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10.03.2020 · IWW-Abrufnummer 214679

Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 02.07.2019 – 16 U 975/19

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Dresden

Beschluss vom 02.07.2019


In dem Rechtsstreit

Gemeinde S., OT N., ...
vertreten durch den Bürgermeister ...
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...

gegen

I. ... GmbH, ...
vertreten durch den Geschäftsführer ...
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...

wegen Schadensersatz

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht P.,
Richter am Oberlandesgericht A. und
Richterin am Oberlandesgericht J.

ohne mündliche Verhandlung am 02.07.2019

beschlossen:

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 04.04.2019 (4 O 1665/14) durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses. Sie sollte zur Vermeidung weiterer Kosten die Möglichkeit einer Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Gemeinde, nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Bauvertrages in Anspruch, welcher durch die Erteilung des Zuschlages in einem Vergabeverfahren geschlossen wurde.

Die Klägerin schrieb am 17.05.2013 für die Baumaßnahme "851-11 Modernisierung Grundschule N." das Los 1 (Rohbauarbeiten) aus. Der Eröffnungs-/Einreichungstermin wurde auf den 31.05.2013, 10:00 Uhr, festgesetzt. Die Beklagte nahm an dem Vergabeverfahren teil. Sie gab am 30.05.2013 das günstigste Angebot für die ausgeschriebene Leistung mit einer Angebotssumme von 160.592,99 ? netto ab, welches eine Angebotsbindung bis zum 29.06.2013 beinhaltete. Außer der Beklagten nahmen zwei weitere Bieter am Vergabeverfahren teil, nämlich die H. ... GmbH mit einer Angebotssumme von 210.506,97 ? netto und die B. ... GmbH ... mit einer Angebotssumme von 225.755,43 ? netto.

Nach Durchführung des Eröffnungstermins am 31.05.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom gleichen Tage (Anlage K 7) mit, ihr Angebot beruhe auf einem Kalkulationsfehler, nämlich darauf, dass im Kalkulationsprogramm der Beklagten der Faktor 0,5 für die Berechnung der Leistungsstunden hinterlegt worden sei, mit der Folge, dass in der Kalkulation lediglich die Hälfte der erforderlichen Leistungsstunden und damit auch nur die Hälfte der erforderlichen Löhne inklusive Grundlagen und Zuschläge enthalten sei. Die Beklagte erklärte ferner aufgrund des Kalkulationsirrtumes, welcher nicht unerhebliche wirtschaftliche Folgen für ihr Unternehmen nach sich ziehe, die Rücknahme ihres Angebotes und bat die Klägerin, dieses von der Wertung auszuschließen. Die Klägerin schloss das Angebot der Beklagten nicht von der Wertung aus.

Das von der Klägerin mit der Durchführung des Vergabeverfahrens beauftragte Architektur- und Ingenieurbüro Dipl.-Ing. E. erstellte am 18.06.2013 einen Vergabevorschlag (Anlage K 5), nach welchem der Beklagten der Zuschlag erteilt werden sollte, weil sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte. Zweitplatziert war danach das Angebot der H. ... GmbH. Am 24.06.2013 fand ein Aufklärungsgespräch mit der Beklagten statt, an welchem für die Klägerin deren Bauamtsleiter K., der Zeuge O. vom Architektur- und Ingenieurbüro Dipl.-Ing. E. und für die Beklagte deren Geschäftsführer D. teilnahmen. Während dieses Gespräches erläuterte der Zeuge O., der von der Beklagten behauptete Kalkulationsirrtum lasse sich nicht bestätigen. Die Klägerin behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten habe schließlich zugesichert, die Beklagte werde die Ausführung des Auftrags übernehmen; daraufhin erteilte die Klägerin der Beklagten den Zuschlag für die ausgeschriebene Bauleistung. Die Beklagte erklärte demgegenüber mit Schreiben vom 28.06.2013 (Anlage K 10), sie werde den Auftrag für das ausgeschriebene Bauvorhaben nicht ausführen. Diesen Standpunkt bekräftigte die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 04.07.2013 (Anlage K 11). Daraufhin erteilte die Klägerin mit dem Schreiben vom 19.07.2013 der Zweitplatzierten H. ... GmbH den Auftrag für die Ausführung des ausgeschriebenen Bauvorhabens. Nach Durchführung der Bauarbeiten legte die H. ... GmbH am 14.07.2014 ihre Schlussrechnung (Anlage K 13).

Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen Nichterfüllung des mit dem Zuschlag an die Beklagte zustande gekommenen Bauvertrages. Sie habe trotz des von der Beklagten eingewendeten Kalkulationsirrtums den Zuschlag erteilen dürfen, weil bereits das Vorliegen eines Kalkulationsirrtums nicht habe festgestellt werden können. Zudem habe die Beklagte im Aufklärungsgespräch am 24.06.2013 ausdrücklich zugesagt, dass sie im Falle der Zuschlagserteilung die Bauausführung übernehmen und auf die Einschaltung eines Rechtsbeistandes verzichten werde.

Infolge der Nichterfüllung des Bauvertrages durch die Beklagte sei ihr ein Schaden in Höhe der Differenz zu den Kosten der Bauausführung von Seiten der H. ... GmbH entstanden. Der Vergleich der von der H. ... GmbH in Rechnung gestellten Kosten mit den Kosten, welche die Beklagte nach dem mit ihr abgeschlossenen Bauvertrag hätte abrechnen können, ergebe einen Differenzbetrag von 64.938,18 ? brutto. Für die Zusammensetzung dieses Betrages im Einzelnen wird auf die vom Architektur- und Ingenieurbüro Dipl.-Ing. E. gefertigte Aufstellung vom 08.07.2014 (Anlage K 12) Bezug genommen. Hinzu kämen die wegen des verspäteten Baubeginns angefallenen Wintersicherungskosten i.H.v. 6.477,37 ? brutto, wegen deren Zusammensetzung im Einzelnen auf das 4. Nachtragsangebot der H. ... GmbH vom 06.12.2013 (Anlage K 14) Bezug genommen wird. Die Summe von 71.415,55 ? entspricht der Klageforderung.

Die Beklagte hat vorgetragen, der geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Klägerin bestehe nicht, weil bereits die Zuschlagserteilung von Seiten der Klägerin eine unangemessene Rechtsausübung gewesen sei. Das Angebot der Beklagten beruhe auf einem Kalkulationsirrtum und die Bauausführung sei für sie infolge der unangemessen niedrigen Vergütung nicht zumutbar. Die Beklagte habe nicht zugesichert, dass sie im Falle der Zuschlagserteilung die Ausführung des Bauvertrages übernehme.

Wegen des Sachvortrages im Übrigen und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben zur Behauptung der Beklagten, ihr Angebot beruhe auf einem Kalkulationsirrtum, durch die Einholung eines Gutachtens des für Baupreisermittlung, Abrechnung und Bauablaufstörungen im Hoch-, Tief- und Ingenieurbau öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dr.-Ing. D. aus B. und die Einholung eines weiteren Gutachtens des für Baupreisermittlung und Abrechnung im Hoch- und Ingenieurbau öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dipl.-Ing. T. aus D.. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen D. vom 19.04.2016 und des Sachverständigen T. vom 16.10.2017 sowie auf die Wiedergabe der Ausführungen der Sachverständigen zur Erläuterung ihrer Gutachten in den Sitzungsniederschriften vom 18.10.2016 und vom 24.04.2018 Bezug genommen. Weiterhin hat das Landgericht Beweis erhoben zu den Erklärungen des Geschäftsführers der Beklagten im Rahmen des Aufklärungsgespräches vom 24.06.2013 durch die uneidliche Vernehmung des Zeugen O. in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2019. Zu diesem Beweisthema hat das Landgericht auch den Geschäftsführer der Beklagten persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.02.2019 (Bl. 286 ff. d. A.) Bezug genommen.

Mit dem Urteil vom 04.04.2019 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe zwar grundsätzlich der geltend gemachte Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Bauvertrages zu, welcher mit dem Zuschlag an die Beklagte zustande gekommen sei. Der Schadensersatzanspruch sei aber nicht durchsetzbar, weil die Klägerin gegen das Rücksichtnahmegebot im Vergabeverfahren nach § 241 Abs. 2 BGB verstoßen habe, indem sie den Zuschlag trotz eines erheblichen Kalkulationsirrtums der Beklagten erteilt habe, obwohl die Bauausführung der Beklagten wegen des infolge des Kalkulationsirrtumes nicht mehr angemessenen Preises nicht zumutbar gewesen sei. Ferner habe die Klägerin im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ihre Behauptung nicht beweisen können, dass die Beklagte sich im Aufklärungsgespräch vom 24.06.2013 für den Fall des Zuschlages zur Bauausführung trotz vorliegenden Kalkulationsirrtums verpflichtet habe.

Gegen das ihr am 08.04.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07.05.2019 Berufung eingelegt und diese am 04.06.2019 begründet.

Sie trägt vor, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, die Klägerin müsse sich einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB entgegenhalten lassen. Voraussetzung dafür wäre das Bestehen eines Kalkulationsirrtumes bei der Erstellung des Angebotes der Beklagten und zudem eine Unterdeckung des Angebotspreises, welche dazu führte, dass Leistung und Gegenleistung in einem nicht unerheblichen Missverhältnis ständen. Das Landgericht habe aber bereits das Vorliegen eines Kalkulationsirrtums der Beklagten bei der Erstellung ihres Angebotes nicht festgestellt, sondern lediglich zugunsten der Beklagten unterstellt. Der gerichtliche Sachverständige T. habe einen Kalkulationsirrtum der Beklagten nicht feststellen können. Er habe einen nachvollziehbaren Fehler, etwa einen Rechenfehler, eine falsche Bezugsmengeneinheit, das Fehlen ganzer Kostengruppen etc. nicht bestätigen können. Im Übrigen habe der gerichtliche Sachverständige T. nicht feststellen können, dass der Ansatz des Faktors 0,5 bei der Ermittlung der Lohnkosten ein Irrtum der Beklagten bei der Erstellung der Kalkulation gewesen sei. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB ein Ausnahmefall sei, müsse der Kalkulationsirrtum positiv festgestellt werden, was der gerichtliche Sachverständige T. nicht getan habe. Er habe insbesondere nicht feststellen können, ob es sich bei dem Faktor 0,5 um eine bewusste manuelle Eingabe des genannten Wertes, eine unbewusste falsche Entscheidung bei der Erstellung der Urkalkulation oder um einen fehlerhaften Programmcode des Kalkulationsprogrammes gehandelt habe. Im Übrigen sei festzustellen, dass der Faktor 0,5 nur für die Berechnung der Stundenanzahl der Eigenleistung der Beklagten festgestellt habe werden können. Allein aus einer Unterwertkalkulation könne jedenfalls nicht auf einen Kalkulationsirrtum geschlossen werden.

In Bezug auf die Feststellungen zu den Erklärungen des Geschäftsführers der Beklagten im Rahmen des Aufklärungsgesprächs am 24.06.2013 liege eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Landgerichts vor, weil das Landgericht zu weitgehende Schlüsse aus dem Umstand gezogen habe, dass der Zeuge O. sich nicht mehr an das konkrete Gespräch habe erinnern können, sondern nur noch das Protokoll des Gespräches habe identifizieren können. Die im Protokoll niedergelegte Aussage des Geschäftsführers der Beklagten sei jedenfalls eindeutig und die Abgabe der entsprechenden Erklärung durch den Geschäftsführer der Beklagten durch die Identifizierung des Protokolls von Seiten des Zeugen O. belegt. Im Ergebnis liege danach eine verfahrensfehlerhafte Sachverhaltsfeststellung durch das Landgericht vor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 04.04.2019, Az.: 4 O 1665/14, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 71.415,55 ? nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

II.

Der Berufung fehlt zur einstimmigen Überzeugung des Senates offensichtlich die Erfolgsaussicht; es sind auch die weiteren Voraussetzungen von § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO erfüllt, so dass der Senat beabsichtigt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das Landgericht mit zutreffender Begründung das Vorliegen des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruches wegen Nichterfüllung des mit dem Zuschlag an die Beklagte zustande gekommenen Bauvertrages verneint hat. Auch wenn mit diesem Zuschlag der Klägerin auf das Angebot der Beklagten vom 30.05.2013 ein Bauvertrag zustande gekommen ist, welchen die Beklagte nicht erfüllt hat, ist der grundsätzlich in Betracht kommende Schadensersatzanspruch aus §§ 5 Nr. 4, 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ausgeschlossen, weil die Klägerin mit der Zuschlagserteilung die ihr gegenüber der Beklagten als Bieterin im Vergabeverfahren gemäß § 241 Abs. 2 BGB obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf deren Rechte, Rechtsgüter und Interessen verletzt hat (dazu 1.). Die Klägerin kann sich zur Begründung des von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruches auch nicht auf ihre Behauptung stützen, der Geschäftsführer der Beklagten habe im Aufklärungsgespräch vom 24.06.2013 zugesagt, im Falle der Zuschlagserteilung die Bauausführung zu übernehmen und auf die Einschaltung eines Rechtsbeistandes zu verzichten, weil der Senat seiner Entscheidung nach § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legen hat, dass der Geschäftsführer der Beklagten eine solche Erklärung nicht abgegeben hat (dazu 2.).

1.

Zwischen den Parteien ist zwar ein Bauvertrag zustande gekommen, indem die Klägerin das Angebot der Beklagten vom 30.05.2013 innerhalb der bis zum 29.06.2013 laufenden Zuschlagsfrist mit dem auf den 28.06.2013 datierten Schreiben angenommen hat. Allerdings ist diese Annahme des Angebots der Beklagten durch die Klägerin als Verstoß gegen die der Klägerin obliegende Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB anzusehen.

Es kann nämlich eine unzulässige Rechtsausübung gemäß § 241 Abs. 2 BGB darstellen, wenn der Empfänger ein Vertragsangebot annimmt und auf der Durchführung des Vertrages besteht, obwohl er wusste (oder sich treuwidrig der Kenntnisnahme entzog), dass das Angebot auf einem Kalkulationsirrtum des Erklärenden beruht (vgl. BGH, Urteil vom 07.07.1998, X ZR 17/97, NJW 1998, 3192; Urteil vom 11.11.2014, X ZR 32/14, NJW 2015, 1513; OLG Brandenburg, Urteil vom 17.03.2016, 12 U 76/15, NJW-RR 2016, 853; OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2016, 21 U 100/15, BeckRS 2016, 115264). Erforderlich ist dafür ein für den Auftraggeber erkennbarer erheblicher Kalkulationsirrtum des Bieters (dazu a) und die Unzumutbarkeit der Durchführung des Auftrages für den betroffenen Bieter (dazu b). Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle gegeben.

a) Im Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist festzustellen, dass infolge der Verwendung des Faktors 0,5 bei der Berechnung der Leistungsstunden bei der Beklagten im Bereich der Lohnstunden eine Unterwertkalkulation (so das schriftliche Gutachten D. unter Ziffer 5.1.7, Seite 29) bzw. eine Unterkalkulation (so das schriftliche Gutachten T. unter 4.5.1, Seite 21) vorlag. Von einer objektiv fehlerhaften Kalkulation der Beklagten ist demzufolge auszugehen.

Im Falle einer objektiv vorliegenden Unterwertkalkulation unterscheidet sich der Kalkulationsirrtum von dem von der Klägerin angenommenen Niedrigstangebot nach der Zielrichtung des Bieters, die entweder auf die Unterwertkalkulation gerichtet war oder sie unbewusst herbeigeführt hat. Die danach maßgebliche subjektive Seite der Angebotsabgabe lässt sich regelmäßig im Rahmen der Beweisaufnahme nicht unmittelbar feststellen. Stattdessen können für die Feststellung maßgeblich Indizien sein, welche den Rückschluss auf die subjektive Seite der Angebotsabgabe zulassen. Zur Überzeugung des Senates liegen im vorliegenden Falle ausreichende Indiztatsachen vor, um auf die unbewusste Herbeiführung der kalkulatorischen Unterdeckung durch die Beklagte als Bieterin zu schließen, mithin vom Vorliegen eines Kalkulationsirrtums auszugehen.

Entgegen den Ausführungen der Klägerin insbesondere in der Berufungsbegründung vom 04.06.2019 hat es indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Kalkulationsirrtumes, wenn der Abstand des betroffenen Angebotes zum nächst höheren Angebotspreis besonders groß ist (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 11.11.2014, a.a.O., Rdn. 14). So aber liegt es im vorliegenden Falle, denn der Angebotspreis der Beklagten lag bei etwa 76 % des Angebotspreises des nächst höheren Bieters, der H. ... GmbH. Der Angebotspreis der Beklagten lag bei 160.592,99 ? netto, während die H. ... GmbH ihrem Angebot einen Nettopreis von 210.506,97 ? zugrunde legte.

Ein weiteres Indiz für eine unbewusste kalkulatorische Unterdeckung und damit einen Kalkulationsirrtum auf Seiten der Beklagten bei der Angebotserstellung ist der Umstand, dass sich bei der stichprobenhaften Untersuchung für maßgebliche Positionen mit Eigenleistungen der Klägerin unter Verwendung des korrigierten Faktors nach den Ausführungen des Sachverständigen D. auf Seite 41 seines schriftlichen Gutachtens (bestätigt durch den Sachverständigen T. in seiner Anhörung vom 24.04.2018, Seite 4 der Sitzungsniederschrift vom 24.04.2018) kein homogenes Gesamtbild hinsichtlich eines durchgängigen Kalkulationsfehlers ergibt, wie dies im Falle eines planvollen Vorgehens von Seiten eines gezielt eine Niedrigpreiskalkulation erstellenden Bieters zu erwarten gewesen wäre.

Schließlich sprechen auch die Umstände der Offenlegung des Kalkulationsfehlers gegenüber der Klägerin für einen Kalkulationsirrtum und gegen eine zielgerichtet herbeigeführte kalkulatorische Unterdeckung. So hat die Beklagte in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Eröffnungstermin am 31.05.2013 um 10:00 Uhr mit ihrem Schreiben vom selben Tage (Anlage K 7) den - tatsächlich bestehenden - Kalkulationsfehler offen gelegt und um eine Herausnahme ihres Angebotes aus der Wertung gebeten. Die Beklagte hat damit auf den ihr infolge der Angebotseröffnung bekannt gewordenen großen Abstand ihres Angebotes zum nächst höheren Angebot der H. ... GmbH sehr schnell und in einer Weise reagiert, welche zur Zielrichtung eines Niedrigpreisangebotes nicht passt. Die Zielrichtung eines Niedrigpreisangebotes könnte zum einen darin bestehen, durch eine Auftragsvergabe einen Marktzugang zum Auftraggeber zu erschließen, oder zum anderen nach der Zuschlagserteilung auf das Niedrigstangebot durch eine Korrektur der Angebotspreise oder -mengen im Ergebnis einen höheren Preis für die eigenen Arbeiten zu erzielen. Mit den Zielen eines Niedrigpreisangebotes nicht vereinbar ist aber der Wunsch des (sofortigen) Ausscheidens aus dem Vergabeverfahren mit der Folge, dass es zu einem Vertragsschluss nicht kommt. Dementsprechend spricht das Schreiben der Beklagten vom 31.05.2013 indiziell stark gegen die Annahme eines zielgerichteten Kalkulationsfehlers im Angebot der Beklagten und für die Annahme eines Kalkulationsirrtums.

Im Ergebnis der dargestellten Indiztatsachen ist der Senat davon überzeugt, dass dem von der Beklagten im Vergabeverfahren abgegebenen Angebot vom 30.05.2013 nicht ein (bewusster) Kalkulationsfehler, sondern ein Kalkulationsirrtum von Seiten der Beklagten zugrunde lag. Dieser war für die Klägerin als Auftraggeberin auch erkennbar, weil sie vor Auftragsvergabe nicht nur von der Beklagten mit dem Schreiben vom 31.05.2013 auf die kalkulatorische Unterdeckung hingewiesen wurde, sondern auch der Klägerin als Auftraggeberin am 11.06.2013 die Urkalkulation (Anlage B 3) übergeben wurde, was ausdrücklich auf Seite 5 des Vergabevorschlages des Architektur- und Ingenieurbüros Dipl.-Ing. E. vom 18.06.2013 festgehalten worden ist.

b) Die Ausführung des von einem erheblichen Kalkulationsirrtum beeinflussten Angebotes ist dem Bieter nicht zumutbar, wenn dem Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr angesonnen werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer auch nur annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen (vgl. BGH, Urteil vom 07.07.1998, a.a.O.; Urteil vom 11.11.2014, a.a.O.). Die Verpflichtung, aus Rücksicht auf die Interessen des Bieters von der Zuschlagserteilung abzusehen, greift nicht erst ein, wenn dessen wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht. Wann diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein verbindlich festlegen, sondern bedarf einer alle erheblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Bewertung. Nach diesen Kriterien ist die Schwelle zur Unzumutbarkeit der Auftragsausführung zur Überzeugung des Senates im vorliegenden Falle überschritten.

Das Angebot der Beklagten vom 30.05.2013 lag nicht nur knapp 24 % unterhalb des Angebotes der Zweitplatzierten H. ... GmbH (dazu schon oben unter II 1a). Nach den Ausführungen des Sachverständigen D. unter 5.2.4.2 auf Seite 35 seines schriftlichen Gutachtens lag das Angebot der Beklagten zudem um 14,2 % unterhalb des vom Sachverständigen gebildeten mittleren angemessenen Preises von 187.164,03 ?. Auf die im Vergabevorschlag des Architektur- und Ingenieurbüros Dipl.-Ing. E. vom 18.06.2013 enthaltene Kostenschätzung der Vergabestelle kann dagegen nicht abgestellt werden, weil diese eine andere Zielrichtung, nämlich die Bereitstellung ausreichender Mittel im Haushalt, hat (vgl. BGH, Urteil vom 07.07.1998, a.a.O.).

Es kommt hinzu, worauf auch das Landgericht im erstinstanzlichen Urteil zutreffend hinweist, dass sich der Kalkulationsfehler auf Lohnstunden bezieht und deshalb eine alternative Kompensation, wie sie bei Materialpreisen durch den Einsatz anderer Baustoffe im Einzelfall herbeigeführt werden könnte, für die Beklagte nicht möglich ist.

In der Zusammenschau dieser Umstände sieht der Senat im konkret zu beurteilenden Fall die Schwelle der Unzumutbarkeit als überschritten an.

2.

Das Landgericht hat mit der Anhörung des Geschäftsführers der Beklagten und der Vernehmung des Zeugen O. die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen für den Ablauf des Aufklärungsgespräches vom 24.06.2013 und die vom Geschäftsführer der Beklagten dort abgegebenen Erklärungen ausgeschöpft und das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme im Rahmen des § 286 Abs. 1 ZPO frei gewürdigt. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bestehen nicht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt keine verfahrensfehlerhafte Beweiswürdigung darin, dass das Landgericht angenommen habe, die Aussage des Zeugen O. sei unergiebig, weil er sich an das konkrete Gespräch und die dort vom Geschäftsführer der Beklagten abgegebenen Erklärungen nicht habe erinnern können. Die Ausführungen des Landgerichtes sind insoweit zutreffend, dass der Zeuge O. als unmittelbarer Zeuge der Erklärungen des Geschäftsführers der Beklagten keinen Erkenntnisgewinn erbrachte. Das Landgericht hat auch nicht übersehen, dass der Zeuge O. immerhin noch das von ihm gefertigte Protokoll des Gespräches identifizieren konnte. Vielmehr hat das Landgericht dies ausdrücklich auf Seite 5 des erstinstanzliches Urteils festgestellt. Allerdings genügte es dem Landgericht für die Feststellung des Inhaltes der von dem Geschäftsführer der Beklagten abgegebenen Erklärungen nicht, dass sich der Zeuge O. an das Protokoll erinnern konnte und davon ausging, dass der von ihm niedergelegte Gesprächsinhalt richtig gewesen sei. Dies ist auch nachvollziehbar, zumal der vom Landgericht als Partei angehörte Geschäftsführer der Beklagten nicht bestätigt hat, dass er die von der Klägerin behaupteten Erklärungen im Aufklärungsgespräch vom 24.06.2013 abgegeben hat. Das lässt zumindest die - der Beweisführung der Klägerin i.E. entgegenstehende - Möglichkeit eines schlichten Fehlverständnisses des Zeugen offen, zumal die übrigen Gesprächspartner das Protokoll seinerzeit nicht gegengezeichnet haben.

Es kommt hinzu, dass der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Bauvertrages auch dann nicht bestehen würde, wenn der Geschäftsführer der Beklagten im Aufklärungsgespräch vom 24.06.2013 die Erklärung abgegeben haben sollte, welche in dem als Anlage K 15 vorgelegten Protokoll niedergelegt ist.

Die Beklagte hatte aus § 241 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Rücksichtnahme, welcher sich dahingehend konkretisierte, dass die Klägerin auf das Angebot der Beklagten vom 30.05.2013 einen Zuschlag nicht erteilen durfte. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen oben unter II. 1. Diesen Anspruch könnte die Beklagte allenfalls dann - mit der Folge ihrer Haftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung - verloren haben, wenn sie auf den - ihr bekannten - Anspruch ausdrücklich verzichtet hätte.

Die im Protokoll vom 24.06.2013 niedergelegte Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten, die Beklagte werde im Falle des Zuschlages die Bauausführung übernehmen und auf die Einschaltung eines Rechtsbeistandes verzichten, ist aber kein ausdrücklicher Verzicht auf den Anspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin aus § 241 Abs. 2 BGB. Sie kann auch nicht als konkludente Verzichtserklärung verstanden werden, weil an die Annahme eines konkludent erklärten Verzichtes strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1995, VII ZR 118/94, NJW-RR 1996, 237; Urteil vom 20.09.2006, VIII ZR 100/05, NJW-RR 2007, 246; Schlüter in Münchner Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 397 Rdn. 3). Danach ist eine Verzichtserklärung niemals zu vermuten, und entsprechende Erklärungen sind stets eng auszulegen. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn es sich um dem Gläubiger unbekannte Ansprüche handelt. Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen kann in der im Protokoll vom 24.06.2013 niedergelegten Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten kein Verzicht auf den Anspruch der Beklagten auf Unterlassen des Zuschlages von Seiten der Klägerin nach § 241 Abs. 2 BGB gesehen werden.

Im Ergebnis kann deshalb die Klägerin unter keinem Gesichtspunkt das Bestehen des von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruches auf die Abgabe der von ihr behaupteten Erklärung durch den Geschäftsführer der Beklagten im Aufklärungsgespräch vom 24.06.2013 stützen.

RechtsgebieteZPO, BGBVorschriften§ 522 Abs. 2 ZPO; § 241 Abs. 2 BGB

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