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02.10.2019 · IWW-Abrufnummer 211460

Oberlandesgericht Oldenburg: Beschluss vom 09.09.2019 – 2 Ss (OWi) 233/19

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


OLG Oldenburg

Beschluss vom 09.09.2019


Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg vom 15.5.2019 wird vom rechts unterzeichnenden Einzelrichter zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Die Sache wird vom rechtsunterzeichnenden Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das vorbezeichnete Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Gründe

Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 120 € verurteilt worden. Festgestellt worden ist die Geschwindigkeitsüberschreitung durch eine Messung mit dem Einheitensensor ES 8.0 der Firma ESO.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er macht unter anderem geltend, dass beim vorliegenden Verfahren durch eine Unterdrückung der Rohmessdaten die Rechte des Betroffenen auf Verteidigung unzulässig eingeschränkt seien und verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, diese aber als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Die vom Einzelrichter zugelassene Rechtsbeschwerde ist mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts zulässig begründet worden.

Die Rechtsbeschwerde war zur Klärung der Frage zuzulassen, ob es sich bei Messungen mit dem Messgerät ES 8.0 um ein standardisiertes Verfahren handelt. Soweit ersichtlich, ist dieses in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt.

Die Frage ist zu bejahen.

Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH St 43, 277 ff).

Das Messgerät ES 8.0 ist ein von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt zugelassenes Lichtschrankenmessgerät. Es handelt sich um ein System, das dem bisherigen ES 3.0 ähnelt (Krumm, Neues Messgerät ES 8.0 – Was ist wirklich neu?, ZfSch 2019, 368 ff.). Ebenso wie bei letztgenanntem System (hierzu: Beck/Löhle/Schmedding/Siegert- Siemer, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 12. Aufl § 10 RN 63) wird der Messwert mittels der Sensoreinheit mit 5 optischen Helligkeitssensoren festgestellt. Dabei sind 3 Sensoren parallel eingestellt – nur diese dienen der Geschwindigkeitsmessung. Die beiden übrigen Sensoren dienen der Abstandsmessung (Krumm a.a.O.).

Technische Messsysteme, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen sind, werden daher grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anerkannt (OLG Bamberg, Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 3 Ss OWi 450/12 –, Rn. 11, juris).

Ebenso wie das Messverfahren ES 3.0 (Senat, DAR 16, 404) ist deshalb auch dieses Messgerät als standardisiertes Messverfahren anzuerkennen (so auch Krumm, a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund lässt das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen.

Soweit der Betroffene rügt, der Aufbau der Messanlage und der Ablauf der Messung sei vom Gericht nicht dargetan worden, ergibt sich aus dem Urteil, dass Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung ausweislich des Messprotokolls nicht vorgelegen haben, was bedeutet, dass die Messung ordnungsgemäß erfolgt ist.

Auch die Rüge, der Verteidigung, es sei es nicht möglich, Anhaltspunkte für einen Messfehler darzulegen, da die Rohmessdaten unterdrückt würden, verhilft der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg.

Dabei kann dahinstehen, ob die formellen Voraussetzungen für die Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt (§ 338 Nummer 8 StPO) erfüllt sind und ob es sich bei dem hier eingesetzten Messgerät um ein solches handelt, bei dem Rohmessdaten nicht gespeichert werden – eine derartige Feststellung ist vom Amtsgericht nicht getroffen worden.

Der Senat folgt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 5.7.2019, Lv 7/17, – abgerufen aus der Entscheidungsdatenbank dieses Gerichtes- ohnehin nicht.

Die Entscheidung hat für den Senat keine Bindungswirkung, wie der Verfassungsgerichtshof unter B I 1 der Urteilsgründe selbst ausführt.

Zunächst erscheint schon fraglich, ob Rohmessdaten eine nachträgliche Plausibilisierung ermöglichen (vgl. insb. die vom VerfGH des Saarlandes dargelegte gegenteilige Auffassung der PTB).

Es stellt sich zudem die Frage, „ob angesichts des – weltweit wohl einzigartigen – hohen Standards betreffend Verwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen die Rechte von Verkehrsteilnehmern, denen ein Geschwindigkeitsverstoß – und sei er noch so minimal – vorgeworfen wird, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, tatsächlich signifikant und rechtsstaatswidrig beeinträchtigt sind, wenn Rohmessdaten einer Messung nicht (mehr) vorhanden sind oder nicht herausgegeben werden, eine Messung mithin im Nachhinein nicht mehr mit allen messwertbildenden Daten durch seitens eines Betroffenen beauftragten Sachverständigen überprüft werden kann. Hierbei erscheint es im Übrigen fraglich, ob durch ein Mehr an zur Verfügung stehenden Daten ein Erkenntnisvorteil zur Beurteilung der Richtigkeit einer Messung gewonnen werden kann.“ (AG St. Ingbert, Beschluss vom 08. August 2019 – 23 OWi 66 Js 1126/19 (1845/19) –, Rn. 17, juris).

Krenberger (NZV 2019, 414) merkt ergänzend u.a. Folgendes zum Urteil des Verfassungsgerichts des Saarlandes an:

„Weshalb… in Messverfahren, bei denen zwei der Narretei fernstehende Behörden wie die PTB und die Eichämter technische Prüfungen vornehmen, deren Ergebnis nach § 256 StPO als vorweggenommene Behördengutachten angesehen werden, diese aber auf einmal einer grundsätzlichen nachträglichen Überprüfbarkeit unterliegen sollen, bleibt unerklärt“.

Und weiter:

„Würde man die Entscheidung des VerfGH verallgemeinern, wären zum einen alle Messgeräte die gar keine Daten speichern… nicht mehr vor Gericht verwertbar, sondern auch die Atemalkoholkontrolle mit dem Messgerät Draeger Alcomat, das ebenfalls als standardisiert gilt, aber gerade keine „Rohmessdaten“ vorhält, wäre dann passe. Würde man den Bogen weiter spannen, … wären zum anderen bspw. LKW- Verwiegungen oder Abgasuntersuchungen…, oder eben auch…Blut- oder DNA-Analysen, bei zu geringem Restmaterial, in Zukunft „unverwertbar“.

Dass eine nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit nicht erforderlich ist, entspricht aber auch obergerichtlicher Rechtsprechung:

„Ein Beweisverwertungsverbot folgt auch nicht daraus, dass möglicherweise durch die Softwareversion und die damit verbundene Löschung von Rohmessdaten eine Plausibilitätsprüfung nicht möglich ist. Die Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt indiziert bei Einhaltung der Vorgaben der Bedienungsanleitung und Vorliegen eines geeichten Gerätes nämlich die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswertes, da ihr die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt (OLG Bamberg, DAR 2016,146). Dies gilt auch dann, wenn ein beauftragter Sachverständiger, etwa mangels Zugangs zu den patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen, die genaue Funktionsweise nicht im Einzelnen nachvollziehen kann (OLG Bamberg, a. a. O., m. w. N.). Diese Rechtsprechung gilt auch für Messungen mit dem Messgerät Leivtec XV3, das von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen ist und als standardisiertes Messverfahren anerkannt ist (vgl. OLG Celle, NZV 2014, 232; VG Berlin, Urteil vom 9. Februar 2011, 11 K 459.10).“ (OLG Celle, Beschluss vom 17.5.2017, 2 Ss OWi 93/17, betr. das Gerät Leivtec XV 3)

Der Senat sieht sich zudem auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH: Der BGH hat bejahend geklärt, dass bei Einhaltung der Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens das Ergebnis unter Berücksichtigung der Toleranzabzüge hinreichende Verurteilungsgrundlage sein kann (zutreffend OLG Bamberg, DAR 2018, 573 unter Hinweis u.a. auf BGHSt 39, 291).

Hierzu gehört eine Überprüfungsmöglichkeit nicht. Dabei hat der BGH (St 43, 277) auch Messungen mit einer Laserpistole als standardisiertes Verfahren angesehen, bei denen bekanntermaßen keine nachträglich überprüfbare Dokumentation erfolgt. Wenn aber bei diesen Geräten unter Einhaltung der vom BGH aufgestellten Anforderungen eine Verurteilung erfolgen darf, zeigt das, dass eine nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit durch Auswertung von Messdaten keine Voraussetzung für ein faires Verfahren sein kann, da nicht anzunehmen ist, dass der BGH seine Rechtsprechung ansonsten auf Laserpistolen ausgedehnt hätte. Es könnte dann nämlich jede Verurteilung allein durch den Antrag (nicht vorhandene) Daten herauszugeben, verhindert werden.

Insofern ist auch die Prämisse des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes, die bundesgerichtlichen Grundsätze seien -„soweit ersichtlich“- durchweg für Fälle entwickelt worden, in denen Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang zur Verfügung standen, unzutreffend (so auch Amtsgericht Minden, Beschluss vom 26. Juli 2019,15 OWi -502 Js 2879/18-504/18, bei burhoff.de).

Nach Auffassung des Senats läge deshalb ein Verstoß gegen das faire Verfahren oder/und eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung auch dann nicht vor, wenn das vorliegende Gerät keine Rohmessdaten speichern würde.

Auch ansonsten lässt das angefochtene Urteil Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht erkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 465 StPO.

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