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12.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211142

Landesarbeitsgericht Bremen: Beschluss vom 18.04.2019 – 2 TaBV 11/18


Tenor:

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 23. August 2018 - 9 BV 904/18 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.



Gründe



I.



Die Beteiligten streiten über die Anwendung einer Betriebsvereinbarung.



Für den Bremer Betrieb der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin wurde am 02. November 1981 eine Betriebsvereinbarung "Entlohnungsgrundsatz Prämie" (nachfolgend: BV Prämie; Bl. 7 ff. der Akte) abgeschlossen. Zur Berechnung des Prämienverdienstes von Monteuren sieht § 6 der BV Prämie vor, dass der Prämienausgangslohn 125 % des jeweiligen Tarifgrundlohnes beträgt.



Unter dem Datum des 29. September 1997 wurde eine Betriebs- / Gesamtbetriebsvereinbarung "Beschäftigungssicherung und Kostensenkung" (nachfolgend: BV Beschäftigungssicherung; Bl. 135 ff. der Akte) abgeschlossen. Die BV Beschäftigungssicherung regelt in den Ziffern 5 und 6 unter anderem eine Festlegung der Prämienuntergrenze auf maximal 120 % des tariflichen Grundlohns. Die Wirksamkeit dieser Betriebs- / Gesamtbetriebsvereinbarung war zwischen den Beteiligten bereits 2012 im Streit und Gegenstand eines Beschlussverfahrens. Mit Beschluss vom 11. Februar 2015 (- 3 TaBV 22/13 -) hat das Landesarbeitsgericht Bremen rechtskräftig festgestellt, dass Ziffer 6 der BV Beschäftigungssicherung im Betrieb Bremen keine Anwendung findet. Die BV Beschäftigungssicherung sei weder als Gesamtbetriebs- noch als Betriebsvereinbarung wirksam zustande gekommen. Die BV Beschäftigungssicherung stelle auch keine andere Abmachung in Form einer Regelungsabrede dar, welche die BV Prämie gem. § 77 Abs. 6 BetrVG hätte ablösen können.



Nachfolgend ist dem antragstellenden und zu 1. beteiligten Betriebsrat bekannt geworden, dass die Arbeitgeberin Monteure mit 120 % des Tarifgrundlohnes als Prämienausgangslohn vergütet. Daraufhin hat der Betriebsrat beschlossen, die Arbeitgeberin im Wege eines einzuleitenden Beschlussverfahrens anzuhalten, ihrer Verpflichtung zur Durchführung der BV Prämie nachzukommen.



Mit seinem am 03. Mai 2018 beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven eingegangenen und später umgestellten Antrag verfolgt der Betriebsrat den Anspruch auf Anwendung der BV Prämie auf sämtliche Monteure, die im Prämienlohn arbeiten.



Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass durch den Beschluss des LAG Bremen vom 11. Februar 2015 festgestellt worden sei, dass die gesamte BV Beschäftigungssicherung aus Formmängeln unwirksam sei. Da sowohl Tenor als auch Entscheidungsgründe in Rechtskraft erwachsen seien, sei die Arbeitgeberin hieran gebunden. Die BV Beschäftigungssicherung sei auch nicht als Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen worden, da es hierzu keinen Beschluss des Gesamtbetriebsrats gegeben habe. Im Übrigen seien Regelungen über eine Leistungsentlohnung stets als betriebsbezogen zu betrachten. Aus diesem Grunde müsse die BV Prämie weiterhin zur Anwendung gelangen.



Der Betriebsrat hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,



1. die Beteiligte zu 2. wird verpflichtet, auf sämtliche Monteure die im Prämienlohn arbeiten, die Betriebsvereinbarung "Entlohnungsgrundsatz Prämie vom 02.11.1981" voll umfänglich ohne Einschränkungen anzuwenden.



2. Der Beteiligten zu 2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld, dass in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 1000 € für jeden Einzelfall nicht unterschreiten sollte, festzusetzen.



Die Arbeitgeberin hat beantragt,



die Anträge abzuweisen.



Die Arbeitgeberin vertritt die Auffassung, dass die BV Prämie wirksam durch die BV Beschäftigungssicherung abgelöst worden sei. Dem Beschluss des LAG Bremen lasse sich nicht entnehmen, dass die gesamte BV Beschäftigungssicherung für unwirksam erklärt worden sei. Im Übrigen stünde die Entscheidung des LAG Bremen im Widerspruch zu anderen Entscheidung, u.a. des LAG Hessen.



Mit Beschluss vom 23. August 2018 - 9 BV 904/18 - hat das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven die Anträge als unzulässig zurückgewiesen, da es dem Betriebsrat an der erforderlichen Antragsbefugnis fehle. Im Ergebnis verfolge der Betriebsrat mit seinem Verpflichtungsantrag das Ziel, im Wege der Prozessstandschaft Zahlungsansprüche der Monteure durchzusetzen.



Gegen diesen ihm am 21. September 2018 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 02. Oktober 2018 Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 21. Dezember 2018 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Beschwerdebegründungsfrist mit Beschluss vom 12. Oktober 2018 bis zum 21. Dezember 2018 verlängert worden war.



Der Betriebsrat hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtsfehlerhaft, da er keine individualrechtlichen Ansprüche der Beschäftigten verfolge, sondern einen Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung geltend mache. Sein Antrag ziele darauf ab, die Arbeitgeberin zur Einhaltung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen aus der BV Prämie anzuhalten.



Der Betriebsrat beantragt,



1. unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 23. August 2018 - 9 BV 904/18 -,



die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Betriebsvereinbarung "Entlohnungsgrundsatz Prämie" vom 02. November 1981 auf sämtliche Monteure, die im Leistungslohn tätig sind, anzuwenden, insbesondere den Entgeltberechnungen einen Prämienausgangslohn in Höhe von 125 % des Tarifgrundlohns, entsprechend § 6 dieser Betriebsvereinbarung, zugrunde zu legen;



hilfsweise:



festzustellen, dass die Beteiligte zu 2. verpflichtet ist, die Betriebsvereinbarung "Entlohnungsgrundsatz Prämie" vom 02. November 1981 auf alle Monteure, die im Leistungslohn arbeiten, anzuwenden und insbesondere bei der Berechnung des Leistungslohns einen Prämienausgangslohn in Höhe von 125 % des Tarifgrundlohns entsprechend § 6 dieser Betriebsvereinbarung zugrunde zu legen;



2. gegen die Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtungen aus dem Antrag zu 1. ein Zwangsgeld, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber EUR 1.000,00 für jeden Einzelfall nicht unterschreiten sollte, festzusetzen.



Die Arbeitgeberin beantragt,



die Beschwerde zurückzuweisen.



Die Arbeitgeberin verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts und teilt dessen Auffassung, wonach es dem Betriebsrat um die Durchsetzung individueller Rechte gehe, nämlich um die Berechnung eines bestimmten Prämienausgangslohns für die im Prämienlohn beschäftigten Monteure. Der Betriebsrat beziehe sich zur Antragsbegründung auf individuelle Fälle bestimmter Mitarbeiter und rüge die Berechnung deren Gehälter. Soweit der Betriebsrat eine hiervon abweichende Berechnung fordere, stelle dies die Geltendmachung eines individualrechtlichen Anspruchs dar, so dass das Arbeitsgericht zutreffend von einer unzulässigen Prozessstandschaft ausgegangen sei.



Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften und die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.



II.



Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.



1. Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig. Sie ist nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft sowie nach §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 516, 518 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.



2. Die Beschwerde ist unbegründet.



Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der vom Betriebsrat gestellte Verpflichtungsantrag wegen Fehlens der notwendigen Antragsbefugnis unzulässig ist und deshalb auch kein Zwangsgeld festzusetzen ist. Dies gilt auch und gerade, soweit der Betriebsrat den Antrag zweitinstanzlich insbesondere auf die Frage der Entgeltberechnung nach Maßgabe des § 6 der BV Prämie konkretisiert hat.



a) Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG führt der Arbeitgeber Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber durch. Diese Vorschrift grenzt nicht nur die Kompetenzen der Betriebsparteien zueinander ab, indem sie dem Arbeitgeber die alleinige Führung des Betriebs überlässt und einseitige Eingriffe des Betriebsrats in die Betriebsführung verbietet, sondern verpflichtet auch den Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat, solche Vereinbarungen ihrem Inhalt entsprechend im Betrieb anzuwenden (z. B. BAG, Beschluss vom 18. März 2014 - 1 ABR 75/12 -, juris Rn. 31 m.w.N.). Der Betriebsrat kann daher vom Arbeitgeber aus der betreffenden Betriebsvereinbarung i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch deren Durchführung im Betrieb verlangen (BAG, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 1 ABR 6/09 -, juris Rn. 16).



b) Allerdings berechtigt der Durchführungsanspruch den Betriebsrat nicht dazu, die durch die Betriebsvereinbarung begründeten individualrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in einem Beschlussverfahren durchzusetzen (BAG, Beschluss vom 21. Januar 2003 - 1 ABR 9/02 -, juris Rn. 40). In Bezug auf solche Angelegenheiten geht es nicht um eine "Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz" i.S.v. § 80 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 2 a ArbGG (BAG, Beschluss vom 17. Oktober 1989 - 1 ABR 75/88 -, juris Rn. 19). Für die Abgrenzung zwischen dem betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch auf Durchführung der Betriebsvereinbarung und einer prozessstandschaftlichen Geltendmachung individualrechtlicher Ansprüche kommt es weniger auf die Formulierung des Antrags, sondern vielmehr darauf an, was der Betriebsrat mit seinem Antrag letztlich begehrt (BAG, Beschluss vom 18. Januar 2005 - 3 ABR 21/04 -, juris Rn. 36).



aa) Im Streitfall will der Betriebsrat mit seinem Verpflichtungsantrag - auch in der zuletzt zweitinstanzlich gestellten Fassung - im Ergebnis individualrechtliche Ansprüche der Arbeitnehmer durchsetzen. Nach seinem Antrag verlangt der Betriebsrat die Anwendung der BV Prämie bei Berechnung des Prämienlohns, ganz konkret die Berechnung des Prämienausgangslohns auf Basis von 125 % des Tarifgrundlohns. Was der Betriebsrat mit seinem Antrag begehrt, ist letztlich, die Verpflichtung der Arbeitgeberin auszusprechen, den Prämienausgangslohn nach Maßgabe des § 6 BV Prämie mit 125 % des Tarifgrundlohns zu berechnen und zur Auszahlung zu bringen. Geht man davon aus, dass die im Leistungslohn beschäftigten Monteure Anspruch auf einen Prämienausgangslohn haben, der sich nach § 6 BV Prämie bestimmt, so kann jeder Monteur seinen Prämienverdienst in entsprechender Höhe selbst - notfalls im Wege einer Klage - geltend machen. Diese individuelle Geltendmachung der Prämienvergütung nach Maßgabe der BV Prämie will der Betriebsrat mit seinem Antrag entbehrlich machen. Hielte sich die Arbeitgeberin nicht an die mit dem Antrag zu 1. festgestellte Verpflichtung, soll mit dem Antrag zu 2. für jede Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld festgesetzt werden. Das würde bedeuten, dass die Arbeitgeberin durch Zwangsgeld zur richtigen Berechnung und Auszahlung des Prämienverdienstes der Monteure angehalten wird. Dies stellt jedoch eine unzulässige Geltendmachung individualrechtlicher Lohnansprüche durch den Betriebsrat dar.



bb) Nach vorstehender Maßgabe ist auch der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag unzulässig. Mit seinem Feststellungsantrag verfolgt der Betriebsrat letztlich dasselbe Ziel: Die Arbeitgeberin soll den betroffenen Monteuren Leistungslohn unter Berücksichtigung eines Prämienausgangslohns in Höhe von 125 % des Tarifgrundlohns gewähren. Diesen Anspruch müssen jedoch die betroffenen Arbeitnehmer, gestützt auf die BV Prämie als Anspruchsgrundlage, selbst gegenüber der Arbeitgeberin verfolgen.



Soweit es dem Betriebsrat allein um die zwischen den Betriebsparteien nach wie vor bestehende Meinungsverschiedenheit ginge, ob die Regelungen der BV Beschäftigungssicherung die BV Prämie abgelöst haben, hat der Betriebsrat selbst - und in der Sache völlig zu Recht - darauf hingewiesen, dass diese Frage durch Beschluss des LAG Bremen vom 11. Februar 2015 (- 3 TaBV 22/13 -) rechtskräftig beantwortet worden ist.



III.



Das Verfahren ist gem. § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.



Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nach § 72 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zugelassen. Zwar sieht sich die Kammer in Einklang mit der unter II. 2 b) der Gründe zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Allerdings ist das Bundesarbeitsgericht in anderen Konstellationen von einer Zulässigkeit entsprechender Anträge des jeweiligen Betriebsrats ausgegangen. Im Verfahren 1 ABR 6/09 (Beschluss vom 18. Mai 2010) ging es um die Durchführung eines Sozialplans und den Antrag des Betriebsrats auf Feststellung einer bestimmten Berechnungsweise der für eine Sozialplanregelung maßgeblichen Bezügehöhe. Im Verfahren 1 ABR 75/12 (Beschluss vom 18. März 2014) wollte der dortige Betriebsrat mit seinem Antrag erreichen, dass die Arbeitgeberin bestimmten Arbeitnehmern für an Samstagen geleistete Arbeit eine Zeitgutschrift i.H.v. 25 % auf dem Arbeitszeitkonto gewährt. Da es sich insoweit nach Auffassung der Kammer um mit dem vorliegenden Streitfall vergleichbare Antragsbegehren handelt, wurde wegen der möglichen Abweichung der Kammer von diesen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts die Rechtsbeschwerde für den Betriebsrat zugelassen.

Vorschriften§ 77 Abs. 6 BetrVG, § 87 Abs. 1 ArbGG, §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1, 2, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 516, 518 ZPO, § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, § 80 Abs. 1 ArbGG, § 2 a ArbGG, § 2 Abs. 2 GKG, § 72 Abs. 2 ArbGG, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG

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