13.02.2023 · IWW-Abrufnummer 233721
Landesarbeitsgericht Sachsen: Urteil vom 22.08.2022 – 2 Sa 144/21
In dem Rechtsstreit
...
- Berufungskläger / Kläger -
Prozessbevollm.:...
gegen
...
- Berufungsbeklagte / Beklagte -
Prozessbevollm.:...
hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch die Richterin am Arbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Frau ... auf die mündliche Verhandlung vom 22.08.2022
fürRechterkannt:
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 10.03.2021 - Az. 2 Ca 2182/20 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Entschädigung des Klägers dafür, dass er auf eine Bewerbung bei der Beklagten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.
Der mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 schwerbehinderte Kläger bewarb sich am 08.07.2020 auf eine von der Beklagten ohne Angabe ihres Namens und ohne Adresse bei der Bundesagentur veröffentlichten Stellenausschreibung für die Tätigkeit eines "Sachbearbeiters Bauamt".
Die Ausschreibung ist mit "Stellenangebot" überschrieben (siehe Anlage K1, Bl. 7 ff d.A.). Weiter lautete der Text dort:
Schließlich werden die gewünschten Bewerbungsarten und die Ansprechpartnerin bei der Agentur für Arbeit genannt. Aus nicht bekannten Gründen wurde dem Kläger auf telefonische Nachfrage von der Agentur der Name und die Adresse der Beklagten mitgeteilt, so dass er sich direkt dort bewerben konnte und per E-Mail auch beworben hat. In der Bewerbung wies er auf seine Schwerbehinderung hin.
Die Stelle ist mit Entgeltgruppe 7 der Entgelttabelle TVöD-VKA 2020 zu bewerten, der Kläger wäre in die Erfahrungsstufe 3 eingruppiert gewesen. Das zu erwartende Monatsgehalt hätte sich damit auf 2.986,70 Euro belaufen.
Mit E-Mail vom 13.07.2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er einen "Fördercheck" erhalten habe und fragte zugleich, ob seine Bewerbung auf Interesse gestoßen sei. Seitens der Beklagten erfolgte weder auf die Bewerbung noch auf die E-Mail eine Reaktion. Eine schriftliche Nachfrage vom 15.09.2020 per Fax blieb ebenfalls unbeantwortet. Der Kläger machte daher mit anwaltlichem Schreiben vom 22.10.2020 eine Entschädigung wegen Diskriminierung geltend. Hierauf antwortete die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 05.11.2020, eine Zahlung wurde abgelehnt.
Die Beklagte erhielt im Rahmen des ersten Lockdowns bzw. im unmittelbaren Zusammenhang damit die Information des Mitarbeiters Herrn Z., dass er wegen einer Krebserkrankung seiner Frau bis auf weiteres Arbeitsleistungen nur im Homeoffice erbringen kann, um die Kontakte, die er selbst mit fremden Dritten und anderen Mitarbeitern habe, auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Die Hintergründe sind in einem von der Beklagten vorgelegten Zeitungsartikel, Anlage B 2 (Bl. 64 d. A.), dargestellt. Auf den Inhalt wird Bezug genommen.
Mit der am 02.12.2020 der Beklagten zugestellten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er macht drei Bruttomonatsgehälter entsprechend der Entgeltgruppe 7 Stufe 3 in Höhe von monatlich 2.986,70 € geltend.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten,
dass bereits aus der Nichteinladung ein Anspruch auf Entschädigung folge. Ein solcher Anspruch entstehe immer auch bei einer Initiativbewerbung, auf die Frage, ob der Ausschreibung eine freie und zu besetzende Stelle wirklich zugrunde gelegen habe, komme es daher nicht an. Der Kläger bestreitet, dass es keine entsprechende Stelle gegeben habe, jedenfalls sei für ihn nicht ersichtlich gewesen, dass es dem Stellengesuch in irgendeiner Form an Ernsthaftigkeit gemangelt habe. Aus dem Vortrag der Beklagten werde nicht deutlich, ob die Stellenausschreibung von Anfang an bereits als unverbindlich anzusehen sei oder ob die Beklagte die Stellensuche erst im Nachhinein abgebrochen habe. Die Diskriminierung des Klägers habe die Beklagte nicht bestritten und damit zugestanden. Aufgrund der unstreitig erfolgten unbedingten Veröffentlichung des Stellenangebots könne dahinstehen, ob die Beklagte innerlich gewillt gewesen sei, ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen oder nicht. Die Beklagte habe auch genügend Gelegenheit gehabt, den Kläger über die Natur der Ausschreibung zu informieren. Dies sei nicht erfolgt.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Sie hat erstinstanzlich bestritten,
dass der Stellenausschreibung eine zu besetzende Stelle tatsächlich zugrunde gelegen habe. Die Beklagte habe im Jahr 2020 keinen Mitarbeiter zusätzlich einstellen können, da im Stellenplan des Haushaltsplanes keine entsprechende Stelle eingeplant gewesen sei. Die (nicht vorhandene) Stelle sei nicht besetzt worden, eine Auswahl unter mehreren Bewerbern oder irgendwelche Einstellungsgespräche habe es nicht gegeben. Es seien nicht einmal die Bewerbungsunterlagen gesichtet worden. Eine Einstellung in der Eingruppierung bedürfe vorab der Zustimmung des Gemeinderates. Ein entsprechender Beschluss sei nicht gefasst. Daher sei die Vermutung einer behinderungsbedingten Benachteiligung des Klägers wegen Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch widerlegt. Es habe seit März 2020 aufgrund von Corona-Problemen in der Bauamtsverwaltung ein Mitarbeiter gefehlt. Der Bauamtsleiter habe deswegen das gesamte Aufgabengebiet des Bauamtes allein abdecken müssen. Aufgrund dieser personellen Notsituation sei das anonymisierte Stellenangebot erfolgt. Ein ordnungsgemäßes Ausschreibungsverfahren habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden, vielmehr habe es sich nur um eine Nachfrage gehandelt, ob und inwieweit überhaupt Bewerber für eine derartige Stelle vorhanden sein könnten. Am 11.06.2020 habe die Beklagte einen Vermittlungsvorschlag seitens der Agentur für Arbeit erhalten. Unter dem 28.07.2020 habe die Bürgermeisterin darauf geantwortet und ein Interesse verneint. Das Stellenangebot sei am 28.07.2020 beendet worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich auch die personelle Situation im Bauamt entspannt gehabt. Der festangestellte Mitarbeiter habe seine Tätigkeit vor Ort wieder aufgenommen.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.03.2021 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben über Vorgang und Hintergrund der Entscheidung zur Ausschreibung der Stelle eines Mitarbeiters Bauamt im Sommer 2020 durch Vernehmung der Zeugin M. M. Mit Urteil vom 10.03.2021 hat es dann die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Arbeitsgericht aus, der persönliche Anwendungsbereich des AGG nach § 6 Abs. 1 AGG sei gegeben. Der Kläger sei schwerbehindert und von der Beklagten als öffentlichem Arbeitgeber entgegen § 165 Satz 4 SGB IX auf seine Bewerbung hin nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Der Kläger sei auch nicht offensichtlich ungeeignet für die streitgegenständliche Stelle. Daher bestünden ausreichend Anhaltspunkte, die eine Diskriminierung vermuten ließen. Die Beklagte habe dies Vermutung jedoch widerlegt, denn sie habe bewiesen, dass ausschließlich andere Gründe als die Schwerbehinderung zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben. Die Zeugin M. habe in ihrer Vernehmung angegeben, dass die Stelle des Sachbearbeiters Bauamt im Sommer 2020 durch den Arbeitnehmer Z. besetzt gewesen sei und dieser die Stelle im Juli 2020 auch wieder ausgefüllt habe. Darüber hinaus habe die Beklagte mit dem Zeitungsartikel die Umstände unter Beweis gestellt, wie es zur anonymen Bewerberabfrage gekommen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass die Stelle zu keinem Zeitpunkt tatsächlich unbesetzt gewesen sei. Die Zeugin sei glaubwürdig und ihre Angaben glaubhaft, insbesondere habe sie keinerlei persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits.
Gegen das dort am 29.03.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, welche am 21.04.2021 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingegangen ist und mit Eingang am Montag, den 31.05.2021, begründet wurde.
Der Kläger macht mit seiner Berufung unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags geltend, die Zeugin sei nicht glaubhaft, denn das Stellenangebot sei schon nicht anonym. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso das Arbeitsgericht zu dieser Ansicht gekommen sei, weil das Stellenangebot alle nötigen Angaben enthalte mit Ausnahme des Arbeitgebers. Diese Kontaktdaten seien aber mit einem Anruf bei der Agentur für Arbeit - unstreitig - leicht zu erfragen gewesen. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin M. stehe in Frage, da ein eigenes Interesse der Zeugin am Ausgang des Rechtsstreits bestehen könne. Die Zeugin habe ausgesagt, dass die Bewerbung des Klägers letztlich bei ihr auf dem Schreibtisch zur Bearbeitung lag und dass sie sich die Bewerbung erst im Laufe des Gerichtsverfahrens überhaupt angeschaut habe. Wenn also rechtskräftig festgestellt werde, dass der Kläger einen Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte habe, dann wäre die Zeugin dafür maßgeblich verantwortlich und hätte möglicherweise arbeitsrechtliche Konsequenzen zu tragen. Offensichtlich habe es ihr oblegen, die Bewerbungen zu sichten und ggf. auf Einladungspflichten zu überprüfen. Der Kläger bestreitet hier erstmals, dass das Stellenangebot überhaupt den ausgefallenen Mitarbeiter betreffe. Die Angaben seien viel zu konkret, beispielsweise weil die Stelle bis zum 31.03.2021 befristet ausgeschrieben wurde (unstreitig), obwohl die Ausfallzeit des Mitarbeiters völlig unbekannt gewesen sei. Zudem habe die Beklagte das Stellenangebot unverzüglich löschen müssen, sobald der Mitarbeiter seine Stelle wieder habe antreten können. Aber selbst für den Fall, dass das Stellenangebot tatsächlich die Stelle dieses Mitarbeiters betreffe, wird vom Kläger bestritten, dass es keine Möglichkeit gegeben habe, diesen Mitarbeiter kurzfristig zu ersetzen. Die Einstellungsvoraussetzungen für eine Vertretung seien bei Weitem nicht so hoch wie bei einer Festanstellung. Die Beklagte habe erst mit Schriftsatz vom 09.03.2021 überhaupt bestritten, dass sie den Kläger diskriminiert habe.
Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,
Die Beklagte beantragt,
Die Beklagte hat sich den Ausführungen des Erstgerichts im Urteil angeschlossen und Letzteres verteidigt. Es habe sich sehr wohl um eine anonyme Stellenmarktabfrage bei der Bundesagentur für Arbeit gehandelt. Hintergrund seien Probleme mit dem aktuellen Stelleninhaber, also dem Sachbearbeiter Bauamt, im Sommer 2020 gewesen. Dieser sei ausgefallen. Die Beklagte habe daher wissen wollen, ob sich kurzfristig ein Ersatz für diesen Arbeitnehmer finden ließe. Die Stelle sei aber durchgehend mit dem Sachbearbeiter besetzt gewesen. Dieser habe seinen Dienst zeitnah wieder angetreten. Die Beklagte tritt zweitinstanzlich auch der Höhe der geltend gemachten Entschädigung entgegen. Berechnungsgrundlage sei eine Teilzeitstelle mit 32 Wochenarbeitsstunden. Die Eingruppierung der Stelle erfolge mit der Entgeltgruppe 7. Der Kläger sei der Stufe 1 und nicht - wie von ihm geltend gemacht - der Stufe 3 zuzuordnen. Daraus ergebe sich ein Betrag i.H.v. 2.108,42 EUR brutto pro Monat, was einen Schadensersatzanspruch der Höhe nach von nur 6.325,26 EUR bedingen würde.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 22.08.2022.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte und gemäß den §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete, damit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, denn sie ist unbegründet.
I.
Gründe, die zur Unzulässigkeit der Klage führen könnten, sind nicht erkennbar und nicht geltend gemacht. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das ergibt sich hier bereits aus der vorgenommenen Bezifferung.
II.
Die Klage ist unbegründet, denn die Voraussetzungen einer Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 1, 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind nicht gegeben.
1.
Gemäß § 15 Abs. 1, 2 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.
2.
Zwar ist vorliegend der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet, denn gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG werden auch Bewerber - wie hier der Kläger - geschützt. Die Beklagte ist auch Arbeitgeber i.S.d. § 6 Abs. 2 AGG.
3.
Die Beklagte hat aber nicht gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen.
3.1.
§ 7 Abs. 1 AGG untersagt eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Vorliegend einzig in Betracht kommender und geltend gemachter Grund ist die unstreitig mit einem GdB von 80 vorliegende Schwerbehinderung des Klägers. Auch nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX wiederrum die Regelungen des AGG.
3.2.
Eine Benachteiligung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die Regelungen des § 165 SGB IX verletzt werden.
Diese lauten:
Anspruchsvoraussetzung für eine Einladung ist somit, dass ein freiwerdender und neu zu besetzender oder ein neuer Arbeitsplatz überhaupt vorhanden ist. Dem Kläger kann nicht darin gefolgt werden, dass eine Einladungspflicht unabhängig davon bestehe, ob eine Stelle überhaupt zu besetzen sei. Der Kläger hat hierzu ausführt, "Auslöser für die Einladungspflicht sei allein die Bewerbung und es habe der Beklagten oblegen zu prüfen, ob der schwerbehinderte sich bewerbende Kläger - sollte es tatsächlich kein Ausschreibungsverfahren gegeben haben - nicht auch anderweitig eingesetzt werden kann."Dem Kläger ist hier zwar Recht zu geben, dass Sinn und Zweck (auch) des § 165 SGB IX ist, Menschen mit Schwerbehinderung den Zugang zum Arbeitsleben zu erleichtern. Das führt aber nicht zu einer Einladungspflicht bei Initiativbewerbungen, wenn der öffentliche Arbeitgeber eine entsprechende Stelle gar nicht zur Verfügung hat und also nicht besetzen will. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit mehr als eindeutig und geht dahin, dass eine Einladung nur dann zu erfolgen hat, wenn sich die Bewerbung auf "solche", also freiwerdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze bezieht.
Dem steht nicht entgegen, dass der öffentliche Arbeitgeber nach wohl herrschender und auch von der hiesigen Kammer vertretener Ansicht auch auf Initiativbewerbungen verpflichtet ist, den schwerbehinderten Bewerber einzuladen (Einladungspflicht auch für Bewerbungen ohne Aufforderung: z.B. Dr. Stephan Gutzler in: Hauck/Noftz SGB IX, § 165 Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber, Rn. 5). Eine Initiativbewerbung kann auch vorliegen, wenn ein zu besetzender Arbeitsplatz tatsächlich vorhanden, aber noch nicht ausgeschrieben ist. Ist ein zur Bewerbung grundsätzlich passender Arbeitsplatz vorhanden, ist auch ein sich initiativ bewerbender Schwerbehinderte einzuladen. Gibt es keinen zu besetzenden Arbeitsplatz, liegen die Voraussetzungen der Einladungspflicht nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht vor. Die Ausführungen zum förmlichen Stellenbesetzungsverfahren/Initiativbewerbung im Schriftsatz vom 31.05.2021 (dort Seite 6, Bl. 25 d.EA.) gehen daher an der Sache vorbei. "Initiativbewerbung" bedeutet nichts anderes als "Bewerbung ohne Aufforderung"(nach Wikipedia, Bearbeitungsstand: 31. August 2020: "Eine Initiativbewerbung erfolgt ohne vorherige Angebote oder spezifische Aufforderungen durch Stellenausschreibungen."). Mit der Verwendung dieses Begriffs ist somit keine Aussage darüber getroffen, ob eine Einladungspflicht auch dann besteht, wenn überhaupt keine freie oder freiwerdende bzw. neue Stelle zu besetzen ist. Jedenfalls nach Ansicht der hier zur Entscheidung berufenen Kammer würde es die Anforderungen an die öffentlichen Arbeitgeber überfordern, sollten sie auf jedwede Bewerbung eines Schwerbehinderten zur Einladung verpflichtet sein. Dagegen spricht auch, dass die Einladungspflicht entfällt, wenn der Bewerber offensichtlich ungeeignet für die betreffende Stelle ist. Woran sollte das festgemacht werden, wenn eine Stelle gar nicht existiert?
Der Annahme, dass die Einladungspflicht zwingend an eine zu besetzende Stelle anknüpft, steht weiterhin die von Klägerseite zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 23. August 2012 (Az. 8 AZR 285/11, juris) nicht entgegen. Dort heißt es: "Da die ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegt, ist es irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers kommt."
Begründet wird dies wie folgt: "Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch geeignete Verfahrensgestaltung, etwa das vorläufige Absehen von einer Stellenbesetzung, die Chancen von Bewerbern wegen ihrer Merkmale nach § 1 AGG so zu mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar wird (vgl. BVerfG 21. September 2006 - 1 BvR 308/03 - BVerfGK 9, 218 = AP BGB § 611a Nr. 24 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 4 für geschlechtsbezogene Benachteiligungen).
Der Bewerber hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 =EzA SGB IX § 81 Nr. 15), der unabhängig von dessen Ausgang besteht (vgl. MüKoBGB/Thüsing aaO; MünchKommBGB/Müller-Glöge aaO)."
Im hier zu entscheidenden Sachverhalt liegt der Fall aber anders: es wurde weder später entschieden, die Stelle doch nicht zu besetzen, noch wurde vorläufig von der Besetzung abgesehen. Die Beklagte hat vielmehr geltend gemacht, dass eine zu besetzende Stelle zu keinem Zeitpunkt vorhanden war und die Ausschreibung lediglich als "Versuchsballon" diente. Es bestand somit von vorneherein keine "Chance" im vorgenannten Sinn, weshalb es neben der Einladungspflicht hier dann auch an der Benachteiligung fehlt.
3.3.
Die Kammer muss auch davon ausgehen, dass es keine freie, freiwerdende oder neue Stelle gab, die hätte besetzt werden können und sollen. Für diese den Anspruch begründende Tatbestandsvoraussetzung ist der Kläger als derjenige, der den Anspruch geltend macht, darlegungs- und beweisbelastet. Die Beklagte hat im Rahmen abgestufter Darlegungslast konkret vorgetragen, warum die Stellenausschreibung veranlasst wurde, obwohl aktuell keine Stelle zur Verfügung stand. Der Kläger beschränkt sich auf Bestreiten dieses Vorbringens und wird damit seiner Darlegungslast nicht gerecht.
3.3.1.
Daran, dass der Kläger darlegungspflichtig ist, ändert vorliegend auch § 22 AGG nichts: § 22 AGG dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Bestimmung des Beweismaßes (Däubler/Beck/Thorsten Beck, 5. Aufl. 2022, AGG § 22 Rn. 3). Ob sich die Absenkung des Beweismaßes auf alle Tatbestandsmerkmale der Norm bezieht, ist streitig. Die herrschende Meinung sowie das Bundesarbeitsgericht gehen davon aus, dass die dort geregelte Erleichterung sich lediglich auf die Kausalität bezieht, vgl. BAG, Urt. v. 29.6.2017 - 8 AZR 402/15, NZA 2018, 33, beck-online):
Das Vorliegen einer Benachteiligung selbst soll von den Beweiserleichterungen des § 22 AGG ebenso wenig erfasst werden wie zuvor von § 611a BGB aF (LAG Köln 21.7.2004, LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 4a). Nach allgemeinen Grundsätzen ist vom Anspruchsteller zu beweisen, vergleichsweise schlechter behandelt worden zu sein als andere Personen, die kein Merkmal nach § 1 AGG aufweisen. Die gesetzliche Beweiserleichterung setzt erst ein, um den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Zugehörigkeit zu der geschützten Gruppe und dem Betroffensein von dem Nachteil zu erleichtern ("Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes", vgl. EuGH 27.10.1993, NZA 1994, 797 [LAG Köln 02.03.1994 - 7 Sa 1311/93]; 31.5.1995, BeckRS 2004, 77045; BAG 27.1.2011, NZA 2011, 737 [BAG 27.01.2011 - 8 AZR 580/09]; 19.5.2016, NZA 2016, 1394 [BAG 19.05.2016 - 8 AZR 470/14]; ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, AGG § 22 Rn. 2; BAG, Urteil vom 25. November 2021 - 8 AZR 313/20, Rn. 22 - 28, juris).
3.3.2.
Auf diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wurde der Kläger mit hiesigem Beschluss vom 25.04.2022 hingewiesen.
Seine Stellungnahme hierzu vom 24.06.2022 veranlasst keine andere Bewertung. Der Kläger verkennt bereits den Hinweis des Gerichts. Es geht nicht darum, dass die Beklagte "einfach behaupten" könnte, es habe keine zu besetzende Stelle gegeben. Vielmehr ist nach bereits im Hinweisbeschluss mitgeteilter Ansicht der Vorsitzenden im Rahmen abgestufter Darlegungslast von der Beklagten substantiiert dazu vorzutragen, woraus sich dies - ausnahmsweise - ergeben soll. Dem ist die Beklagte - nunmehr nach Ansicht der Kammer in voller Besetzung - ausreichend nachgekommen. Der Kläger hätte sich diesen Vortrag zu eigen machen können und die von der Beklagten angegebene Zeugin zum Beweis des Gegenteils benennen können. Die Darlegungs- und Beweislast entspricht hier der Sache nach derjenigen bzgl. einer vom Arbeitnehmer behaupteten Arbeitsunfähigkeit (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dort am Ende den Arbeitgeber die Nichterweislichkeit trifft, hier dagegen den Bewerber). Für die Arbeitsunfähigkeit gilt:
So liegt die Sache hier für die Frage, ob eine Stelle überhaupt zu besetzen war. Die Beklagte hat dazu im Rahmen der abgestuften Darlegungslast vorgetragen, dass die Stellenanzeige nur geschaltet wurde, um die Marktlage zu prüfen. Das mag für den potentiellen Bewerber mit Blick auf die Kosten, den Zeitaufwand und die mit einer Bewerbung verbundenen Hoffnungen nicht gerade freundlich gewesen sein, löst für sich genommen aber keine Einladungspflicht aus. Die Beklagte hat den Hintergrund dieser Vorgehensweise ausführlich geschildert und insbesondere nachvollziehbar dargelegt, dass die fragliche Stelle besetzt war und eine andere nicht zur Verfügung gestanden habe. Als Zeugin hierfür wurde Frau M. M. angegeben. Entsprechendes gilt für die Frage, ob es sich bei der Ausschreibung tatsächlich um die Stelle des Mitarbeiters Z. handelte. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, der Stellenplan zum Haushaltsplan 2020 weise im Bauamt nur die Stelle eines Bauamtsleiters aus. Der Stellenplan sei insoweit fest vorgegeben. Zum Beweis hat sie den Stellenplan als Anlage BB 4 auszugsweise vorgelegt. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte nochmals darauf hingewiesen, dass die Stellenbeschreibung, die die Bürgermeisterin der Beklagten am 22.05.2020 an die Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit per E-Mail übermittelte, eindeutig die Stelle betreffe, die Herr Z. zu diesem Zeitpunkt aktuell innegehabt habe und nach wie vor innehabe. Dabei handele es sich um die Stelle eines Sachbearbeiters Liegenschaften/Ordnung und Sicherheit/Straßenwesen, wie sie ebenfalls im vorgelegten Stellenplan enthalten sei. Der Kläger hätte sich dies alles zu eigen machen können und müssen, was er aber auch nach Hinweis durch das Gericht auf die Darlegungs- und Beweislast nicht getan hat.
Dem Kläger ist nicht darin zu folgen, der eben geschilderten Ansicht zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stünde entgegen, dass den öffentlichen Arbeitgeber im Rahmen des § 165 SGB IX die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass er von seiner Einladungspflicht bzgl. des Bewerbers mit Behinderung befreit ist und er andere Bewerber weder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen noch eingestellt hat (vom Kläger insoweit zitiert: BAG, Az.: 8 AZR 279/20). Ihm ist zwar zuzugeben, dass es sich dabei ebenfalls um rein interne Begebenheiten handelt. Bei Beachtung der allgemeinen Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislastverteilung im Zivilprozess durchaus nachvollziehbar liegt hier aber der Unterschied darin, dass das eine (nämlich: freie Stelle überhaupt vorhanden) die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Einladungspflicht betrifft, für die der Bewerber darlegungs- und beweispflichtig ist und das andere (nämlich: Befreiung von der Einladungspflicht) eine anspruchsvernichtende Einwendung, für die der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast trägt. Dies steht auch dem Ziel des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen gerade nicht entgegen. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, besteht dieses Ziel darin, eine bestehende Chance zu wahren, nicht dagegen darin, eine solche überhaupt erst zu schaffen.
III.
Mangels Hauptanspruch hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Zinsen.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, da die Berufung zurückgewiesen wurde.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind weder erkennbar noch vorgebracht. Es liegt insbesondere keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, die Kammer hat vielmehr einen Einzelfall unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entschieden.
Auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.
Verkündet am 22.08.2022