03.08.2006 · IWW-Abrufnummer 062229
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 05.05.2003 – 1 W 9/03
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
1 W 9/03
2 O 7/02 Landgericht Lüneburg
B e s c h l u s s
In der Beschwerdesache
1. der TKK H. - Krankenkasse -, vertreten durch den Vorstand Professor Dr. N. K. (Vorsitzender) und H.-D. K., B. S. 140, H.,
2. der TTK H. - Pflegekasse -, vertreten durch den Vorstand Professor Dr. N. K. (Vorsitzender) und H.-D. K., daselbst,
Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen,
Verfahrensbevollmächtigte zu 1, 2:
Rechtsanwälte Dr. B., B. v. W., W., Dr. S., Dr. B., P., S., Dr. V. und B., H. S. 57, C.,
gegen
1. die Ärztin für Frauenheilkunde C. S.-G., H. d. B. M. 13 A, L.,
2. die Stadt L., vertreten durch den Oberbürgermeister, als Trägerin des Städtischen Klinikums L., A. O., L.,
3. den Arzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und Oberarzt Dr. med. B., Städtisches Klinikum L., B. 1, L.,
4. die Hebamme L. H., daselbst,
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte zu 1:
Rechtsanwälte Z., Dr. N., N. und V., B. d. St.-L.-K. 8, L.,
Prozessbevollmächtigte zu 2, 3, 4:
Rechtsanwälte Dr. D., R., Dr. M., C., M. und S., A. d. B. 1 A, L.,
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Klägerinnen vom 20. März 2003 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 20. Februar 2003 in der Sitzung vom 5. Mai 2003 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. L. ist begründet.
Beschwerdewert: bis 35.000,00 ?.
Gründe:
Die (zulässige) sofortige Beschwerde hat Erfolg, weil Umstände vorliegen, die geeignet sind, bei den Klägerinnen Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (§§ 406 Abs. 1 Satz 1; 42 Abs. 1 und 2 ZPO).
Insbesondere aufgrund der Stellungnahme des Sachverständigen zu dem Ablehnungsgesuch liegen Umstände vor, die ? darauf kommt es allein an ? auch in einer vernünftig, nüchtern denkenden Partei die Befürchtung rechtfertigen können, der Sachverständige lege sich einseitig fest, er glaube den Angaben der Beklagten mehr als denen der Klägerinnen.
Im Einzelnen:
Der Sachverständige hat zwar mit Recht in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass im Geburtsprotokoll eine Aufklärung über eine erschwerte Schulterentwicklung, eine Schulterdystokie und eine Plexusläsion als Risiken der angestrebten (Spontan-) Geburt per viam naturalem dokumentiert ist und dass diese Tatsache auch in sein Gutachten ?einfließen? müsse. Er hat jedoch weitergehend eine solche Aufklärung als bereits feststehend ? weil dokumentiert ? angesehen (Seite 23 und 33 des Gutachtens), obwohl dies sehr streitig war.
Auf Seite 5 seines ergänzenden Gutachtens/ seiner Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch heißt es dann:
?Im Gutachten ist die Dokumentation eines durchgeführten Gespräches mit der Patientin über das weitere Vorgehen bei der Geburt und möglicher Probleme als Beleg dafür akzeptiert worden, dass dieses Gespräch auch stattgefunden hat. Völlig abwegig würde ich es ansehen, derartige Eintragungen als unwahr oder Fälschungen zu diskutieren. Dieses halte ich für eine äußerst fragwürdige Argumentation bzw. gefährliche Unterstellung.?
Insbesondere aus diesem Absatz und dem folgenden, in dem der Sachverständige das Bestreiten der Klägerinnen mit Verständigungsschwierigkeiten bzw. ?Verarbeitungsschwierigkeiten? der Patientin zu erklären versucht, dürfen die Klägerinnen mit Recht entnehmen, der Sachverständige sei nicht mehr ?ergebnisoffen?, sondern halte die umstrittene Risikoaufklärung für unumstößlich tatsächlich geschehen. Es kommt dabei nicht darauf an, welche Bedeutung die Festlegung des Sachverständigen für den Ausgang des Rechtsstreits hätte haben können. Im Ablehnungsverfahren ist allein entscheidend, ob die Klägerinnen die berechtigte Befürchtung hegen dürfen, der Sachverständige lege sich vorzeitig fest und nehme eine Beweiswürdigung vor, die ihm nicht zusteht.
Diese Befürchtung ist weiter auch dadurch gerechtfertigt, dass der Sachverständige den Aufnahmezeitpunkt der Patientin in das Krankenhaus in seinem Gutachten trotz der von ihm geltend gemachten Dynamik des Geschehensablaufs nicht diskutiert hat, obwohl dieser recht unterschiedlich angegeben wird:
Deckblatt Krankengeschichte: 12:20 Uhr
Geburtenbogen: 10:50 Uhr
Darauf ist der Sachverständige auch auf Seite 4 seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Januar 2003 nicht ausreichend eingegangen.