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08.08.2006 · IWW-Abrufnummer 062275

Oberlandesgericht Thüringen: Beschluss vom 10.04.2006 – 1 Ss 77/06


Thüringer Oberlandesgericht Senat für Bußgeldsachen
10.04.2006
1 Ss 77/06

Beschluß

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.

Gründe

Durch Bußgeldbescheid des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes - Zentrale Bußgeldstelle - vom 06.04.2005 wurde gegen den Betroffenen albanischer Nationalität wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 62 km/h eine Geldbuße von 600 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von 3 Monaten Dauer angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen am 09.04.2005 zugestellt. Hiergegen legte der Verteidiger des Betroffenen durch Schriftsatz vom 13.04.2005 Einspruch ein.

Am 13.01.2006 verurteilte das Amtsgericht Jena den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 62 km/h zu einer Geldbuße von 600 EUR und ordnete ein Fahrverbot von 3 Monaten Dauer an, wobei es die Wirksamkeitsregel des § 25 Abs. 2a StVG zur Anwendung brachte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 16.01.2006, die - die Zustellung des Urteils an den Verteidiger erfolgte am 01.02.2006 - mit Schriftsatz vom 01.03.2006 begründet worden ist. Gerügt wird näher ausgeführt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 30.03.2006 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 13.01.2006 nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die erhobene Verfahrensrüge nicht durch.

Der Rüge der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht aus §§ 46 Abs. 1 OwiG, 244 Abs. 2 StPO genügt nicht den inhaltlichen Anforderungen nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OwiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Eine ordentlich ausgeführte Verfahrensrüge erfordert hiernach, dass der Beschwerdeführer in der Rechtsbeschwerderechtfertigung alle den Mangel enthaltenden Tatsachen angibt, so dass allein aufgrund des Beschwerdevorbringens geprüft werden kann, ob der behauptete Verfahrensfehler zutrifft. Dazu muss der Vortrag aus sich heraus verständlich sein.

Entsprechend reicht es nicht aus, auf die Aussagen von Zeugen zu verweisen, ohne deren Inhalt darzulegen, weil allein hierdurch noch nicht deutlich gemacht wird, welche Angaben dieser Zeugen dem Amtsgericht eine Inaugenscheinnahme der betreffenden Straße aufgedrängt haben sollen.

2. Mit der Sachrüge dringt die Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht durch.

a) Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch.

Die Rechtsbeschwerde unterscheidet insoweit nicht genügend zwischen den tatsächlichen Feststellungen und denjenigen, die lediglich die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung betreffen.

b) Aber auch die Beweiswürdigung des Tatgerichts und ihre Darstellung in den schriftlichen Urteilsgründen sind frei von Rechtsfehlern.

Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Rechtsbeschwerdegericht regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Dem Rechtsbeschwerdegericht ist es nur gestattet, eine Entscheidung des Tatrichters im Hinblick auf Rechtsfehler zu überprüfen, insbesondere darauf, ob die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft oder Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist (Senatsbeschluss vom 25.04.2005, Az.: 1 Ss 244/04).

Solche Fehler hat die Überprüfung des angegriffenen Urteils nicht aufgezeigt. Näherer Erörterung bedarf insoweit lediglich die Beweiswürdigung und ihre Darstellung betreffend die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung in Höhe von 62 km/h.

Bei der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren handelt es sich nicht um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Hamm DAR 1998, 75; OLG Köln DAR 1994, 248, 249; a.A. BGH NJW 1993. 3081, 3083). Denn die Verlässlichkeit dieser Art der Geschwindigkeitsmessung hängt entscheidend davon ab, mit welcher Zuverlässigkeit das Abstandsverhalten über längere Zeit mit bloßem Auge beobachtet wird (Köln a.a.O.).

Dies hat zur Folge, dass sich der Tatrichter in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss. Entsprechend müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass er sich der Gefahr der Ungenauigkeit der Messung durch Nachfahren ohne Verwendung weiterer Aufzeichnungsgeräte, die die Geschwindigkeitsermittlung nicht nur erleichtern, sondern auch rekonstruierbar machen, bewusst war und er sich im konkreten Einzelfall von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugt hat (OLG Hamm VRS 102, 302, 304).

Voraussetzung für die Verwertbarkeit einer Messung ist dabei die Einhaltung einer Mindestmessstrecke und eines gleichbleibenden, nicht zu großen Abstandes, die Möglichkeit der Überwachung des gleichbleibenden Abstandes und der Abzug einer fallgruppenabhängigen Toleranz. Feststellungen hierzu müssen daher ebenso getroffen werden, wie anzugeben ist, ob der verwendete Tachometer binnen Jahresfrist justiert oder gar geeicht und mit welchen Geschwindigkeiten gefahren wurde.

Der einzuhaltende Messabstand darf bei abzulesenden Geschwindigkeiten über 90 km/h grundsätzlich maximal 100 m betragen (Krumm NZV 377, 378 ). Geringere Abstände sind zwar vorteilhaft, weil dann noch eher die Möglichkeit besteht, rechtzeitig Änderungen des Abstandes zu bemerken (vgl. BayObLGSt 1994, 135, 139), aber nicht geboten. Dass der Messabstand gleichbleibend höchstens 100 m betrug, hat der Tatrichter entgegen den Ausführungen der Rechtsbeschwerde ausdrücklich festgestellt.

Die erforderliche Mindestmessstrecke beträgt bei abgelesenen Geschwindigkeiten über 90 km/h nicht, wie der Betroffene meint, 900 - 1.000 m, sondern grundsätzlich 500 m (Krumm a.a.O.; Hentschel, StVR, 38. Aufl., § 3 StVO Rn. 62). Abgesehen davon, dass es sich insoweit nur um einen Richtwert handelt, dessen Unterschreitung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unschädlich sein kann, ergibt sich aus dem angegriffenen Urteil gerade die Einhaltung dieser Mindeststrecke.

Die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren kann - wie hier - auch zur Nachtzeit durchgeführt werden. Da zur Nachtzeit aber regelmäßig schlechtere Sichtverhältnisse vorherrschen als bei Tag, hat sich der Tatrichter in aller Regel mit den Bezugspunkten der Abstandsmessung auseinanderzusetzen. Dies erfordert die Mitteilung, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren und ob und warum der (gleich bleibende) Abstand zum vorausfahrenden Pkw des Betroffenen durch den nachfahrenden Polizeibeamten sicher erfasst und geschätzt werden konnte (Burhoff, Hb. f. d. straßenverkehrsr. OWi-Verfahren, Rn. 1276). Das Erfordernis einer Auseinandersetzung mit den Sichtverhältnissen stellt sich dabei nicht nur außerorts, sondern auch innerhalb geschlossener Ortschaften (vgl. BayObLGSt. a.a.O.; OLG Oldenburg DAR 1996, 291 ). Für die Erkennbarkeit können dabei die Scheinwerfer des nachfahrenden Polizeifahrzeugs sorgen, die jedenfalls teilweise für eine gute Ausleuchtung des Abstandstückes, der ggf. dort vorhandenen Schätzungshilfen und auch des vorausfahrenden Fahrzeuges geeignet sind. Auch andere Verkehrsteilnehmer, andere Lichtquellen oder das Betroffenenfahrzeug selbst können für eine Ausleuchtung des Tatortes bzw. der Beobachtungsstrecke sorgen (Krumm NZV 2004, 377, 380). Vorliegend fehlen zwar ausdrückliche tatrichterlicher Feststellungen zu den Sichtverhältnissen. Dies ist aber unschädlich. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann nämlich noch mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, dass die Sichtverhältnisse zur Überzeugung des Tatrichters zur Tatzeit ausreichten, um den nachfahrenden Polizeibeamten die Überwachung des (gleich bleibenden) Abstands zu ermöglichen. Es handelte sich nämlich um das einzige Fahrzeug auf der Strecke, so dass eine Ablenkung oder Blendung durch Gegenverkehr ausgeschlossen war. Zudem betrug der Abstand lediglich 100 m und es handelte sich bei der befahrenen Straße um eine innerstädtische Straße von entsprechender Verkehrsbedeutung, was sich schon daraus ergibt, dass die Ampelschaltung auch um 0.30 Uhr noch aktiviert war. Bei einer solchen Straße erfolgt die Ausleuchtung nicht nur durch das (begrenzte) Scheinwerferlicht des Polizeifahrzeugs. Vielmehr herrscht dort üblicherweise eine gewisse Grundhelligkeit im Straßenbereich vor, die hauptsächlich, aber nicht nur von den Straßenlaternen neben oder über dem Straßenkörper herrührt. Schließlich verfügte das Fahrzeug des Betroffenen, ein VW Touareg, über eine markant konturierte Karosserie und starke Rücklichter, die unabhängig von der Lackierung Schätzungen a priori erheblich erleichtern.

Einer Beschreibung des Streckenverlaufs bedurfte es von vorneherein nicht. Das Fehlen entsprechender tatrichterlicher Feststellungen ist daher ohne Bedeutung.

Ebenfalls war eine Auseinandersetzung des Tatrichters mit den individuellen Fähigkeiten der beobachtenden Polizeibeamten nicht erforderlich. Insbesondere bedurfte es keiner Feststellungen zu Schulungsteilnahmen und bisheriger Erfahrung der Beamten, aus denen auf die Fähigkeit zur zuverlässigen Schätzung gleich bleibender Abstände im fließenden Straßenverkehr geschlossen werden kann (a.A. Krumm NZV 2004, 377, 378 unter Hinweis auf BayObLG NZV 1997, 322 , 323; allerdings betrifft diese Entscheidung einen Fall des Vorausfahrens). Denn bei einem Polizeibeamten im Streifendienst kann in Ermangelung abweichender Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass er in der Lage ist, solche Geschwindigkeitsmessungen durchzuführen.

Der Toleranzabzug dient zum Ausgleich von möglichen Fehlerquellen bei der Messung durch Nachfahren. Die Bestimmung des Sicherheitsabschlags ist dabei keine Rechts-, sondern eine Tatfrage, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Wenn der Tatrichter vorliegend 20 % des Ablesewertes angesetzt hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. OLG Celle NZV 2004, 419, 420; OLG Zweibrücken VRS 102, 392; OLG Naumburg NZV 1998, 39).

c) Auch der Ausspruch über die Rechtsfolgen hält rechtlicher Überprüfung stand.

Die Verdoppelung der Regelgeldbuße (Nr. 11.3.9 des Bußgeldkatalogs) ist frei von Rechtsfehlern. Die Regelsätze der BKatV haben Rechtssatzqualität und sind deshalb für die Gericht verbindlich. Sind weder hinsichtlich der Tatausführung noch in der Person des Täters Besonderheiten gegeben, so darf von dem in der BKatV vorgesehenen Betrag daher nicht abgewichen werden. Gem. § 1 Abs. 2 BKatV sind die im Bußgeldkatalog bestimmten Beträge indes Regelsätze, die von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgehen. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene aber vorsätzlich gehandelt. Allein schon aus diesem Grund ist nicht zu beanstanden, dass der Tatrichter vorliegend eine Geldbuße von 600,00 ? festgesetzt hat.

Die vom Tatrichter festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung indiziert das Vorliegen einer groben Pflichtwidrigkeit, die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbotes nach sich zieht. Vom Regelfahrverbot kann erst beim Vorliegen erheblicher Härten oder einer Vielzahl für sich genommener gewöhnlicher oder durchschnittlicher Umstände abgesehen und dafür die Geldbuße erhöht werden (BGH NZV 1992, 117, 119). Einen solchen Ausnahmefall hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei verneint.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

RechtsgebieteOWiG, StPOVorschriften§ 46 Abs. 1 OwiG § 244 Abs. 2 StPO § 79 Abs. 3 S. 1 OwiG § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

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