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19.02.2019 · IWW-Abrufnummer 207278

Landesarbeitsgericht Hamburg: Beschluss vom 15.02.2018 – 8 TaBV 5/17


Tenor:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 07.06.2017 (13 BV 13/16) abgeändert:

Die Betriebsratswahl vom 11. - 27.04.2016 wird für unwirksam erklärt.

Der weitergehende Antrag der Beteiligten zu 1, 2, 4 - 7 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Gründe



I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der im Betrieb der Arbeitgeberin im April 2016 durchgeführten Betriebsratswahl. Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz wird in entsprechender Anwendung von § 69 II ArbGG auf die Feststellungen im angefochtenen Beschlusses (Bl. 319 - 322 d.A.) Bezug genommen.



Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl für nichtig erklärt. Die Durchführung einer Online-Wahl verstoße in grober Weise gegen die Bestimmungen der Wahlordnung. Neben der Abgabe der Stimmen im Wahllokal sehe die Wahlordnung allein die Briefwahl vor. Eine Online-Wahl widerspreche Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Wahlordnung. Für die Zulässigkeit einer "extensiv zeitgemäßen" Auslegung fehlten jegliche Anhaltspunkte. Der schwerwiegende Verstoß war auch offensichtlich. Selbst das vom Hersteller der Software eingeholte Gutachten weist darauf hin, dass eine online-Wahl derzeit unzulässig sei. Wegen der Einzelheiten wird auf Absatz II der Gründe (Bl. 322 - 328 d.A.) Bezug genommen.



Gegen den am 07.06.2017 verkündeten und dem Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin am 13.06.2017 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 04.07.2017 Beschwerde eingelegt und diese - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 13.10.2017 - an diesem Tag begründet.



Die Arbeitgeberin meint, das zusätzliche Angebot einer online Stimmabgabe stelle jedenfalls keinen derart gravierenden Rechtsfehler dar, dass die Rechtsfolge die Nichtigkeit der Betriebsratswahl sei. Für die Onlinewahl wurde die Software der P. GmbH. Diese Software entspreche den Sicherheitsvorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und sei von diesem zertifiziert. Die Registrierung zur Onlinewahl erfolge - wie diejenige zur Briefwahl - über eine entsprechende Bildschirmmaske. Die Teilnehmer müssten einen Grund angeben und zusichern, keine Stimme über ein anderes Wahlverfahren abzugeben. Die Rückverfolgung der abgegebenen Stimme zur Person des Wählers sei systemtechnisch ausgeschlossen. Das Onlineverfahren sei als zusätzliche Option angeboten worden, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen und dadurch die demokratische Legitimation des Betriebsrats zu stärken. Dieses Ziel sei erreicht worden, da die Wahlbeteiligung im Vergleich zur Betriebsratswahl um 6 % zugenommen habe. Die Vorbereitung der Onlinewahl sei mit größter Sorgfalt in mehr als 60 Sitzungen des Wahlvorstands erfolgt. Zur rechtlichen Absicherung sei ein wissenschaftliches Gutachten von Herrn Prof. Dr. W. herangezogen worden. Dieser sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Onlinewahl unter bestimmten Voraussetzungen rechtmäßig sein könne, im Übrigen aber allenfalls anfechtbar, keinesfalls nichtig.



Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl sei als Rechtsfolge im Gesetz nicht vorgesehen und werde von der Rechtsprechung nur unter sehr strengen Voraussetzungen angenommen.



Die Onlinewahl stelle keinen groben Verstoß gegen Wahlvorschriften dar. Zwar werde die Onlinewahl in der Wahlordnung nicht ausdrücklich erwähnt, aber auch nicht ausgeschlossen. Die Regelungen zur Briefwahl könnten deshalb auch dahingehend ausgelegt werden, dass sie jedenfalls dann eine Onlinewahl gestatteten, wenn die Vorgaben der Briefwahl exakt nachgezeichnet würden. Der Wortlaut eines Gesetzes sei nach den Grundsätzen der Methodenlehre weder das einzige noch das allein maßgebliche Auslegungskriterium, sondern lediglich der Ausgangspunkt der Überlegungen. Da es einen völlig eindeutigen Wortlaut nicht gebe und die Gesetzesauslegung dem Gesetzeswortlaut nach dem ihm innewohnenden Sinn gerecht zu werden versuche, habe sich das Arbeitsgericht nicht damit begnügen dürfen, lediglich den - angeblich - eindeutigen Wortlaut der Wahlordnung zu bemühen. Wie im Gutachten von Prof. Dr. W. ausgeführt, sei eine extensive Auslegung der §§ 24ff WO nicht von vornherein ausgeschlossen. Lasse sich über die Zulässigkeit der Onlinewahl ernsthaft streiten, sei ein grober Verstoß im Sinne der Rechtsprechung des BAG ausgeschlossen. Erforderlich wäre vielmehr, dass das vorgeschriebene Wahlverfahren überhaupt nicht beachtet worden wäre. Auch der vom Arbeitsgericht angenommene Verstoß gegen das "Ein-Urnen-Prinzip" führe nicht zur Nichtigkeit, da die Stimmenauszählung öffentlich erfolgt sei. Falls überhaupt von einer Verletzung wesentlicher Wahlgrundsätze auszugehen wäre, wäre diese jedenfalls nicht offensichtlich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung (Bl. 388 - 403 d.A.) Bezug genommen.



Die Arbeitgeberin beantragt,



1. den Beschluss des ArbG Hamburg vom 07.06.2017 (13 BV 13/16) abzuändern und die Anträge abzuweisen.



2. die Rechtsbeschwerde zuzulassen.



Die Beteiligten zu 1, 2, 4 - 7 beantragt,



die Beschwerde zurückzuweisen.



Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung. Weder eine Auslegung im Sinne der Zulässigkeit der Onlinewahl noch eine entsprechende Rechtsfortbildung seien möglich. Die Nichtigkeitsfolge sei zwingend, weil mit der Onlinewahl inhärent sicher sei, dass Manipulationen nicht aufgedeckt werden könnten. Dies sei für die Arbeitgeberin und den Wahlvorstand auch offensichtlich gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeerwiderung (Bl. 410 - 423 d.A.) Bezug genommen.



II. Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die vom 11. bis 27.04.2016 durchgeführte Betriebsratswahl ist unwirksam, weil gegen wesentliche Vorschriften des Wahlrechts verstoßen worden ist und sich der Verstoß auch auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann (1). Die Wahl ist jedoch nicht nichtig (2).



1. Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Angebot einer Online-Stimmabgabe bei der Betriebsratswahl nicht mit der Wahlordnung zu vereinbaren ist. Die Beschwerdekammer macht sich insoweit die überzeugenden Gründe der angefochtenen Entscheidung in entsprechender Anwendung von § 69 II ArbG zu Eigen. Die Ausführungen der Beschwerde führen zu keiner abweichenden Beurteilung.



Der die Wahl betreffende erste Abschnitt des zweiten Teils des BetrVG (§§ 7 - 20) und die Wahlordnung erwähnen die Online-Stimmabgabe nicht. Aus der Systematik, insb. aus § 26 I WO, welcher die Zusammenführung der vor Ort und der per Briefwahl eingegangenen Stimmzettel vor der Auszählung zwingend vorschreibt, ergibt sich, dass eine weitere Form der Stimmabgabe nicht vorgesehen ist. Zwar ist - wie die Beschwerde zutreffend ausführt - eine Auslegung auch jenseits des Wortlauts einer Rechtsnorm nicht generell ausgeschlossen. Voraussetzung ist jedoch, dass andere Indizien deutlich belegen, dass ihr Sinn im Text unzureichend Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfG v. 27.01.1998 - 1 BvL 22/93 - Tz 34). Davon kann vorliegend keine Rede sein. Die Zulassung oder Nichtzulassung der Online-Wahl ist eine rechtspolitische Entscheidung, bei der Vor- und Nachteile beider Lösungen gegeneinander abzuwägen sind. Die Zulassung der Online-Wahl ist auch nicht zwingend erforderlich, was allein dadurch belegt wird, dass Betriebsräte in Tausenden von Betrieben auch ohne dieses Mittel wirksam gewählt werden. Über eine evtl. Anpassung der Wahlordnung an geänderte technische Rahmenbedingungen zu entscheiden, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Die Gerichte sind nicht befugt, diese Entscheidung an sich zu ziehen.



Das Angebot der Onlinewahl hat sich auch auf das Ergebnis der Betriebsratswahl ausgewirkt. Unstreitig haben 628 Wahlberechtigte von der Option Gebrauch gemacht. Welcher Art die Auswirkung ist und ob diese - wie bei einer Steigerung der Wahlbeteiligung - als solche positiv zu bewerten wäre, spielt für die Anfechtbarkeit der Wahl nach § 19 BetrVG keine Rolle.



2. Die Wahl ist aber entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht nichtig.



a) Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist eine Betriebsratswahl nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der weitreichenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders gravierenden Wahlverstößen angenommen werden. Voraussetzung ist, dass der Mangel offenkundig und deshalb ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss "den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen" (vgl. BAG v. 21.11.2011 - 7 ABR 54/10 - Tz 26; BAG v. 19.11.2003 - 7 ABR 25/03 - Tz 18 m.w.N.). Davon geht das BAG selbst bei Wahlen, die unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt worden sind, nicht aus (BAG a.a.0.). Eine Nichtigkeit kommt nur in Betracht, wenn auch der Anschein einer demokratischen Willensbildung fehlt.



b) Die Voraussetzungen der Nichtigkeit liegen nach Ansicht der Beschwerdekammer allein wegen des Angebots der Online-Stimmabgabe nicht vor. Zwar geht die Beschwerdekammer in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass der Fehler offensichtlich war. Dafür spricht die eindeutige Gesetzeslage und der Meinungsstand in der Literatur, in der es - soweit ersichtlich - keine Stimme gibt, welche vorbehaltlos eine Onlinewahl nach geltendem Recht für zulässig hält. Allein wegen der Option der elektronischen Stimmabgabe fehlt der Wahl aber nicht von vornherein der Anschein einer demokratischen Willensbildung. Selbst wenn man zu Gunsten der Anfechtenden unterstellt, dass Manipulationen bei Anwendung des Online-Tools leichter verschleiert werden können als im normalen Wahlverfahren, ergibt sich daraus nicht, dass Onlinewahlen regelmäßig manipuliert werden. Gegen das Fehlen eines Anscheins demokratischer Willensbildung spricht auch, dass Online-Wahlverfahren in einigen demokratischen Staaten für staatliche Wahlen in Betracht gezogene werden.



c) Auch in Kombination mit den übrigen von den Beschwerdeführern behaupteten Mängeln der durchgeführten Wahl sind die strengen Voraussetzungen der Nichtigkeit nicht erfüllt. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Wahlurne soll insb. in Kleinbetrieben, in denen nur einzelne oder im Extremfall nur ein Wähler per Briefwahl wählt, das Wahlgeheimnis schützen. Bei staatlichen Wahlen mit einer großen Anzahl von Wählern werden Briefwähler und Vor- Ort-Wahl regelmäßig getrennt ausgezählt. Einen Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl kennt die Wahlordnung nicht. Öffentlich ist lediglich die Stimmauszählung, die Stimmabgabe im Wahllokal oder per Briefwahl gerade nicht. Ob neben des Angebots Onlinewahl weitere Gründe zur Anfechtung der Wahl vorlagen, kann dahinstehen. Die Kammer musste deshalb dem streitigen Vorbringen der Beschwerdeführer z.B. zur Zugänglichkeit der Wahl-Server für Dritte und zur Veröffentlichung eines Beispiels durch den Wahlvorstand mit einem Kreuz für Liste 5 nicht nachgehen.



III. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand keine Veranlassung. Unter welchen Voraussetzungen Betriebsratswahlen anfechtbar bzw. nichtig sind, ist höchstrichterlich hinreichend geklärt. Im vorliegenden Fall waren diese Rechtsgrundsätze lediglich auf den Einzelfall anzuwenden.

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