04.06.2020 · IWW-Abrufnummer 216017
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 19.03.2020 – 3 StR 443/19
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 19. März 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 17. April 2019 im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.
Gründe
1
Das Landgericht hat die Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten F. L. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten N. L. unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen sowie den Angeklagten K. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts, der Angeklagte F. L. zudem die Verletzung formellen Rechts, rügen, führen hinsichtlich aller Angeklagten zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .
2
1. Die von dem Angeklagten F. L. erhobenen Verfahrensbeanstandungen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
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2. Während die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat, erweist sich der Strafausspruch als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
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Diesbezüglich hat der Generalbundesanwalt alle drei Angeklagten betreffend im Wesentlichen gleichlautend wie folgt ausgeführt:
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Dem schließt sich der Senat unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles an.
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Jedenfalls im Hinblick auf die detaillierten Angaben der Zeugin H. betreffend die Dauer des Aufenthalts der Angeklagten in der Gaststätte und die dortigen Trinkmengen war eine Rückrechnung zumindest zu diesem Teil des relevanten Konsumzeitraums möglich und erfolgversprechend. Die darüber hinausgehenden landgerichtlichen Feststellungen zu der Frage des vorangegangenen Alkoholkonsums der Angeklagten sind unklar. Dass die Angaben der Angeklagten L. , sie hätten im Verlauf des Abends jeweils eine Flasche Wodka konsumiert, als unglaubhaft angesehen worden sind, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Ebenso wenig ergibt sich, von welchem vorherigen Alkoholkonsum des Angeklagten K. , der nach Angaben der Zeugin H. ebenso wie die Mitangeklagten während des Aufenthalts in dem Lokal ungefähr 15 Mischgetränke mit jeweils etwa zwei Zentilitern hochprozentigen Alkohols konsumierte, die Strafkammer konkret ausgegangen ist. Zwar trifft es zu, dass ein Tatgericht nicht gehalten ist, seiner rechtlichen Würdigung Umstände zugunsten des Angeklagten zugrunde zu legen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 3. Juni 2015 - 5 StR 55/15 , NStZ-RR 2015, 255 f. und vom 29. September 2016 - 4 StR 320/16 , NStZ-RR 2016, 380, 381; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 65 mwN); vorliegend ist allerdings angesichts der Gesamtumstände - die Zeugin H. hat zumindest die Angeklagten L. zum Zeitpunkt ihres Erscheinens in der Gaststätte als bereits "gut angestochen" bezeichnet - die Annahme einer erheblichen Alkoholisierung - auch im Bereich einer Blutalkoholkonzentration von 2 ‰ oder mehr - nicht ausgeschlossen.
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Auch die weitere Beanstandung, das Landgericht habe den Beweiswert des planmäßigen, zielstrebigen und folgerichtigen Vorgehens der Angeklagten für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit überbewertet, greift hier durch. Das Hemmungsvermögen eines Täters darf - was die Strafkammer möglicherweise verkannt hat - nicht mit zweckrationalem Handeln gleichgesetzt werden. Solches Verhalten des Täters hat in erster Linie Beweiswert für die Frage seiner Einsichtsfähigkeit; es steht jedoch einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht von vorneherein entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1988 - 1 StR 231/88 , BGHSt 35, 308, 311 ; Beschluss vom 25. November 2008 - 5 StR 500/08 , NStZ-RR 2009, 70). Ebenso wenig ist eine unauffällige Motorik beim Gehen und Bewegen in jedem Fall ohne weiteres geeignet, eine erhebliche Herabsetzung des Steuerungsvermögens zu Lasten des Angeklagten auszuschließen. Insbesondere der alkoholgewohnte Täter - die Zeugin H. hat weiter angegeben, die Angeklagten L. tränken des Öfteren und mehr als andere vertragen könnten - kann sich unter Umständen im Rausch noch motorisch kontrollieren und äußerlich geordnet verhalten, obwohl sein Hemmungsvermögen möglicherweise schon erheblich beeinträchtigt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Juli 2015 - 2 StR 146/15 , NStZ-RR 2015, 367, 368 und vom 28. Februar 2018 - 4 StR 530/17 , NStZ-RR 2018, 136; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 20 Rn. 23a mwN).
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3. Die Aufhebung des Strafausspruchs in Bezug auf den Angeklagten N. L. hat zur Folge, dass auch der ihn betreffende Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand haben kann. Im Hinblick auf dessen etwaige Neufestsetzung ist darauf hinzuweisen, dass die Ausführungen des Generalbundesanwalts zur Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe zwar rechtlich zutreffen, wegen des Verschlechterungsverbots aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO eine Erhöhung des Gesamtstrafübels im konkreten Fall aber ausscheidet.
Schäfer
Paul
Hoch
Anstötz
Erbguth