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26.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221427

Kammergericht Berlin: Beschluss vom 15.12.2020 – 3 Ws (B) 289-290/20

1. Allein der Umstand, dass dem Bußgeldbescheid keine ausdrückliche Angabe zur Schuldform zu entnehmen ist, steht der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung in aller Regel nicht entgegen.

2. Die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 verstößt nicht deshalb gegen das Zitiergebot, weil in der Eingangsformel der Hinweis auf einen Satzteil in § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG, näm-lich „erster Halbsatz“, fehlt.

3. Will der Tatrichter das von der BKatV vorgesehene Regelfahrverbot nicht verhängen, so sind seinem Beurteilungsspielraum enge Grenzen gesetzt und die schriftlichen Urteilsgründe müssen konkrete Feststellungen enthalten, die die Annahme eines besonderen Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen. Das Absehen vom Fahrverbot muss dann auf einer eingehenden und nachvollziehbaren, auf Tatsachen gestützten Begründung beruhen.


Kammergericht

Beschluss vom 15. Dezember 2020

3 Ws (B) 289, 290/20 ‒ 122 Ss 117/20       
(321 OWi) 3031 Js-OWi 2860/20 (332/20)

In der Bußgeldsache gegen

x

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 15. Dezember 2020 beschlossen:

  1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergar-ten vom 5. August 2020 wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
  2. Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. August 2020 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung ‒ auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde ‒ an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen, § 79 Abs. 6OWiG.
Gründe:

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen §§ 24 StVG, 1 Abs. 2, 49, 38 StVO eine Geldbuße von 320 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene Einspruch eingelegt und diesen in der Hauptverhandlung „auf die Rechtsfolgenseite“ beschränkt.  

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen zu einer Geldbuße von 400 Euro verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots ist abgesehen worden. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:

„Der Betroffene unterließ es am 29. August 2019 um 9.55 Uhr in 10711 Berlin, BAB 100 Fahrtrichtung Nord Lima 2490, als Führer des Pkw Suzuki mit dem amtlichen Kennzeichen xxx einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen. Es kam zu einem Unfall.“
 
Zur Bemessung der Rechtsfolgen hat das Amtsgericht ausgeführt:

„Bei der Bemessung der Buße hat sich das Gericht an der Regelbuße nach 135.2 Bkat orientiert, die 320 € beträgt. Das Gericht hat - da es hier um ein Augenblicksversagen ging, und der Betroffene auch ortsfremd ist und in der Situation überfordert war ausnahmsweise von der Verhängung des Regelfahrverbotes von einem Monat abgesehen. Der Betroffene ist verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Insoweit sieht dass (offensichtlich gemeint: es) das Gericht als ausreichend an, ihn als Fahrzeugführer auf seine Pflichten allein durch die Verhängung einer empfindlichen Geldbuße zu erreichen und hat diese auf 400 € festgesetzt.“

Gegen das Urteil wenden sich sowohl der Betroffene als auch die Amtsanwaltschaft mit der Rechtsbeschwerde.

Der Betroffene hat die Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und lässt im Rahmen der Sachrüge ausführen, die aktuellen Vorgaben der StVO und des Bußgeldkatalogs seien nicht anwendbar. Anwendbar seien vielmehr die Vorschriften der StVO vor 2009.   

Die Amtsanwaltschaft rügt mit der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde, die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertreten wird, dass das Amtsgericht kein Fahrverbot verhängt hat. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 3 OWiG statthaft.

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Die von Amts wegen zu prüfende Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ist gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig und wirksam. Der zugrundeliegende Bußgeldbescheid erfüllt die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG. Der Umstand, dass dem Bußgeldbescheid keine ausdrückliche Angabe zur Schuldform zu entnehmen ist, steht der Wirksamkeit der Beschränkung nicht entgegen. Denn die im Bußgeldbescheid erfolgte Festsetzung der Rechtsfolge (Geldbuße von 320,- Euro und Fahrverbot von einem Monat) unter Bezugnahme auf die Nummer „135.2 BKat“ (der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKat, Abschnitt I) lässt erkennen, dass die nach der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Regelbuße verhängt worden ist, bei der von fahrlässiger Begehungsweise und gewöhnlichen Tatumständen auszugehen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Januar 2014 ‒ 3 Ws (B) 652/13 ‒, BeckRS 2016, 15101 m.w.N.).

b) Auf die Wirksamkeit der am 28. April 2020 in Kraft getretenen 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 (BGBl. I, S. 814) kommt es nicht an, weil die verfahrensgegenständliche Verkehrsordnungswidrigkeit bereits am 29. August 2019 begangen worden ist.

c) Soweit das Rechtsmittel rügt, das Amtsgericht habe nichtiges Recht angewendet, weil „die Änderungen der StVO seit dem Jahr 2009 unwirksam sind mit der Rechtsfolge der Anwendung der Regelungen vor der Änderung im Jahr 2009“, folgt der Senat dem nicht.

Der Betroffene nimmt zur Begründung seiner Rechtsansicht Bezug auf ein Schreiben des Justizministeriums Baden-Württemberg an das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg vom 27. August 2020, welches er mit der Rechtsbeschwerdebegründung übersandt hat. In diesem wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsansicht für vertretbar gehalten werden könnte, dass die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot nichtig sei mit der Folge, dass auch das dort normierte Außerkrafttreten der StVO vom 16. November 1970 unwirksam sein könnte. Dies wiederum könne zur Folge haben, dass die StVO von 1970 in derjenigen (letzten) Fassung gelte, in der kein Verstoß gegen das Zitiergebot festzustellen sei, nämlich in der Fassung der 45. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 26. März 2009.

Die Rechtsansicht, die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 verstoße gegen das Zitiergebot, weil in der Eingangsformel der Verordnung der Hinweis auf einen Satzteil in § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG, nämlich „erster Halbsatz“, fehle, überzeugt nicht (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2020 ‒ 3 Ws (B) 249/20 ‒, BeckRS 2020, 31911). Die Eingangsformel der Verordnung vom 6. März 2013 zitiert alle Buchstaben des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG mit Ausnahme der Buchstaben a und b, nämlich zum ersten Spiegelstrich „c, f bis i“ und zum zweiten Spiegelstrich „d und e“. Für die nicht genannten Buchstaben a und b enthält der Gesetzestext den Hinweis „(weggefallen)“; sie enthalten keine Regelungen mehr. Damit erübrigt sich ein Hinweis darauf, dass die ausdrücklich bezeichneten Buchstaben c bis i der im ersten Halbsatz des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG bezeichneten „Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen“ dienen. Zu demselben Ergebnis kommt z.B. auch das OLG Oldenburg (vgl. Beschluss vom 8. Oktober 2020 - 2 Ss OWi 230/20 -, juris).  

2. Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft ist begründet.

Das Amtsgericht hat zu Unrecht davon abgesehen, ein Fahrverbot zu verhängen. Die hierzu herangezogene Begründung verkennt die Bedeutung des bundeseinheitlich geltenden Bußgeldkatalogs, die in ihm zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Vorbewertung der dort normierten Regelfälle und die ihn prägende Regelbeispieltechnik.

Liegen ‒ wie hier ‒ die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen (vgl. BGH NJW 1992, 446 und 1397). Der Tatrichter ist in diesen Fällen ‒ nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ‒gehalten, die Maßnahme anzuordnen. Er kann hiervon nur in ganz besonderen Ausnahmefällen absehen, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich von dem Regelfall abweicht, an den der Gesetzgeber gedacht hat, dass er als Ausnahme zu werten ist und auf ihn die Regelbeispieltechnik des Bußgeldkatalogs nicht mehr zutrifft, oder wenn die Maßnahme für den Betroffenen eine außergewöhnliche Härte darstellt (vgl. BGH a.a.O.).

Zu Recht weist die Generalstaatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum enge Grenzen gesetzt sind und die schriftlichen Urteilsgründe konkrete Feststellungen enthalten müssen, die die Annahme eines besonderen Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen. Das Absehen vom Fahrverbot muss auf einer eingehenden und nachvollziehbaren, auf Tatsachen gestützten Begründung beruhen (BGH a.a.O.; OLG Naumburg NZV 1995, 161; BayObLG NZV 1994, 487).

Daran fehlt es hier. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat, weil dem Betroffenen nur ein Augenblicksversagen zur Last gelegt werden könne. Auch sei der Betroffene ortsfremd und in der Situation überfordert gewesen sowie verkehrsrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.

Diese Feststellungen zeigen kein Geschehen, das die Bewertung rechtfertigen könnte, das zugrundeliegende Erfolgs- und Handlungsunrecht sei so stark herabgesetzt, dass es keine grobe Pflichtwidrigkeit begründe und eines Fahrverbots nicht bedürfe.

Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt, dass es sich bereits nicht erschließt, aus welchen tatsächlichen Umständen das Gericht auf ein Augenblicksversagen und eine Überforderung des Betroffenen schließt. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum ein Ortsfremder nicht in der Lage sein sollte, auf einer Bundesautobahn einem Einsatzfahrzeug mit Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Fahrt zu verschaffen. Gleichermaßen sind die Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch und die damit verbundene Geständniswirkung keine derart gewichtigen Besonderheiten, dass sie die Indizwirkung des Regelfahrverbots entkräften können.

3. Der Senat kann in der Sache nicht gemäß § 79 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 OWiG selbst entscheiden (vgl. OLG Bamberg NZV 2011, 209; OLG Celle NZV 1994, 332; OLG Frankfurt SVR 2010, 227; NStZ-RR 2002, 88). Denn es ist davon auszugehen, dass weitere erhebliche Feststellungen getroffen werden können, die bei der Berücksichtigung der Wechselwirkung von Fahrverbot und Geldbuße von Relevanz sind, zumal weder Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen des Betroffenen als technischer Projektleiter noch zur Frage einer eventuellen Existenzgefährdung infolge eines Fahrverbots getroffen worden sind.

4. Der Betroffene hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 73 Abs. 1 StPO).

RechtsgebieteGG, OWiG, StVOVorschriftenArt. 80 GG; § 67 OWiG, § 25 StVO

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