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10.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220427

Amtsgericht Nürnberg: Urteil vom 11.12.2020 – 240 C 8633/19

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Amtsgericht Nürnberg

Urteil vom 11.12.2020


In dem Rechtsstreit
XXX
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
gegen
XXX
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
wegen Forderung

erlässt das Amtsgericht Nürnberg durch die Richterin am Amtsgericht XXX am 11.12.2020 aufgrund des Sachstands vom 09.12.2020 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes
Endurteil

Tenor:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.09.2018 zu zahlen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
  4. Die Berufung wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung.

Die Fluggäste xxx und xxx sollten gemäß Buchungsbestätigung O291ND am 10.08.2018 von London (Stansted) nach Nürnberg befördert werden. Der Flug mit der Flugnummer xxx sollte planmäßig am 10.08.2018 um 18:30 Uhr UTC starten und am selben Tag um 20:10 Uhr UTC landen. Der Flug war außergewöhnlich verspätet und erreichte Nürnberg erst am 10.08.2018 um 23:12 Uhr UTC. Der Flug war damit 3 Stunden 2 Minuten verspätet.

Die betroffene Maschine sollte zuvor planmäßig folgenden Umlauf operieren:

xxx von London Stansted nach Almeria und zurück

xxx von London Stansted nach Glasgow und zurück

sowie der streitgegenständliche xxx von London Stansted nach Nürnberg und zurück.

Der genannte Flug wurde von der Beklagten durchgeführt. Die Distanz zwischen Abflug- und Ankunftsort beträgt 810 km.

Die Fluggäste haben die ihnen gegen die Beklagte zustehenden Ausgleichsansprüche an die Klägerin abgetreten. Diese hat der Beklagten mit Schreiben vom 20.08.2018 die Abtretung angezeigt und die Beklagte unter Vorlage der Abtretungserklärung und Fristsetzung zum 03.09.2018 erfolglos zur Zahlung der Ausgleichsansprüche aufgefordert.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.09.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Maschine habe auf dem Vorumlauf von London Stansted nach Glasgow durch Zuteilung eines späteren Slots durch Eurocontrol, IATA Delay Code 81, eine Verspätung von 35 Minuten erlitten, die sich bis zum streitgegenständlichen Flug fortgesetzt habe. Die Maschine habe sich um 19:00 Uhr UTC in London Stansted startbereit gemeldet. Aufgrund eines Gewitters sei ihr jedoch schon 17:02 Uhr UTC ein Slot für 19:45/48 Uhr UTC zugewiesen worden. Anschließend habe sie Slotrestriktionen durch Eurocontrol unterlegen, wobei zuletzt um 21:00 Uhr UTC ein Slot für 22:00 Uhr UTC zugeteilt worden sei. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass neben der wetterbedingten Verschiebung auch Slotzuteilungen durch Eurocontrol ein außergewöhnlicher Umstand darstellen würden. Ersatzmaßnahmen hätten nicht zur Verfügung gestanden.

Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

A.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 250 € pro Fluggast, gesamt 500 €, aus Art. 5 Abs. 1 c iVm Art. 7 Abs. 1 a) Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung).

1)

Der von der Beklagten ausgeführte Flug von London-Stasted nach Nürnberg hatte mehr als 3 Stunden Verspätung. Eine Verspätung von über 3 Stunden ist einer Annullierung gleichzustellen (EuGH, Urteil vom 19.11.2009, C-402/07, Celex-Nr. 62007CJ0402). Der Flug wurde von der Beklagten durchgeführt. Die Distanz zwischen Abflugs- und Ankunftsort beträgt unstreitig 810 km.

2)

Zwischen den Parteien ist lediglich streitig, ob die Beklagte aufgrund außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung von ihre Verpflichtung zur Ausgleichszahlung frei wird. Danach ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Die Beklagte beruft sich hinsichtlich der außergewöhnlichen Umstände auf eine Slotverschiebung aufgrund eines Gewitters sowie weiterer Slotverschiebungen durch Eurocontrol, deren Grundlage die Beklagte nicht weiter konkretisierte.

a)

Dahinstehen kann, ob es sich bei der Slotverschiebung aufgrund eines Gewitters um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, weil dieser allein nur zu einer Slotverschiebung auf 19:45 Uhr UTC und damit einer Verspätung von unter 3 Stunden geführt hätte. Er wäre daher nur dann relevant, wenn die weitere Verspätung ebenfalls auf außergewöhnlichen Umständen beruht hätte. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall.

b)

Die weiteren Slotverschiebungen stellen keinen außergewöhnlichen Umstand dar.

Außergewöhnliche Umstände sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Vorkommnisse, "die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind" (EuGH, Urteil vom 17. April 2018 - C-195/17 -, juris Rn. 32 mwN). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

Den den weiteren Slotverschiebungen zugrunde liegenden Grund hat die Beklagte jedoch trotz richterlichen Hinweises nicht vorgetragen. Es verblieb bei der in Englisch gefassten Erklärung von Eurocontrol, deren Bedeutung des Gerichts aufgrund der vielen Fachtermini bzw. Abkürzungen nicht bekannt ist, worauf das Gericht auch mit Verfügung vom 16.11.2020 hingewiesen hat. Den ursprünglichen Vortrag, dass die weiteren Slotverschiebungen ebenfalls auf einem Gewitter beruhten, hat die Beklagte nach richterlichen Hinweis vom 16.11.2020 nicht mehr aufrechterhalten.

Ob allein das Vorliegen einer Anordnung durch die Flugsicherheit Eurocontrol für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstandes genügt, ist umstritten (zum Meinungsstand vgl. BeckOK, Fluggastrechte-Verordnung, Schmid, 16. Edition, Stand 01.10.2020, Art. 5 Rn. 102 ff.). Soweit erkennbar ist die Rechtsfrage durch den EuGH noch nicht entschieden. Der BGH hat mit Urteil vom 13.11.2013, Az. X ZR 115/12, in: NJW 2014,859, entschieden, dass die Verweigerung oder verzögerte Erteilung einer Landeerlaubnis grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstand darstellt, weil das Luftverkehrsunternehmen keinen Einfluss darauf hat, ob ihm tatsächlich auch der Abflug bzw. die Landung zur vorgegebenen Zeit gestattet werde. Das erkennende Gericht vertritt jedoch die Auffassung, dass es nicht allein darauf ankommt, ob eine Anordnung des Luftfahrtmanagements vorliegt, sondern maßgeblich ist, ob die der Anordnung zugrunde liegenden Umstände die Voraussetzungen eines außergewöhnlichen Umstandes erfüllen. Denn eine Maßnahme der Flugsicherheit mag für die Beklagte zwar nicht beherrschbar sein, sie kann jedoch Teil der normalen Ausübung ihrer Tätigkeit sein. Wie schon dargelegt, müssen jedoch beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen, um einen außergewöhnlichen Umstand annehmen zu können. (so auch LG Korneuburg, Urteil vom 26.05.2020 - 22 R 67/20p, in: BeckRS 2020, 15835). Dem steht auch nicht Erwägungsgrund 15 der Fluggastrechteverordnung entgegen, wonach vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden sollte, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern. Der Erwägungsgrund ist nicht so zu verstehen, dass bei Vorliegen einer Entscheidung des Flugverkehrsmanagements automatisch ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, denn der europäische Gesetzgeber hat lediglich ausdrücken wolle, dass die in den Erwägungsgründen 14,15 genannten Vorkommnisse zu außergewöhnlichen Umständen führen können (BeckOK, aaO Rn. 102b ff.). Nur diese Auslegung entspricht dem Schutzzweck der Fluggastrechteverordnung. Ob die Maßnahme der Flugsicherheit Eurocontrol jedoch Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens war, kann nur dann geprüft werden, wenn vorgetragen und gegebenenfalls bewiesen wird, was Ursache der Anordnung von Eurocontrol war. Dazu hat sich die Beklagte trotz richterlichen Hinweises nicht verhalten.

B.

Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.

RechtsgebietFluggastrechte

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