüber belehrt worden sei, dass betriebliche Regelungen im Intranet veröffentlicht worden und Arbeitnehmer verpflichtet sind, sich über den aktuellen Stand dieser Regelung zu informieren. Sie hat vorgetragen, dass ihr die Richtlinie "Benutzung von Zutrittskarten, ... Cards und Besucherausweisen" vom 21. Dezember 2016 nicht bekannt war. Auch auf der Homepage der Beklagten sei die Richtlinie für sie weder bei deren Inkrafttreten im Dezember 2016 noch in den Jahren bis 2022 ersichtlich gewesen. Insbesondere sei sie auch nicht aufgefordert worden, die Richtlinie ab dem 1.4.2020 aufzurufen und zur Kenntnis zu nehmen.

(4.)

Es fehlt damit bereits an einer Umsetzung der Informationspflichten bei Erhebung personenbezogener Daten gemäß Art. 13 und 14 DSGVO bzw. §§ 32 und 33 BDSG durch die Beklagte. Mit dem zum 25.5.2018 aufgrund des Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Datenschutz-Anpassung- und Umsetzungsgesetz EU neugefassten Normen der §§ 32, 33 BDSG sind die Informationspflichten bei Erhebung personenbezogener Daten für den Fall der Weiterverarbeitung neu geregelt. Weder ist die Klägerin auf Grundlage dieser Informationspflicht nachweislich über die Geltung der von der Beklagten herangezogenen Richtlinie informiert worden, noch rechtfertigt die Richtlinie selbst nach ihrem Wortlaut die Erfassung der Zu- und Ausgangsdaten der Klägerin.

Entgegen der Ansicht der Beklagten musste aus der Richtlinie für die Klägerin nicht ersichtlich sein, dass der ihr ausgehändigte Transponder als Zugangskarte die Zeiten des Kommens und Gehens eines Mitarbeiters - mithin die vermeintlichen Rauchpausen der Klägerin - erfasst und auch speichert. Eine solche Berechtigung zur Datenerfassung enthält die Richtlinie nämlich nicht. Die Richtlinie regelt ausweislich ihres Geltungsbereichs lediglich den Umgang und die Benutzung von Zutrittskarten und ... Cards durch die Mitarbeiter sowie den Empfang von Gästen mit Besucherausweisen.

(a.)

Zur Zutrittskarte ist unter Ziffer 2 der Richtlinie geregelt, dass es sich bei der Zutrittskarte um einen passiven Transponder (betriebsintern: "Ping") handelt, mit dem der Zutritt zu den Objekten und Bereichen gewährt wird. Die Zutrittskarten dienen nach dem Wortlaut der Richtlinie der eindeutigen Identifikation von Mitarbeitern, die in einem Arbeits- oder Vertragsverhältnis mit einem Unternehmen der ... Gruppe stehen. Hervorgehoben werden weiter die drei Funktionen der Zutrittskarte als "Schlüssel" des Objekts "...": die Zutrittsberechtigung für die freigeschalteten Bereiche, die Anwesenheitskontrolle sowie die Möglichkeit des bargeldlosen Bezahlens bei ...

(b.)

Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich daraus keine Berechtigung für eine dauerhafte Erfassung personenbezogener Daten des Kommens und Gehens der Mitarbeiter. Die Vorschrift verdeutlicht zunächst lediglich die Funktion einer Zutrittsberechtigung für die jeweils freigeschalteten Bereiche. Die hierzu erfolgte Personalisierung zum Zwecke des Zugangs in das Betriebsgebäude war der Klägerin bekannt und ihr auch bewusst. Insoweit hat sie vorgetragen, dass die Zutrittskarte für sie wie ein Schlüssel für den Ein- und Ausgangsbereich (Drehkreuz) verwendet zu haben. Nur mithilfe dieser Zutrittskarte konnten die Klägerin und die übrigen Mitarbeiter (über das Drehkreuz) in das Gebäude gelangen bzw. es verlassen. Zusätzlich diente die Zutrittskarte am Beginn und am Ende des jeweiligen Arbeitstages dazu, sich am Anwesenheitssystem der Beklagten an- und abzumelden. Ausgenommen von dieser Anwesenheitskontrolle war das kurzfristige Verlassen des Gebäudes unter 15 Minuten. Hinweise auf eine Speicherung der An und Abmeldung für die Anwesenheitskontrolle enthält die Richtlinie ebenso wenig wie die Verdeutlichung einer Erfassung und Speicherung weiterer Zeiträume beim Verlassen des Gebäudes. Im Gegenteil: Die Richtlinie verweist darauf, dass personenbezogene Daten nicht gespeichert werden und eine Datenerfassung ohne aktives Zutun nicht möglich ist. Da die Zutrittskarte im Hinblick auf die unterschiedlichen Zutrittsrechte der Mitarbeiter für einzelne Gebäudeabschnitte personalisiert ausgehändigt wird, ist in der Richtlinie folgerichtig ein Verweis auf das Auskunftsrecht über die mit der Zutrittskarte generierten Daten enthalten.

(c. )

Die Erhebung und Erfassung der Zu- und Abgangsdaten der Klägerin war vorliegend auch nicht mit § 33 Abs. 2a BDSG zu rechtfertigen. Nach dieser Vorschrift besteht die Pflicht zur Information der betroffenen Person über die Datenerhebung ausnahmsweise dann nicht, wenn die Verarbeitung Daten aus zivilrechtlichen Verträgen beinhaltet und der Verhütung von Schäden durch Straftaten dient, sofern nicht das berechtigte Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung überwiegt.

Zum Zeitpunkt der Datenerhebung vom 01.06. 2022 bis 04.08.2022 lagen der Verdacht oder Anhaltspunkte für eine betrügerische Arbeitszeiterfassung durch die Klägerin nicht vor.

d.)

Die insoweit unzulässige und in Unkenntnis der Klägerin rechtswidrig und verdeckt erfolgte Datenerfassung konnte die Beklagte somit nicht im Rahmen des §§ 26 Abs. 1 BDSG in der seit dem 25.05.2018 geltenden Fassung verarbeiten. Eine in diesem Sinne durch die Beklagte erfolgte Gegenüberstellung und Auswertung der hinsichtlich der Klägerin durch das Zugangssystem "Getronic" und des Arbeitszeiterfassungssystem "Time Perfect" erhobenen Daten war nicht zulässig. Sie verletzen das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung. Die gerichtliche Verwertung der erhobenen Daten durch das Gericht würde seinerseits einen Grundrechtsverstoß begründen.

e.)

Selbst wenn eine Datenerhebung zulässig sein sollte, liegen die Voraussetzungen des § 26 BDSG nicht vor.

aa.)

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer Betriebs oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten von Beschäftigten nur dann verarbeitet werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffene Person im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

bb.)

Nach der zu § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss auch die Verarbeitung und Nutzung von rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten "erforderlich" sein (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 24). Es hat danach eine "volle" Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 24; Urteil vom 17.11.2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30). Die Verarbeitung und die Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenverarbeitung und -nutzung darf keine übermäßige Belastung für die Betroffenen darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen (BAG 27.07. 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 30).

cc.)

Unter Beachtung dieser höchstrichterlichen Vorgaben standen der Beklagten, bezogen auf den erstrebten Zweck einer Aufdeckung, Ahndung und künftigen Verhinderung einer Arbeitspflichtverletzung durch die Klägerin, mildere und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin weniger einschränkende Mittel zur Verfügung.

dd.)

Vor einer Verarbeitung der am Zugangssystem "Getronic" erhobenen Daten hätte die Beklagte die Klägerin mit dem im anonymen Schreiben enthaltenen Vorwürfen eines Arbeitszeitbetruges durch nicht erfasste Raucherpausen konfrontieren können. Die Einlassungen der Klägerin im gesamten Verfahren zeigen, dass ein Hinweis auf eine bestehende Arbeitspflichtverletzung unter Umständen ausreichend gewesen wäre, um ein Fehlverhalten der Klägerin zu korrigieren. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, dass die veraltete Technik mit einer häufigen Fehleranfälligkeit der regelmäßigen Nutzung des Transponders entgegenstand. Im Falle einer Bekanntgabe des Anfangsverdachts und der beabsichtigten Erfassung der Zugangsdaten gegenüber der Klägerin hätte der Beklagten auch die Möglichkeit einer künftigen rechtmäßigen Datenerhebung am Drehkreuz offen gestanden.

ee.)

Im Hinblick auf das von der Beklagten vorgehaltene Arbeitszeitregime erscheint der Abgleich der Daten auch nicht angemessen. Ausweislich des Arbeitsvertrages der Klägerin ist zwischen den Arbeitsvertragsparteien eine Jahresarbeitszeit von 2080 Stunden vereinbart worden. Die ebenfalls im Arbeitsvertrag geregelte Wochenarbeitszeit von 40 Stunden stellte dabei lediglich einen Richtwert der Sollarbeitszeit dar. Die Arbeitszeit konnte nach Nr. 4 des Arbeitsvertrages ungleichmäßig auf einzelne Tage, Wochen und Monate flexibel verteilt werden. Dies wurde von den Arbeitsvertragsparteien auch so gelebt. Ein Ausgleich eventueller Minusstunden konnte über einen längeren - nicht näher definierten - Zeitraum erfolgen, eine Ausgleich geleisteter Überstunden erfolgte nach dem Vorbringen der Klägerin in der Regel nicht.

ff.)

Letztlich ist das seit dem Jahr 2013 bestehende Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten über den gesamten Zeitraum ohne Beanstandung geblieben. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihrer Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsvertragsverhältnis nicht nachgekommen ist, liegen nicht vor.

II.

Aus den vorgenannten Gründen ist auch die von der Beklagten hilfsweise ausgesprochene ordentlichen Kündigung unwirksam. Gründe i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung konnte die Beklagte nicht nachweisen. Ebenfalls kann dahinstehen, ob die Kündigungen im Hinblick auf die zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigende beanstandungsfreie Tätigkeit während der längeren Betriebszugehörigkeit und wegen des Fehlens einer einschlägigen Abmahnung unwirksam wären und die Betriebsratsanhörung in Hinblick auf die Einzelheiten zur Datenerhebung ordnungsgemäß angehört wurde.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

D.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

F.

Auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Verkündet am 06.07.2023

VorschriftenArt. 1 Abs. 1 GG, § 26 Abs. 1 BDSG, § 64 Abs. 1, 2 lit. b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 626 Abs. 1 BGB, § 241 Abs. 2 BGB, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 3 GG, § 138 Abs. 3 ZPO, § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 1 Abs. 1 BDSG, § 1 Abs. 2 BDSG, Art. 13, 14 DSGVO, §§ 32, 33 BDSG, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Datenschutz-Anpassung- und Umsetzungsgesetz EU, § 33 Abs. 2a BDSG, §§ 26 Abs. 1 BDSG, § 26 BDSG, § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG, § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG, § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG, § 1 Abs. 2 KSchG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG, § 72 a ArbGG

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