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09.06.2021 · IWW-Abrufnummer 222835

Kammergericht Berlin: Beschluss vom 22.02.2021 – 2 U 13/18

Der Handelsvertreterausgleich ist nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB ausgeschlossen, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis kündigt und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorliegt. Ob der Unternehmer dabei auch die formalen Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung einhält (hier: Wahrung angemessener Überlegungszeit), ist für den Handelsvertreterausgleich jedenfalls dann unerheblich, wenn die Beendigung des Vertragsverhältnisses außer Streit ist (zu 2.e).


Kammergericht Berlin

Beschluss vom 22.02.2021


In dem Rechtsstreit
###, ###
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
H. Rechtsanwälte, ### Berlin
gegen
Y. GmbH & Co. KG,
vertreten durch die persönlich haftende Gesellschafterin Y. GmbH,
diese vertreten durch die Geschäftsführer ###,
### Berlin
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
L. Rechtsanwälte, ### Berlin

erteilt das Kammergericht - 2. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. xxx, die Richterin am Kammergericht Dr. xxx und den Richter am Kammergericht Dr. xxx am 22.02.2021 folgenden Hinweis:

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Anerkenntnisteil- und Teilurteil des Landgerichts Berlin vom 19.01.2018, Az. 94 O 89/16, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16. März 2018 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO auf seine Kosten bei einem Streitwert von 149.593,11 EUR zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

Gründe

I.

Die nach § 511 Abs. 1 ZPO statthafte Berufung ist gemäß den §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und schriftsätzlich begründet worden. Der Senat hat die Berufungsbegründung zur Kenntnis genommen und die gegen die landgerichtliche Entscheidung angeführten Argumente beraten. Im Ergebnis dieser Beratung beabsichtigt der Senat, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Berufung kann nach § 513 Abs. 1 ZPO ausschließlich darauf gestützt werden, dass das angegriffene Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht oder die nach § 529 ZPO durch das Berufungsgericht zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung als die erstinstanzlich getroffene rechtfertigen. Unter Anwendung dieses Maßstabs hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.

Eine Änderung des landgerichtlichen Urteils im Sinne der Berufung kommt nicht in Betracht. Der Kläger kann von der Beklagten den in der Berufungsinstanz allein noch verfahrensgegenständlichen Handelsvertreterausgleich gemäß § 89b Abs. 1 HGB nicht verlangen. Zwar ist der Handelsvertretervertrag vorliegend beendet worden (dazu 1.). Der Ausgleichsanspruch ist jedoch entfallen, weil die Beklagte das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für diese Kündigung ein wichtiger Grund wegen eines schuldhaften Verhaltens des Klägers vorlag (dazu 2.). Jedenfalls ist der Anspruch entfallen, weil der Kläger das Vertragsverhältnis selbst gekündigt hat, ohne dass ein Verhalten der Beklagten hierzu begründeten Anlass gegeben hätte (dazu 3.). Das Urteil beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO, dazu 4.). Angesichts dessen ist die Sache auch nicht unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an eine andere Kammer für Handelssachen des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen (dazu 5.).

1. Der Kläger war als Handelsvertreter für die Rechtsvorgängerin der Beklagten und dann für die Beklagte (fortan einheitlich: die Beklagte) tätig. Dieses Handelsvertreterverhältnis ist beendet worden. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der zwischen ihnen bestehende Handelsvertretervertrag nicht fortgeführt werden soll. Dabei kann zunächst dahinstehen, inwieweit die von dem Kläger ausgesprochene, außerordentliche Kündigung wirksam ist, was die Beklagte in Zweifel zieht. Die Gründe, die zur Beendigung des Vertragsverhältnisses geführt haben, spielen an dieser Stelle keine Rolle (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1969 - VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12; Rn. 13 nach juris; Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 89b, Rn. 7).

2. Der Ausgleichsanspruch ist entfallen, weil die Beklagte das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für diese Kündigung ein wichtiger Grund wegen eines schuldhaften Verhaltens des Klägers vorlag (§ 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB).

Der Begriff des wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB stimmt dabei inhaltlich mit dem Begriff des wichtigen Grundes im Sinne des § 89a Abs. 1 S. 1 HGB überein (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - VIII ZR 134/99, MDR 2000, 651). Dabei beraubt nicht jeder wichtige Grund, der nach § 89a HGB zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt, den Handelsvertreter auch seines Ausgleichsanspruchs; eine solche Wirkung haben vielmehr nur vom Handelsvertreter selbst verschuldete Gründe (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - VIII ZR 134/99, MDR 2000, 651, Rn. 31 nach juris; BGH, Urteil vom 21. November 1960 - VII ZR 235/59, VersR 1961, 52, sub II.2.c.; Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 89b, Rn. 65). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Verschuldens des Handelsvertreters an der Vertragsbeendigung trifft dabei den Unternehmer (vgl. OLG München, Urteil vom 11. April 1997 - 23 U 5702/96, OLGR 1997, 173 = NJW-RR 1998, 174, Rn. 10 nach juris; Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 89b, Rn. 65). Die Regelung in § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB ist schließlich aufgrund Art. 18 lit. a RL 86/653/EWG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Ausgleichsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung des Unternehmers ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht (BGH, Urteil vom 16. Februar 2011 - VIII ZR 226/07, DB 2011, 645; EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - C-203/09, Slg 2010, I-10721-10760 = DB 2010, 2495, Rn. 45), so dass unter § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB kein Nachschieben von Gründen möglich ist (Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 89b, Rn. 66).

Nach diesen Maßstäben ist der Ausgleichsanspruch des Klägers entfallen, weil die Beklagte das Vertragsverhältnis außerordentlich gekündigt hat und für diese Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Klägers vorlag. Denn ein Kündigungsgrund reicht zur außerordentlichen Kündigung (§ 89a HGB) hin, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung bis zum Ablauf der Frist zur ordentlichen Kündigung (§ 89 HGB) nicht zugemutet werden kann, also Abwarten unzumutbar ist (§ 314 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Handelsvertretervertrag war nun in § 8 Abs. 1 Satz 3 des Handelsvertretervertrages (fortan: HVV) mit folgender Regelung versehen: "Die Kündigungsfrist beträgt mindestens 3 Monate zum Monatsende, ansonsten gelten die Regelungen des HGB." Dementsprechend wäre für die Beklagte im Juni 2016 der seit mehr als fünf Jahren bestehende Handelsvertretervertrag gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 HGB zum 31. Dezember 2016 kündbar gewesen. Nach Gesamtwürdigung aller Umstände war es der Beklagten jedoch wegen schuldhaften Verhaltens des Klägers nicht zumutbar, den Kläger bis zum Verstreichen dieses Datums zu beschäftigen. Im Einzelnen (die angegebenen Ziffern sind diejenigen des Kündigungsschreibens vom 16. Juni 2016 = Anlage K2):

a) [Ziffer 1] Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass die Beklagte die von ihr ausgesprochene Kündigung auf den Umstand stützen konnte, dass der Kläger schuldhaft die rechtzeitige und unaufgeforderte Mitteilung unterließ, dass seine Ehefrau ab 1. April 2016 Handelsvertreterin bei der Hauptkonkurrentin X. werde.

Denn den Handelsvertreter trifft nach § 86 HGB die grundlegende Verpflichtung, die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen. Die Interessenswahrnehmungspflicht ist für den Handelsvertretervertrag wesensbestimmend und zwingend (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 1990 - KVR 2/89, BGHZ 112, 218, Rn. 17 nach juris; BGH, Beschluss vom 15. April 1986 - KVR 3/85, BGHZ 97, 317, Rn. 46 nach juris); sie beherrscht das gesamte Vertragsverhältnis (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Mai 2016 - I-16 U 187/14, MDR 2016, 1206 [BGH 13.07.2016 - IV ZR 292/14], Rn. 27 nach beck-online; Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 86, Rn. 20). Zur Interessenwahrung gehört bereits nach dem Handelsgesetzbuch die Marktbeobachtung durch den Handelsvertreter (vgl. Ströbl in: Münchener Kommentar zum HGB, 5. Auflage 2021, § 86, Rn. 45; Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Auflage 2020, § 86, Rn. 17; enger Roth in: Koller/Kindler/ders./Drüen, HGB, 9. Auflage 2019, § 86, Rn. 7). Vorliegend hatte sich der Kläger zudem zu § 3 Abs. 2 HVV ausdrücklich verpflichtet, die Beklagte über die allgemeine Marktsituation zu unterrichten. Diese Berichtspflicht ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessen und es ist dabei entscheidend auf das Interesse des Unternehmers an Berichten des Handelsvertreters abzustellen. Maßgebend ist demgemäß nicht, was der Unternehmer subjektiv für erforderlich hält; vielmehr ist der Begriff der "erforderlichen Nachrichten" nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen, wobei aber entscheidend die Interessen des Unternehmers zu berücksichtigen sind, die der Handelsvertreter wahrzunehmen verpflichtet ist (BGH, Urteil vom 13. Januar 1966 - VII ZR 9/64, MDR 1966, 495, Rn. 19 nach juris).

Nach diesem Maßstab hat der Kläger pflichtwidrig (aa.) und schuldhaft (bb.) die Beklagte nicht zu dem - mutmaßlich ganz erheblich vor dem 1. April 2016 gelegenen - Zeitpunkt des Feststehens der zukünftigen Tätigkeit seiner Ehefrau für die Hauptkonkurrentin X. darüber informiert, dass für X. im nämlichen Postleitzahlenbereich ab dem 1. April 2016 eine Person tätig werden würde, mit der er verheiratet ist und zusammenlebt und die zudem bis zum 31. März 2015 Vertriebsleiterin der Beklagten war.

aa) Dass die Beklagte ein für den Kläger erkennbares Interesse an einer möglichst frühzeitigen Information über diese Tatsache hatte, vermag die Berufung nicht in Zweifel zu ziehen.

Dass die Beklagte ihre schärfste Konkurrentin beobachtete, liegt auf der Hand. Dies gilt umso mehr, als im Frühjahr 2016 praktisch der gesamte Handelsvertreterbestand der X. neu zu besetzen war. In einer solchen Situation liegt es nicht fern, Mitarbeiter von konkurrierenden Wettbewerbern mit günstigen Konditionen zu einem Wechsel zu bewegen. Die Beklagte hatte zudem bereits den Weggang von vier ihrer umsatzstärksten Handelsvertreter zu X. zum Ende des Monats März 2016 hinnehmen müssen. Es war für sie daher naheliegenderweise schon unabhängig von der Person des Klägers und seiner Ehefrau von Interesse, wer in einem bestimmten Gebiet die Handelsvertretung für X. übernahm. Erst recht musste für sie von dringendem Interesse sein, wenn eine einem der verbleibenden Handelsvertreter als Ehegatte nahestehende und zudem bis in das Jahr 2015 als Vertriebsleiter für die Beklagte tätig gewesene Person Handelsvertreterin bei der Konkurrentin X. wurde. Angesichts dieser besonderen Situation liegt die Einschätzung des Klägers, der Beklagten sei die vermisste Information über die Tätigkeit seiner Ehefrau für X. absehbar gleichgültig gewesen, schon im Ansatz fern.

Für seine Sichtweise kann sich der Kläger auch nicht auf die Behauptung stützen, die Beklagte habe im Vorfeld Anlass zu der berechtigten Annahme gegeben, dass Mehrfachvertretungen durch ihre Handelsvertreter für sie allgemein unbedenklich seien, so dass sie erst recht keine Information über die anderweitige Vertretung durch den Ehegatten eines Handelsvertreters hätte erwarten können. Für eine solche Annahme fehlt es auch nach dem Sach- und Streitstand des Berufungsverfahrens an der tatsächlichen Grundlage.

Zwar weist die Berufung im Ausgangspunkt zu Recht darauf hin, dass nach § 3 Abs. 1 HVV die Beklagte nur dann berechtigt gewesen wäre, der Übernahme weiterer Vertretungen durch den Kläger selbst zu widersprechen, wenn die Produkte in direktem Wettbewerb mit Produkten des Unternehmens stehen. Dies war bei den Produkten der Wettbewerberin X. aber ohne Weiteres der Fall, bei der es sich um die Hauptwettbewerberin der Beklagten im Kartensegment handelte, welcher die Beklagte zudem im hiesigen Rechtsstreit vorwirft, ihre Produkte zu kopieren, Kunden abzuwerben und Lügen über sie zu verbreiten. Der Vertragsklausel kann daher nichts für die Sache der Berufung entnommen werden.

Ganz im Gegenteil hatte die Beklagte dem Kläger in aller Deutlichkeit zu erkennen gegeben, dass sie eine Vertretung der Konkurrenz durch Ehefrauen ihrer Handelsvertreter nicht zu dulden gewillt war. Es lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass es die Beklagte von 9/2004 bis 12/2006 hingenommen hätte, dass die Ehefrau ihres Handelsvertreters Z. einen nur regional tätigen Konkurrenten der Beklagten namens C. vertrete. Für eine Hinnahme hätte die Beklagte seinerzeit von den Verhältnissen wissen müssen, wofür nichts ersichtlich ist. Als die Beklagte von der Vertretung der C. durch die Ehefrau des Z. in 2006 erfuhr, kündigte sie im Gegenteil dem Handelsvertreter Z. den Handelsvertretervertrag und bestellte statt seiner ab 1/2007 den Kläger als Handelsvertreter. Dies erlebte der Kläger aus nächster Nähe mit, nachdem er zuvor Untervertreter des Z. gewesen war. So gesehen hatte der Kläger den Abschluss des hier streitbefangenen Handelsvertretervertrages erkennbar genau dem Umstand zu verdanken, dass die Beklagte die Tätigkeiten von Ehefrauen für die Konkurrenz gerade nicht hinnehmen wollte.

Diese Einschätzung bezog sich auch ersichtlich nicht nur auf die Eheleute Z.. Denn als der Kläger Handelsvertreter der Beklagten wurde, war die Beklagte nicht damit einverstanden, dass seine Ehefrau in ihrer Eigenschaft als Untervertreterin der Frau Z. weiterhin die C. vertrete. Die Beklagte entschloss sich zur Lösung dieses Interessenkonfliktes zu dem ungewöhnlichen Schritt, die Ehefrau des Klägers im Wege der Festanstellung als Vertriebsleiterin zu beschäftigen, damit der Kläger als Handelsvertreter für sie tätig sein konnte. Damit beruhte zumindest ab 2007 auch die berufliche Stellung der Ehefrau des Klägers auf dem Umstand, dass die Beklagte Tätigkeiten von Ehefrauen ihrer Handelsvertreter für die Konkurrenz gerade nicht hinnehmen wollte und zur Abwendung eines solchen Zustandes erhebliche Maßnahmen zu ergreifen bereit war, auch wenn nur eine regional tätige, kleinere Konkurrentin betroffen war. Dass sich an dieser Interessenbewertung durch die Beklagte durch das Ausscheiden der Ehefrau des Klägers bei der Beklagten zum Ende März 2015 etwas zugunsten des Klägers geändert hätte, liegt wiederum fern. Denn die Ehefrau des Klägers war bei der Beklagten im Streit ausgeschieden und hatte in der Folge eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung geführt.

Bei dieser Sachlage ergibt sich ein belastbarer Anhalt für ein etwa mangelndes Interesse der Beklagten an der fraglichen Information auch nicht daraus, dass die Beklagte nach der Darstellung des Klägers mit der Firma X. bis in den März 2016 über einen gemeinsamen Vertrieb verhandelt haben soll (Anlage K17). Gerade im Rahmen von Verhandlungen über einen gemeinsamen Vertrieb wäre die Information doch wohl von ganz entscheidender Bedeutung gewesen, dass die Wettbewerberin nach den vier umsatzstärksten Handelsvertretern noch eine weitere Handelsvertreterin hatte gewinnen können, die zudem einem anderen Handelsvertreter nahestand und bis Anfang 2015 Vertriebsleiterin der Beklagten gewesen war.

Das objektive Interesse der Beklagten an der fraglichen Information entfiel auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass der Handelsvertreter T. auch für die W. GmbH fuhr, die ebenfalls Karten vertrieb. Diese klägerische Behauptung mag zwar in der Eingangsinstanz seitens der Beklagten unbestritten geblieben sein. Aus ihr lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die Beklagte erkennbar kein Interesse an der fraglichen Information über die Tätigkeit der Ehefrau des Klägers bei X. gehabt hätte. Der Kläger hat schon nicht vorgetragen, dass der Handelsvertreter T. überhaupt Karten vertreibe; jedenfalls wäre nicht ersichtlich, dass die W. GmbH auch nur ansatzweise mit der Wettbewerberin X. vergleichbar wäre. Ebenso wenig vermag der Kläger auf seine eigene Tätigkeit für die Fa. G. zu verweisen, bei der es sich um eine 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten handelt. Es liegt auf der Hand, dass sich die Beklagte von ihrer Tochtergesellschaft nicht im Wege der Konkurrenz bedroht sieht.

Zwischen den Parteien ist bei alledem im Grundsatz unstreitig, dass die Wettbewerberin X. angesichts der eingetretenen und dem Kläger bekannten Gesamtsituation im Frühjahr 2016 eine sehr viel gefährlichere Konkurrenz für die Beklagte darstellte, als dies die Firma C. im Jahr 2007 gewesen wäre oder die von der Beklagten kontrollierte Fa. G. hätte sein können. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte in erster Instanz unbestritten vorgetragen hatte, X. habe ihre erfolgreichen Serien kopiert, ihr Karten bei den Kunden herausgekauft, über die Beklagte Lügen verbreitet und ihre - der Beklagten - Produktionsstätten in U. unter Vertrag genommen (Schriftsatz vom 6. Dezember 2017, Seite 16 = Bd. I Blatt 177 der Akten). Innerhalb der hierzu erhaltenen Erklärungsfrist ist der Kläger diesem Vorbringen nicht entgegengetreten (vgl. Schriftsatz vom 20. Dezember 2017 = Bd. I Blatt 181 ff. der Akten). Das nunmehrige Bestreiten in der Berufungsbegründung (Seite 13 = Bd. II Blatt 41 der Akten), diese Umstände seien "keinesfalls unstreitig", bedürfte zu seiner Berücksichtigung der Glaubhaftmachung von Tatsachen nach § 531 Abs. 2 ZPO. Eine solche Glaubhaftmachung liegt nicht vor.

Fehl geht weiter die Rüge der Berufung, die Beklagte habe nicht dargetan, welche Nachteile ihr denn durch die Nichtmitteilung entstanden seien. Die Interessenwahrung, zu welcher der Handelsvertreter verpflichtet ist, besteht nicht nur in der Abwendung von Schäden. Der Kläger kann sich auch nicht darauf zurückziehen, geeignete Abwehr- und Gegenmaßnahmen gegen die Kampagne der Wettbewerberin X. habe die Beklagte ohnehin nicht ergreifen können. Dies hatte nicht der Kläger zu entscheiden. Der im Tatsächlichen streitig gebliebene Einwand überzeugt aber auch in der Sache nicht. Zutreffend stellt das Landgericht darauf ab (LU6) dass die Beklagte dem Kläger ein anderes Gebiet zuweisen und so das langjährige Handelsvertreterverhältnis erhalten hätte können, zumal angesichts des Weggangs von vier besonders umsatzstarken Handelsvertretern ganz offensichtlich Vakanzen im Vertrieb der Beklagten bestanden. Warum diese plausible Betrachtung "lebensfremd" sein sollte, wird nicht klar.

bb) Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Kläger zumindest die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ (§ 276 Abs. 2 BGB), indem er die fragliche Information ungeachtet der hierzu übernommenen vertraglichen Verpflichtung nicht unaufgefordert und rechtzeitig erteilte. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass die Beklagte ohnehin erfahren werde, was er ihr vorenthielt. Dies ergibt sich schon daraus, dass diese Information ganz offensichtlich zeitkritisch war. Von dem gefassten Entschluss hätte der Kläger die Beklagte daher deutlich früher und zuverlässiger informieren können, als dies Marktgerüchte leisten konnten. Auf diese konnte sich der Kläger daher nicht ohne Fahrlässigkeit verlassen.

b) [Ziffer 2] Weiterhin konnte die Beklagte die von ihr ausgesprochene Kündigung des Handelsvertretervertrages darauf stützen, dass eine Handelsvertreterin der Hauptkonkurrentin X., die zudem den nämlichen Postleitzahlenbezirk betreute, Zugang zu den in der Ehewohnung belegenen Betriebsräumlichkeiten des Klägers hatte.

Denn der Handelsvertreter hat grundsätzlich über alle Umstände Stillschweigen zu bewahren, deren Weitergabe bzw. Veröffentlichung für den Unternehmer nachteilig sein könnte (vgl. Ströbl in: Münchener Kommentar zum HGB, 5. Auflage 2021, § 86, Rn. 5). Dies haben die Parteien in § 4 Abs. 6 HVV weiter konkretisiert. Nach dieser Vertragsbestimmung hatte der Kläger Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagten vertraulich zu behandeln. Dass die Beklagte Anlass zu einer solchen Regelung sah, rechtfertigt die grundsätzliche Annahme, dass damit zu rechnen war, dass dem Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagten bekannt würden. Hierbei kommt es ersichtlich auf die Bewertung der Beklagten an und nicht auf das, was sich der Kläger darunter vorgestellt haben mag. Die Wahrung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagten war aber schwerlich gewährleistet, wenn der Kläger seine Handelsvertretergeschäfte von der privaten Adresse der Eheleute aus führte, unter der er gemeinsam mit der Ehefrau lebte. Zwar mag eine solche Gestaltung unbedenklich sein, wenn die Ehefrau nicht im Lager der Konkurrenz steht. Genau dort stand sie aber zumindest ab dem 1. April 2016 aus Sicht der Beklagten.

Konkret tritt noch verschärfend hinzu, dass die Ehefrau des Klägers bei der Hauptkonkurrentin X. den nämlichen Postleitzahlenbezirk zu vertreten hatte. Selbst wenn die Vertriebstätigkeit, mit welcher die Beklagte den Kläger betraute, nicht von besonderer Geheimhaltung geprägt gewesen sein sollte, liegt doch gerade bei der Betreuung desselben Bezirks auf der Hand, dass eine eingeführte Handelsvertretung über eine Vielzahl von Informationen verfügt, die einem Wettbewerber sehr dienlich sein können. Etwas anderes hat jedenfalls der Kläger nicht dargetan und ist auch nicht sonst ersichtlich.

Dagegen konnte die Kündigung nicht mehr auf den Umstand gestützt werden, dass der Kläger mit seiner für X. tätigen Ehefrau eine "Geschäftsraumpartnerschaft" unterhalte und hierdurch entgegen dem aus § 86 Abs. 1 2. HS HGB abgeleiteten Wettbewerbsverbot die Konkurrentin X. fördere (hierzu BGH, Urteil vom 20. Januar 1969 - VII ZR 60/66, VersR 1969, 372). Denn der Kläger hat bestritten, dass die von ihm für die erste Hälfte des April 2016 eingeräumte Übung zum Kündigungszeitpunkt fortbestanden habe. Soweit die Beklagte mit der Berufungserwiderung in den Raum stellt, die Geschäftsraumpartnerschaft zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau sei tatsächlich fortgesetzt worden, ist dies nicht einlassungsfähig. Sie macht zudem selbst geltend, dass der Kläger (erst) das Schreiben in der Anlage B1 zum Anlass genommen habe, ab dem Zeitpunkt des Zugangs Veränderungen vorzunehmen (Bd. I Blatt 31 der Akten).

Unerheblich ist schließlich, ob der Kläger seinerseits Zugang zu den Räumlichkeiten der für die Wettbewerberin tätigen Ehefrau in H. hatte oder nicht. Denn es berührt die Interessen der Beklagten nicht nachteilig, wenn Geheimnisse der Wettbewerberin nicht gewahrt sind. Eine Unterstützung der X. seitens des Klägers durch Gestattung des Unterhaltens einer Handelsvertretung in privaten Räumen eines Familienmitglieds macht die Beklagte nicht geltend.

Nach den Darlegungen der Beklagten ist auch davon auszugehen, dass der Kläger zumindest die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ (§ 276 Abs. 2 BGB), indem er die fraglichen Zustände hinnahm. Soweit der Kläger rügt, die Beklagte habe nicht darzulegen vermocht, den Verrat welcher Geheimnisse die 15-tägige gemeinsame Nutzung von unterschiedlichen Lagerräumen auf dem Privatgrundstück und die Benennung von Telekommunikationsmöglichkeiten ermöglicht haben soll (Berufungsbegründung, Seite 26 = Bd. II Blatt 54 der Akten), geht dies an der Sache vorbei. Die für eine Wettbewerberin tätige Ehefrau wäre bei einer Fortsetzung des Handelsvertretervertrages bis heute in der Lage, die Räumlichkeiten des Klägers zu betreten.

c) Bereits in Gesamtwürdigung der vorstehend zu a) und b) festgestellten Verletzungen des Handelsvertretervertrages durch den Kläger kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Beklagten die Fortsetzung der gemeinsamen Tätigkeit zumindest bis zum Ende des Jahres 2016 gleichwohl zumutbar gewesen wäre. Der Erörterung der weiteren Kündigungsgründe bedarf es daher an dieser Stelle nicht. Bereits die Verletzung der Interessenwahrnehmungspflicht kann zur fristlosen Kündigung führen, wenn die Pflichtverletzung einen wichtigen Grund abgibt (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1987 - I ZR 243/85, MDR 1988, 286, Rn. 15 ff. nach juris; Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 86, Rn. 47). Dies hat das Landgericht vorliegend zutreffend angenommen. Dass der Kläger zuvor neuneinhalb Jahren für die Beklagte tätig gewesen war, wäre zwar grundsätzlich ein gewichtiges Argument für die Zumutbarkeit der weiteren Durchführung des Vertrages. Hier verhält es sich aber so, dass es zu dieser langjährigen Tätigkeit des Klägers als (Haupt-) Handelsvertreter gerade gewesen gekommen war, weil die Beklagte die Förderung der Konkurrenz durch Ehepartner ihrer Handelsvertreter zu vermeiden suchte. Die lange Vertragsdauer vermag angesichts dessen eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht als zumutbar erscheinen zu lassen. Diesen Umstand verharmlost die Berufung, wenn sie die Geschehnisse als schlichte Marktvorgänge bezeichnet, welche die Beklagte dem Kläger anzulasten versuche. Tatsächlich ist es sicherlich so, dass die Beklagte mit der Konkurrenz auch durch aggressive Wettbewerber leben muss. Vorliegend besteht jedoch eine Besonderheit in dem streitbefangenen Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten, welche genau an der Förderung der Konkurrenz durch Eheleute anknüpft. Die Beklagte versucht daher entgegen der Darstellung in der Berufung nicht, den Kläger in unbotmäßiger Weise für die Konkurrenzsituation in Haft zu nehmen. Im Gegenteil war der Kläger gehalten, bei seinen Dispositionen der besonderen Vertragshistorie angemessen Rechnung zu tragen.

d) An einem wichtigen Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters fehlte es auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, um die derhalben gestörte Vertrauensgrundlage der Handelsvertretertätigkeit wiederherzustellen.

Eine außerordentliche Kündigung wegen eines dem Leistungsbereich zuzuordnenden wichtigen Grundes setzt regelmäßig eine Abmahnung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2008 - VIII ZR 159/07, NZG 2009, 310, Rn. 30 nach juris, mwN.). Der Leistungsbereich ist hier jedoch nicht betroffen. Im hier maßgeblichen Vertrauensbereich ist eine Abmahnung zwar grundsätzlich ebenso erforderlich (vgl. Nachweise bei Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 89a, Rn. 10), aber gleichwohl entbehrlich, wenn das Fehlverhalten des Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert hat, dass diese auch nicht durch eine erfolgreiche Abmahnung wiederhergestellt werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1999 - VIII ZR 123/98, MDR 1999, 1206, Rn. 28 nach juris, mwN.). Das Vorliegen letzterer Voraussetzungen im Streitfall hat das Landgericht ebenfalls zu Recht angenommen.

Wie bereits oben zu a) ausgeführt beruhte die berufliche Stellung beider Eheleute ab 2007 gerade auf der restriktiven Linie der Beklagten in der Frage der Mehrfachvertretung. Gegen diese verstieß der Kläger in dem Wissen, dass gerade die Praxis der Beklagten dazu geführt hatte, dass er als Hauptvertreter für diese tätig werden durfte. Angesichts dessen ist nicht erkennbar, wie hier die erforderliche Vertrauensgrundlage durch eine Abmahnung hätte wiederhergestellt werden können. Insbesondere konnte die Beklagte nach dem Gesamtbild der Geschehnisse gerade nicht davon ausgehen, dass der Kläger nach einer Abmahnung seine Ehewohnung verlassen oder die Ehefrau zur Aufgabe ihrer Tätigkeit für X. bewegen würde. Es steht außer Frage, dass die Beklagte auch kein Recht gehabt hätte, in dieser Weise auf die Lebensgestaltung des Klägers Einfluss zu nehmen. Der Kläger kann sich hier auch nicht darauf berufen, es handele sich nur um einen einmaligen Verstoß gegen Informationspflichten und keinen dauernden Sachverhalt. Gerade die unaufgeforderte und zeitnahe Information über die Umstände hätte die Beklagte des fortbestehenden Vertrauens des Handelsvertreters versichert. Zudem hätte der Zugang einer Handelsvertreterin der Hauptkonkurrentin der Beklagten zu den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Beklagten einen Dauertatbestand dargestellt, welcher auch nach Zugang des Frageschreibens der Beklagten bei dem Beklagten nicht unterbunden wurde.

Gegen die Möglichkeit einer Wiederherstellung der Vertrauensgrundlage durch eine Abmahnung spricht zudem deutlich auch die Reaktion des Klägers auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 15. April 2016 (Anlage B1). Der Kläger ließ sich anwaltlich vertreten, das Schreiben mangels Vollmacht zurückweisen (Anlage B2) und sodann die Auffassung vertreten, die Fragen gingen über die Information- und Berichtspflichten aus dem Handelsvertretervertrag hinaus (Schreiben vom 2. Mai 2016 = Anlage B4). Im Schreiben vom 2. Mai 2016 beantwortete der Kläger die Frage Nr. 1 hinsichtlich der Geschäftsgeheimnisse gar nicht und hinsichtlich der Geschäftsraumpartnerschaft (Nr. 3) irreführend und verschleiernd. Mit der Berufungsbegründung lässt er dagegen einräumen, es seien in der Tat bis zum Eingang des Anhörungsschreibens durch ihn und seine Ehefrau gleichlautende Festnetz- und Telefaxnummern an die Kunden kommuniziert worden (Seite 26 = Bd. II Blatt 54 d.A.). Unerheblich musste dabei aus Sicht der Beklagten sein, ob auf den fraglichen Kommunikationskanälen tatsächlich Anrufe oder Telefaxe eingingen, denn hierauf hatten weder der Kläger noch seine Ehefrau Einfluss. Insbesondere ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass der Kläger die Beklagte darauf hingewiesen hätte, in dem fraglichen Zeitraum keine Telefaxe an ihn zu senden, weil diese an eine Handelsvertreterin gelangen könnten, die für die Hauptwettbewerberin tätig war. Vertrauenswidrig musste der Beklagten auch die Antwort des Klägers zu den Fragen 4. und 7. erscheinen, hat er doch im hiesigen Rechtsstreit einräumen lassen, er selbst habe die Kundin darüber informiert, dass die fragliche Kartenserie nur bis Ende 2016 verkauft werden könne. Gleichwohl hatte er mit dem Anwaltsschreiben die Beanstandungen der Beklagten als Spekulationen zurückweisen lassen. Schließlich musste der Beklagten die Antwort zu Frage 8. vertrauenswidrig erscheinen, weil dort von einer Festanstellung der Mitarbeiterin S. die Rede ist. Im hiesigen Rechtsstreit lässt der Kläger vortragen, er habe vor August 2016 gar nicht gewusst, dass Frau S. für X. tätig war.

e) Bei dieser Sachlage steht dem Verlust des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB auch nicht entgegen, dass die Kündigung der Beklagten am 16. Juni 2016 erst nach Verstreichen einer angemessenen Überlegungszeit ausgesprochen worden wäre. Die dahingehenden Einwendungen der Berufung übersehen, dass der Tatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB lediglich voraussetzt, dass der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag. Ob neben dem Vorliegen eines wichtigen Grundes (hierzu vorstehend zu a. bis d.) aber auch die formalen Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung in der Sache eingehalten waren, kann keine Rolle spielen, wenn eine Kündigung durch den Unternehmer ausgebracht worden und die Beendigung des Handelsvertretervertrages als solche - wie vorliegend - außer Streit ist.

Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte die angemessene Überlegungszeit gewahrt hätte. Denn die Kündigung eines Handelsvertretervertrages aus wichtigem Grund muss nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt werden. Vielmehr ist dem zur Kündigung Berechtigten eine angemessene Überlegungszeit zuzugestehen, deren Dauer sich nach den Gesamtumständen des jeweiligen Falles richtet. Sie ist regelmäßig kürzer als zwei Monate, denn ein zweimonatiges Zuwarten kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel nicht mehr als angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Überlegung der hieraus zu ziehenden Folgerungen angesehen werden, weil es darauf hindeutet, dass der Kündigende das beanstandete Ereignis selbst nicht als so schwerwiegend empfunden hat, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem anderen Teil bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung unzumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1999 - VIII ZR 123/98, MDR 1999, 1206, Rn. 35 nach juris, mwN.; BGH, Urteil vom 14. April 1983 - I ZR 37/81, MDR 1983, 995, Rn. 15 nach juris; KG, Urteil vom 22. Januar 1999 - 14 U 4581/97, NJW-RR 2000, 1566). Hiernach erlischt das Kündigungsrecht schon nicht starr spätestens zwei Monaten nach dem Ereignis. Vielmehr ist auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen und nachzuvollziehen, ob die zwischen dem Zeitpunkt der Kenntnis des wichtigen Grundes und dem Ausspruch der Kündigung verstrichene Zeit angemessen war, um den Sachverhalt aufzuklären, aber auch dem Kündigenden genügend Überlegungszeit einzuräumen (Flohr/Feldmann in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch Vertriebsrecht, 4. Auflage 2016, § 18 Rn. 97, mwN.).

Nach diesem Maßstab hat die Beklagte gemäß den besonderen Umständen des hiesigen Einzelfalls eine angemessene Überlegungszeit gewahrt. Allerdings beginnt die Zeitspanne nicht erst - wie die Beklagte meint - mit sicherer Kenntnis des Vertragsverstoßes. Die angeführte Rechtsprechung gewährt die angemessene Zeitspanne vielmehr zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Überlegung der hieraus zu ziehenden Folgerungen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1999 - VIII ZR 123/98, MDR 1999, 1206, Rn. 35 nach juris, mwN; BGH, Urteil vom 14. April 1983 - I ZR 37/81, MDR 1983, 995, Rn. 16 nach juris; Hervorhebung nur hier). Für den Beginn dieser Zeitspanne ist daher auf das Ende des Monats März 2016 abzustellen, als die Beklagte die Information, dass die Ehefrau des Klägers in den Räumen des Klägers ab 1. April 2016 für X. tätig sein werde, von Dritten zugetragen erhalten hatte. Mit Eingang des Schreibens des Klägers vom 2. Mai 2016 herrschte hierüber teilweise Klarheit. In der Folge sprach die Beklagte die fragliche Kündigung am 16. Juni 2016 aus. Dies war nicht im Sinne einer schematischen Betrachtung deswegen zu spät, weil seit dem Ende des Monats März zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Monate vergangen waren. Soweit ein zweimonatiges Zuwarten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel nicht mehr angemessen ist, gilt dies nicht, wenn die lange Dauer ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände erklärlich ist; hierbei können Inhalt und Tragweite der festgestellten Pflichtverletzungen, die dem Handelsvertreter angelastet werden, berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1983 - I ZR 37/81, MDR 1983, 995, Rn. 16 nach juris). Zu solchen besonderen Umständen zählt hier einerseits - worauf bereits das Landgericht hinweist - die Anhörung des Klägers durch die Beklagte, wobei zusätzlich dessen verzögernde Reaktion zu berücksichtigen ist. Obwohl ihm eine angemessene Erklärungsfrist bis zum 22. April 2016 gesetzt war, antwortete der Kläger erst unter dem 2. Mai 2016 in der Sache, was allein eine der Beklagten nicht zurechenbare Verzögerung um 10 Tage bedeutete.

Zum anderen hatte sich die Anhörung auf nicht weniger als acht verschiedene Punkte bezogen und wurde die Kündigung letztlich auf sechs Kündigungsgründe gestützt, zu denen jeweils Feststellungen zu treffen waren, wollte die Beklagte nach Abgang von vier ihrer umsatzstärksten Handelsvertreter nicht auch noch das Verhältnis zu dem als Handelsvertreter bei ihr verbliebenen Kläger ohne triftigen Grund belasten. Die Vorwürfe waren nach der Vorgeschichte der Parteien von erheblicher Tragweite. Zugleich waren die Antworten des Klägers in seinem Anwaltsschreiben vom 2. Mai 2016 (Anlage B4) in Teilen irreführend gewesen. Insoweit kann auf die Ausführungen vorstehend zu aa) verwiesen werden. Bei dieser Sachlage konnte der Kläger nicht verlangen, dass die Beklagte eine risikobehaftete Verdachtskündigung erkläre, die leicht zu Fall hätte gebracht werden können. Danach kommt es nicht einmal darauf an, dass zumindest naheliegt, dass die Beklagte zugleich eine Neuorganisation ihrer Handelsvertreterstruktur vornehmen und hierbei weitreichende Entscheidungen treffen musste. Unwidersprochen macht sie geltend, dass die Abwerbung von Handelsvertretern und Kunden durch die Wettbewerberin X. sie in eine existenzielle Krise gestürzt habe.

Demgegenüber verweist der Kläger ohne Erfolg darauf, dass die Überlegungsfrist versäumt wird, wenn hinreichend konkrete Hinweise von Mitarbeitern des Handelsvertreters auf dessen vertragswidriges Verhalten vorliegen und diesen nicht nachgegangen wird (so der Sachverhalt in BGH, Urteil vom 26. Mai 1999 - VIII ZR 123/98, MDR 1999, 1206, Rn. 36 nach juris). Vorliegend waren die Hinweise nicht hinreichend konkret und die Beklagte ist durch die Fragen an den Kläger den Hinweisen nachgegangen.

3. Der Klageanspruch ist darüber hinaus nach § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB entfallen. Danach besteht der Ausgleichsanspruch nicht, wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis selbst gekündigt hat, ohne dass ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat. Der Kläger hat unter dem 1. Juli 2016 eine fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrages erklären lassen (Anlage K4). Hierfür gab es keinen begründeten Anlass im Verhalten der Beklagten.

Ist dem Handelsvertreter vom Unternehmer ohne hinreichenden Grund fristlos gekündigt worden, so ist darin allerdings im Allgemeinen ein begründeter Anlass iSd. § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB für eine Kündigung des Handelsvertreters zu sehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 1966 - VII ZR 112/64, MDR 1967, 122; Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 89b, Rn. 58 mN.). So liegt es vorliegend jedoch nicht, weil die fristlose Kündigung der Beklagten begründet war. Insoweit kann auf die Ausführungen zu oben 2. verwiesen werden. Eine Kündigung ohne hinreichenden Anlass läge im Übrigen angesichts der gewichtigen Kündigungsgründe selbst dann nicht vor, wenn sie die angemessene Überlegungszeit entgegen den vorstehenden Ausführungen zu 2.e) um wenige Tage überschritten haben sollte. Ein Überschreiten des Regelzeitraumens kann zwar darauf hindeuten, dass der Kündigende das beanstandete Ereignis selbst nicht als so schwerwiegend empfunden hatte, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem anderen Teil bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung unzumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1999 - VIII ZR 123/98, MDR 1999, 1206, Rn. 35 nach juris, mwN.; BGH, Urteil vom 14. April 1983 - I ZR 37/81, MDR 1983, 995, Rn. 15 nach juris). Einen dahingehenden Bedeutungsgehalt hätte der Kläger einer Überschreitung der regelhaft angemessenen Überlegungszeit um wenige Tage nicht beimessen dürfen. Ihm war bekannt, welche weitreichenden Entscheidungen die Beklagte infolge des Wegganges der vier umsatzstärksten Handelsvertreter zu einer unmittelbaren Wettbewerberin zu treffen hatte. Auch angesichts des erheblichen Verstoßes des Klägers gegen die von ihm übernommene Interessenwahrung und des damit verbundenen, erheblichen Vertrauensverlustes bei der Beklagten konnte der Kläger allein angesichts der hier im Raume stehenden Verzögerung nicht annehmen, dass die Beklagte eine weitere Zusammenarbeit mit ihm für zumutbar erachte und deswegen eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht aussprechen werde.

Begründeten Kündigungsanlass im Verhalten der Beklagten bot bei alledem auch nicht, dass diese in dem Postleitzahlengebiet, in welchem der Kläger die Alleinvertretung innehatte, unter Verstoß gegen die Alleinvertretung einen konkurrierenden Handelsvertreter eingesetzt hätte. Zwar bediente der Handelsvertreter L. im Mai 2016 für die Beklagte einen Laden in O. (Anlage K16), was zumindest nach der Anlage 1 zum Handelsvertretervertrag (Anlage K1) zum Postleitzahlengebiet des Klägers gehörte. Der Kläger hatte allerdings im Laufe der Zeit Postleitzahlengebiete auf die Handelsvertreterin N. übertragen. Ob dies auch O. umfasste, ist streitig geblieben. Dies geht zulasten des Klägers, denn die Beweislast für die Ausnahmen vom Grundsatz des Entfallens bei Eigenkündigung trägt der Handelsvertreter (vgl. Hopt in: Baumbach/ders., HGB, 40. Auflage 2021, § 89b, Rn. 55; Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Auflage 2020, § 89b, Rn. 70). Eine Überzeugung im Sinne der Darstellung des Klägers kann sich der Senat insbesondere nicht auf Grundlage der von dem Kläger vorgelegten E-Mail vom 6. März 2016 (Anlage B8 = Bd. I Blatt 76 d.A.) bilden (§ 286 ZPO). Zwar mag in Betracht kommen, dass nur dasjenige zurückgefordert wird, was vorher übertragen wurde. Ebenso denkbar erscheint aber, dass nicht zurückgefordert wird, was verbleiben soll. Die Beklagte hat hierzu beweisbewehrt vorgetragen, der Postleitzahlenbereich O. sei derjenige gewesen, in dem die Handelsvertreterin selbst ansässig gewesen sei (Bd. I Blatt 108 d.A.). Hinzu tritt, dass der behauptete einmalige Verstoß der Beklagten gegen die Alleinvertretungsregelung eine fristlose Kündigung des Klägers - mit dem Ergebnis des Entfallens der Vertriebspflicht bei gleichzeitigem Entstehen eines Ausgleichsanspruchs - ohnehin nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen geeignet gewesen wäre, zumal (was der Kläger auch geltend macht) die Beklagte für den Umsatz im Gebiet des Klägers Provision an diesen zu leisten gehabt hätte.

4. Die beantragte Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nebst Zurückverweisung an eine andere Kammer für Handelssachen des Landgerichts Berlin kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach § 538 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Statthafte Gründe (§ 538 Abs. 2 ZPO) für eine Abweichung von dieser Regel trägt weder die Berufung vor noch sind solche sonst ersichtlich. Insbesondere hat der Senat nicht davon auszugehen, dass das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel litte und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig wäre (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen werden. Damit kommt es nicht darauf an, dass im Zivilprozess die Zurückverweisung an eine andere Kammer von Rechts wegen nicht möglich ist.

II.

Die beabsichtigte Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 47, 48, 63 Abs. 2 GKG, 4 ZPO.

Es wird darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme der Berufung die Gebühr für das (Berufungs-) Verfahren im Allgemeinen gegenüber einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO um zwei Gebühren ermäßigte (vgl. Nr. 1220, 1222 Nr. 1 KV zu § 3 Abs. 2 GKG).

Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass er weiteren - streitigen - Vortrag nur nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen dürfte. Gründe für die Zulassung wären daher ggf. sogleich in ausreichender Weise glaubhaft zu machen. Ferner weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass weiterer Vortrag zurückgewiesen werden könnte, wenn sich der Rechtsstreit durch dessen Berücksichtigung verzögerte und nicht glaubhaft gemacht ist, weshalb das Unterbleiben des Vortrags in der Berufungsbegründung zu entschuldigen sei (§§ 530, 296 Abs. 1, 4 ZPO).

RechtsgebietHGBVorschriftenHGB § 89; HGB § 89a Abs. 1 S. 1; HGB § 89b Abs. 1; HGB § 89b Abs. 3 Nr. 1; HGB § 89b Abs. 3 Nr. 2

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