12.01.2021 · IWW-Abrufnummer 219862
Amtsgericht Stuttgart: Urteil vom 23.10.2020 – 3 C 2852/20
Tritt der Reiseveranstalter gem. § 651h Abs. 4 Nr. 2 BGB berechtigt vom Vertrag zurück, entfällt sein Vergütungsanspruch unabhängig davon, ob sich der Reisende bei seinem zuvor erklärten Rücktritt berechtigterweise auf ein Vorliegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB berufen hatte.
Amtsgericht Stuttgart
In dem Rechtsstreit
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Tenor:
Streitwert: 1.298,70 €
Tatbestand
Die Klägerin buchte bereits geraume Zeit vor Beginn der COVID-19-Pandemie für den Reisezeitraum 15.03.-24.03.2020 eine Busrundreise durch Portugal, bei welcher die Anreise per Flugzeug erfolgen sollte, bei der Beklagten. Am 12.03.2020 trat die Klägerin, nachdem die Pandemie auch Portugal ergriffen hatte und sich der portugiesische Ministerpräsident in Quarantäne begeben hatte, von dem Vertrag zurück. Am gleichen Tag übermittelte die Beklagte der Klägerin eine Stornorechnung (Anl. Zur Klageschrift, Bl. 4 d.A.), mit welcher sie eine Stornogebühr in Höhe von 65% der bereits geleisteten Anzahlung von 1.998 €, mithin in Höhe von 1.298,70 € geltend machte. Den Differenzbetrag erstattet die Beklagte an die Klägerin.
Am 13.03.2020 riefen die portugiesischen Gesundheitsbehörden den Alarmzustand aus, wodurch unter anderem Kultureinrichtungen und Museen bis 09.04.2020 geschlossen sowie Restaurantbesuche beschränkt wurden und allgemein zu sozialer Distanz geraten wurde. Am 14.03.2020 sagte die Beklagte daher die Reise ab.
Die Klägerin macht geltend, dass auf Grund der COVID-19-Pandemie bereits zum 12.03.2020 eine Situation vorgelegen habe, die gem. § 651h Abs. 3 BGB zum entschädigungslosen Reiserücktritt berechtigt habe. Die Stornierung sei nicht nur gerechtfertigt gewesen, weil die Pandemie auch Portugal erreicht gehabt habe, sondern auch deshalb, weil auf Grund des engen Kontakts mit den Mitreisenden während der Reise eine erhöhte Ansteckungsgefahr bestanden habe.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.298,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jew. Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, dass zum Zeitpunkt der Stornierung der Klägerin keine Hinweise vorgelegen hätten, die objektiv zu der Annahme hätten Anlass geben können, dass in Portugal die Gefahr einer gesundheitsgefährdenden Ausbreitung des Virus bestand. Die statistische Ansteckungsgefahr in Portugal habe am 12.03.2020 der statistischen Ansteckungsgefahr am Wohnort der Klägerin entsprochen. Auch eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, welche zudem nur pauschal und nicht gebietsbezogen ausgesprochen worden sei und welcher daher mit Blick auf § 651h Abs. 3 BGB nur eine abgeschwächte Wirkung zuzusprechen sei, habe erst zum 17.03.2020 vorgelegen. Am 12.03.2020 habe die Beklagte auf Grundlage der ihr vorliegenden Informationen davon ausgehen müssen, dass die Reise ohne jede erhebliche Beeinträchtigung würde durchgeführt werden können. Hilfsweise hat die Beklagte beantragt, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob die strikte Vorgabe, Rückzahlungsansprüche binnen 14 Tagen befriedigen zu müssen, mit Blick auf die in Art. 16 EU-GRC garantierten Unternehmerfreiheit auch unter Pandemiebedingungen, welche die gesamte Geschäftstätigkeit zum Erliegen gebracht hätten, Geltung beanspruchen könne.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zur Akte gelangten Unterlagen Bezug genommen. Das Gericht hat mit Zustimmung beider Parteien im schriftlichen Verfahren entscheiden.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht Stuttgart sachlich und örtlich zuständig (§§ 23 Nr. 1 GVG, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) und begründet.
1.
Die Klägerin kann von der Beklagten gem. §§ 346 Abs. 1, 651h Abs. 1 Satz 2 BGB Rückzahlung der für die Reise geleisteten Zahlungen verlangen.
a) Zwischen den Parteien kam ein Pauschalreisevertrag im Sinne von § 651a BGB zustande, nachdem die Beklagte im Rahmen der geplanten Busrundreise mehrere Reiseleistungen im Sinne des § 651a Abs. 3 BGB für den Zweck derselben Reise schuldete.
b) Von diesem Reisevertrag ist der Kläger mit Rücktrittserklärung vom 12.03.2020 wirksam gem. § 651h Abs. 3 BGB zurückgetreten, so dass ein Entschädigungsanspruch gem. § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB ausscheidet.
aa) Nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB kann der Reisende entschädigungslos von der Reise zurücktreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen. Gemäß Erwägungsgrund 31 der auf Vollharmonisierung zielenden Richtlinie (EU) 2015/2302 (vgl. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie sowie BeckOGK-BGB/Alexander, § 651a Rn. 51 ff mwN [Stand: 01.08.2020]) liegen derartige Umstände, welche es dem Reisenden ermöglichen sollen, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, zum Beispiel dann vor, wenn etwa wegen des Ausbruchs einer schweren Krankheit am Reiseziel erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen.
Ob dies, wie erforderlich, zum Zeitpunkt der Reise der Fall sein wird, ist bei einer vor Reiseantritt abgegebenen Rücktrittserklärung durch eine Prognoseentscheidung zu beurteilen, im Rahmen welcher danach zu fragen ist, ob die konkrete Reise aus einer ex-ante-Betrachtung heraus erheblich beeinträchtigt sein wird (vgl. Staudinger/Ruks DAR 2020, 314, 315; Löw, NJW 2020, 1252, 1253; ebenso: AG Frankfurt, Urteil vom 11. August 2020 - 32 C 2136/20 (18), juris Rn. 38; AG Köln, Urteil vom 14. September 2020 - 133 C 213/20, juris Rn. 15 ff; Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 7 Rn. 24; BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 44, 46 jew. mwN [Stand: 01.08.2020]). Die Frage, von welchem Gefährdungsgrad an insoweit eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, lässt sich dabei "nicht in Form einer festen Größe, sondern nur fallweise unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrags beantworten" (vgl. BGH, NJW 2002, 3700 juris Rn. 12). Zu berücksichtigen ist daher zum einen mit welcher Wahrscheinlichkeit, für welche Rechtsgüter Gefahren drohen und zum anderen auch ob der konkreten Reise, wie etwa im Falle von Abenteuerreisen, ein gewisses Gefahrenpotential bereits immanent ist (vgl. BGH, NJW 2002, 3700 juris Rn. 11 f.; vgl. auch: AG Köln, Urteil vom 14. September 2020 - 133 C 213/20, juris Rn. 20; ähnlich BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 46 [Stand: 01.08.2020]).
Im Falle einer Gefahr für Leib und Leben wegen des Auftretens eines Hurrikans reicht jedenfalls eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 25% aus (BGH, aaO). Für eine Beeinträchtigung der Reise durch die COVID-19-Pandemie, wird insoweit vertreten, dass für eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB ausreicht, wenn ein konkretes Risiko für einen erheblichen Gesundheitsschaden besteht, weil am Reiseort im Vergleich zum Wohnort des Reisenden und der Zeit der Reisebuchung ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht (so BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 46 [Stand: 01.08.2020]), oder wenn die "realistische Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung, die zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis zum Tode führen kann" besteht (so AG Köln, Urteil vom 14. September 2020 - 133 C 213/20, juris Rn. 21). Dem schließt sich das Gericht an.
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen konnte die Klägerin von der streitgegenständlichen Reise am 12.03.2020, mithin drei Tage vor Reisebeginn, gem. § 651h Abs. 3 BGB zurücktreten. Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gegeben habe, so kann sie daraus nichts Entscheidendes herleiten. Denn eine für den Reisezeitraum geltende Reisewarnung des Auswärtigen Amtes stellt zwar ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände dar, ist aber keine Voraussetzungen für einen Rücktritt gem. § 651h Abs. 3 BGB (vgl. etwa jurisPK-BGB/Steinrötter, § 651h Rn. 44.1 mwN [Stand 11.05.2020]). Hinzu kommt, dass auch die Weltgesundheitsorganisation, deren Warnungen im Rahmen der Prognoseentscheidung ebenfalls Beachtung finden können (vgl. jurisPK-BGB/Steinrötter, § 651h Rn. 22 mwN [Stand 11.05.2020]) den COVID 19 Ausbruch am 12.03.2020 zur Pandemie erklärt hatte (§ 291 ZPO; https://www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/ coronavirus-covid-19/news/news/2020/3/who-announces-covid-19-outbreak-a-pandemic; zuletzt aufgerufen am 20.10.2020).
Entscheidend ist aber letztlich Folgendes. Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung stand - was wiederum allgemein bekannt ist - weder eine sichere Therapiemöglichkeit noch ein Impfstoff zur Verfügung und seine Verfügbarkeit bis zum drei Tage später geplanten Reiseantritt war ausgeschlossen. Da zum Reisezeitpunkt folglich vom Fehlen eines effektiven Schutzes gegen das Virus auszugehen war, bestand gerade im Falle einer mehrtägigen Flug- und Busrundreise, bei welcher eine große Anzahl Menschen über längere Zeit eng miteinander in Berührung gekommen wären, die konkrete, letztlich vom Zufall abhängige Gefahr, dass es unterwegs zu einem Infektionsgeschehen kommt. Insofern kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf einen Vergleich der statistische Ansteckungswahrscheinlichkeit am Wohnort oder im Zielland an. Denn dieser statistischen Wahrscheinlichkeit konnte unter anderem durch das bereits zum 12.03.2020 auch seitens der WHO (s.o.) empfohlene Distanzhalten begegnet werden, was im Rahmen einer Flug- und Busreise gerade nicht möglich war. Schon auf Grund der in einem Reisebus oder Flugzeug vorherrschenden Enge ging mit der Durchführung der Reise eine Vervielfachung des Ansteckungsrisikos einher, weshalb eine erhebliche Beeinträchtigung im oben dargelegten Sinne vorliegt.
c) Selbst wenn man dies anders beurteilen wollte, stünde der Beklagten ein Entschädigungsanspruch (§ 651h Abs. 1 Satz 3 BGB), den sie dem Rückgewähranspruch der Klägerin (§§ 346 Abs. 1, 651h Abs. 1 Satz 2 BGB) entgegen halten könnte, nicht zu. Denn der Umstand, dass die Beklagte selbst mit Erklärung vom 14.03.2020 die Reise abgesagt hat, kann insoweit nicht unberücksichtigt bleiben. Jedenfalls dieser Rücktritt gem. § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB, der unzweifelhaft berechtigt war, nachdem am Tag zuvor der Alarmzustand in Portugal ausgerufen worden war, führt vielmehr zum Verlust des Entschädigungsanspruchs der Klägerin.
Dass die Klägerin der Beklagten mit ihrem Rücktritt zuvorgekommen war, ändert daran nach Auffassung des erkennenden Gerichts nichts. Keiner Entscheidung bedarf insoweit, ob der Auffassung der Vorzug zu geben ist, wonach § 651h Abs. 4 Satz 2 BGB auf Grund richtlinienkonformer Auslegung auch dann zum Zuge kommt, wenn sich der Reisevertrag bereits durch den Rücktritt des Reisenden in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis gewandelt hatte (so wohl Führich, NJW 2020, 2137 Rn. 16; zum Rückabwicklungsschuldverhältnis vgl. etwa jurisPK-BGB/Steinrötter, § 651h Rn. 22 mwN [Stand 11.05.2020]), oder derjenigen, wonach das mit der Rücktrittserklärung des Reiseveranstalters bewirkte, nachträgliche Richtigwerden der - unterstellt - zunächst falschen ex-ante Prognose des Reisenden - ausnahmsweise - beachtlich ist (so BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 47 [Stand: 01.08.2020]; a.A. wohl Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 7 Rn. 24), so dass der Rücktritt des Reisenden gem. § 651h Abs. 3 ZPO doch durchgreift. Eine Gegenleistung in Form eines Entschädigungsanspruchs für eine Reise, die der Reiseveranstalter weder durchgeführt hat noch - wegen Vorliegens besonderer Umstände - hätte durchführen können und daher selbst abgesagt hat, kann er jedenfalls nicht verdienen (ebenso: BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 47 [Stand: 01.08.2020]; Bergmann in Tamm/Tonner/Brönneke, Verbraucherrecht, 3. Aufl., § 18a Rn. 241).
2.
Für eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an den EuGH bestand schon deshalb keine Veranlassung, weil die Klägerin keine auf § 651h Abs. 5 BGB gestützte Verzinsung beansprucht, so dass die Frage nicht entscheidungserheblich war.
II.
Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Kostenentscheidung und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 91, 709 ZPO.
Urteil vom 23.10.2020
Az.: 3 C 2852/20
In dem Rechtsstreit
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
wegen Forderung
hat das Amtsgericht Stuttgart durch den Richter am Amtsgericht ... am 23.10.2020 aufgrund des Sachstands vom 16.10.2020 ohne mündliche Verhandlung mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO für Recht erkannt:
Tenor:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.298,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.06.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dies gilt nicht für durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandene Mehrkosten, welche der Klägerin zur Last fallen.
- Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 1.298,70 €
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Zahlungen in Anspruch, die sie für eine in Folge der COVID-19-Pandemie stornierte Reise erbracht hatte.
Die Klägerin buchte bereits geraume Zeit vor Beginn der COVID-19-Pandemie für den Reisezeitraum 15.03.-24.03.2020 eine Busrundreise durch Portugal, bei welcher die Anreise per Flugzeug erfolgen sollte, bei der Beklagten. Am 12.03.2020 trat die Klägerin, nachdem die Pandemie auch Portugal ergriffen hatte und sich der portugiesische Ministerpräsident in Quarantäne begeben hatte, von dem Vertrag zurück. Am gleichen Tag übermittelte die Beklagte der Klägerin eine Stornorechnung (Anl. Zur Klageschrift, Bl. 4 d.A.), mit welcher sie eine Stornogebühr in Höhe von 65% der bereits geleisteten Anzahlung von 1.998 €, mithin in Höhe von 1.298,70 € geltend machte. Den Differenzbetrag erstattet die Beklagte an die Klägerin.
Am 13.03.2020 riefen die portugiesischen Gesundheitsbehörden den Alarmzustand aus, wodurch unter anderem Kultureinrichtungen und Museen bis 09.04.2020 geschlossen sowie Restaurantbesuche beschränkt wurden und allgemein zu sozialer Distanz geraten wurde. Am 14.03.2020 sagte die Beklagte daher die Reise ab.
Die Klägerin macht geltend, dass auf Grund der COVID-19-Pandemie bereits zum 12.03.2020 eine Situation vorgelegen habe, die gem. § 651h Abs. 3 BGB zum entschädigungslosen Reiserücktritt berechtigt habe. Die Stornierung sei nicht nur gerechtfertigt gewesen, weil die Pandemie auch Portugal erreicht gehabt habe, sondern auch deshalb, weil auf Grund des engen Kontakts mit den Mitreisenden während der Reise eine erhöhte Ansteckungsgefahr bestanden habe.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.298,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jew. Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, dass zum Zeitpunkt der Stornierung der Klägerin keine Hinweise vorgelegen hätten, die objektiv zu der Annahme hätten Anlass geben können, dass in Portugal die Gefahr einer gesundheitsgefährdenden Ausbreitung des Virus bestand. Die statistische Ansteckungsgefahr in Portugal habe am 12.03.2020 der statistischen Ansteckungsgefahr am Wohnort der Klägerin entsprochen. Auch eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, welche zudem nur pauschal und nicht gebietsbezogen ausgesprochen worden sei und welcher daher mit Blick auf § 651h Abs. 3 BGB nur eine abgeschwächte Wirkung zuzusprechen sei, habe erst zum 17.03.2020 vorgelegen. Am 12.03.2020 habe die Beklagte auf Grundlage der ihr vorliegenden Informationen davon ausgehen müssen, dass die Reise ohne jede erhebliche Beeinträchtigung würde durchgeführt werden können. Hilfsweise hat die Beklagte beantragt, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob die strikte Vorgabe, Rückzahlungsansprüche binnen 14 Tagen befriedigen zu müssen, mit Blick auf die in Art. 16 EU-GRC garantierten Unternehmerfreiheit auch unter Pandemiebedingungen, welche die gesamte Geschäftstätigkeit zum Erliegen gebracht hätten, Geltung beanspruchen könne.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zur Akte gelangten Unterlagen Bezug genommen. Das Gericht hat mit Zustimmung beider Parteien im schriftlichen Verfahren entscheiden.
Entscheidungsgründe
1.
Die Klägerin kann von der Beklagten gem. §§ 346 Abs. 1, 651h Abs. 1 Satz 2 BGB Rückzahlung der für die Reise geleisteten Zahlungen verlangen.
a) Zwischen den Parteien kam ein Pauschalreisevertrag im Sinne von § 651a BGB zustande, nachdem die Beklagte im Rahmen der geplanten Busrundreise mehrere Reiseleistungen im Sinne des § 651a Abs. 3 BGB für den Zweck derselben Reise schuldete.
b) Von diesem Reisevertrag ist der Kläger mit Rücktrittserklärung vom 12.03.2020 wirksam gem. § 651h Abs. 3 BGB zurückgetreten, so dass ein Entschädigungsanspruch gem. § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB ausscheidet.
aa) Nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB kann der Reisende entschädigungslos von der Reise zurücktreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen. Gemäß Erwägungsgrund 31 der auf Vollharmonisierung zielenden Richtlinie (EU) 2015/2302 (vgl. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie sowie BeckOGK-BGB/Alexander, § 651a Rn. 51 ff mwN [Stand: 01.08.2020]) liegen derartige Umstände, welche es dem Reisenden ermöglichen sollen, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, zum Beispiel dann vor, wenn etwa wegen des Ausbruchs einer schweren Krankheit am Reiseziel erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen.
Ob dies, wie erforderlich, zum Zeitpunkt der Reise der Fall sein wird, ist bei einer vor Reiseantritt abgegebenen Rücktrittserklärung durch eine Prognoseentscheidung zu beurteilen, im Rahmen welcher danach zu fragen ist, ob die konkrete Reise aus einer ex-ante-Betrachtung heraus erheblich beeinträchtigt sein wird (vgl. Staudinger/Ruks DAR 2020, 314, 315; Löw, NJW 2020, 1252, 1253; ebenso: AG Frankfurt, Urteil vom 11. August 2020 - 32 C 2136/20 (18), juris Rn. 38; AG Köln, Urteil vom 14. September 2020 - 133 C 213/20, juris Rn. 15 ff; Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 7 Rn. 24; BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 44, 46 jew. mwN [Stand: 01.08.2020]). Die Frage, von welchem Gefährdungsgrad an insoweit eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, lässt sich dabei "nicht in Form einer festen Größe, sondern nur fallweise unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrags beantworten" (vgl. BGH, NJW 2002, 3700 juris Rn. 12). Zu berücksichtigen ist daher zum einen mit welcher Wahrscheinlichkeit, für welche Rechtsgüter Gefahren drohen und zum anderen auch ob der konkreten Reise, wie etwa im Falle von Abenteuerreisen, ein gewisses Gefahrenpotential bereits immanent ist (vgl. BGH, NJW 2002, 3700 juris Rn. 11 f.; vgl. auch: AG Köln, Urteil vom 14. September 2020 - 133 C 213/20, juris Rn. 20; ähnlich BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 46 [Stand: 01.08.2020]).
Im Falle einer Gefahr für Leib und Leben wegen des Auftretens eines Hurrikans reicht jedenfalls eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 25% aus (BGH, aaO). Für eine Beeinträchtigung der Reise durch die COVID-19-Pandemie, wird insoweit vertreten, dass für eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB ausreicht, wenn ein konkretes Risiko für einen erheblichen Gesundheitsschaden besteht, weil am Reiseort im Vergleich zum Wohnort des Reisenden und der Zeit der Reisebuchung ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht (so BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 46 [Stand: 01.08.2020]), oder wenn die "realistische Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung, die zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis zum Tode führen kann" besteht (so AG Köln, Urteil vom 14. September 2020 - 133 C 213/20, juris Rn. 21). Dem schließt sich das Gericht an.
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen konnte die Klägerin von der streitgegenständlichen Reise am 12.03.2020, mithin drei Tage vor Reisebeginn, gem. § 651h Abs. 3 BGB zurücktreten. Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gegeben habe, so kann sie daraus nichts Entscheidendes herleiten. Denn eine für den Reisezeitraum geltende Reisewarnung des Auswärtigen Amtes stellt zwar ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände dar, ist aber keine Voraussetzungen für einen Rücktritt gem. § 651h Abs. 3 BGB (vgl. etwa jurisPK-BGB/Steinrötter, § 651h Rn. 44.1 mwN [Stand 11.05.2020]). Hinzu kommt, dass auch die Weltgesundheitsorganisation, deren Warnungen im Rahmen der Prognoseentscheidung ebenfalls Beachtung finden können (vgl. jurisPK-BGB/Steinrötter, § 651h Rn. 22 mwN [Stand 11.05.2020]) den COVID 19 Ausbruch am 12.03.2020 zur Pandemie erklärt hatte (§ 291 ZPO; https://www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/ coronavirus-covid-19/news/news/2020/3/who-announces-covid-19-outbreak-a-pandemic; zuletzt aufgerufen am 20.10.2020).
Entscheidend ist aber letztlich Folgendes. Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung stand - was wiederum allgemein bekannt ist - weder eine sichere Therapiemöglichkeit noch ein Impfstoff zur Verfügung und seine Verfügbarkeit bis zum drei Tage später geplanten Reiseantritt war ausgeschlossen. Da zum Reisezeitpunkt folglich vom Fehlen eines effektiven Schutzes gegen das Virus auszugehen war, bestand gerade im Falle einer mehrtägigen Flug- und Busrundreise, bei welcher eine große Anzahl Menschen über längere Zeit eng miteinander in Berührung gekommen wären, die konkrete, letztlich vom Zufall abhängige Gefahr, dass es unterwegs zu einem Infektionsgeschehen kommt. Insofern kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf einen Vergleich der statistische Ansteckungswahrscheinlichkeit am Wohnort oder im Zielland an. Denn dieser statistischen Wahrscheinlichkeit konnte unter anderem durch das bereits zum 12.03.2020 auch seitens der WHO (s.o.) empfohlene Distanzhalten begegnet werden, was im Rahmen einer Flug- und Busreise gerade nicht möglich war. Schon auf Grund der in einem Reisebus oder Flugzeug vorherrschenden Enge ging mit der Durchführung der Reise eine Vervielfachung des Ansteckungsrisikos einher, weshalb eine erhebliche Beeinträchtigung im oben dargelegten Sinne vorliegt.
c) Selbst wenn man dies anders beurteilen wollte, stünde der Beklagten ein Entschädigungsanspruch (§ 651h Abs. 1 Satz 3 BGB), den sie dem Rückgewähranspruch der Klägerin (§§ 346 Abs. 1, 651h Abs. 1 Satz 2 BGB) entgegen halten könnte, nicht zu. Denn der Umstand, dass die Beklagte selbst mit Erklärung vom 14.03.2020 die Reise abgesagt hat, kann insoweit nicht unberücksichtigt bleiben. Jedenfalls dieser Rücktritt gem. § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB, der unzweifelhaft berechtigt war, nachdem am Tag zuvor der Alarmzustand in Portugal ausgerufen worden war, führt vielmehr zum Verlust des Entschädigungsanspruchs der Klägerin.
Dass die Klägerin der Beklagten mit ihrem Rücktritt zuvorgekommen war, ändert daran nach Auffassung des erkennenden Gerichts nichts. Keiner Entscheidung bedarf insoweit, ob der Auffassung der Vorzug zu geben ist, wonach § 651h Abs. 4 Satz 2 BGB auf Grund richtlinienkonformer Auslegung auch dann zum Zuge kommt, wenn sich der Reisevertrag bereits durch den Rücktritt des Reisenden in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis gewandelt hatte (so wohl Führich, NJW 2020, 2137 Rn. 16; zum Rückabwicklungsschuldverhältnis vgl. etwa jurisPK-BGB/Steinrötter, § 651h Rn. 22 mwN [Stand 11.05.2020]), oder derjenigen, wonach das mit der Rücktrittserklärung des Reiseveranstalters bewirkte, nachträgliche Richtigwerden der - unterstellt - zunächst falschen ex-ante Prognose des Reisenden - ausnahmsweise - beachtlich ist (so BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 47 [Stand: 01.08.2020]; a.A. wohl Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 7 Rn. 24), so dass der Rücktritt des Reisenden gem. § 651h Abs. 3 ZPO doch durchgreift. Eine Gegenleistung in Form eines Entschädigungsanspruchs für eine Reise, die der Reiseveranstalter weder durchgeführt hat noch - wegen Vorliegens besonderer Umstände - hätte durchführen können und daher selbst abgesagt hat, kann er jedenfalls nicht verdienen (ebenso: BeckOGK-BGB/Harke, § 651h Rn. 47 [Stand: 01.08.2020]; Bergmann in Tamm/Tonner/Brönneke, Verbraucherrecht, 3. Aufl., § 18a Rn. 241).
2.
Für eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an den EuGH bestand schon deshalb keine Veranlassung, weil die Klägerin keine auf § 651h Abs. 5 BGB gestützte Verzinsung beansprucht, so dass die Frage nicht entscheidungserheblich war.
II.
Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Kostenentscheidung und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 91, 709 ZPO.
RechtsgebietReiserechtVorschriften§ 651h BGB