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12.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233209

Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 12.10.2022 – 4 U 673/22

Verspricht der Versicherer Leistungen für den Fall der Berufsunfähigkeit, setzt der Eintritt des Versicherungsfalls auch dann eine dauernde Einschränkung der beruflichen Fähigkeit voraus, wenn dies in den Versicherungsbedingungen nicht ausdrücklich angegeben ist. Ist eine solche Prognose nicht möglich, liegt auch bei einer gravierenden Erkrankung (hier: Brustkrebs) keine Berufsunfähigkeit vor.


Oberlandesgericht Dresden

Beschluss vom 12.10.2022


Tenor:

  1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
  2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
  3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 01.11.2022 wird aufgehoben.
  4. Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert auf 8.621,83 € festzusetzen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Zahlungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie hat durch den Abschluss einer betrieblichen Altersversorgung durch ihren Arbeitgeber Anwartschaften für den Fall einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gegen beide Beklagte erworben.

Die Versicherungsbedingungen (Tarif B) der Beklagten zu 1) enthält unter anderem folgende Regelungen:

§ 15

Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechenden Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.

§ 18

Wird der Antrag auf Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit gestellt, so beginnt die Rente mit dem ersten Tage des Antragsmonats.

§ 20

Der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente endet beim Wegfall der Berufsunfähigkeit des Rentenempfängers mit Ablauf des Monats, in dem er nicht mehr berufsunfähig im Sinne des § 15 der Versicherungsbedingungen ist, spätestens jedoch im Monat der Vollendung des 65. Lebensjahres.

Der Leistungsplan A der Beklagten zu 2) enthält entsprechende gleichlautende Regelungen.

Am 12.12.2017 wurde bei der Klägerin Brustkrebs diagnostiziert. Im Januar fanden zwei Operationen und anschließend eine Strahlentherapie statt. Die Klägerin war vom 13.12.2017 bis 23.09.2018 durchgehend arbeitsunfähig. Der Landkreis stellte am 14.02.2018 einen Grad der Behinderung von 50 % fest. Die Klägerin war bei der ...... AG zuletzt als Kundenberaterin mit einer Arbeitszeit von 35 Wochenstunden beschäftigt. Nach einer Wiedereingliederung ist sie seit dem 24.09.2018 wieder berufstätig. Im Juni 2018 meldete sich die Klägerin bei den Beklagten und beantragte am 11.07.2018 die Zahlung einer Rente. Die Beklagten lehnten ihre Einstandspflicht mit Schreiben vom 22.11.2018 ab, weil die gesundheitlichen Einschränkungen nicht dauerhaft seien.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, auf die Dauerhaftigkeit komme es nicht an, denn dies sei dem Wortlaut der Bedingungen nicht zu entnehmen.

Die Beklagte meint demgegenüber, eine Berufsunfähigkeit setze immer einen auf Dauer angelegten Zustand voraus, was sich schon aus dem Wortlaut von § 172 VVG ergebe. Im Übrigen werde eine Einschränkung von der Klägerin nicht schlüssig behauptet. Es liege schon keine konkrete Tätigkeitsbeschreibung vor. Darüber hinaus habe die Klägerin ihren Antrag erst im Juli 2018 gestellt, weshalb die Ausschlussfrist in § 18 der Versicherungsbedingungen greife.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 03.03.2022 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

II.

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass eine Berufsunfähigkeit der Klägerin nicht vorliegt. Sie hat weder vorgetragen noch Belege dafür vorgelegt, dass das bei ihr am 12.12.2017 diagnostizierte Mammakarzinom die Prognose einer dauernden Einschränkung der Berufsunfähigkeit um mehr als 50 % rechtfertigt. Es handelt sich zwar um eine schwere Erkrankung, bei der jedoch nicht ohne weiteres von einer dauernden Einschränkung der Berufsfähigkeit ausgegangen werden kann. Die Diagnose Krebs führt nicht zwangsläufig zu einer dauerhaften Berufsunfähigkeit.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem Begriff der "Berufsunfähigkeit" das Merkmal der Dauerhaftigkeit immanent, auch wenn es in den Versicherungsbedingungen nicht erwähnt ist.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, sofern sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2022 - IV ZR 144/21 - juris; vgl. Senat, Urteil vom 14.10.2021 - 4 U 914/21 - juris).

Der Wortlaut enthält keinen Hinweis. Aus dem Sinnzusammenhang der Regelung kann ein Versicherungsnehmer aber entnehmen, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht bei jeder Erkrankung, mag sie auch schwer sein und eine gewisse Zeit andauern, eintritt. Schon im normalen Sprachgebrauch wird zwischen den Begriffen "Arbeitsunfähigkeit" und "Berufsunfähigkeit" unterschieden. Während die Arbeitsunfähigkeit einen gesundheitlichen Zustand des Versicherten beschreibt, der nur vorübergehender Art ist und die Wiederaufnahme der Berufsausübung erwarten lässt, ist dies bei einer Berufsunfähigkeit nicht der Fall. Würde man das Merkmal der Dauerhaftigkeit verzichten, so müsste die Berufsunfähigkeitsversicherung auch im Falle von vorübergehenden Erkrankungen, wie z. B. grippalen Infekten oder Frakturen Rentenzahlungen erbringen. Auch einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird bewusst sein, dass diese Art der vorübergehenden Erkrankungen nicht vom Versicherungsumfang umfasst sein sollen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Berufsunfähigkeitsversicherung einen Versorgungscharakter hat und gegen Einkommenseinbußen absichern soll, die mit einer dauernden Beeinträchtigung der Berufsausübung einhergehen. Diese Bedeutung des Wortsinnes findet auch in § 172 Abs. 2 VVG ihren Niederschlag. Nach der gesetzlichen Definition ist berufsunfähig, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Eine Abweichung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu Gunsten des Versicherungsnehmers ist zwar möglich. Allerdings kann auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer aus dem Fehlen einer entsprechenden Formulierung in den Versicherungsbedingungen nicht schließen, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung bei jeder auch nur vorübergehenden Erkrankung einstehen will.

Die in § 15 Abs. 1 definierte Berufsunfähigkeit ist daher dahin auszulegen, dass zum Zeitpunkt des behaupteten Eintritts der Berufsunfähigkeit diese voraussichtlich auf Dauer vorliegen muss, also eine entsprechende Prognose erforderlich ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 08.09.2020 - 6 U 157/18, Rdnr. 8 - juris). Denn die Unfähigkeit wegen der dort genannten körperlichen/geistigen Zustände den Beruf auszuüben, setzt Einschränkungen voraus, die über eine vorübergehende Erkrankung und daraus resultierende zeitweilige Arbeitsunfähigkeit hinausgehen und sich manifestiert haben (KG Berlin, a.a.O.). Auch eine Rentenzahlung kommt aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nur bei Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit zur Berufsausübung in Betracht, weil es sich bei einer Rente um eine auf Dauer angelegte periodische Leistung handelt (so KG Berlin, a.a.O.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch nicht unklar. Ohnehin würde eine Anwendung der Unklarheitenregel zur Anwendung von § 172 VVG führen, der - wie ausgeführt - ebenfalls eine dauerhafte Einschränkung der beruflichen Fähigkeiten voraussetzt.

Die Klägerin sollte eine Berufungsrücknahme in Erwägung ziehen, die zwei Gerichtsgebühren spart.

RechtsgebietVVGVorschriftenVVG § 172 Abs. 2

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