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26.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221438

Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 08.03.2021 – 2 RBs 13/21

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Düsseldorf

 
Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

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G r ü n d e :

2

I.

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Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 130 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene als Führer eines Personenkraftwagens auf der BAB 59 im Stadtgebiet von D. bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h nach Toleranzabzug. Der Betroffene hat sich gegen die ihm vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit damit verteidigt, er sei Arzt und habe seine aufgrund eines medizinischen Notfalls in akuter Lebensgefahr befindliche schwangere Ehefrau selbst in ein Krankenhaus bringen wollen, da er die Ressourcen des Rettungsdienstes habe schonen wollen, weil ihm aufgrund diverser Notfalleinsätze bekannt sei, dass Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes nach dem Einsatz aufgrund der Corona-Pandemie umständlich desinfiziert werden müssten. Außerdem brauche ein „Krankenwagen“ seiner Erfahrung nach 15 Minuten. Das Amtsgericht hat ausgeführt, die Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit könne zwar grundsätzlich durch Notstand gerechtfertigt sein, wenn nur so die erforderliche schnelle Hilfe für einen Schwerkranken geleistet werden könne, die Maßnahme sei im konkreten Fall jedoch zur Abwendung einer gegenwärtigen Lebensgefahr nicht geeignet gewesen, der Betroffene hätte einen „Krankenwagen“ rufen können. Bei der Bemessung der Geldbuße hat das Amtsgericht zugunsten des Betroffenen einen Verbotsirrtum angenommen und zu seinen Lasten eine einschlägige Voreintragung berücksichtigt. Hiergegen richtet sich dessen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

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II.

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Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

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Bei Verhängung einer Geldbuße von nicht mehr als 250 Euro ohne Nebenfolge ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 OWiG). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

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1.

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Eine Verfahrensrüge wegen Versagung des rechtlichen Gehörs hat der Betroffene nicht erhoben.

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2.

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Die Sachrüge bietet keinen Anlass, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Der Fall wirft keine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage von praktischer Bedeutung auf. Die rechtlichen Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes gem. § 16 OWiG sind in der Rechtsprechung hinreichend geklärt.

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Die Verletzung von Verkehrsvorschriften etwa durch Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit kann zwar grundsätzlich durch Notstand gerechtfertigt sein, wenn nur so die erforderliche schnelle Hilfe für eine schwer erkrankte oder verletzte Person geleistet werden kann (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2. Mai 2005, 8 Ss-OWi 98/05; OLG Celle, Beschluss vom 1. Oktober 2014, 321 SsBs 60/14, jeweils veröffentlicht in Juris). Eine Rechtfertigung durch Notstand setzt jedoch voraus, dass die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit überhaupt ein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr ist (vgl. OLG Celle, a.a.O.). Die Rechtfertigung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Notstand kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn der Betroffene nicht zuvor vergeblich einen anderen Ausweg aus der Notsituation, etwa die Anforderung von Notarzt und Rettungswagen, gesucht hat (vgl. OLG Celle, a.a.O; KG, Beschluss vom 2. April 1997, 2 Ss 78/97 - 3 Ws (B) 169/97; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. März 2001, 2 Ws (B) 94/01 OWiG, jeweils veröffentlicht in Juris). Erst wenn besondere Umstände vorliegen, beispielsweise weil eine solche Rettung ‒ etwa in besonders abgelegenen Gegenden ‒ nicht zeitnah möglich ist, und die Geschwindigkeitsüberschreitung einen wesentlichen Vorteil im Interesse des Patienten bringt, der nicht außer Verhältnis zu der Gefährdung anderer Straßenverkehrsteilnehmer steht, kann eine solche durch Notstand gerechtfertigt sein (vgl. OLG Celle, a.a.O; OLG Köln, a.a.O.).

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Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Der Betroffene hat schon keinen Versuch unternommen, rettungsdienstliche Hilfe anzufordern. Es ist zwar zutreffend, dass ein „Krankenwagen“ (richtig „Krankentransportwagen“, vgl. § 3 RettG NRW) 15 Minuten für die Anfahrt zu einer Einsatzstelle benötigen kann. Krankentransportwagen werden jedoch nicht für die Notfallrettung eingesetzt, sondern allein für den Krankentransport von Patienten, die nicht Notfallpatienten sind (§ 2 Abs. 3 RettG NRW). Bei der vorliegenden Notfallsituation wären gemäß § 2 Abs. 2 RettG NRW Rettungswagen und Notarzt entsendet worden, die bei Notfällen mit Sonder- und Wegerechten zur Einsatzstelle fahren und ‒ insbesondere im innerstädtischen Bereich einer Großstadt ‒ in aller Regel innerhalb kurzer Zeit an der Notfallstelle eintreffen. Dies muss dem Betroffenen als Arzt, der selbst angibt, über Erfahrungen bei diversen Notfalleinsätzen zu verfügen, bekannt sein.

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Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor und sind auch nicht vorgetragen, dass ein Notfall vorlag, bei dem als einsatztaktisches Vorgehen ein sofortiger Transport dringend geboten war. Selbst im professionellen Rettungsdienst ist die notfallmedizinischen Einsatztaktik „Load and go“, bei der im Rahmen einer notfallmedizinischen Strategie bei einem präklinisch nicht oder nicht ausreichend stabilisierbaren Patienten ein sofortiger Transport in das (erstversorgende) Krankenhaus erfolgt (vgl. Pschyembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Load an Go“.), im Rettungsdienstsystem der Bundesrepublik Deutschland der Ausnahmefall (vgl. hierzu Ramadanoc u.a., Qualitätsindikatoren im Notarzteinsatz, Der Notarzt 2020, S. 82), was dem Betroffenen als Arzt ebenfalls bekannt sein muss.

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Soweit sich der Betroffene gegen die ihm vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit darüber hinaus damit verteidigt, er habe seine aufgrund eines medizinischen Notfalls in akuter Lebensgefahr befindliche schwangere Ehefrau selbst in ein Krankenhaus bringen wollen, auch weil er die Ressourcen des Rettungsdienstes habe schonen wollen, da ihm aufgrund diverser Notfalleinsätze bekannt sei, dass Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes nach dem Einsatz aufgrund der Corona-Pandemie umständlich desinfiziert werden müssten, sieht sich der Senat zu folgenden ergänzenden Ausführungen genötigt:

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Der Betroffene hat nicht nur die Schonung der Ressourcen des Rettungsdienstes über das ‒ angeblich ‒ bedrohte Leben seiner schwangeren Ehefrau und des ungeborenen Kindes gestellt, sondern auch keine geeignete Rettungsmaßnahme getroffen. Angesichts der flächendeckenden Vorhaltung von Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland ist der selbständige Transport einer lebensbedrohlich erkrankten oder verletzten Person mit einem privaten Personenkraftwagen in ein Krankenhaus nur bei Hinzutreten außergewöhnlicher Umstände ‒ die hier ohne Zweifel nicht gegeben waren ‒ eine geeignete Rettungsmaßnahme, zumal eine Versorgung des Notfallpatienten, selbst wenn es sich bei dem Fahrzeugführer um einen Arzt handelt, während der Fahrt nicht, zumindest aber nicht ohne ein mit einer erheblichen Zeitverzögerung verbundenes Anhalten möglich ist und notwendige Notfallmedikamente sowie eine medizinische Notfallausrüstung jedenfalls nicht im erforderlichen Umfang vorhanden sind, wie sie in einem Rettungswagen und einem Notarzteinsatzfahrzeug vorgehalten werden. Hinzu kommt, dass in einem Personenkraftwagen auch keine adäquate Lagerungsmöglichkeit des Notfallpatienten entsprechend der medizinischen Notwendigkeit gegeben ist.

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3.

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Auch der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung besteht offensichtlich nicht und wird mit der Rechtsbeschwerde auch nicht geltend gemacht.

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III.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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