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08.06.2021 · IWW-Abrufnummer 222796

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 17.02.2021 – 5 StR 484/20


Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 17. Februar 2021 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, analog § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 23. Juli 2020 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Einziehung von Wertersatz lediglich in Höhe von 7.498 Euro angeordnet wird; die weitergehende Einziehung von Wertersatz entfällt.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.



Gründe

1


Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, wovon drei Monate wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt gelten, und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringfügigen Erfolg; im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.


2


Der näheren Erörterung bedarf nur Folgendes:




I.

3


Der Angeklagte beanstandet die Verletzung von Informations- und Belehrungspflichten. Dem liegt zugrunde:


4


In einer ersten Hauptverhandlung war es zu einer Verständigung nach § 257c StPO gekommen. Im Hinblick darauf hatte der Angeklagte ein den Anklagevorwurf vollständig einräumendes Geständnis abgegeben. Da ein Schöffe und der Beisitzer erkrankten, musste diese Hauptverhandlung vor einem Urteil ausgesetzt werden. Nach dem Neubeginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende den Inhalt der Verständigung dahin mit, „dass bei einer glaubhaften und geständigen Einlassung des Angeklagten zu den Anklagevorwürfen eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen 2 Jahren und 6 Monaten und 2 Jahren und 9 Monaten verhängt [werde]. Nach Aussetzung der Hauptverhandlung [sei] die Bindung an diese Verständigung entfallen.“ Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung legte der Angeklagte nunmehr ein Teilgeständnis ab.


5


1. Die Verfahrensrüge, mit der eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO geltend gemacht wird, ist ‒ wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat ‒ unzulässig, soweit der Angeklagte beanstandet, der Vorsitzende habe in der neuen Hauptverhandlung nur unzureichend über die Gespräche und Erörterungen informiert, die zu der Verständigung in der ausgesetzten Hauptverhandlung geführt hatten. Denn der Beschwerdeführer hat nicht vorgetragen, was Inhalt der Verständigungsgespräche in der ausgesetzten Hauptverhandlung war. Der Senat kann deshalb nicht überprüfen, ob und inwieweit die Mitteilung des Vorsitzenden den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO genügte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 ‒ 5 StR 493/16, NStZ 2017, 424; vom 29. September 2015 ‒ 3 StR 310/15, NStZ 2016, 362, 363; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 243 Rn. 111; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 243 Rn. 116; jeweils mwN).


6


2. Auch soweit mit der Rüge beanstandet wird, der Angeklagte habe darüber belehrt werden müssen, dass sein in der ausgesetzten Hauptverhandlung abgegebenes Geständnis in der neuen Hauptverhandlung nicht verwertet werden dürfe, ihr also die Stoßrichtung eines Verstoßes gegen das Recht auf ein faires Verfahren oder einer Verletzung der § 257c Abs. 5 StPO entsprechenden Belehrungspflicht zu entnehmen sein sollte, hat die Rüge keinen Erfolg.


7


a) Es ist in diesem Zusammenhang allerdings unschädlich, dass der Beschwerdeführer es unterlassen hat, den Ablauf der Verständigungsgespräche und den genauen Inhalt der Verständigung in der ausgesetzten Hauptverhandlung mitzuteilen. Denn aus dem Revisionsvorbringen ergibt sich, dass es im Hinblick auf die in jenem Verfahrensteil getroffene Verständigung zu einem den Anklagevorwurf vollständig einräumenden Geständnis des Angeklagten gekommen war und die Strafkammer in der neuen Hauptverhandlung von einer ursprünglich formwirksamen Verständigung ausgegangen ist, die nunmehr hinfällig geworden sei. Um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Landgericht es gegebenenfalls verfahrenswidrig unterlassen hat, den Angeklagten in diesem Verfahren darauf hinzuweisen, dass das damalige ‒ volle ‒ Geständnis nicht verwertbar war, bedurfte es deshalb keines weiteren Vortrags zum Inhalt der in der ausgesetzten Verhandlung getroffenen Verständigung oder der in ihrem Vorfeld geführten Gespräche.


8


b) Die Rüge ist aber jedenfalls unbegründet, weil der Angeklagte, wovon angesichts der nach dem Revisionsvorbringen allseits für formwirksam gehaltenen Verständigung mangels anderslautenden Vortrags auszugehen ist, in der ausgesetzten Hauptverhandlung gemäß § 257c Abs. 5 StPO über die in § 257c Abs. 4 StPO genannten Folgen des Scheiterns einer Verständigung belehrt worden war. Dies entzieht der Rüge den Boden. Denn einer ausdrücklichen (erneuten) Belehrung bedarf es nicht, wenn der Angeklagte vor Abschluss der Verständigung in der ausgesetzten Hauptverhandlung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war und er in der neuen Hauptverhandlung darauf hingewiesen wird, dass die Bindung an die Verständigung entfallen ist. Dazu im Einzelnen:


9


Ob das in einer ausgesetzten Hauptverhandlung im Hinblick auf eine Verständigung abgegebene Geständnis in einer neu begonnenen Hauptverhandlung unverwertbar ist und ob der Vorsitzende den Angeklagten darauf ‒ gegebenenfalls wann und mit welchem Inhalt ‒ hinweisen oder darüber belehren muss, ist bislang nicht abschließend geklärt.


10


aa) Vorfrage eines etwaigen Verwertungsverbots und einer sich darauf beziehenden Belehrungspflicht ist zunächst, ob durch die Aussetzung des Verfahrens die Bindungswirkung der Verständigung entfallen ist. Denn nur dann ist nach der gesetzlichen Konzeption des Verständigungsverfahrens, wie sie in § 257c Abs. 4 StPO Ausdruck gefunden hat, eine Unverwertbarkeit des Geständnisses vorgesehen, das der Angeklagte im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung ‒ insbesondere auf die darin zugesicherten Strafober- und -untergrenzen ‒ abgegeben hat. Nach der Gesetzesbegründung soll dadurch „dem Grundsatz eines auf Fairness angelegten Strafverfahrens Rechnung getragen“ werden (BT-Drucks. 16/12310, S. 14). Die Aussetzung des Verfahrens, in dem es zu einer Verständigung gekommen war, führt zu einem Wegfall der Bindungswirkung.


11


Dies ergibt sich allerdings nicht aus dem Gesetz; § 257c Abs. 4 StPO sieht diese Rechtsfolge nur in den Fällen vor, in denen rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, der in Aussicht gestellte Strafrahmen sei nicht mehr tat- oder schuldangemessen, oder in denen das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden war (§ 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO). Der Gesetzgeber hat den Fall der Aussetzung nicht erkennbar im Blick gehabt, hat aber in der Begründung des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren zum Ausdruck gebracht, dass die Bindungswirkung nach Maßgabe von § 257c Abs. 4 StPO ‒ allgemeinen Grundsätzen entsprechend ‒ nur für das „Tatsachengericht“ gelte, das die der Verständigung zugrundeliegende Prognose abgegeben hat. Weder Berufungs- oder Revisionsgericht noch das Gericht nach Zurückverweisung seien insoweit gebunden (BT-Drucks. 16/12310, S. 15). Aus diesen Maßgaben, die auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BGH, Urteile vom 1. Dezember 2016 ‒ 3 StR 331/16, NStZ 2017, 373, 374; vom 28. Februar 2013 ‒ 4 StR 537/12, NStZ-RR 2013, 373) wird abgeleitet, dass auch der nach Aussetzung und Neubeginn der Hauptverhandlung zur Entscheidung berufene Spruchkörper nicht an die vor Aussetzung erzielte Verständigung gebunden sei (LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 63; MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 148; HK-StPO/Temming, 6. Aufl., § 257c Rn. 32; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 31.1; wohl auch SSW-StPO/Ignor/Wegner, § 257c Rn. 116; Sauer/Münkel, Absprachen im Strafprozess, 2. Aufl., Rn. 269; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2019 ‒ 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12; aA HK-GS/König/Harrendorf, 4. Aufl., § 257c Rn. 23; ebenso wohl SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 257c Rn. 29, der allerdings auch in den Fällen eine fortbestehende Bindungswirkung annimmt, in denen der Gesetzgeber eine solche ausdrücklich verneint).


12


Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Sie entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der nur das Gericht in der Besetzung, in der es die Verständigung initiiert hatte, daran gebunden sehen wollte. Andernfalls könnten Richter, die an einer Verständigung nicht beteiligt waren und eine solche mit dem Inhalt auch nicht getroffen hätten, bei ihrem Urteilsspruch gebunden werden (vgl. HK-StPO/Temming, 6. Aufl., § 257c Rn. 32; in diesem Sinne auch BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 30; Norouzi, StV 2014, 661, 662, die insoweit auf Art. 97 Abs. 1 GG abstellen; gegen diesen Begründungsansatz allerdings El-Ghazi, JR 2012, 406, 410: „Die richterliche Unabhängigkeit steht […] unter dem Vorbehalt des Gesetzes“).


13


bb) Ist infolge der Aussetzung die Bindungswirkung der Verständigung entfallen, folgt daraus grundsätzlich die Unverwertbarkeit des im Vertrauen auf ihren Bestand abgegebenen Geständnisses in der neuen Hauptverhandlung.


14


Allerdings hat sich in Rechtsprechung und Literatur noch keine einheitliche Linie entwickelt, ob in Fällen, in denen eine Verständigung ihre Bindungswirkung ‒ wie hier ‒ aus anderen als in den in § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO genannten Gründen verliert, ein im Hinblick auf die Absprache abgegebenes Geständnis verwertet werden darf.


15


(1) Es besteht zwar Einigkeit, dass das gesetzliche Verwertungsverbot nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO insoweit nicht unmittelbar anwendbar ist. Denn dieses greift aufgrund des Wortlauts („in diesen Fällen“) und der systematischen Stellung nur ein, wenn sich das Gericht aus einem der in § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO genannten Gründe von der Verständigung gelöst hat (BGH, Beschlüsse vom 19. August 2010 ‒ 3 StR 226/10, BGHR StPO § 257c Abs. 5 Belehrung 1; vom 1. März 2011 ‒ 1 StR 52/11, NJW 2011, 1526, 1527; vom 22. Februar 2012 ‒ 1 StR 349/11, NStZ 2013, 353, 355 mwN; OLG Nürnberg, NStZ-RR 2012, 255; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 32; MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 160, 172; HK-StPO/Temming, 6. Aufl., § 257c Rn. 37; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 31.2, 37; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 257c Rn. 28; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 257c Rn. 48; HK-GS/König/Harrendorf, 4. Aufl., § 257c Rn. 26; Niemöller in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, Teil B § 257c Rn. 147; Sauer/Münkel, Absprachen im Strafprozess, 2. Aufl., Rn. 267, 269; Altvater, StraFo 2014, 221, 222; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 2; Wenske, NStZ 2015, 137, 141; vgl. auch LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 78).


16


(2) In der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum wird aber gleichwohl in bestimmten Konstellationen ein Verwertungsverbot befürwortet oder jedenfalls erwogen. Dies gilt insbesondere in den zum Teil mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellationen, in denen die Bindungswirkung einer Verständigung infolge einer Rechtsmitteleinlegung gegen das auf der Absprache beruhende Urteil, etwa nach Berufungseinlegung für das Berufungsgericht oder nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, für das neue Tatgericht entfällt. Insoweit wird die Frage nach der Verwertbarkeit des Geständnisses differenziert beantwortet.


17


(a) Legt nur der Angeklagte Rechtsmittel ein, liegen nach einer Auffassung die Voraussetzungen eines Verwertungsverbots nicht vor, weil das Verschlechterungsverbot der §§ 331, 358 Abs. 2 StPO die in der (ersten) Tatsacheninstanz vereinbarte Strafobergrenze für das weitere Verfahren perpetuiere; der Angeklagte werde dadurch hinreichend geschützt (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2010 ‒ 5 StR 38/10, StV 2010, 470; OLG Nürnberg, NStZ-RR 2012, 255; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 38; HK-GS/König/Harrendorf, 4. Aufl., § 257c Rn. 26; Knauer/Lickleder, NStZ 2012, 366, 377; Niemöller, NZWiSt 2012, 290, 294; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 2; Wenske, NStZ 2015, 137, 141). Andere Gerichte und Autoren halten auch in diesen Fällen eine (entsprechende) Anwendung von § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO für geboten und bejahen generell ein Verwertungsverbot (vgl. OLG Düsseldorf, StV 2011, 80, 81; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 77; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 257c Rn. 48; Jahn, StV 2011, 497, 501; differenzierend MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 175 ff.; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 31.2).


18


(b) Legt hingegen die Staatsanwaltschaft zulasten des Angeklagten Berufung oder Revision ein, so ist es nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum geboten, den Umstand, dass das Berufungsgericht oder nach Aufhebung und Zurückverweisung das neue Tatgericht an die Verständigung nicht gebunden ist, dadurch zu kompensieren, dass das im Hinblick auf die Verständigung abgegebene Geständnis jedenfalls dann nicht verwertet werden darf, wenn sich das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht nicht selbst an die in der Verständigung vereinbarte Strafobergrenze halten will (OLG Karlsruhe, NStZ 2014, 294; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 ‒ III-1 RVs 79/17, juris Rn. 23; KG, Beschluss vom 7. Oktober 2020 ‒ (4) 161 Ss 121/20 (166/20), juris Rn. 9; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 42 ff.; HK-GS/König/Harrendorf, 4. Aufl., § 257c Rn. 26; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 31.2; SSW-StPO/Ignor/Wegner, 4. Aufl., § 257c Rn. 116; Moldenhauer, NStZ 2014, 493, 494; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 4; Wenske, NStZ 2015, 137, 142; aA wohl Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 257c Rn. 28: kein Beweisverwertungsverbot in instanzübergreifenden Fällen).


19


Die Unverwertbarkeit des Geständnisses wird insoweit teilweise mit einer analogen Anwendung von § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO begründet (OLG Düsseldorf, StV 2011, 80, 81; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 257c Rn. 48; wohl auch LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 78, 88; nicht eindeutig: BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 31.2; offen gelassen von MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 175 f.). Dagegen spricht aber, dass ‒ auch wenn die Interessenlage vergleichbar sein mag und insoweit eine gesetzliche Regelung fehlt ‒ die Regelungslücke nicht planwidrig ist: Im Gesetzgebungsverfahren hatte die Bundesrechtsanwaltskammer einen eigenen Entwurf (BRAK-E, ZRP 2005, 235) eingebracht, der vorsah, dass die Bindungswirkung „mit dem Abschluss des Rechtszugs, in dem die Zusage erfolgt ist”, entfallen (§ 243a Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 BRAK-E) und ein Geständnis damit unverwertbar werden sollte (§ 243a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 BRAK-E; ZRP 2005, 235, 237). Diese Regelungen hat der Gesetzgeber aber gerade nicht übernommen, obwohl der Entwurf im Übrigen von großer Bedeutung und großem Einfluss für das Verständigungsgesetz gewesen ist (vgl. Niemöller in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, Teil A, Rn. 19). Damit muss eine analoge Anwendung des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO aus methodologischen Gründen ausscheiden (HK-StPO/Temming, 6. Aufl., § 257c Rn. 32; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 2; Wenske, NStZ 2015, 137, 141; aA Jahn, StV 2011, 497, 501; Schlothauer, StraFo 2011, 487, 494).


20


Richtigerweise kann die Unverwertbarkeit eines Geständnisses in diesen Fällen mithin nur mit den ‒ auch in den Gesetzgebungsmaterialien angesprochenen ‒ Vertrauensschutzgesichtspunkten begründet und damit letztlich aus dem verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz des fairen Verfahrens abgeleitet werden (OLG Karlsruhe, NStZ 2014, 294, 295; Moldenhauer, NStZ 2014, 493, 494; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 4; Wenske, NStZ 2015, 137, 141; für die Fälle nach Rechtsmitteleinlegung auch HK-GS/König/Harrendorf, 4. Aufl., § 257c Rn. 26; in diesem Sinne letztlich wohl auch BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 31.2: „Verwertungsverbot von Verfassungs wegen“). Auch der Bundesgerichtshof hat für den Fall der Aufhebung und Zurückverweisung eines Urteils nach einer zulasten des Angeklagten eingelegten Staatsanwaltschaftsrevision für das neue Tatgericht die Annahme eines Verwertungsverbots grundsätzlich befürwortet (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2016 ‒ 3 StR 331/16, NStZ 2017, 373, 375 mwN; dem folgend auch BGH, Urteil vom 23. Januar 2019 ‒ 5 StR 479/18 Rn. 43).


21


(3) Mit den in der letzten Fallgruppe genannten Konstellationen ist der vorliegende Fall vergleichbar, der dadurch gekennzeichnet ist, dass einerseits eine Bindungswirkung an die Verständigung nicht (mehr) besteht, und andererseits der Angeklagte nicht durch das Verschlechterungsverbot geschützt ist. Dies rechtfertigt es im Hinblick auf den für den Gesetzgeber leitenden „Grundsatz eines auf Fairness angelegten Strafverfahrens“ (siehe oben unter I.2. b) aa)) auch in Fällen, in denen es infolge einer Aussetzung der Hauptverhandlung zum Wegfall der Bindungswirkung einer Verständigung kommt, grundsätzlich von einem Verwertungsverbot hinsichtlich des Geständnisses auszugehen (für eine Übertragbarkeit der zu den Fällen der Rechtsmitteleinlegung gefundenen Grundsätze auf Fälle der Aussetzung auch Schlothauer, StraFo 2011, 487, 494; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2019 ‒ 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12).


22


(4) Ob vom Grundsatz der Unverwertbarkeit des Geständnisses ausnahmsweise abzuweichen ist, wenn sich das Tatgericht in der neuen Hauptverhandlung ‒ vergleichbar einem Berufungsgericht nach getroffener Verständigung vor dem Amtsgericht (siehe oben unter I.2. b) bb) (2) (b)) oder einem neu zuständigen Tatgericht nach Zurückverweisung (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. Januar 2019 ‒ 5 StR 479/18 Rn. 43) ‒ an die in der ausgesetzten Hauptverhandlung getroffene Verständigung binden wollen und dies entsprechend zu Beginn der Hauptverhandlung erklären würde, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil das Landgericht ausweislich des Revisionsvorbringens die in der ausgesetzten Hauptverhandlung getroffene Verständigung für hinfällig erklärt und das vor Aussetzung abgegebene Geständnis des Angeklagten auch nicht verwertet hat.


23


cc) Eine Pflicht, den Angeklagten zu Beginn der neuen Hauptverhandlung über die Unverwertbarkeit seines in der ausgesetzten Hauptverhandlung abgegebenen Geständnisses ausdrücklich („qualifiziert“) zu belehren, besteht indes nicht, wenn der Angeklagte vor der Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war; dann genügt es, wenn er ‒ wie hier ‒ zu Beginn der neuen Hauptverhandlung darüber informiert wird, dass eine Bindung an die in der ausgesetzten Hauptverhandlung getroffene Verständigung entfallen ist.


24


(1) Die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO betrifft ihrem Wortlaut nach zwar nur die in § 257c Abs. 4 Sätze 1 bis 3 StPO normierten Voraussetzungen und Folgen, die eintreten, wenn das Gericht von der Verständigung abweicht. Damit vergleichbar ist indes die Situation, dass die Verständigung infolge der Aussetzung der Hauptverhandlung ‒ ein rechtlicher Umstand, der sich neu ergeben hat ‒ hinfällig wird und der Vorsitzende, wie es § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO für die Fälle von § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO vorsieht, dies mitteilt. Der ordnungsgemäß belehrte Angeklagte ist damit über die Konsequenzen unterrichtet, die sich aus dem Wegfall der Bindungswirkung ergeben. Er weiß, dass in einem solchen Fall ein Verwertungsverbot eintritt.


25


Einer über diese der gesetzlichen Konzeption entsprechende Mitteilung hinausgehenden „qualifizierten“ Belehrung über die Unverwertbarkeit des Geständnisses bedarf es damit nicht. Dies zeigt auch das Verhalten des Beschwerdeführers, der ‒ von der Unverwertbarkeit seines früheren Geständnisses ausgehend ‒ die Tatvorwürfe in der neuen Hauptverhandlung nur noch teilweise eingeräumt hat.


26


(2) Der Annahme einer solchen „qualifizierten“ Belehrungspflicht steht zudem entgegen, dass in den Fällen, in denen eine über die in § 136 Abs. 1 StPO normierten Pflichten hinausgehende sogenannte qualifizierte Belehrung üblicherweise vorgesehen ist, zunächst gegen eine gesetzliche Hinweis- oder Belehrungspflicht verstoßen wurde, bevor der Beschuldigte später erneut vernommen wird. Er ist deshalb über den Regelungsgehalt des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus auch darauf hinzuweisen, dass wegen der bisher fehlerhaften bzw. unterbliebenen Belehrung die vorangehenden Angaben unverwertbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 ‒ 4 StR 455/08, BGHSt 53, 112, 115). Gleiches wird angenommen, wenn der Beschuldigte Angaben unter dem Eindruck des Vorhalts von unzulässig erlangten Erkenntnissen gemacht hat, etwa solchen aus einer rechtswidrigen Telekommunikationsüberwachung; auch in derartigen Fällen ist er ‒ selbst wenn er zuvor gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden war ‒ nicht mehr frei in seiner Entschließung, ob und wie er sich zu einzelnen Punkten einlassen soll, die ihm aufgrund der unzulässig erlangten Beweismittel vorgehalten werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 2018 ‒ 3 StR 390/17, NStZ 2019, 227, 228). In all diesen Fällen dient die sogenannte qualifizierte Belehrung somit dazu, einen anlässlich einer früheren Vernehmung zu Tage getretenen Verfahrensfehler zu korrigieren, mithin die Möglichkeit seiner Fortwirkung zu beseitigen und so den Einfluss des früheren Fehlers auf die neuen Angaben möglichst auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2016 ‒ GSSt 1/16, BGHSt 61, 221, 243). Ein solcher Fall ist aber nicht gegeben, wenn es lediglich darum geht, ob und gegebenenfalls wie der Angeklagte über die Verwertbarkeit oder Unverwertbarkeit seiner in erster Instanz ordnungsgemäß zustande gekommenen Einlassung zu informieren ist.


27


Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob er der in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum vertretenen Ansicht folgen würde, jedenfalls in den Fällen, in denen sich das Berufungsgericht nicht an die Verständigung binden wolle, müsse der Angeklagte zu Beginn der Berufungshauptverhandlung neben der Belehrung nach § 332 i.V.m. § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO entsprechend § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO „qualifiziert“ über die Unverwertbarkeit seines erstinstanzlich abgegebenen Geständnisses belehrt werden (OLG Karlsruhe, NStZ 2014, 294, 295; OLG Hamburg, NStZ 2016, 182, 183; KG, Beschluss vom 7. Oktober 2020 ‒ (4) 161 Ss 121/20 (166/20), juris Rn. 11, 13; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 42a; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 88; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 31.2; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 4 f.; Wenske, NStZ 2015, 137, 142).


28


(3) Der Rechtsauffassung des Senats steht Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen. Der 1. Strafsenat hat zwar in seinem Beschluss vom 24. April 2019 ausgeführt, dass der Angeklagte von Seiten des Gerichts darüber aufzuklären und zu belehren sei, dass bei einer Aussetzung der Hauptverhandlung nach einer Verständigung in der neuen Hauptverhandlung die Bindungswirkung der ursprünglichen Verfahrensverständigung entfallen sei und sein vormaliges Geständnis nicht verwertet werden dürfe; die in der ausgesetzten Hauptverhandlung gemäß § 257c Abs. 5 StPO erteilte Belehrung genüge dafür nicht (BGH, Beschluss vom 24. April 2019 ‒ 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12).


29


Dieser Entscheidung lag indes ein entscheidend anders gelagerter Fall zugrunde: Dort hatte der Vorsitzende weder über die Verständigungsgespräche noch über die in der ausgesetzten Hauptverhandlung erzielte Verständigung informiert, sondern ausdrücklich festgestellt, dass „Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem Gericht im Sinne von §§ 202a, 212, 257c StPO nicht stattgefunden“ hätten. Dementsprechend hat der 1. Strafsenat die Revision des Angeklagten „bereits mit der Angriffsrichtung, dass eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verletzt sei“, für begründet erachtet. Damit erweisen sich die Ausführungen zu einer Belehrungspflicht, auf die der 1. Strafsenat nur in der Begründung, warum ein Beruhen des Urteils auf der Verletzung der Mitteilungspflicht auch nicht ausnahmsweise verneint werden könne, beiläufig zurückgekommen ist, als nicht tragende Erwägungen. Ihnen ist zudem nicht zu entnehmen, dass der 1. Strafsenat auch im vorliegenden Fall eine weitergehende Belehrung für erforderlich gehalten hätte.




II.

30


Die Anordnung der Einziehung von Wertersatz des Tatertrages bedarf der Korrektur. Das Landgericht ist aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Angeklagte im ersten Tatkomplex (Fälle 1.1 bis 1.3 der Urteilsgründe) als Entlohnung für seine 21 Kurierfahrten mindestens 420 Gramm Marihuana im Wert von insgesamt 2.898 Euro erhielt. In den Fällen 2.1 und 2.2 der Urteilsgründe, in denen er selbst Handel mit insgesamt drei Kilogramm Marihuana trieb, hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte pro Kilogramm Marihuana 6.800 Euro als Verkaufspreis erzielt und damit 20.400 Euro als Tatertrag erlangt habe. Von der Gesamtsumme der Erträge in Höhe von 23.298 Euro hat sie die 9.000 Euro Bargeld, die eingezogen worden sind, abgezogen und ist so zu dem Wertersatzbetrag in Höhe von 14.298 Euro gelangt.


31


Dabei hat das Landgericht aber aus dem Blick verloren, dass der Angeklagte im Fall 2.2 der Urteilsgründe ein Kilogramm Marihuana „auf Kommission“ an seinen Abnehmer überließ. Da bei dessen Bunkerhaltern eine Woche nach der Übergabe noch fast 980 Gramm dieser Betäubungsmittel sichergestellt wurden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Abnehmer des Angeklagten diesen bereits bezahlt hatte. In Höhe des vereinbarten Kaufpreises für dieses Kilogramm Marihuana ‒ mithin in Höhe von 6.800 Euro ‒ hatte die Anordnung der Einziehung von Wertersatz deshalb zu entfallen.




III.

32


Der Teilerfolg des Rechtmittels ist so geringfügig, dass es nicht unbillig erscheint, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten, § 473 Abs. 4 StPO.


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