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06.08.2020 · IWW-Abrufnummer 217221

Hessisches Finanzgericht: Beschluss vom 08.06.2020 – 12 V 643/20

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Hessisches Finanzgericht
12. Senat

08.06.2020


Tenor

Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der           GbR.

Die Antragsteller sind Gesellschafter der GbR, die ein gepachtetes Gastronomieobjekt betrieb.

Der Antragsgegner beantragte unter dem 31. Oktober 2019 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GbR beim Amtsgericht                       ‒ Insolvenzgericht ‒ (im Folgenden: Insolvenzgericht).

Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 12. Dezember 2019 wurde unter dem Geschäftszeichen               gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO) die vorläufige Verwaltung des Vermögens der GbR angeordnet und der zunächst als Sachverständige bestellte Rechtsanwalt A zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 7. April 2020 wurde der GbR ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und die Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen ging auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Gegen diesen Beschluss legte die GbR, hilfsweise die Gesellschafter der GbR, sofortige Beschwerde ein. Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GbR eröffnet und Rechtsanwalt A zum Insolvenzverwalter ernannt. Gegen diesen Beschluss legte die GbR ebenfalls sofortige Beschwerde ein.

Am 23. März 2020 beantragte die GbR beim Finanzamt (im Folgenden: Antragsgegner) u.a. die Einstellung der ihr gegenüber vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF-Schreiben) vom 19. März 2020 mit dem Aktenzeichen IV A 3-S 0336/19/10007:002. Dieses Schreiben habe die steuerlichen Maßnahmen zur Berücksichtigung der Auswirkungen des Coronavirus zum Inhalt. Mit Schreiben vom 27. März 2020 teilte der Antragsgegner mit, dass lt. der Anweisung des Hessischen Ministeriums der Finanzen vom 19. März 2020, welche sich auf das BMF-Schreiben beziehe, für die vor der Corona-Krise gestellten Insolvenzanträge keine Veranlassung bestehe, diese Anträge zurückzunehmen, da davon ausgegangen werden könne, dass die Zahlungsunfähigkeit des Vollstreckungsschuldners bereits vor Ausbruch der Corona-Krise vorgelegen habe.

Im Rahmen der nun vorliegenden einstweiligen Anordnung tragen die Antragsteller vor, dass der Antragsgegner ihnen gegenüber die Vollstreckung betreibe, insbesondere durch Kontenpfändung und Insolvenzantragstellung.

Sie sind der Auffassung, dass die Voraussetzungen gemäß Nr. 3 des BMF-Schreibens erfüllt seien. Danach solle das Finanzamt bei Kenntnis der unmittelbaren und nicht unerheblichen Betroffenheit des Vollstreckungsschuldners bis zum 31. Dezember 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen bei allen rückständigen oder bis zu diesem Zeitpunkt fällig werdenden Steuern absehen. Da Unternehmensgegenstand der GbR die Gastronomie gewesen sei, habe sie infolge der Coronapandemie schließen müssen. Auch habe sich der Insolvenzverwalter aufgrund der Pandemie außerstande gesehen, Sanierungsoptionen zu prüfen.

Das Insolvenzverfahren verfehle somit als Vollstreckungsmaßnahme seinen Zweck und diene rechtsmissbräuchlich allein der Existenzvernichtung. Demgegenüber hätten sie, die Antragsteller, entscheidende Maßnahmen zur wirtschaftlichen Rettung unternommen. So hätten sie die Löhne und Gehälter bis zur coronabedingten Schließung des Gastronomiebetriebs bezahlt, für den notwendigen Versicherungsschutz des Gastronomiebetriebs Sorge getragen und die Mikrodarlehen aus dem zweckgebundenen Förderprogramm Hessen-Mikroliquidität beantragt. Die Darlehensgewährung sei indes an dem Insolvenzverfahren gegen die GbR, deren persönlich haftende Gesellschafter sie seien, gescheitert.

Ihr Rechtschutzbedürfnis würde auch unabhängig vom Beschluss über die Insolvenzeröffnung vom 18. Mai 2020 bestehen, da dieser Beschluss noch nicht rechtskräftig sei.

Die Antragsteller beantragen,

dem Antragsgegner die Einstellung der Vollstreckungsmaßnahmen im Hinblick auf alle rückständigen und bis zum 31. Dezember 2020 fälligen Steuern unter Verzicht auf gesetzlich anfallende Säumniszuschläge im Zeitraum 19. März 2020 bis zum 31. Dezember 2020 aufzugeben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Auffassung, dass der Antrag unzulässig sei; denn es fehle den Antragstellern an einem Rechtsschutzbedürfnis, da ihnen gegenüber keine Haftungsbescheide erlassen und daher auch keine Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt seien.

Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet. Das BMF-Schreiben vom 19. März 2020 sei u.a. durch das „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz“ (COVInsAG) präzisiert worden. Danach könnten bereits im Jahre 2019 zahlungsunfähige Unternehmen unter keinen denkbaren Umständen ihre Zahlungsunfähigkeit mit den Folgen der COVID-19-Pandemie begründen. So liege der Fall auch hier. Dabei habe der Insolvenzantrag nicht der Existenzvernichtung der GbR gedient, sondern habe auf die Vermeidung weiterer Steuerrückstände abgezielt.

Der Senat nimmt auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze Bezug.

II.

Der Antrag ist unzulässig.

Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Nach Satz 2 der Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die weiteren Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in der FGO durch Bezugnahme auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über das Arrestverfahren umschrieben. Anspruch im Sinne dieser Vorschrift ist der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis, das der Antragsteller zur Hauptsache verficht oder verfechten will. Anordnungsanspruch ist mit anderen Worten das Recht oder das Rechtsverhältnis, das im Hauptsacheverfahren Gegenstand des Klagebegehrens sein soll (Urteil des Bundesfinanzhofs ‒ BFH ‒ vom 11. Januar 2001 VIII B 83/00, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH ‒ BFH/NV ‒ 2001, 578).

Aus dieser Verknüpfung des Antrags mit dem Hauptsacheverfahren folgt, dass antragsbefugt im Sinne des § 114 FGO nur derjenige sein kann, der Beteiligter des entsprechenden Hauptsacheverfahrens sein kann. Wer nicht befugt ist, in der Hauptsache Klage zu erheben, kann auch im Antragsverfahren nicht schlüssig einen Anspruch darlegen, den er zur Hauptsache verfechten will (BFH-Urteil, VIII B 83/00; Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Auflage 2019, § 114 Rn 11; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung ‒ FGO, Loseblattausgabe Stand: April 2019,

§ 114 FGO Rn 53).

Im Streitfall wären die Antragsteller im Hauptsacheverfahren nicht klagebefugt, sodass sie auch nicht antragsbefugt im Sinne des § 114 FGO sind.

Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ebenso wie die Klage nach § 40 Abs. 2 FGO nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch ein Verwaltungshandeln in seinen Rechten verletzt zu sein (BFH-Beschluss vom 12. November 1992 IV B 83/91, Bundessteuerblatt ‒ BStBl ‒ II 1993, 265: Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 114 Rn 11).

Bei den Antragstellern ist jedoch eine eigene Rechtsstellung nicht gefährdet, da sie sich gegen Vollstreckungsmaßnahmen wenden, die der Antragsgegner gegenüber der GbR ‒ die Vollstreckung gegenüber einer GbR ist in deren gesamthänderisch gebundenes Vermögen möglich (vgl. Finanzgericht München, Beschluss vom 24. März 1994 14 V 4087/93, Entscheidungen der Finanzgerichte ‒ EFG ‒ 1994, 762) ‒ und nicht ihnen gegenüber ausgebracht hat. Der Antragsgegner hat insoweit auch ausgeführt, dass noch nicht einmal eine Haftungsprüfung gegenüber den Antragstellern durchgeführt wurde.

Die Antragsteller sind auch nicht ‒ entgegen ihrer Auffassung ‒ deswegen antragsbefugt, weil der Beschluss über die Insolvenzeröffnung vom 18. Mai 2020 noch nicht rechtskräftig sei. Wenn sie meinen, dass sie als persönlich haftende Gesellschafter weiterhin für die GbR auftreten könnten, ist dies nicht zutreffend; denn die sofortige Beschwerde hat gemäß § 4 InsO in Verbindung mit § 570 ZPO keine aufschiebende Wirkung, sodass sie die Wirksamkeit des Beschlusses (zunächst) nicht beeinträchtigt (vgl. auch § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO).

Im Übrigen hätte der Antrag im Ergebnis auch dann keinen Erfolg, wenn der Antrag so ausgelegt werden könnte, dass er von antragsbefugten Beteiligten gestellt worden wäre.

Zum einen verweist der Antragsgegner zutreffend auf das COVInsAG, wonach vorliegend keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht anzunehmen ist, da die Insolvenzantragstellung bereits im Oktober 2019 erfolgte. Zum anderen sieht auch das BMF-Schreiben vom 19. März 2020 nur vor, dass im Anwendungsfall von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden soll. Der Normgeber zielt damit auf aktuell drohende Vollstreckungsmaßnahmen ab, die vorliegend allerdings nicht im Raum stehen. Vom BMF-Schreiben ist jedenfalls nicht gedeckt, dass bereits bestehende und fortwirkende Vollstreckungsmaßnahme aufgehoben werden, zumal die Rücknahme des Insolvenzantrags nur bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich ist, jedoch nicht mehr im Beschwerdeverfahren (Schmidt, InsO, 18. Auflage 2013, § 34 Rn 30; der Gesetzgeber hat diese Festlegung aus Gründen der Rechtssicherheit vorgenommen), sodass der Antragsgegner ohnehin nicht mehr in der Lage wäre, diese Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

RechtsgebieteFGO, COVInsAGVorschriften§ 114 FGO, COVInsAG

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