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13.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235758

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 17.03.2023 – 15 K 19/21

Es ist nicht verfassungswidrig, dass eine Abfindung nur dann ermäßigt besteuert wird, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einkünften führt.


Finanzgericht Niedersachsen

Urteil vom 17.03.2023


Tatbestand

Streitig ist, ob eine Abfindung, die die Klägerin im Jahr 2019 erhalten hat, ermäßigt zu besteuern ist.

Die Klägerin war seit 2010 als Arbeitnehmerin der X beschäftigt. Am 11. September 2018 schlossen die Klägerin und X einen Aufhebungsvertrag zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus dringenden betrieblichen Gründen mit Ablauf des 31. Januar 2019. Nach § 2 Abs. 1 des Aufhebungsvertrags erhielt die Klägerin bis zum Vertragsende ein monatliches Gehalt in Höhe von ... € brutto. Außerdem enthielt der Aufhebungsvertrag Regelungen zu variablen Vergütungen der Klägerin. Unter anderem erhielt die Klägerin für die Monate Oktober 2018 bis Januar 2019 eine anteilige variable Vergütung in Höhe von ... € (brutto), die mit dem Dezembergehalt für 2018 ausgezahlt wurde (§ 2 Abs. 3 des Aufhebungsvertrags).

Der Aufhebungsvertrag enthielt darüber hinaus die Vereinbarung, dass der Arbeitgeber der Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes im Januar 2019 eine einmalige Abfindung in Höhe von ... € (brutto) zahlte (§ 3 des Abfindungsvertrags).

Im Jahr 2018 erhielt die Klägerin weitere Bonuszahlungen in Höhe von insgesamt ... € brutto. .... Das reguläre Monatsgehalt der Klägerin wurde letztmalig zum 1. Oktober 2018 auf ... € erhöht.

In den Veranlagungszeiträumen 2016 bis 2019 erzielte die Klägerin folgende Einkünfte: ...

Ausweislich der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung der Klägerin für das Streitjahr 2019 erhielt die Klägerin im Streitjahr einen ermäßigt besteuerten Arbeitslohn in Höhe von ... €. Die Klägerin fügte ihrer Einkommensteuererklärung eine Bescheinigung der Bundesagentur für Arbeit bei, wonach sie vom 1. bis 14. Februar 2019 Arbeitslosengeld bezog. In der Folgezeit des Jahres 2019 stand sie nach den mündlichen Angaben des Prozessbevollmächtigten wegen der durch den unerwarteten Verlust des Arbeitsplatzes erlittenen Belastungen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung.

In ihrer am 8. Mai 2020 elektronisch abgegebenen Einkommensteuererklärung machte die Klägerin geltend, der Betrag von ... € sei ermäßigt zu besteuern. Außerdem erklärte die Klägerin einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von ... €.

Mit Einkommensteuerbescheid vom 6. Juli 2020 unterwarf der Beklagte einen ohne erkennbaren Grund mit ... € angesetzten Bruttoarbeitslohn der regulären Besteuerung. Zur Erläuterung führte der Bescheid aus: " ... Die Voraussetzungen für ermäßigt zu besteuernde Entschädigungen liegen nicht vor. Es ist keine Zusammenballung im Sinne des § 34 EStG gegeben, weil durch die Entschädigung die bis zum Jahresende weggefallenen Einnahmen nicht überschritten wurden. Nach dem Erlass des Bundesministers für Finanzen vom 25.05.2005, abgedruckt im Bundessteuerblatt 2004 Teil I, Seite 505 und 633, Tz. 12 ist (für die Frage der Zusammenballung) bei der Berechnung der maßgebenden Vergleichseinkünfte auf die Einkünfte des Vorjahres abzustellen. Die Vergleichsberechnung ist grundsätzlich anhand der jeweiligen Einkünfte lt. Steuerbescheid/Steuererklärung vorzunehmen. ..."

Ihren hiergegen eingelegten Einspruch begründete die Klägerin wie folgt: Nach Auffassung des Beklagten sei die Abfindung nicht steuerlich begünstigt, weil sie zu gering gewesen sei und die Klägerin im Veranlagungszeitraum noch kein neues Beschäftigungsverhältnis gefunden habe, durch das sie gleiche Einkünfte wie im Vorjahr erzielt habe. Hierdurch werde der Klägerin eine Steuervergünstigung versagt, weil sie weniger leistungsfähig sei als jemand, der entweder eine höhere Abfindung erhalten hätte oder sofort eine neue Stelle gefunden hätte. Dies sei ein Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus habe die Klägerin im Veranlagungszeitraum 2018 erfolgsabhängige Sonderzahlungen erhalten, von denen für Folgejahre nicht ohne weiteres ausgegangen werden könne. Die "Kündigung" der Klägerin sei betriebsbedingt erfolgt und ihr Arbeitsplatz ersatzlos weggefallen. Die Abfindung sei nach der gängigen Formel "Monatslohn x Jahre der Betriebszugehörigkeit" berechnet worden. Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit wäre sie also höher oder niedriger ausgefallen. Damit werde eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Vergütung für mehrere Jahre handele und damit § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) anzuwenden sei.

Der Beklagte hielt dem entgegen, nach ständiger Rechtsprechung setze die von der Klägerin begehrte Anwendung der Begünstigung des § 34 Abs. 1 EStG voraus, dass die Entschädigungsleistung zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zufließe. Dies sei stets der Fall, wenn die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlte Entschädigung die entgehenden Einnahmen übersteige, die der Arbeitnehmer bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bezogen hätte. Sei dies nicht der Fall, so sei das Merkmal der Zusammenballung von Einkünften nur erfüllt, wenn der Steuerpflichtige weitere Einnahmen beziehe, die er bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht bezogen hätte. Ohne Bedeutung dagegen sei, ob die Entschädigung für den Einnahmeverlust mehrerer Jahre gewährt werde. Maßgeblich sei allein, ob es unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Zusammenballung von Einkünfte komme. Im Jahr 2018 habe die Klägerin Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von ... € bezogen. Die Einkünfte hätten ... € betragen. Im Streitjahr (2019) habe die Klägerin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von ... € und Arbeitslosengeld in Höhe von ... € erhalten. Da die Entschädigung lediglich ... € betrage, liege keine Zusammenballung der Einkünfte vor.

Auch wenn die Einkünfte im Veranlagungszeitraum 2018 aufgrund von Sonderzahlungen überdurchschnittlich hoch gewesen seien, lägen die Einkünfte der Vorjahre regelmäßig über ... €, also höher als im Streitjahr. Es sei der Zweck des § 34 EStG, Härten auszugleichen, dies sich aus der progressiven Besteuerung ergeben. Eine Zusammenballung von Einkünften liege jedoch nicht vor, wenn die Einkünfte die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums entgehenden Einnahmen nicht überstiegen, etwa wenn lediglich die laufenden Zahlungen eines Jahres ersetzt würden. In diesem Fall werde der Steuerpflichtige nicht schlechter gestellt als bei normalem Zufluss der Einnahmen. Die Begünstigung sei nur anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt mehr erhalte, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte.

Die Klägerin machte geltend, die vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung führe zu der "absurden Rechtsfolge", dass sie bei einer höheren Abfindung weniger Einkommensteuer zu zahlen gehabt hätte, obwohl sie dann leistungsfähiger gewesen wäre. Bei einer um 9.000 € höheren Abfindung würden die regulären Einkünfte der Klägerin aus dem Vorjahr übertroffen. Damit hätte sie eine um ca. 13.000 € niedrigere Steuer zu zahlen. Selbst bei einer um 39.200 € höheren Abfindung (mit der die Bonuszahlung des Vorjahres überschritten würde) sei immer noch eine ca. 6.000 € niedrigere Steuer zu zahlen als bei der regulären Besteuerung der Klägerin. Eine derartige Gesetzesanwendung verletze den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.

Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2020 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG sei nicht anzuwenden, da bei der Klägerin keine Zusammenballung von Einkünfte vorliege.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin weiter die Anwendung des § 34 EStG. Durch die Rechtsauffassung des Beklagten werde der Gleichheitssatz gemäß Artikel 3 Grundgesetz (GG) verletzt. Diese Rechtsauffassung führe zu dem Ergebnis, dass ein leistungsfähigerer Steuerpflichtiger eine steuerliche Vergünstigung erhalte, die der Klägerin versagt werde. Eine solche grundrechtswidrige steuerliche Mehrbelastung einer niedrigeren Abfindung sei mit der Regelung des § 34 EStG nicht gewollt.

Im Jahr 2018 habe die Klägerin Bonuszahlungen für die einmalige Übernahme der Projektleiterfunktion für ein befristetes Projekt erhalten. Nach Abschluss dieses Projektes hätte die Klägerin bei ungestörtem Fortgang des Arbeitsverhältnisses wieder eine Vergütung auf dem Niveau der Jahre 2016/2017 erhalten. Nach der letzten Gehaltserhöhung wäre dies ein Jahresgehalt von ... € gewesen.

Ergänzend verwies die Klägerin auf drei hypothetische Sachverhalte, bei denen sie - entweder aufgrund eines neuen im Jahr 2019 begonnenen Arbeitsverhältnisses oder aufgrund einer höheren Abfindung - jeweils ein höheres Einkommen bezogen hätte und nach Angaben des Prozessbevollmächtigten unter Anwendung der Tarifermäßigung eine niedrigere Steuer zu zahlen gehabt hätte als sie in dem Bescheid vom 6. Juli 2020 festgesetzt war. Durch die Versagung der Tarifermäßigung erfahre die Klägerin einen zusätzlichen Nachteil. Neben der Tatsache, dass sie weder eine neue Arbeitsstelle erhalten noch eine höhere Abfindung bekommen habe, werde ihr auch die Tarifermäßigung versagt. Damit werde sie gegenüber einem leistungsfähigeren Steuerpflichtigen in verfassungswidriger Weise zu einer höheren Steuer herangezogen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 26. März 2021 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2019 vom 6. Juli 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2020 und des Änderungsbescheids vom 23. Februar 2023 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer auf ... € festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, eine ermäßigte Besteuerung der Entschädigung nach § 34 Abs. 1 EStG sei zu Recht versagt worden. Bei der Klägerin sei es nicht zu einer Zusammenballung von Einkünften gekommen. Auf eine konkrete Erhöhung der Progression komme es für die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG nicht an. Insoweit gingen die Ausführungen der Klägerin zum Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ins Leere.

Die Entschädigung (... €) habe nicht den Betrag der Einnahmen überstiegen, den die Klägerin beim Fortbestand des Vertragsverhältnisses im Streitjahr bezogen hätte. Eine Entschädigung führe jedoch nur dann zu außerordentlichen Einkünften nach § 34 Abs. 2 EStG, wenn der Arbeitnehmer einschließlich der Entschädigung insgesamt mehr erhalte, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte.

Nachdem der Berichterstatter den Beklagten um Erläuterung gebeten hatte, weshalb der Bruttoarbeitslohn mit ... € ermittelt wurde und ggf. eine entsprechende Teilabhilfe angeregt hatte, teilte der Beklagte am 10. Februar 2023 mit, der Bruttoarbeitslohn sei zutreffend mit ... € anzusetzen. Am 23. Februar 2023 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid, durch den er die Einkommensteuer 2019 entsprechend herabsetzte.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die Einkommensteuer 2019 zu Recht unter Anwendung des allgemeinen Tarifs festgesetzt.

1. Gemäß § 34 Abs. 1 EStG ist die Einkommensteuer auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte nach der Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 1 EStG zu berechnen. Als außerordentliche Einkünfte kommen u.a. Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG - wie etwa Entschädigungen als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 a) EStG) - in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG).

a) Nach langjähriger ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die bereits auf Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) zurückgeht, ist eine Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nur dann gemäß § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG tarifbegünstigt, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einnahmen innerhalb eines Veranlagungszeitraums führt. Diese Voraussetzung ist dann nicht erfüllt, wenn die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums (Jahresende) entgehenden Einnahmen nicht übersteigt und der Steuerpflichtige keine weiteren Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bezogen hätte (BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, BStBl. II 1998, 787 m.w.N.).

Grundlage dieser Rechtsprechung ist, dass nach der Konzeption des Gesetzes die Steuerermäßigung nur bei einer Zusammenballung von Einkünften berechtigt ist. Bei dieser Betrachtungsweise kommt es nicht darauf an, ob die Entschädigung entgehende Einnahmen mehrerer Jahre abdecken soll. Entscheidend ist vielmehr, ob es unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Zusammenballung von Einkünften kommt. Nur in diesem Fall kann eine progressionsbedingte Härte eintreten (BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, BStBl. II 1998, 787 m.w.N.). Lediglich, wenn eine solche Zusammenballung von Einkünften vorliegt, ist nach der Rechtsprechung im Übrigen ohne Bedeutung, ob es im Einzelfall - ohne Anwendung der Tarifbegünstigung - zu einer Erhöhung der Steuerprogression käme (BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, BStBl. II 1998, 787). Maßgeblich ist, ob der Steuerpflichtige infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte (BFH-Urteil vom 27. Januar 2010 IX R 31/09, BStBl. II 2011, 28 m.w.N.).

b) Zu der bis 1999 geltenden Regelung des § 34 Abs. 1 EStG (Anwendung des halben Steuersatzes) hat der BFH es als notwendige Folge der gesetzgeberischen Typisierung angesehen, dass Entschädigungen, bei denen es nicht zu einer Zusammenballung von Einkünften kommt, durch die Anwendung des allgemeinen Einkommensteuertarifs im Vergleich zu Abfindungen, die eine Zusammenballung bewirken, ggf. höher besteuert werden und hierzu ausgeführt: "Es trifft zu, dass es im Einzelfall auch bei relativ geringfügiger Überschreitung der bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzielbaren Beträge zu einer erheblichen Steuerentlastung kommen kann. ... Diese Konsequenzen ergeben sich aber aus der vom Gesetz vorgegebenen Einkünfteermittlung für den einzelnen Veranlagungszeitraum. Im Übrigen tritt die uneingeschränkte Rechtsfolge bei auch nur geringfügiger Überschreitung eines zahlenmäßig definierten Tatbestandes immer dann ein, wenn aus Gründen der Praktikabilität keine gestaffelte Abstufung vorgesehen ist (vgl. z.B. § 10e Abs. 5a EStG, § 5 des Eigenheimzulagegesetzes, bei denen das Überschreiten der Einkunftsgrenze zum vollständigen Verlust der Förderung führen kann; vgl. ferner die sog. 50 %-Grenze bei der Abgrenzung von Unterhalts- und Versorgungsleistungen)" (BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, BStBl. II 1998, 787).

Das Bundesverfassungsgericht hatte eine gegen diese Rechtsprechung erhobene Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) nicht zur Entscheidung angenommen und hierzu ausgeführt: "Die Auslegung des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG und seine Anwendung auf den Streitfall lassen im Rahmen der dem BVerfG nur eingeschränkt möglichen Kontrolle von Gerichtsentscheidungen keine Verletzung des Willkürverbotes (Art. 3 Abs. 1 GG) erkennen ... Wenn der BFH in ständiger Rechtsprechung ... eine Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 EStG nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck dieser Bestimmung als Tarifvorschrift davon abhängig macht, dass der Entschädigungsbetrag zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum dem Stpfl. zufließt, weil der bei dieser Fallgestaltung in aller Regel eingetretene steuerliche Nachteil in Form einer Progressionssteigerung durch § 34 EStG gemildert werden soll, so ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. ..." (BVerfG-Beschluss vom 10. Dezember 1985 - 1 BvR 1017/85, HFR 1986, 317).

2. Nach diesen Maßstäben unterliegt die von der Klägerin erhaltene Abfindung nicht der Steuerbegünstigung des § 34 EStG. Die Klägerin hat im Streitjahr (2019) lediglich ein laufendes Monatsgehalt und einschließlich der Abfindung (ca. 9 Monatsgehälter) insgesamt geringere Einnahmen erhalten als bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

3. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es nicht entscheidungserheblich, ob die Ausgestaltung der §§ 24, 34 EStG in der seit 1999 geltenden Fassung gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt. Selbst wenn die Ausgestaltung der sog. Fünftelregelung bestimmte Steuerpflichtige in verfassungswidriger Weise begünstigen sollte (hierzu a), ist der Gesetzgeber oder der Gesetzesanwender nicht verpflichtet, Abfindungen, die nicht zu einer Zusammenballung von Einkünften führen, einer ermäßigten Besteuerung zu unterwerfen (hierzu b).

a) In der steuerrechtlichen Literatur wurde teilweise der Vorwurf erhoben, die im Jahr 1999 geänderte Ausgestaltung der Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 1 EStG (Einführung einer sog. Fünftelregelung anstelle des zuvor geltenden halben Steuersatzes) verstoße gegen den Gleichheitssatz, da sie in bestimmten Fällen dazu führe, dass die ordentlichen Einkünfte, also diejenigen, die zusätzlich zu den außerordentlichen Einkünften erzielt werden, zu mehr als 100 % besteuert würden, so dass der Betroffene bei dieser Fallkonstellation schlechter gestellt werde, als ein Anderer, der neben seinen außerordentlichen Einkünften keine weiteren Einkünfte erzielt hat (Jahndorf/Lorscheider, Finanz-Rundschau --FR-- 2000, 433, 435 ff.; Birk/Kulosa, FR 1999, 433, 440).

Die Rechtsprechung ist dem jedoch nicht gefolgt. Sie sieht als Maßstab für die Gleich- oder Ungleichbehandlung zweier Steuerpflichtiger die Belastung des gesamten zu versteuernden Einkommens an. Vergleichsperson des Steuerpflichtigen, der neben außerordentlichen Einkünften weitere Einkünfte erzielt, die nicht steuerbegünstigt sind, sei der Steuerpflichtige mit einem gleich hohen zu versteuernden Einkommen ohne tarifbegünstigte außerordentliche Einkünfte. Im Vergleich zu diesem zahlt der Steuerpflichtige mit ermäßigt zu besteuernden Einkünften allenfalls eine gleich hohe Einkommensteuer, niemals ist er jedoch schlechter gestellt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ergibt sich daraus nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht (BFH-Urteil vom 6. Dezember 2006 X R 22/06, BFH/NV 2007, 442 m.w.N.; ebenso z.B. Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34 EStG Anm. 4 m.w.N.) Eine gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 24. März 2010 Az. 2 BvR 339/07, juris).

Dieser Rechtsprechung wird auch in neuerer Literatur entgegengehalten, § 34 Abs. 1 EStG beruhe auf der stillschweigenden Fiktion, dass das verbleibende zu versteuernde Einkommen i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG dieselbe Höhe habe wie das Einkommen der Vorjahre. Diese Fiktion sei jedoch nicht als Vereinfachungsmaßnahme zu rechtfertigen. Insbesondere wenn neben den außerordentlichen Einkünften im Zeitraum ihres Zuflusses nur Verluste erzielt werden, führe § 34 Abs. 1 EStG im Vergleich zu einer konkreten rechnerischen Verteilung der Einkünfte auf 5 Jahre zu einer nicht zu rechtfertigenden Begünstigung (so Bareis, FR 2015, 577, 581 m.w.N.).

b) Im Streitfall bedarf es keiner Entscheidung, ob die gesetzliche Ausgestaltung des § 34 Abs. 1 EStG - entsprechend der in Teilen der Literatur vertretenen Auffassung (s. hierzu oben a) - gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Auch wenn dies der Fall sein sollte, hat die Klägerin, die nach dem allgemeinen Einkommensteuertarif besteuert wird, keinen Anspruch darauf, ebenfalls eine für sie günstigere Besteuerung zu erfahren.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wird eine steuerrechtliche Regelung, auf die es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens an sich nicht ankommt, nicht allein dadurch entscheidungserheblich, dass sie Steuerpflichtigen eine Vergünstigung einräumt, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens nicht zusteht. Der allgemeine Gleichheitssatz ist grundsätzlich kein Instrument, der es einem Steuerpflichtigen erlaubt, die einem anderen eingeräumte, seine eigene Steuerpflicht nicht betreffende Steuervergünstigung zu bekämpfen und so auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Art. 3 Abs. 1 GG verleiht dem einzelnen Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf die verfassungsrechtliche Kontrolle eines Steuergesetzes im Hinblick auf solche Regelungen, die das eigene Steuerverhältnis nicht betreffen (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, BStBl. II 2015, 50, BVerfGE 138, 136 Rn. 97).

Anderes gilt jedoch dann, wenn die Dritten gewährten Steuervergünstigungen für eine gleichheitsgerechte Belastung durch die betreffende Steuer insgesamt übergreifende Bedeutung haben. Dies ist der Fall, wenn die nur einer Gruppe gewährten Vergünstigungen nach Zahl oder Umfang ein solches Ausmaß erreichen oder nach ihrer strukturellen Bedeutung für die Steuer solches Gewicht haben, dass im Falle der Verfassungswidrigkeit der Privilegierungsnorm die lastengleiche Besteuerung auch derjenigen in Frage gestellt ist, die von dieser Privilegierungsnorm an sich nicht erfasst werden (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, BStBl. II 2015, 50, BVerfGE 138, 136 Rn. 98).

bb) Diese Maßstäbe sind nach Auffassung des erkennenden Senats auch dann anzuwenden, wenn eine Steuerpflichtige wie im Streitfall unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 GG die Anwendung einer begünstigenden Vorschrift - hier § 34 Abs. 1 EStG i.V.m. § 24 Nr. 1 a) und § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG - auf solche Sachverhalte begehrt, die nach dem Gesetzeszweck nicht in deren Anwendungsbereich fallen.

[1] Wie oben zu 1. dargelegt, erfolgt nach ständiger Rechtsprechung nur dann eine ermäßigte Besteuerung einer Abfindung, wenn es - anders als bei der Klägerin - unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Zusammenballung von Einkünften kommt. Nur in diesem Fall kann eine progressionsbedingte Härte eintreten, die durch § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG i.V.m. § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG ausgeglichen werden soll.

Zwar kann diese Rechtsprechung - wie die Klägerin im Einzelnen darlegt - dazu führen, dass höhere Abfindungen oder ein höherer laufender Arbeitslohn bei der Klägerin eine Überschreitung der Schwelle der Zusammenballung bewirkt hätten. Da die Fünftel-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG dann zu einer besonders hohen Entlastung führt, wenn eine Steuerpflichtige - wie die Klägerin - im laufenden Jahr besonders niedrige laufende Einkünfte erzielt, hätte die Klägerin bei einer höheren Abfindung oder einem höheren laufenden Arbeitslohn ggf. trotz größerer Leistungsfähigkeit eine geringere Einkommensteuer zu zahlen gehabt als sie nach dem allgemeinen Einkommensteuertarif zu zahlen hat.

[2] Gleichwohl führt die Anwendung des allgemeinen Einkommensteuertarifs bei der Klägerin nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung.

Das Einkommensteuergesetz ist durch die Anwendung des allgemeinen Einkommensteuertarifs geprägt, dem auch die Einkünfte der Klägerin unterworfen werden. Dieser Tarif wird jährlich millionenfach der Besteuerung zugrunde gelegt. Im Vergleich dazu handelt es sich bei der Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG um Ausnahmeregelungen. Erst recht sind Sachverhalte noch seltener, bei denen es zwar zu einer Zusammenballung von Einkünften kommt, die zur Anwendung des § 34 EStG führen, aber - etwa wegen geringer laufender Einkünfte oder Verlusten im Jahr des Zuflusses der Entschädigung - zu einer besonders hohen steuerlichen Entlastung führen, die weit über die vom Gesetzgeber beabsichtigte Vermeidung ungerechtfertigter Progressionsnachteile hinausgeht.

Auch wenn die Regelung des § 34 Abs. 1 EStG aufgrund ihrer Ausgestaltung in bestimmten Fallkonstellationen (geringe laufende Einkünfte oder Verluste im Jahr des Zuflusses der Entschädigung) zu einer verfassungswidrigen Begünstigung der von dieser Norm betroffenen Steuerpflichtigen führen sollte (so Bareis, FR 2015, 577, 581 m.w.N.), hätte diese Begünstigung keine insgesamt übergreifende Bedeutung, die dazu führen könnte, dass alle Steuerpflichtigen, die - wie die Klägerin - dem allgemeinen Einkommensteuertarif ohne Anwendung des § 34 EStG unterworfen werden, hierdurch in verfassungswidriger Weise benachteiligt werden. Die Ungleichbehandlung zwischen den Steuerpflichtigen, die in den Anwendungsbereich des § 34 EStG fallen und allen anderen Einkommensteuerpflichtigen, die nach den allgemeinen Tarifvorschriften besteuert werden, erreicht i.S.d. o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, BStBl. II 2015, 50, BVerfGE 138, 136 Rn. 98) nach Zahl oder Umfang kein solches Ausmaß und hat nach ihrer strukturellen Bedeutung für die Einkommensteuer kein solches Gewicht, dass im Falle einer Verfassungswidrigkeit des § 34 Abs. 1 EStG die lastengleiche Besteuerung auch derjenigen in Frage gestellt wäre, die von dieser Norm nach ihrem Gesetzeszweck nicht erfasst werden. Insbesondere hat die Klägerin keinen Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG darauf, ebenfalls in den Genuss einer niedrigeren Besteuerung zu kommen als sie dem allgemeinen Einkommensteuertarif entspricht.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor, da das Gericht einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. ... Die Klage hat nur insoweit Erfolg, als der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 23. Februar 2023 die Einkommensteuer um ... € auf ... € herabgesetzt hat.

6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

RechtsgebieteGG, EStGVorschriftenGG Art. 3 Abs. 1, EStG § 34 Abs. 1, EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2

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