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04.01.2022 · IWW-Abrufnummer 226708

Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 23.03.2021 – C-28/20

Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

23. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‒ Luftverkehr ‒ Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ‒ Art. 5 Abs. 3 ‒ Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen ‒ Befreiung von der Ausgleichspflicht ‒ Begriff ‚außergewöhnliche Umstände‘ ‒ Unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen organisierter Pilotenstreik ‒ ‚Interne‘ und ‚externe‘ Umstände im Hinblick auf die Tätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens ‒ Art. 16, 17 und 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ‒ Kein Eingriff in die unternehmerische Freiheit, das Recht auf Eigentum und das Recht des Luftfahrtunternehmens auf Kollektivverhandlungen“

In der Rechtssache C‑28/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Attunda tingsrätt (Bezirksgericht Attunda, Schweden) mit Entscheidung vom 16. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2020, in dem Verfahren

Airhelp Ltd

gegen

Scandinavian Airlines System Denmark ‒ Norway ‒ Sweden,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, A. Kumin und N. Wahl, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan, D. Šváby (Berichterstatter), I. Jarukaitis, N. Jääskinen und J. Passer,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‒        der Airhelp Ltd, vertreten durch M. Bexelius, E. Arbrandt und S. Nilsson, advokater,

‒        der Scandinavian Airlines System Denmark ‒ Norway ‒ Sweden, vertreten durch F. Sjövall und J. Fermbäck, advokater,

‒        der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren, M. Jespersen und M. S. Wolff als Bevollmächtigte,

‒        der deutschen Regierung, vertreten durch U. Kühne, M. Hellmann und J. Möller als Bevollmächtigte,

‒        der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,

‒        der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier und A. Ferrand als Bevollmächtigte,

‒        der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Simonsson, N. Yerrell und E. Ljung Rasmussen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. März 2021,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Airhelp Ltd und der Scandinavian Airlines System Denmark ‒ Norway ‒ Sweden (im Folgenden: SAS) wegen deren Weigerung, an S., der seine Rechte an Airhelp abgetreten hat, wegen der Annullierung seines Fluges Ausgleichszahlungen zu leisten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 1, 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

„(1)      Die Maßnahmen der [Union] im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.



(14)      Wie nach dem Übereinkommen [zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, geschlossen am 28. Mai 1999 in Montreal und genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38)] sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.

(15)      Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“

4        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck



b)      ‚ausführendes Luftfahrtunternehmen‘ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen ‒ juristischen oder natürlichen ‒ Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt;



l)      ‚Annullierung‘ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.“

5        In Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung heißt es:

„(1)      Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen



c)      vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i)      sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii)      sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii)      sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.



(3)      Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

…“

6        Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor:

„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a)      250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

b)      400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

c)      600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

…“

 Schwedisches Recht

7        § 45 des Lag (1976:580) om medbestämmande i arbetslivet (Gesetz [1976:580] über die Mitbestimmung im Arbeitsleben bestimmt u. a.:

„Beabsichtigen eine Arbeitgeberorganisation, ein Arbeitgeber oder eine Arbeitnehmerorganisation, eine Arbeitskampfmaßnahme zu ergreifen oder eine laufende Arbeitskampfmaßnahme auszuweiten, müssen sie dies der Gegenpartei und dem Medlingsinstitut (staatliche Schlichtungsstelle) mindestens sieben Arbeitstage im Voraus ankündigen. Als ‚Arbeitstag‘ zählt jeder Tag, ausgenommen Samstag, Sonntag, andere allgemeine Feiertage, Mittsommerabend, Heiligabend und Silvester. Die Frist wird ab dem Zeitpunkt des Tages berechnet, zu dem die betreffende Arbeitskampfmaßnahme eingeleitet werden soll.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8        S. hatte einen Inlandsflug von Malmö nach Stockholm (Schweden) gebucht. Dieser Flug hätte von SAS am 29. April 2019 durchgeführt werden sollen, wurde aber wegen eines Pilotenstreiks in Dänemark, Schweden und Norwegen (im Folgenden: der Streik) am selben Tag annulliert.

9        Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die Arbeitnehmerorganisationen, die die SAS-Piloten in Dänemark, Schweden und Norwegen vertreten (im Folgenden: Pilotengewerkschaften), im Sommer 2018 beschlossen hatten, den mit SAS geschlossenen Tarifvertrag zu kündigen, der normalerweise für den Zeitraum 2017 bis 2020 gelten sollte. Die Verhandlungen über den Abschluss eines neuen Tarifvertrags begannen im März 2019.

10      Da die Pilotengewerkschaften diese Verhandlungen für gescheitert oder zumindest deren Fortschritt für ungenügend hielten, riefen sie ihre Mitglieder zum Streik auf. Der Streik begann am 26. April 2019 und dauerte bis zum 2. Mai 2019. Während des siebentägigen Streiks musste SAS mehr als 4 000 Flüge annullieren. Vom Streik waren dadurch etwa 380 000 Fluggäste betroffen, darunter auch S., der seine möglicherweise gegenüber SAS wegen der Annullierung des Flugs bestehenden Rechte auf eine Ausgleichszahlung an Airhelp abtrat.

11      Am 2. Mai 2019 wurde ein neuer Tarifvertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren geschlossen, der somit bis zum Jahr 2022 gelten soll.

12      Airhelp erhob beim vorlegenden Gericht, dem Attunda tingsrätt (Bezirksgericht Attunda, Schweden), Klage und beantragte, SAS nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung zu einer Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro zuzüglich Verzugszinsen ab dem 10. September 2019 bis zur Zahlung dieses Betrags zu verurteilen.

13      SAS hält sich nicht für verpflichtet, die geforderte Ausgleichszahlung zu leisten, da es sich bei dem Streik um einen außergewöhnlichen Umstand gehandelt habe, der angesichts der überzogenen Gehaltserhöhungsforderungen der Pilotengewerkschaften auch dann nicht hätte vermieden werden können, wenn sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte.

14      SAS trägt vor, der Streik stelle einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar, da er nicht Teil der normalen Ausübung ihrer Tätigkeit und von ihr nicht tatsächlich beherrschbar sei. Ein Streikaufruf von vier Gewerkschaften gleichzeitig falle nicht unter die normale Ausübung der Tätigkeit von SAS, die darin bestehe, Luftverkehrsdienstleistungen zu erbringen. Außerdem seien Streiks auf dem schwedischen Arbeitsmarkt sehr selten und der Streik, der im Prinzip sämtliche Piloten von SAS betroffen habe, sei einer der größten gewesen, den die Luftverkehrsbranche je zu verzeichnen gehabt habe. SAS sei es daher nicht möglich gewesen, ihre Tätigkeiten neu zu organisieren, um dadurch die vorgesehenen Flüge gewährleisten zu können. Im Übrigen habe SAS, da der Streik rechtmäßig gewesen sei, von den Arbeitnehmern nicht die Wiederaufnahme ihrer Arbeit verlangen können.

15      Überdies könne die Antwort des Gerichtshofs im Urteil vom 17. April 2018, Krüsemann u. a. (C‑195/17, C‑197/17 bis C‑203/17, C‑226/17, C‑228/17, C‑254/17, C‑274/17, C‑275/17, C‑278/17 bis C‑286/17 und C‑290/17 bis C‑292/17, im Folgenden: Urteil Krüsemann, EU:C:2018:258), wonach ein wilder Streik zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens gehöre, nicht auf das Ausgangsverfahren übertragen werden. Der Streik gehe nicht auf eine von SAS getroffene Maßnahme zurück und sei auch keine spontane Reaktion der Beschäftigten von SAS auf eine von dieser ergriffene normale Geschäftsführungsmaßnahme gewesen.

16      Schließlich habe SAS, da ein Streik nach schwedischem Recht erst eine Woche vor seinem Beginn angekündigt werden müsse, jedenfalls die Ausgleichspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 nicht abwenden können.

17      Nach Auffassung von Airhelp stellt der Streik keinen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung dar. Der Abschluss von Tarifverträgen falle unter die gewöhnliche Geschäftstätigkeit einer Fluggesellschaft und dabei könne es zu Tarifkonflikten kommen. Außerdem hätten die Parteien während der Verhandlungen über den Abschluss eines solchen Vertrags die Möglichkeit, Arbeitskampfmaßnahmen wie Streik oder Aussperrung zu ergreifen. Jedenfalls sei dieser Tarifkonflikt angesichts der Entwicklung der Pilotengehälter bei SAS in den Vorjahren für die Fluggesellschaft vorhersehbar gewesen.

18      Das vorlegende Gericht möchte daher wissen, ob der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 einen Streik umfasst, der von Arbeitnehmerorganisationen nach erfolgter Vorankündigung rechtmäßig beschlossen und eingeleitet wurde.

19      Vor diesem Hintergrund hat das Attunda tingsrätt (Bezirksgericht Attunda) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Stellt ein Streik von Piloten, die bei einem Luftverkehrsunternehmen angestellt sind und für die Durchführung eines Fluges benötigt werden, einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar, wenn der Streik nicht aus Anlass einer Maßnahme stattfindet, die von dem Luftverkehrsunternehmen beschlossen oder mitgeteilt wurde, sondern von Arbeitnehmerorganisationen als Arbeitskampfmaßnahme angekündigt und rechtmäßig in der Absicht eingeleitet wurde, das Luftverkehrsunternehmen zu zwingen, Gehälter zu erhöhen, Vorteile zu gewähren oder Beschäftigungsbedingungen zu ändern, um den Forderungen der Arbeitnehmerorganisation nachzukommen?

2.      Welche Bedeutung ist gegebenenfalls der Angemessenheit der Forderungen der Arbeitnehmerorganisationen beizumessen, insbesondere dem Umstand, dass die geforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen deutlich über den Lohn- und Gehaltserhöhungen liegen, die auf den maßgeblichen nationalen Arbeitsmärkten allgemein gewährt werden?

3.      Welche Bedeutung ist gegebenenfalls dem Umstand beizumessen, dass das Luftverkehrsunternehmen zur Vermeidung eines Streiks einem Schlichtungsvorschlag einer staatlichen Schlichtungsstelle für Tarifstreitigkeiten zustimmt, während die Arbeitnehmerorganisationen dies nicht tun?

 Zu den Vorlagefragen

20      Mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass es sich bei durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleiteten Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts ‒ insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist ‒ beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift handelt.

21      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 für den Fall der Annullierung eines Fluges vorsieht, dass den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung eingeräumt wird, es sei denn, sie wurden über diese Annullierung innerhalb den in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziffern i) bis iii) vorgesehenen Fristen unterrichtet.

22      Nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 14 und 15 dieser Verordnung ist das ausführende Luftfahrtunternehmen von dieser Verpflichtung befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Zudem muss das ausführende Luftfahrtunternehmen bei Eintritt eines solchen Umstands nachweisen, dass es die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser zur Annullierung des betreffenden Fluges führt. Jedoch können von ihm keine angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbaren Opfer verlangt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéros Portugueses, C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs werden als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 Vorkommnisse angesehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 23, vom 17. September 2015, van der Lans, C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 36, vom 17. April 2018, Krüsemann, Rn. 32 und 34, sowie vom 11. Juni 2020, Transportes Aéros Portugueses, C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 37).

24      Allerdings ist angesichts des Ziels der Verordnung, das nach ihrem ersten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, und der Tatsache, dass Art. 5 Abs. 3 eine Ausnahme von dem Grundsatz vorsieht, wonach Fluggäste im Fall der Annullierung ihres Fluges Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben, der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Vorschrift eng auszulegen (Urteil vom 17. April 2018, Krüsemann, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Vor diesem Hintergrund ist zu beurteilen, ob es sich bei durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleiteten Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts ‒ insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist ‒ beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in seiner Auslegung durch die in Rn. 23 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs handeln kann.

26      Zunächst ist zu bestimmen, ob es sich bei einem Streik, der die in der vorstehenden Randnummer genannten Merkmale aufweist, seiner Natur oder Ursache nach um ein Vorkommnis handeln kann, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist.

27      Insoweit ist festzustellen, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts ein in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankertes Grundrecht ist, das nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschützt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2007, International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union, C‑438/05, EU:C:2007:772, Rn. 44).

28      Zwar ist ein Streik eine Konfliktphase in den Beziehungen zwischen den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber, dessen Tätigkeit gelähmt werden soll, aber er bleibt gleichwohl eine der möglichen Erscheinungsformern von Kollektivverhandlungen und ist damit als ein Vorkommnis anzusehen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Arbeitgebers ist, unabhängig von den Besonderheiten des entsprechenden Arbeitsmarktes oder des anwendbaren nationalen Rechts zur Umsetzung dieses Grundrechts.

29      Diese Auslegung muss auch gelten, wenn der Arbeitgeber ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist. Der Gerichtshof hat in den Rn. 40 bis 42 des Urteils vom 17. April 2018, Krüsemann, entschieden, es sei nicht ungewöhnlich, dass Luftfahrtunternehmen sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil von ihnen gegenübersehen können. Wie bei den in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, in Rede stehenden Maßnahmen zur Umstrukturierung oder Neuorganisation und den sich daraus möglicherweise ergebenden Tarifkonflikten fallen auch Maßnahmen in Bezug auf die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen der Mitarbeiter eines ausführenden Luftfahrtunternehmens unter die normale Geschäftsführung dieses Unternehmens.

30      Somit handelt es sich bei einem Streik, dessen Ziel sich darauf beschränkt, gegenüber Luftfahrtunternehmen eine Gehaltserhöhung für die Piloten, eine Änderung ihrer Arbeitszeiten sowie eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeit durchzusetzen, um ein Vorkommnis, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Unternehmens ist, insbesondere, wenn ein solcher Streik unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen organisiert wird.

31      Sodann ist zu beurteilen, ob ein Streik, der die in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten Merkmale aufweist, als ein Vorkommnis anzusehen ist, das vom betreffenden Luftfahrtunternehmen in keiner Weise tatsächlich beherrschbar ist.

32      Insoweit ist erstens, da es sich beim Streik um ein für die Arbeitnehmer durch Art. 28 der Charta verbürgtes Recht handelt, die Tatsache, dass die Arbeitnehmer sich auf dieses Recht berufen und folglich Streikmaßnahmen auslösen, als für jeden Arbeitgeber vorhersehbare Tatsache anzusehen ‒ insbesondere, wenn ein solcher Streik angekündigt wurde.

33      Der Gerichtshof hat zudem bereits festgestellt, dass ein rechtmäßig angekündigter Streik, der sich nach den abgegebenen Erklärungen auch auf Bereiche erstrecken konnte, die die Tätigkeit eines zunächst nicht vom Streik betroffenen Unternehmens berühren würden, kein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis darstellt (Urteil vom 7. Mai 1991, Organisationen Danske Slagterier, C‑338/89, EU:C:1991:192, Rn. 18).

34      Im Ausgangsverfahren scheint die Vorhersehbarkeit des Streiks bestätigt, da aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass die Pilotengewerkschaften schon im Sommer 2018 den Tarifvertrag, der von 2017 bis 2020 gelten sollte, gekündigt hatten, sodass SAS nicht entgangen sein konnte, dass die Piloten beabsichtigten, Forderungen zu stellen. Im Übrigen ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten nicht, dass der Streik, um den es im Ausgangsverfahren geht, ohne die Einhaltung der für dessen Ankündigung gesetzlich vorgesehenen Frist begonnen hätte.

35      Zweitens verfügt der Arbeitgeber, da für ihn der Ausbruch eines Streiks ein vorhersehbares Ereignis darstellt, grundsätzlich über die Mittel, sich darauf vorzubereiten und damit dessen Folgen gegebenenfalls abzufangen, so dass die Ereignisse für ihn zu einem gewissen Grad beherrschbar bleiben.

36      Wie aus Rn. 24 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist ‒ da der Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 eng ausgelegt werden muss ‒ anzunehmen, dass die Wahl des Ausdrucks „außerordentlich“ den Willen des Unionsgesetzgebers belegt, in den Begriff „außerordentliche Umstände“ nur die Umstände einzubeziehen, die für das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht kontrollierbar sind. Wie jeder Arbeitgeber kann auch das ausführende Luftfahrtunternehmen, dessen Beschäftigte zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen und einer höheren Bezahlung streiken, nicht behaupten, es habe keinerlei Einfluss auf diese Maßnahmen.

37      Um die praktische Wirksamkeit der in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 verankerten Ausgleichsverpflichtung zu gewährleisten, kann daher ein Streik der Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung angesehen werden, wenn dieser Streik mit Forderungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen zwischen dem Unternehmen und seinen Beschäftigten verbunden ist, die im Rahmen des betriebsinternen sozialen Dialogs verhandelt werden können. Genau dies ist bei Gehaltsverhandlungen der Fall.

38      Diese Feststellung kann im Übrigen weder dadurch in Frage gestellt werden, dass die Forderungen der Streikenden möglicherweise unangemessen oder unverhältnismäßig sind, noch dadurch, dass ein Schlichtungsvorschlag abgelehnt wird, da die Bestimmung des Lohn- und Gehaltsniveaus jedenfalls in den Bereich der Arbeitsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern fällt.

39      Drittens ergibt sich aus der Rechtsprechung zum Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004, dass Vorkommnisse mit im Hinblick auf das ausführende Luftfahrtunternehmen „interner“ Ursache von solchen mit „externer“ Ursache zu unterscheiden sind.

40      Unter diesen Begriff fallen als solche „externen“ Ereignisse etwa die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2017, Pešková und Peška, C‑315/15, EU:C:2017:342, Rn. 26), die Beschädigung des Reifens eines Flugzeugs durch einen Fremdkörper, wie einen umherliegenden Gegenstand auf dem Rollfeld eines Flughafens (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 34), Vorhandensein von Treibstoff auf einer Flughafenrollbahn, das zu deren Schließung geführt hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2019, Moens, C‑159/18, EU:C:2019:535, Rn. 29), eine Kollision zwischen dem Höhenruder eines Flugzeugs in Parkposition und dem Winglet eines Flugzeugs einer anderen Fluggesellschaft, die durch die Bewegung des zweiten Flugzeugs verursacht wurde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Januar 2021, Airhelp, C‑264/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:26, Rn. 26), aber genauso ein versteckter Fabrikationsfehler oder auch Sabotageakte oder terroristische Handlungen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 26, und vom 17. September 2015, van der Lans, C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 38).

41      Allen diesen Ereignissen ist gemein, dass sie auf die Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und auf äußere Umstände zurückzuführen sind, die in der Praxis mehr oder weniger häufig vorkommen, aber vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen.

42      Wenn der Unionsgesetzgeber also im 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 angibt, dass außergewöhnliche Umstände insbesondere bei den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten können, so wollte er damit auf die außerhalb der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens liegenden Streiks Bezug nehmen. Folglich können „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung insbesondere bei Streikmaßnahmen der Fluglotsen oder des Flughafenpersonals vorliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2012, Finnair, C‑22/11, EU:C:2012:604).

43      Bei solchen Streikmaßnahmen, die im Übrigen nicht Teil der Ausübung der Tätigkeit dieses Unternehmens und daher von diesem nicht tatsächlich beherrschbar sind, handelt es sich um „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004.

44      Dagegen handelt es sich bei einem von den eigenen Beschäftigten des betroffenen Luftfahrtunternehmens ausgelösten und befolgten Streik um ein „internes“ Ereignis dieses Unternehmens; dies schließt auch einen durch den Streikaufruf von Gewerkschaften ausgelösten Streik ein, da diese im Interesse der Arbeitnehmer dieses Unternehmens auftreten.

45      Liegen einem solchen Streik jedoch Forderungen zugrunde, die nur von staatlichen Stellen erfüllt werden können und die daher für das betroffene Luftfahrtunternehmen nicht tatsächlich beherrschbar sind, so kann es sich dabei um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung handeln.

46      Viertens verletzt die Annahme, dass ein Streik, der unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen und wie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils beschrieben organisiert wird, nicht unter den Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 fällt, nicht die Grundrechte des betroffenen Luftfahrtunternehmens.

47      Denn das Vorliegen von Streikmaßnahmen und die Gefahr, dass die Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 an die Fluggäste zu zahlen ist, deren Flug annulliert wurde, kann nicht als eine Beeinträchtigung des Wesensgehalts des in Art. 28 der Charta verankerten Rechts des Arbeitgebers auf Kollektivverhandlungen angesehen werden.

48      Insoweit genügt die Feststellung, dass der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen aufgrund eines unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen organsierten Streiks seiner Beschäftigten der Gefahr ausgesetzt ist, eine solche Ausgleichsleistung zahlen zu müssen, dieses Unternehmen nicht dazu zwingt, ohne Weiteres allen Forderungen der Streikenden zuzustimmen. Das Luftfahrtunternehmen ist weiterhin in der Lage, die betrieblichen Interessen so zu vertreten, dass ein alle Sozialpartner zufriedenstellender Kompromiss erreicht werden kann. Somit kann nicht angenommen werden, dass dem Luftfahrtunternehmen seine unionsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit genommen wird und es sich im Arbeitskampf von vornherein in der Rolle des Unterlegenen befindet.

49      In Bezug auf die von SAS geltend gemachte Verletzung sowohl ihrer unternehmerischen Freiheit als auch ihres Eigentumsrechts, die durch die Art. 16 und 17 der Charta garantiert sind, ist darauf hinzuweisen, dass die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht nicht absolut gewährleistet werden und in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens mit Art. 38 der Charta in Einklang gebracht werden müssen, der wie Art. 169 AEUV darauf abzielt, dass in der Politik der Union ein hohes Niveau des Schutzes der Verbraucher, zu denen die Fluggäste gehören, gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh, C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 60, 62 und 63).

50      Die Bedeutung, die dem Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste zukommt, kann aber negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh, C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Nach alledem ist festzustellen, dass die dem ausführenden Luftfahrtunternehmen durch die Art. 16, 17 und 28 der Charta garantierten Grundrechte nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass ein unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen organisierter Streik, der die in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten Merkmale aufweist, nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 eingestuft wird.

52      Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts ‒ insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist ‒ beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, nicht unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift fallen.

 Kosten

53      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts ‒ insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist ‒ beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, nicht unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift fallen.

Unterschriften

*      Verfahrenssprache: Schwedisch.

VorschriftenArt. 5 Abs. 3 Verordnung Nr. 261/2004; Fluggastrechte

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