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24.11.2020 · IWW-Abrufnummer 219097

Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Urteil vom 11.11.2020 – 7 U 36/19

1. Zu den Anforderungen an den Verschuldensmaßstab des Betreuers der Versicherungsnehmerin

2. Abgrenzung von Risikobegrenzung und verhüllter Obliegenheit


OLG Frankfurt
7. Zivilsenat

11.11.2020


Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.02.2019 teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 30.508,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.10.2015 sowie weitere 1.474,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Leistung von Pflegegeld für den Zeitraum April 2013 bis Februar 2015 aus einer privaten Pflegetagegeldversicherung.

Die frühere Klägerin, Frau A, hatte seit 1997 bei der Beklagten, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter X Krankenversicherung AG, im Zeitraum ab 2010 unter Y1 Krankenversicherung AG und seit März 2019 unter Y Krankenversicherung AG firmierte, eine Pflegetagegeldversicherung unterhalten. Im Fall einer „Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe III)“ hatte sich die Beklagte verpflichtet, Pflegetagegeld zu leisten. Zudem sollte die Beitragszahlungspflicht entfallen.

Dem Versicherungsvertrag lagen die „Bedingungen für die Pflege-Tagegeld-Versicherung für die Pflegestufe III mit Gesundheitsfragen - Vertragsgrundlagen Tarif PT“ (im Folgenden als AVB bezeichnet) zugrunde.

Gemäß Ziffer 1 der AVB „Welche Leistungen erbringen wir und was ist nicht versichert?“, dort Ziffer 1.3 Abs. 1, sollte der Anspruch auf die Versicherungsleistungen mit dem Antrag auf Leistungen, frühestens jedoch mit Eintritt des Versicherungsfalls, entstehen.

Ziffer 1. 3 Abs. 2 der AVB lautet wörtlich:

„Wird der Antrag nach Ablauf des Monats gestellt, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, ist der Leistungsanspruch vom Beginn des Monats der Antragstellung gegeben. Bei einer unverschuldet verspäteten Anzeige des Versicherungsfalls werden die Leistungen jedoch rückwirkend erbracht.“

Wegen des weiteren Inhalts des Vertrags wird im Übrigen auf die AVB Bezug genommen (Anlage K5, Bl. 29 ff d.A.).

Am 09.10.2006 hatte die frühere Klägerin ihrem Ehemann, dem Kläger zu 1), eine Vorsorgevollmacht erteilt, die unter anderem auch die Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten umfasste. Auf die Anlage K2 (Bl. 16 f. d.A.) wird verwiesen. Zudem hatte die frühere Klägerin am 09.10.2006 verfügt, dass im Falle der Errichtung einer Betreuung der Kläger zu 1) als Betreuer eingesetzt werden sollte (Anlage K3, Bl. 18 f d.A.).

Die frühere Klägerin erlitt im … 2012 einen schweren Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung, vollständigem Verlust der Sprachfähigkeit und erheblicher Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens und wurde aufgrund dessen ab April 2013 in die damals geltende Pflegestufe III eingestuft.

Der Kläger zu 1) übernahm die häusliche Pflege und Betreuung der früheren Klägerin und nahm in diesem Zusammenhang auch zur Kenntnis, dass monatliche Abbuchungen an die Beklagte mit dem Vermerk „Y-Krankenversicherung“ erfolgten.

Am 10.02.2015 meldete der Kläger zu 1) den Versicherungsfall telefonisch bei der Beklagten. Diese bewilligte die Zahlung von Pflege-Tagegeld im vertraglich vereinbarten Umfang von 45,74 € ab Februar 2015. Eine rückwirkende Leistungserbringung für den Zeitraum ab April 2013 lehnte die Beklagte zuletzt mit Schreiben vom 24.06.2015 ab. Die frühere Klägerin nahm daraufhin anwaltliche Hilfe in Anspruch; das anwaltliche Aufforderungsschreiben vom 14.10.2015, in welchem der Beklagten eine Leistungsfrist bis zum 27.10.2015 gesetzt worden war, blieb ebenfalls ohne Erfolg.

Mit der am 11.01.2017 erhobenen Klage hat die frühere Klägerin die Beklagte auf Leistung von Pflege-Tagegeld für den Zeitraum vom 01.04.2013 bis 31.01.2015 in Höhe von 45,47 € kalendertäglich in Anspruch genommen, abzüglich der Zeiträume 27.06.-28.06.2013 und 10.11.-11.11.2013, in denen sich die frühere Klägerin in stationärer Behandlung befand.

Die frühere Klägerin ist am XX.XX.2017 verstorben. Die jetzigen Kläger sind die Erben der früheren Klägerin und haben den Rechtsstreit aufgenommen.

Die Kläger haben behauptet, der Versicherungsvertrag sei von der früheren Klägerin in einem Ordner mit der Aufschrift „Testament“ abgelegt worden. Der Kläger zu 1) habe die Abbuchungen der Beklagten zunächst für Beiträge zu einer Zusatz-Krankenversicherung gehalten und erstmals im Februar 2015 anlässlich der Vorbereitung der Steuererklärung der früheren Klägerin für das Jahr 2013 näher nachgeforscht und nach langem Suchen die Versicherungsunterlagen entdeckt. Erschwerend sei hierbei auch gewesen, dass der Versicherungsvertrag - unstreitig - auf die frühere Firmierung der Beklagten gelautet habe, nämlich X Krankenversicherung AG. Eine Verbindung zwischen der Beklagten und dem Versicherungsvertrag sei daher nicht offenkundig gewesen und habe erst durch den Vergleich ungeklärter Versicherungsnummern hergestellt werden können.

Die Kläger haben gemeint, die Regelung Ziffer 1. 3 der AVB stelle eine „verhüllte Obliegenheit“ dar und sei als solche unwirksam. Jedenfalls aber sei der Versicherungsfall nicht schuldhaft verspätet angezeigt worden. Die frühere Klägerin habe den Versicherungsfall aufgrund ihrer gesundheitlichen Defizite selbst nicht melden können. Das Verhalten des Klägers zu 1) sei der früheren Klägerin nicht zuzurechnen. Im Übrigen läge auch kein schuldhaftes Zögern in dessen Person vor, da der Kläger zu 1) nicht habe damit rechnen müssen, dass die frühere Klägerin auch eine Pflegezusatzversicherung abgeschlossen habe. Den Abbuchungen habe er dies nicht entnehmen können. Zudem sei der Kläger zu 1) durch die Pflege der früheren Klägerin und die Verwaltung des Mehrfamilien-Mietshauses der früheren Klägerin, mithin durch unaufschiebbare tägliche Aufgaben sehr stark beansprucht gewesen. Das Verhalten der früheren Klägerin und des Klägers zu 1) sei - wenn überhaupt - allenfalls als fahrlässig anzusehen, weswegen eine Leistungsversagung wegen einer etwaigen Verletzung einer Obliegenheit nicht in Betracht käme.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 30.508,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.10.2015 sowie 1.474,89 € anwaltlicher Geschäftsgebühr nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit dem 28.10.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die frühere Klägerin habe die Vertragsunterlagen in einem entsprechend gekennzeichneten Aktenordner aufbewahrt. Die Beklagte hat gemeint, bei Ziff. 1.3 der AVB handele es sich um eine Ausschlussfrist als Anspruchsvoraussetzung. Die frühere Klägerin müsse sich ein etwaiges Verschulden des Klägers zu 1) gem. § 278 BGB zurechnen lassen. Dieser habe es schuldhaft versäumt, den Antrag auf Versicherungsleistungen innerhalb eines Monats nach Eintritt des Versicherungsfalls zu stellen. Der Kläger zu 1) hätte sich unverzüglich nach Übernahme der Betreuung einen Überblick über die vertraglichen Verhältnisse und dabei auch die Versicherungsverhältnisse der Vollmachtgeberin verschaffen müssen. Hierbei hätte er erkennen können und müssen, dass der streitgegenständliche Vertrag bestand. Jedenfalls hätte er sich durch einfache Nachfrage bei der Beklagten die entsprechenden Informationen beschaffen können. Bereits aufgrund der ihm - unstreitig - bekannten monatlichen Abbuchungen der Beklagten hätte er Veranlassung gehabt, dem Zweck derselben nachzugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, wobei zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der dort im streitigen Vorbringen der Beklagten enthaltene Vortrag, wonach die frühere Klägerin und der Kläger zu 1) regelmäßig über den Vertrag gesprochen hätten, unzutreffend ist. Die von den Klägern beantragte und von der Beklagten nicht angegriffene Berichtigung des Tatbestandes ist vor Ausscheiden des zuständigen Einzelrichters beim Landgericht Frankfurt nicht mehr beschieden worden.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 14.02.2019, wegen dessen Begründung auf Bl. 188 ff. d.A. Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen.

Gegen das ihnen am 20.02.2019 zugestellte Urteil haben die Kläger am 18.03.2019 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 23.05.2019 verlängerten Frist begründet.

Die Kläger wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Kläger meinen, das Landgericht habe wesentlichen Vortrag des Klägers übersehen, Vortrag zugrunde gelegt, auf den sich keine Partei berufen habe, im Übrigen die Anforderungen an eine unverschuldet verspätete Schadensmeldung überspannt und das Verhalten des Klägers zu 1) zu Unrecht der Versicherungsnehmerin zugerechnet. Das Landgericht habe in Bezug auf den Kläger zu 1) für die Frage des Verschuldens nicht auf die Versäumung der Meldung des Versicherungsfalls abgestellt, sondern vielmehr auf ein unzureichendes Kümmern des Klägers zu 1) um die vermögensrechtlichen Angelegenheiten der früheren Klägerin und damit letztendlich auf die verschuldete Unkenntnis der Versicherung. Zur Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls gehöre aber auch die Kenntnis vom Bestehen einer Versicherung. Auf ein Kennenmüssen komme es nicht an. Die Beklagte habe zudem in einem Telefonat im Februar 2015 die rückwirkende Auszahlung der Versicherungsleistung zugesagt.

Die Kläger beantragen,

1. das angefochtene Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M. vom 14.02.2019, Az 2-23 O 411/16, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 30.508,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.10.2015 sowie 1.474,89 € anwaltlicher Geschäftsgebühr nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.10.2015 zu zahlen.

2. Hilfsweise: das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.02.2019, Az. 2-23 O 411/16, aufzuheben und an das Landgericht Frankfurt am Main zurück zu verweisen

Die Beklagte beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Sie trägt insbesondere vor, der Versicherungsnehmer habe selbst für die Geltendmachung von Versicherungsansprüchen Sorge zu tragen. Wer in gesunden Tagen die hierfür erforderlichen Vorkehrungen nicht treffe und sein Umfeld informiere, sei nicht schutzwürdig. Aufgrund der an den Kläger zu 1) übertragenen Befugnisse für die Verwaltung auch des streitgegenständlichen Versicherungsvertrags sei dieser als Repräsentant der früheren Klägerin anzusehen. Die Beklagte verweist darauf, dass nach klägerischem Vortrag der Kläger zu 1) rechtsgeschäftlich die Betreuung übernommen habe. Das Fehlverhalten des Betreuenden sei der Versicherungsnehmerin zuzurechnen. Das Vorbringen der Kläger zu einer telefonischen Leistungszusage der Beklagten rügt die Beklagte als verspätet.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die zur Akte gereicht wurden.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist ganz überwiegend begründet. Lediglich in einer Nebenforderung ist diese teilweise unbegründet.

Den Klägern als gesetzlichen Erben der Versicherungsnehmerin steht gegen die Beklagte der geltend gemachte Anspruch auf Leistung von Pflege-Tagegeld auch für den rückwirkend geltend gemachten Zeitraum ab dem 01.04.2013 in Höhe von insgesamt 30.508,58 € zu.

Der Anspruch auf die Versicherungsleistungen entsteht gem. Ziffer 1.3 Abs. 1 der AVB mit dem Antrag auf Leistungen, frühestens jedoch mit Eintritt des Versicherungsfalls. Der Versicherungsfall tritt ein, wenn bei der versicherten Person Schwerst-Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe III) i.S.v. Ziffer 1.2 der AVB vorliegt.

Zwischen den Parteien ist es unstreitig, dass der Versicherungsfall im vorliegenden Fall am 01.04.2013 eintrat. Unstreitig ist es auch, dass der Versicherungsfall erstmals im Februar 2015 durch den Kläger zu 1) für die frühere Klägerin angemeldet wurde und die Beklagte den Versicherungsfall ab dem 01.02.2015 anerkannte.

Die Versagung von Versicherungsleistungen rückwirkend für den Zeitraum ab dem 01.04.2013 erfolgte indes zu Unrecht. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf die Regelung in Ziffer 1. 3 Abs. 2 S. 1 der AVB berufen.

Dies beruht allerdings nicht etwa darauf, dass es sich bei der Klausel um eine unwirksame „verhüllte Obliegenheit“ handelt, wie die Kläger meinen. Vielmehr handelt es sich um eine Ausschlussfrist.

Die Klausel ist im Wesentlichen vergleichbar mit einer Klausel aus den Bedingungen zur Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (§ 1 (3) Satz 2 BB-BUZ), über die der BGH in seinem Urteil vom 02.11.1994 (Az IV ZR 324/93; juris) zu entscheiden hatte. Diese lautete: „Der Anspruch auf Beitragsfreiheit und Rente entsteht mit dem Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Erfolgt die Anzeige (§ 4) später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit, so beginnen Beitragsfreiheit und Rente mit Beginn des Monats der Anzeige.“

Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt, diese Klausel begründe keine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, sondern bestimme eine Ausschlussfrist. Die Befristung der Geltendmachung oder Anmeldung versicherungsrechtlicher Ansprüche in Versicherungsbedingungen bezwecke grundsätzlich objektiv eine zeitliche Begrenzung der Leistungspflicht des Versicherers. Der Versicherer verspreche für den Zeitraum, der der Anzeige vorausgehe, Versicherungsleistungen nur in dem aus der Klausel sich ergebenden zeitlichen Rahmen. Die Versäumung der Anzeigefrist habe zwar - so der BGH - nicht den vollständigen Anspruchsverlust zur Folge, der Versicherungsnehmer verliere aber im Fall der Versäumung der Frist Ansprüche, die in der Zeit zwischen dem Ablauf des Monats, in dem Berufsunfähigkeit eingetreten sei, und dem Beginn des Anzeigemonats lägen, während Ansprüche für die Zukunft unberührt blieben. Der Zweck der Fristbestimmung liege darin, dem Versicherer eine zeitnahe Prüfung und zuverlässige Feststellung des angezeigten Eintritts des Versicherungsfalles zu ermöglichen und ihm alsbald Klarheit über seine Leistungspflicht zu verschaffen; dies vor dem Hintergrund, dass es um die Beurteilung der gesundheitlichen Verhältnisse des Versicherten gehe, die im Laufe der Zeit erheblichen Änderungen unterworfen sein könnten. Es stehe also bei der vorliegenden fristgebundenen Ausschlussregelung, so der BGH, nicht die Begründung einer Verhaltensnorm für den Versicherungsnehmer im Vordergrund, sondern das Ziel, für solche vor Fristablauf entstandenen Ansprüche grundsätzlich nicht einstehen zu müssen. Dieses Ziel wäre durch die Begründung einer Obliegenheit des Versicherungsnehmers nicht zu erreichen, da insoweit auch eine grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheiten den Versicherer nicht zuverlässig von seiner Leistungspflicht befreien könne.

Aufgrund der inhaltlichen Vergleichbarkeit der Klauseln sind diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragbar. Auf die Entscheidung des OLG Hamm (VersR 1994, 166; juris) können sich die Kläger hingegen nicht mit Erfolg berufen. Dem dortigen Rechtsstreit lag eine unfallversicherungsrechtliche Klausel aus den AUB 61 zugrunde, die hinsichtlich der darin enthaltenen Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeigepflicht in den aktualisierten AUB 88 ausdrücklich - und wie hier nicht - als Obliegenheit ausgestaltet war. Insbesondere diesen Umstand hatte das OLG Hamm als maßgeblich für seine Beurteilung angesehen.

Die verspätete Anzeige des Versicherungsfalls erfolgte jedoch unverschuldet i.S.d. Ziffer 1.3 Abs. 2 S. 2 der AVB.

Die Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls ist grundsätzlich vom Versicherungsnehmer zu erfüllen, § 30 VVG. Die frühere Klägerin hat die Anzeige des Versicherungsfalls unverschuldet unterlassen. Die Kläger haben hierzu vorgetragen, dass die frühere Klägerin aufgrund der gesundheitlichen Folgen des Schlaganfalls zur Meldung des Versicherungsfalls ebenso wenig in der Lage war wie dazu, den Kläger zu 1) über das Bestehen der streitgegenständlichen Versicherung zu informieren. Dies hat die Beklagte zwar im Termin vom 29.11.2018 mit Nichtwissen bestritten, das Bestreiten ist jedoch unzureichend sowie auch unzulässig. Denn nach eigenem Vortrag der Beklagten lag die Pflegebedürftigkeit der früheren Klägerin von Anfang an auf der Hand. Wenn deren Pflegebedürftigkeit jedoch offenkundig war sowie - im Kontext des Beklagtenvortrags - damit einhergehend die Notwendigkeit deren (rechtlicher) Betreuung, war das einfache Bestreiten der Beklagten betreffend den die Pflegebedürftigkeit bedingenden körperlichen und geistigen Zustand nicht ausreichend. Die Beklagte hatte Kenntnis von dem Gesundheitszustand der früheren Klägerin bei Eintritt des Versicherungsfalls, mithin von den die Einstufung in den Pflegegrad III bedingenden gesundheitlichen Einschränkungen, da ihr entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen (Ziffer 2.1 der AVB) sowohl der Einstufungsbericht der Pflegeversicherung als auch sämtliche Gutachten des B bzw. der Fa. C über die Pflegebedürftigkeit vorzulegen waren. Das einfache Bestreiten mit Nichtwissen ohne konkreten Vortrag dazu, welcher Gesundheitszustand der früheren Klägerin bei Eintritt des Versicherungsfalls vorlag, der sie in die Lage zur fristgerechten Anzeige bzw. Information versetzt haben würde, ist vor diesem Hintergrund unzulässig (§ 138 Abs. 4 ZPO).

Die frühere Klägerin handelte auch nicht dadurch schuldhaft, dass sie den von ihr bevollmächtigten Kläger zu 1) nicht bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls über das Bestehen des Versicherungsvertrags informiert hatte. Eine solche vorausschauende Verhaltenspflicht im Sinne einer sogenannten „Vorsorgeobliegenheit“ bestand nicht (vgl. Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage, Ziff. 8 AUB 2008, Rn 110; juris, zur Frage, ob der Versicherungsnehmer im Rahmen einer Unfallversicherung etwaige Anspruchsteller über den Versicherungsvertrag und dessen Inhalt informieren müsse). Es ist kein Grund ersichtlich, im Rahmen der hier streitgegenständlichen Pflege-Tagegeldversicherung einen anderen Maßstab zugrunde zu legen.

Da die frühere Klägerin selbst nicht schuldhaft handelte, wäre die Beklagte nur leistungsfrei, wenn die verspätete Anzeige durch den Kläger zu 1) seinerseits schuldhaft gewesen und dies der früheren Klägerin zuzurechnen wäre. Die schuldhafte Verletzung einer Pflicht setzt jedoch die Kenntnis vom Bestehen der Pflicht voraus. Mithin müsste der Kläger zu 1) nicht nur Kenntnis vom Vorliegen des Versicherungsfalls, sondern auch vom Bestehen des Versicherungsvertrags gehabt haben. Da der Kläger zu 1) unstreitig vor Februar 2015 keine Kenntnis von dem Versicherungsvertrag hatte, ist die verspätete Anzeige insoweit auch nicht schuldhaft erfolgt. Soweit im angefochtenen Urteil als streitiger Vortrag zugrunde gelegt wird, die frühere Klägerin und der Kläger zu 1) hätten regelmäßig über den Vertrag gesprochen, ist dies unstreitig unzutreffend und bedurfte keiner weiteren Aufklärung.

Es kann dahinstehen, ob der Kläger zu 1) aufgrund der Vorsorgevollmacht als Repräsentant der früheren Klägerin anzusehen ist. Jedenfalls aber hat es der Kläger zu 1) nicht schuldhaft und in der früheren Klägerin zuzurechnender Weise unterlassen, sich die entsprechende Kenntnis zu verschaffen. Der von der Beklagten verfolgte Ansatz führt zu einer nicht vertretbaren Ausweitung des Anknüpfungspunkts der Pflichtverletzung, nämlich von der Verletzung einer bekannten Handlungspflicht hin zu einer schuldhaften Unkenntnis des die Pflicht begründenden Vertrages.

Wie ausgeführt, trifft grundsätzlich den Versicherungsnehmer die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige des Versicherungsfalls, wenn er Leistungsnachteile vermeiden will. Die Kenntnis dieser Verhaltenspflicht wird zu Lasten des Versicherungsnehmers unterstellt, da er den Versicherungsvertrag selbst abgeschlossen hat, mithin Kenntnis vom Bestehen des Vertrages hat. Hätte der Versicherungsnehmer unverschuldet keine Kenntnis (mehr) vom Vertrag, wäre dessen Nichtanzeige des Versicherungsfalls nicht schuldhaft. Der an den Repräsentanten oder Bevollmächtigten anzulegende Maßstab kann nicht weiter reichen. Dies bedeutet, dass auch insoweit das Kennenmüssen der Anzeigepflicht an die Kenntnis vom Bestehen des Vertrags anknüpft. Kennt - wie hier - der Dritte, der die Anzeigepflicht anstelle des Versicherungsnehmers zu erfüllen hat, den Vertrag nicht, verletzt er die Anzeigepflicht nicht schuldhaft. Die Pflicht des Klägers zu 1), sich aus dem Bevollmächtigungsverhältnis umfassend Kenntnis von der Vertrags- und Vermögenslage zu verschaffen, betrifft entgegen der Auffassung der Beklagten allein den Pflichtenkreis zwischen Versicherungsnehmer und Bevollmächtigten, nicht jedoch den Pflichtenkreis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer.

Es lagen im Übrigen auch keine Umstände vor, die dem Kläger zu 1) Veranlassung geboten hätten, vor Februar 2015 vom Bestehen des hier streitgegenständlichen Versicherungsvertrages auszugehen. Der Umstand, dass es dem Kläger zu 1) möglich war, die Vertragsunterlagen im Februar 2015 aufzufinden, besagt für sich genommen noch nichts. Ebenso bot die dem Kläger unstreitig bekannte monatliche Abbuchung der Versicherungsbeiträge keinen Anlass dafür, vom Bestehen einer Pflege-Tagegeldversicherung auszugehen. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, der Kläger zu 1) habe aufgrund der Abbuchungen bereits Kenntnis von der in Rede stehenden Versicherung gehabt, ist dies nicht nachzuvollziehen. Es ist zwar unstreitig, dass der Kläger zu 1) die Abbuchungen kannte, jedoch ergab sich aus dem Buchungstext lediglich ein Hinweis darauf, dass (irgend)ein Versicherungsvertrag bei der Beklagten bestand, jedoch - unstreitig - nichts Offenkundiges zur Art der Versicherung. Dass der Kläger zu 1) angesichts der Firma der Beklagten vom Bestehen (lediglich) eines privaten Krankenversicherungsvertrags ausging, ist nachvollziehbar; eine Pflicht, sich unmittelbar mit dem vermeintlichen Krankenversicherer in Verbindung zu setzen, bestand im Rahmen des hier Streitgegenständlichen dagegen nicht.

Schließlich ist das Berufen der Beklagten auf die Ausschlussfrist im vorliegenden Fall als treuwidrig anzusehen (§ 242 BGB). Wenn, wie im vorliegenden Fall, der Eintritt des Versicherungsfalls ebenso unstreitig ist wie der Umstand, dass die Leistungsvoraussetzungen während des gesamten streitigen Zeitraums unverändert vorlagen, fehlt es in Abwägung der widerstreitenden Interessen an einem schützenswerten Interesse der Beklagten. Denn unter Zugrundelegung der seitens des Bundesgerichtshofs in dem o.a. Urteil (Urteil vom 02.11.1994 - Az IV ZR 324/93 - juris) aufgestellten Grundsätze, bestand für die Beklagte hier ebenso wenig eine Unsicherheit hinsichtlich des Sachverhalts, den sie ihrer Leistungsprüfung zugrunde zu legen hatte, noch bestand die Gefahr, dass ihr durch die verspätete Anzeige Nachteile im Rahmen der Leistungsprüfung entstehen könnten. Das seitens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument, der Versicherer habe deswegen ein besonderes Interesse an der zeitnahen Anzeige des Versicherungsfalls, damit er entsprechende Rückstellungen bilden könne, verfängt nicht. Es ist dem Versicherungsvertrag immanent, dass sich das versicherte Risiko verwirklichen könnte. Die erforderlichen finanziellen Mittel zur Gewährung des vertraglich zugesagten Versicherungsschutzes, der gerade im Fall der unverschuldet verspäteten Anzeige rückwirkend gewährt wird, kalkuliert und erwirtschaftet der Versicherer mithin nicht erst ab dem Zeitpunkt der Anzeige des Versicherungsfalls.

Die geschuldete Versicherungsleistung ist der Höhe nach unstreitig. Der diesbezüglich geltend gemachte Zinsanspruch steht den Klägern nach §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte befand sich jedenfalls nach Ablauf der ihr bis zum 27.10.2015 gesetzten Frist in Verzug.

Die Kläger haben gegen die Beklagte des Weiteren Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten, außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Die außergerichtliche Tätigkeit der jetzigen Prozessbevollmächtigten erfolgte nach Leistungsablehnung und damit verzugsbedingt.

Der Anspruch auf Verzinsung der Ersatzsumme besteht indes erst ab Rechtshängigkeit (§§ 288 Abs. 1, 291 BGB), da insoweit Umstände, die einen früher eintretenden Verzug begründen würden, nicht vorliegen.

Der Beklagten waren trotz des Teilunterliegens der Kläger die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da die lediglich die Verzugszinsen betreffende Zuvielforderung der Kläger verhältnismäßig geringfügig war und keine höheren Kosten verursacht hat, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

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