19.05.2006 · IWW-Abrufnummer 061454
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 04.05.2006 – 8 AZR 311/05
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT
Im Namen des Volkes!
URTEIL
8 AZR 311/05
Verkündet am 4. Mai 2006
In Sachen
hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Hauck, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Wittek, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Laux sowie die ehrenamtlichen Richter Heydenreich und Brückmann für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Januar 2005 - 7 Sa 754/04 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über Regressansprüche der Klägerin wegen ärztlicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes C K am 28. September 1987.
Die Klägerin macht, nachdem sie in einem Arzthaftungsprozess rechtskräftig zur Zahlung von Schadensersatz wegen ärztlicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes C K verurteilt worden ist, gegen die Beklagten Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Arbeitnehmerhaftung geltend.
Revisionsbeklagte sind die Beklagten zu 3) und 4), die in der fraglichen Zeit 1987 in der Frauenklinik der Klägerin als Ärzte im Angestelltenverhältnis beschäftigt waren. Gegen den Beklagten zu 1), den Oberarzt Dr. Ka, ist die Klage noch beim Arbeitsgericht anhängig, gegen den Beklagten zu 2) ist die Klage zurückgenommen worden. Revisionsklägerin ist das Universitätsklinikum A.
Auf die Arbeitsverhältnisse der Revisionsbeklagten fand der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung Anwendung. Nach § 14 BAT iVm. § 84 Abs. 1 LBG NRW ist danach die Haftung für grob fahrlässige Fehlverhalten vorgesehen.
Am 27. September 1987 fand sich die damals 42-jährige schwangere R K in der Frauenklinik der Klägerin ein. Die Geburt des ersten Kindes der Patientin lag zum damaligen Zeitpunkt 21 Jahre, die des zweiten Kindes 18 Jahre zurück. Nach dem verschiedene CTG-Untersuchungen durchgeführt worden waren (ua. um 12.30 Uhr, um 16.00 Uhr, um 18.00 Uhr und um 22.00 Uhr) leitete der dafür zuständige Oberarzt, der Beklagte zu 1), Dr. Ka, der sich bis dahin nicht veranlasst gesehen hatte, etwas zu unternehmen, am Morgen des nächsten Tages (28. September 1987) eine Kaiserschnitt-Entbindung ein. Um 7.12 Uhr wurde das Mädchen C K geboren, das bei der Geburt klinisch tot war und reanimiert werden musste. Das Neugeborene wies schwerwiegende Hirnschäden auf und ist geistig wie körperlich mehrfach schwerstbehindert ohne Aussicht auf nachhaltige Besserung seines Zustandes.
Im Rahmen eines Haftungsprozesses, den das Kind C K, vertreten durch seine Mutter R K vor dem Landgericht Aachen gegen die Klägerin geführt hat, wurde festgestellt, dass die Schäden des Neugeborenen auf das fehlerhafte Verhalten der verantwortlichen Ärzte bei der Klägerin zurückzuführen waren: "Jedenfalls in der Summe der getroffenen Fehlentscheidungen sei es zu einem groben Behandlungsfehler gekommen".
Die Klägerin nimmt auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Aachen vom 9. April 2002 Bezug und ist der Ansicht, aus diesen Feststellungen folge bereits, dass die Beklagten als am 27./28. September 1987 handelnde Ärzte ihr gegenüber regresspflichtig seien. Grobes fahrlässiges Fehlverhalten liege vor. Den Beklagten zu 3) treffe bereits deswegen eine maßgebliche Verantwortung, da er den pathologischen Zustand der CTG-Untersuchung erkannt habe und dennoch untätig geblieben sei oder - hierarchiebedingt - die Fehleinschätzung des Beklagten zu 1), des Oberarztes Dr. Ka, akzeptiert habe. Das gelte auch für den Beklagten zu 4), der an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen sei.
Das Arbeitsgericht habe kein Teil-Urteil gegen die Beklagten zu 3) und 4), die jetzigen Revisionsbeklagten zu 1) und 2), erlassen dürfen, da die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht. Im Übrigen liege auch eine fehlerhafte Protokollierung der abschließenden mündlichen Verhandlung erster Instanz vor (§ 160 Abs. 2 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hätte den Rechtsstreit daher - abweichend von § 68 ArbGG -an das Arbeitsgericht zurückverweisen müssen. Bereits deswegen sei die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufzuheben. Aber auch in der Sache habe das Landesarbeitsgericht zu Unrecht die die Klage abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt, da ein grob fahrlässiges Fehlverhalten der Beklagten vorliege.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt:
1. Die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin 304.834,16 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz für einen Betrag in Höhe von 5.628,51 Euro ab dem 24. Juli 1999, für einen Betrag in Höhe von 289.506,55 Euro seit dem 24. Mai 2003, für einen Betrag in Höhe von 705,13 Euro ab dem 9. Juli 2003 und für einen Betrag in Höhe von 8.993,67 Euro ab dem 17. September 2003 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner der Klägerin alle weiteren Schadensersatzleistungen zu erstatten, die auf Grund der fehlerhaften Behandlung anlässlich der Geburt des Kindes C K, geboren am 28. September 1987, erbracht werden.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben sich auf § 70 BAT berufen und die Einrede der Verjährung erhoben.
Im Übrigen haben sie vorgetragen, ein Fehlverhalten sei ihnen nicht vorzuwerfen. Im Zeitpunkt ihres Dienstantritts um 20.00 Uhr sei die Entscheidung, eine Kaiserschnitt-Entbindung nicht sofort nach Aufnahme der Patientin K einzuleiten, bereits getroffen gewesen. Die Revisionsbeklagten seien auch nicht befugt gewesen, eine Kaiserschnitt-Entbindung gegen den Willen des Oberarztes, des Beklagten zu 1), anzuordnen.
Mit Teil-Urteil vom 20. Februar 2004 hat das Arbeitsgericht Aachen die Regressklage gegen die Beklagten zu 3) und 4) abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen dieses Teil-Urteil zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter und beantragt, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht bzw. an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage gegen die Beklagten zu 3) und 4) zu Recht abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Arbeitsgericht habe durch den Erlass des Teil-Urteils keinen Verfahrensfehler begangen, der entgegen § 68 ArbGG eine Zurückverweisung des Rechtsstreits rechtfertigen würde; das Teil-Urteil sei auch in der Sache richtig.
Soweit die Klägerin rügt, das Arbeitsgericht habe einen Verfahrensfehler dadurch begangen, dass es gegen die Protokollierungspflicht des § 160 Abs. 2 ZPO verstoßen habe, rechtfertige das die Zurückverweisung nicht, da ein Verstoß gegen § 160 Abs. 2 ZPO nicht zu denjenigen Verfahrensmängeln gehöre, die - unabhängig davon ob sie überhaupt vorliegen - eine Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 68 ArbGG rechtfertigen könnten. Da allein der Erlass eines Teil-Urteils nicht gegen das Gesetz verstößt, könne auch darauf die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht nicht gestützt werden. Vorliegend sei der Erlass des Teil-Urteils deswegen nicht zu beanstanden, weil die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht gegeben sei. Inhaltlich habe das Arbeitsgericht die gegen die Revisionsbeklagten zu 1) und 2) gerichtete Regressklage zutreffend abgewiesen, da ein grob fahrlässiges Verhalten der Beklagten zu 3) und 4) nicht angenommen werden könne.
II. Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht ein Regressanspruch gegen die Revisionsbeklagten nicht zu. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage gegen die Beklagten zu 3) und 4) daher abgewiesen.
1. Der Erlass eines Teil-Urteils durch das Arbeitsgericht ist nicht zu beanstanden:
a) Nach § 68 ArbGG ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme von diesem Zurückverweisungsverbot wird ua. dann angenommen, wenn ein Teil-Urteil erlassen worden ist, ohne dass die Voraussetzungen des § 301 ZPO gegeben sind. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Teil-Urteils sind aber gegeben:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Teil-Urteil nur ergehen, wenn es von der Entscheidung über den Rest des geltend gemachten prozessualen Anspruchs unabhängig ist, so dass die Gefahr einander widerstreitender Erkenntnisse nicht besteht (vgl. 26. April 1989 - IVb ZR 48/88 - BGHZ 107, 236, 242). Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen (23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - AP ZPO § 301 Nr. 5 = EzA ZPO 2002 § 301 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Das gilt auch bei Klagen gegen mehrere Personen (subjektive Klagehäufung). Ein Teil-Urteil kann aber unzulässig sein, wenn bei mehreren Beklagten noch eine Beweisaufnahme für alle Bereiche des Klagebegehrens stattfinden soll. Gegen einzelne von mehreren Streitgenossen ist ein Teil-Urteil grundsätzlich zulässig; unzulässig ist es, wenn ein Anspruch von der Beurteilung eines anderen Anspruchs abhängt (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 64. Aufl. § 301 Rn. 27).
Im Streitfall war ein Teil-Urteil hinsichtlich der Beklagten zu 3) und 4) zulässig, weil die Beurteilung ihres möglichen Fehlverhaltens und ihre mögliche gesamtschuldnerische Haftung nicht abhängig ist von der Beurteilung des Fehlverhaltens des Beklagten zu 1) und dessen möglicher Haftung. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht nicht.
b) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht ferner angenommen, dass ein eventueller Verstoß gegen die Protokollierungspflicht des § 160 Abs. 2 ZPO die Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 68 ArbGG nicht gerechtfertigt hätte.
2. Die Abweisung der Klage in den Vorinstanzen ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden: Eine grobe Fahrlässigkeit der Beklagten zu 3) und 4), der hiesigen Revisionsbeklagten zu 1) und 2), ist nicht gegeben.
Die Beklagten haften nach § 14 BAT iVm. § 84 Abs. 1 LBG NRW nur für grobe Fahrlässigkeit. Zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass grobe Fahrlässigkeit nicht angenommen werden kann.
a) Dabei hat das Landesarbeitsgericht zutreffend zugrunde gelegt, dass die Feststellungen des Landgerichts Aachen im Urteil vom 9. April 2002 keine präjudizielle Wirkung für die Feststellung der groben Fahrlässigkeit der Beklagten zu 3) und 4) haben können. Zwar hat das Landgericht einen groben Behandlungsfehler angenommen, jedoch nicht einzelnen der behandelnden Ärzte einen gewissen Schuldanteil nachgewiesen. Ein grob fahrlässiges Fehlverhalten der Beklagten zu 3) und 4), der hiesigen Revisionsbeklagten zu 1) und 2), lässt sich dem landgerichtlichen Urteil nicht entnehmen.
b) Darüber hinaus lässt der Vortrag der Klägerin in den Instanzen den Schluss auf ein grob fahrlässiges Fehlverhalten der Beklagten zu 3) und 4) nicht zu.
aa) Der Begriff des Verschuldens und die einzelnen Arten des Verschuldens - einfache oder grobe Fahrlässigkeit - sind Rechtsbegriffe. Die Feststellung einer "groben Fahrl ässigkeit" ist durch die Revision nachprüfbar (BAG 19. März 1959 - 2 AZR 402/55 - BAGE 7, 290, 301 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 8). Bei der Bestimmung des Verschuldensgrades steht dem Tatsachenrichter aber ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, da die Feststellung der Voraussetzungen im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegt (BAG 17. Oktober 1991 - 8 AZR 230/90 -). Das Revisionsgericht kann lediglich prüfen, ob der Tatsachenrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften nicht verletzt hat (BAG 13. März 1968 - 1 AZR 362/67 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 42). Eine Aufhebung des Berufungsurteils kann erfolgen, wenn eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch den Tatsachenrichter festzustellen ist (BAG 22. Februar 1972 - 1 AZR 223/71 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 70, zu II 2 a der Gründe).
bb) Bei Zugrundelegung des oben dargelegten eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, den Beklagten zu 3) und 4) könne keine grobe Fahrlässigkeit angelastet werden, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zum rein objektiven Maßstab bei einfacher Fahrlässigkeit sind bei grober Fahrlässigkeit auch subjektive Umstände zu berücksichtigen. Es kommt also nicht nur darauf an, was von einem den durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte, wozu auch gehört, ob die Gefahr erkennbar und der Erfolg vorhersehbar und vermeidbar war; abzustellen ist auch darauf, ob der Schädigende nach seinen individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte (Senat 12. November 1998 - 8 AZR 221/97 - BAGE 90, 148 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 117 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 66).
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass es den Beklagten zu 3) und 4) als Assistenzärzte in der Fachausbildung nicht als grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist, dass sie sich den fachlichen Weisungen eines ihnen vorgesetzten, höher qualifizierten und wesentlich erfahreneren Oberarztes nicht widersetzt haben. Für sie war nicht ohne weiteres erkennbar, dass die Weisungen des Oberarztes grob falsch waren und hieraus eine akute und erhebliche Gefahr für die Patientin bzw. deren ungeborenes Kind erwachsen würde.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.