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27.07.2018 · IWW-Abrufnummer 202577

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 05.01.2018 – 16 Sa 1410/16


Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 25.10.2016 - 4 Ca 881/16 - wird zurückgewiesen.


2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.


3. Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung vom 27. April 2016 zum 31. Juli 2016.



Der 1961 geborene Kläger ist seit dem 06. Januar 1982 bei der Beklagten zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt ca. 2.650,00 € beschäftigt. Er ist von Geburt an - als Folge von Sauerstoffmangel - in seinen geistigen Erkenntnis- und Steuerungsmöglichkeiten eingeschränkt und aufgrund dieser Beeinträchtigungen als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50 anerkannt. Von der Beklagten wurde er mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 07. Januar 1982 als "Kernmacher - Anlernling" eingestellt und im Wesentlichen mit Hilfstätigkeiten in der "Kernmacherei" beschäftigt. Neben dem Kläger waren in der "Kernmacherei" noch 4 Kernmacher beschäftigt, darunter ein Betriebsratsmitglied und ein Vorarbeiter. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein - Westfalens Anwendung.



Die Beklagte betreibt eine Gießerei, in der zuletzt 73 Mitarbeiter beschäftigt waren. Sie verzeichnete seit dem Jahr 2012 erhebliche Umsatzrückgänge und Verluste. Während im Geschäftsjahr 2013 noch 915 Tonnen Fertigguss bearbeitet wurden, wurde im Jahr 2015 lediglich eine Tonnage von 596 Tonnen erreicht. Bei dieser Leistung erwirtschaftete die Beklagte einen Verlust von ca. 1 Mio. Euro. Im Rahmen der Liquiditätsplanung für den Monat Januar 2016 stellte die Beklagte fest, dass ihre liquiden Mittel nicht ausreichen würden, um sämtliche Kreditorenrechnungen sowie die Löhne und Gehälter zu zahlen. Sie stellte daher am 21. Januar 2016 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, verbunden mit einem Antrag auf Eigenverwaltung.



Mit Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 29. März 2016, 12:04 Uhr wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Am Abend des 29. März 2016 unterzeichneten die Beklagte und der bei ihr bestehende Betriebsrat kurz nach 21:00 Uhr einen Interessenausgleich nebst Namensliste, der den Abbau von 19 Mitarbeitern und dabei den Ausspruch von 17 betriebsbedingten Kündigungen vorsieht. Die Namensliste weist 17 Mitarbeiter auf, darunter den Kläger unter der laufenden Nummer 17. In § 1 Ziffer 11 des Interessenausgleichs wird hinsichtlich der Kernmacherei Folgendes ausgeführt:

"In der Kernmacherei mit bisher 5 Mitarbeitern wird es aufgrund der reduzierten Tonnage zu einer verminderten Arbeitsauslastung kommen. Aufgrund der sehr differenzierten Arbeitsabläufe werden 4 Mitarbeiter benötigt; somit reduziert sich die Anzahl der Mitarbeiter um 1."



In § 5 des Interessenausgleichs ist hinsichtlich der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates Folgendes festgehalten:

"Bei den erforderlich werdenden Kündigungen sind die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates gemäß §§ 95, 99, 102 BetrVG beachtet worden. Bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich und zur Erstellung der Namensliste lagen dem Betriebsrat die Sozialdaten sämtlicher Arbeitnehmer des Betriebes vor. Mit der Erstellung der Namensliste wurde gleichzeitig das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zur Kündigung der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer eingeleitet. Die Erörterungen, die zur Erstellung der Namensliste geführt haben, bildeten gleichzeitig die förmliche Information des Betriebsrates über die Kündigungsgründe gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der Betriebsrat hatte in seiner Sitzung vom 29.03.2016 Gelegenheit, über die beabsichtigten Kündigungen zu beraten. Er gibt dazu folgende abschließende Stellungnahme ab: Die Kündigungen werden zur Kenntnis genommen. Der Betriebsrat betrachtet das Anhörungsverfahren damit als abgeschlossen. Die Betriebsparteien sind sich darüber einig, dass auf vorstehender Grundlage dieser Interessenausgleich mit Namensliste zugleich die Auskunftserteilung und Unterrichtung gegenüber dem Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 KSchG und dessen Stellungnahme zur geplanten Massenentlassung gem. § 17 Abs. 3 KSchG ersetzt."



Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Interessenausgleich vom 29. März 2016 (Bl. 39 - 43 d. A.) verwiesen.



Bereits zuvor, mit Schreiben vom 21. März 2016, hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das Anhörungsverfahren gem. § 102 BetrVG zu 18 beabsichtigten, betriebsbedingten Kündigungen unter Bezugnahme auf die bisherigen Interessenausgleichsverhandlungen und die in diesem Rahmen erteilten Informationen eingeleitet. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 21. März 2016 (Bl. 38 - 41 d. A.), welches gleichzeitig der Information nach § 17 Abs. 2 KSchG dienen sollte, Bezug genommen.



Am Vormittag des 30. März 2016 reichte die Beklagte bei der zuständigen Agentur für Arbeit Hagen eine Massenentlassungsanzeige vom 29. März 2016 ein. Wegen der Einzelheiten wird auf die Massenentlassungsanzeige vom 29. März 2016 nebst Anlagen (Bl. 62 - 66 d. A) Bezug genommen.



Mit Schreiben vom 30. März 2016, 12:30 Uhr teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, dass er nach Insolvenzeröffnung in seinen nochmaligen Beratungen am 29. / 30. März 2016 die beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen geprüft und hierzu den Beschluss gefasst habe, über den schon unterzeichneten Interessenausgleich mit Namensliste hinaus keine zusätzliche Stellungnahme abzugeben. Er sehe auch keinen weiteren Informations- oder Beratungsbedarf und betrachte das Anhörungsverfahren damit als abgeschlossen.



Ebenfalls am 30. März 2016 reichte der Sachwalter beim Insolvenzgericht die Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit ein.



Nachdem das Integrationsamt mit Schreiben vom 26. April 2016 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung erteilt hatte, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. April 2016 zum 31. Juli 2016.



Mit seiner am 18. Mai 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend. Er hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG, die ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens, die Ordnungsgemäßheit der Massenentlassungsanzeige und das ordnungsgemäße Zustandekommen des Interessenausgleichs gerügt. Des Weiteren hat er die Ansicht vertreten, die getroffene Sozialauswahl erweise sich als grob fehlerhaft. Ausweislich des Interessenausgleichs beschäftige die Beklagte einen Mitarbeiter in der "Waschkaue" weiter; dieser dürfte ebenfalls ungelernt sein. Darüber hinaus sei es grob fehlerhaft gewesen, die Mitarbeiter G und N als Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Schließlich sei er nach § 20 des Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein - Westfalens ordentlich unkündbar.



Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2016 zum 31.07.2016 beendet worden ist, 2. die Beklagte im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Kernmacher / Former weiter zu beschäftigen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei rechtswirksam. Aufgrund des formgerecht zustande gekommenen Interessenausgleichs nebst Namensliste greife die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 InsO. Die Sozialauswahl, die ohnehin nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen sei, sei nicht zu beanstanden. Der in der Waschkaue weiterbeschäftigte Mitarbeiter habe nach dem im Interessenausgleich vereinbarten Punkteschema 128,5 Sozialpunkte erreicht, der Kläger 127,5 Sozialpunkte. Die Mitarbeiter G und N seien in einer anderen Betriebsabteilung mit Aufgaben betraut, die der Kläger nicht beherrsche. Der Mitarbeiter N werde regelmäßig auch als Schweißer beschäftigt. Der Mitarbeiter G könne alleinverantwortlich den großen Deckenkran sowie Gabelstapler fahren. Diese verantwortungsvollen und gefahrgeneigten Arbeiten könne der geistig zurückgebliebene Kläger nicht ausführen. Das Massenentlassungs- und Konsultationsverfahren seien ordnungsgemäß durchgeführt worden. Auch sei der Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG angehört worden. Die Betriebsparteien hätten seit Ende Januar 2016 in ständigem Kontakt gestanden. Dabei sei dem Betriebsrat nicht einseitig ein Lösungskonzept vorgesetzt worden. Vielmehr seien alle maßgeblichen Gesichtspunkte, wie die künftige Betriebsstruktur und der erforderliche Personalbestand, jeweils auch individuell bezogen auf die einzelnen Personen gemeinsam erarbeitet worden. Dazu habe u. a. auch gehört, den höher qualifizierten Facharbeitern in der "Kernmacherei" verschiedene Hilfstätigkeiten mit anzuvertrauen und die betrieblichen Abläufe zu straffen.



Mit Urteil vom 25. Oktober 2016 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 und 3 KSchG. Nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO werde vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 InsO lägen vor. Der Kläger habe die Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht widerlegt. Die von den Betriebsparteien vorgenommene Sozialauswahl sei zumindest nicht grob fehlerhaft. Der Kläger sei mit dem in der Waschkaue weiter beschäftigten Mitarbeiter bereits nicht vergleichbar, da dieser nach einer höheren Entgeltgruppe vergütet werde. Auch hinsichtlich der Mitarbeiter G und N sei die Sozialauswahl nicht grob fehlerhaft. Beide verfügten über Zusatzqualifikationen, auf welche die Beklagte nicht verzichten könne. Die Kündigung sei auch nicht nach § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB unwirksam. Die Beklagte habe sowohl die Konsultationspflicht gegenüber dem Betriebsrat erfüllt als auch eine wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet. Mängel im Verfahren seien weder vorgetragen noch ersichtlich; ein einfaches Bestreiten des Klägers reiche hier nicht aus. Die Kündigung sei auch nicht nach § 102 BetrVG unwirksam. Nachdem der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates pauschal gerügt hat, habe die Beklagte konkret zur Betriebsratsanhörung vorgetragen. Insofern sei es Aufgabe des Klägers gewesen, nunmehr im Einzelnen darzulegen, ob der Betriebsrat entgegen der Behauptung der Beklagten überhaupt nicht angehört worden sein soll oder in welchen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder unvollständig hält.



Gegen das ihm am 08. November 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. November 2016 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 08. Februar 2017 mit einem am 25. Januar 2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.



Der Kläger ist der Ansicht, die Sozialauswahl sei entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts grob fehlerhaft. Eine Ausbildung zum geprüften Schweißer könne nach den Richtlinien des Deutschen Verbandes für Schweißen und verwandte Verfahren in einem Zeitraum von einem bis maximal fünf Monaten absolviert werden. Ein Kranführerschein könne nach der DGUV-G 309-003 sogar innerhalb eines Zeitraumes von ein bis fünf Tagen erworben werden. Das Fahren von Brücken-, Hallen- und Deckenkränen könnten selbst Teilnehmer ohne jede Fahrpraxis innerhalb von zwei Tagen erlernen. Die Mitarbeiter N und G verfügten daher nicht über besondere oder außergewöhnliche Zusatzqualifikationen, die deren Herausnahme aus der Sozialauswahl als Leistungsträger rechtfertigen könnte. Unabhängig davon sei es ausgeschlossen, dass Hilfskräfte über Zusatzqualifikationen verfügen, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes unabdingbar seien, zumal auch andere Mitarbeiter der Beklagten schweißen und den großen Kran bedienen könnten. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG werde weiterhin bestritten. Die Anhörung nach § 102 BetrVG könne schon per se nicht mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbunden bzw. durch diese ersetzt werden. Der Interessenausgleich mit Namensliste ersetze ausschließlich die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG und nicht die Stellungnahme nach § 102 BetrVG. Den Ausführungen der Beklagten lasse sich nicht entnehmen, dass die individuellen Kündigungsgründe in Bezug auf den Kläger mit dem Betriebsrat erörtert worden seien.



Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 25.10.2016 - 4 Ca 881/16 - abzuändern und 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2016 nicht beendet worden ist, 2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1, die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Kernmacher / Former weiter zu beschäftigen.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend. Der Kläger sei mit den Mitarbeitern G und N nicht vergleichbar. Aufgrund seiner persönlichen, stark eingeschränkten Befähigung könnten ihm keinerlei gefahrgeneigte Tätigkeiten übertragen werden. Der Arbeitsplatz des Klägers sei seinerzeit konkret für ihn konfiguriert worden. Er sei 34 Jahre lang nur mit einfachsten Hilfstätigkeiten (Tragen von Eimern mit Sand oder Kerneisen, sonstige manuelle Beförderung von Lasten, Hallen- und Hofreinigung per Besen etc.) beschäftigt worden und habe sich in all den Jahren nicht fortentwickeln können. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers suggeriere, der Kläger könne trotz seiner geistigen Behinderung Brückenkräne sowie sonstige Hallen- und Deckenkräne eigenständig bedienen und mit Schweißgeräten hantieren, habe er offensichtlich den Kläger nicht persönlich kennengelernt bzw. sich nicht mit seinem gesundheitlichen Schicksal wirklich befasst. Die Beklagte hege für den Kläger durchaus große Sympathie und habe in der Vergangenheit immer zu ihm gestanden. In den Verhandlungen mit dem Betriebsrat sei die soziale Sondersituation des Klägers eingehend erörtert worden, wobei die bedrückende Situation alle Beteiligten emotional bewegt habe. Angesichts der drohenden Masseunzulänglichkeit hätten aber kein Handlungsspielraum und keine Möglichkeit bestanden, hier noch einen zusätzlichen Arbeitsplatz im bisherigen "einfachen" Zuschnitt beizubehalten. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG beteiligt worden. Die Betriebsparteien hätten sich direkt nach Stellung des Insolvenzantrags am 21. Januar 2016 zusammen gesetzt und sodann ab Ende Januar 2016 über mehrere Wochen hinweg fortlaufend die anstehenden Maßnahmen gemeinsam besprochen, gemeinsam durchdacht und gemeinsam konzipiert. Dabei seien die "Umverteilungsvorschläge" zu einem erheblichen Teil sogar vom Betriebsrat selbst entwickelt worden. Dabei sei der Betriebsrat u. a. gewerkschaftlich vertreten gewesen. Insofern erstaune es, dass der ebenfalls gewerkschaftlich vertretene Kläger diese Dinge einfach ins Blaue hinein bestreite.



Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der Kläger unstreitig gestellt, dass ihm jegliche Erfahrung im Umgang mit Maschinen und Anlagen in anderen Betriebsabteilungen fehlt und er aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, höherwertige Tätigkeiten zu übernehmen. Er ist allerdings der Ansicht, in der Betriebsänderung und der erfolgten Sozialauswahl liege eine mittelbare Diskriminierung wegen seiner Behinderung. Nach dem Vortrag der Beklagten könne er nicht weiterbeschäftigt werden, weil zum einen seine bisherigen Aufgaben in der Kernmacherei den übrigen Kernmachern mit übertragen wurden und ihm zum anderen qualifiziertere Arbeiten, wie sie von anderen Hilfsarbeiter ausgeführt werden, behinderungsbedingt nicht möglich seien. Grundsätzlich dürfe eine Behinderung aber nur dann Kündigungsgrund sein, wenn sie eine Beschäftigung mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit entgegenstehe. Der Arbeitgeber habe die Arbeitsabläufe, wenn irgend möglich, so zu gestalten, dass ein weiterer Einsatz des behinderten Arbeitnehmers mit dessen bisheriger Qualifikation ermöglicht wird.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle ergänzend Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



A) Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.



B) Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 27. April 2016 mit Ablauf des 31. Juli 2016 aufgelöst worden.



I. Die Kündigung vom 27. April 2016 ist durch dringende betriebliche Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Der Kläger hat die gesetzliche Vermutung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO bezüglich des Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht widerlegt.



1. Sind bei einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Dies gilt auch für ein Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung, für das nach §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 279 Satz 1 InsO grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für ein Regelinsolvenzverfahren und somit auch die Vorschriften für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07. Juli 2011 - 6 AZR 248/10 -).



2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO sind erfüllt.



a) Die Kündigung beruht auf einer Betriebsänderung i. S. v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG.



Eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG kann auch in einem reinen Personalabbau bestehen. Das ist dann der Fall, wenn die Zahlen und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht sind (vgl. für die ständige Rechtsprechung Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. September 2012 - 6 AZR 253/11 -, m. w. N). Ausschlaggebend ist die Zahl der in einem Betrieb erfolgenden Kündigungen im Verhältnis zur Zahl der in der Regel in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Der Begriff des Betriebs in § 17 KSchG entspricht dem der §§ 1, 4 BetrVG (ebenfalls ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Juni 2012 - 6 AZR 780/10 -, m. w. N).



Der Personalabbau überschritt vorliegend die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG. Im Betrieb der Beklagten waren, wie sich aus dem Interessenausgleich und der Massenentlassungsanzeige vom 29. März 2016 ergibt, in der Regel 73 Arbeitnehmer beschäftigt. Von den geplanten Kündigungen waren 17 Arbeitnehmer betroffen. Damit ist der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG von 10 Prozent der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer deutlich überschritten.



b) Zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat ist ein formwirksamer Interessenausgleich nebst Namensliste zustande gekommen. Insbesondere ist das Schriftformerfordernis gem. § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG i. V. m. §§ 125, 126 BGB gewahrt.



aa) Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und von Unternehmer und Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die §§ 125, 126 BGB anwendbar. Nach § 126 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BGB muss bei einem Vertrag die Unterzeichnung der Parteien eigenhändig durch Namensunterschrift auf derselben Urkunde erfolgen. Da § 125 Abs. 1 InsO verlangt, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer "in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet" werden, erstreckt sich das Schriftformerfordernis auch auf die Namensliste. Gleichwohl treten die Wirkungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO nicht nur ein, wenn die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, unmittelbar im Text des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind, sondern auch, wenn Interessenausgleich und Namensliste zwar zwei textlich separate Schriftstücke, aber gleichwohl eine einheitliche Urkunde bilden, die insgesamt dem Schriftformerfordernis der §§ 125, 126 BGB genügt (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Mai 2010 - 2 AZR 551/08 -; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Juli 2006 - 2 AZR 520/05 -). Wird die Namensliste getrennt von dem Interessenausgleich erstellt, reicht es dafür aus, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste - ebenso wie zuvor der Interessenausgleich - von den Betriebsparteien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug nimmt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 -; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Mai 2010 - 2 AZR 551/08 -).



bb) Diesen Anforderungen werden Interessenausgleich und Namensliste vorliegend gerecht. Der von den Betriebsparteien am 29. März 2016 unterzeichnete Interessenausgleich enthält in § 4 einen Verweis auf die dem Interessenausgleich als Anlage beigefügte Namensliste. Die von den Betriebsparteien erstellte und ebenfalls am 29. März 2016 unterzeichnete Namensliste ist ihrerseits mit "Anlage zur Betriebsvereinbarung / zum Interessenausgleich vom 29.03.2016" gekennzeichnet. Hinzu kommt, dass die einzelnen Seiten des Interessenausgleichs einschließlich der Anlage durchgehend mit den Seitenzahlen von 1 bis 10 nummeriert sind, wobei in einer Fußnote auf Seite 9 (= die erste Seite der Anlage) noch einmal festgehalten ist, dass der Text des Interessenausgleichs 8 Seiten umfasst und die Anlage weitere 2 Seiten. Damit bilden der Interessenausgleich und die Namensliste eine einheitliche Urkunde, die insgesamt dem Schriftformerfordernis genügt, ohne dass es darauf ankäme, ob sie, wie ebenfalls in der Fußnote auf Seite 9 vermerkt, bei Unterzeichnung mittels Heftmaschine fest miteinander verbunden waren.



c) Der Kläger ist in der als Anlage zum Interessenausgleich erstellten Namensliste an 17. Stelle namentlich aufgeführt.



d) Die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung scheitert vorliegend nicht an § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO.



Nach § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO kommt u. a. die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung dann nicht zur Anwendung, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der wesentlichen Änderung ist der Zeitpunkt der Kündigung. Bei späteren Änderungen kommt nur ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 -; APS/Kiel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 807).



Eine wesentliche Änderung der Sachlage wurde vorliegend vom Kläger nicht geltend gemacht. Auch ansonsten ist nicht ersichtlich, dass sich die Sachlage nach dem Abschluss des Interessenausgleichs am 29. März 2016 und dem Ausspruch der Kündigung am 27. April 2016 wesentlich geändert hätte.



3. Der Kläger hat die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht widerlegt.



a) Liegen die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 InsO vor, wird gemäß § 292 ZPO die rechtliche Folge - das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG - ohne weiteren Vortrag des Arbeitgebers gesetzlich vermutet. Diese Vermutung bezieht sich sowohl auf den Wegfall der bisherigen Beschäftigung als auch auf das Fehlen anderer Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.09.2012 - 2 AZR 516/11 -). Nach § 292 ZPO ist (nur) der Beweis des Gegenteils zulässig. Es ist deshalb Sache des Arbeitnehmers darzulegen und ggf. zu beweisen, dass in Wirklichkeit eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn weiterhin besteht. Eine bloße Erschütterung der Vermutung reicht nicht aus.



b) Vorliegend hat der Kläger die gesetzliche Vermutung, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, nicht widerlegt.



aa) Entgegen der Ansicht des Klägers geht es vorliegend nicht um eine personenbedingte Kündigung. Die Beklagte macht gerade nicht geltend, dass der Kläger aus Gründen in seiner Person nicht mehr auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann. Die Beklagte macht vielmehr geltend, dass der bisherige Arbeitsplatz des Klägers weggefallen sei, weil die bislang vom Kläger wahrgenommenen Hilfstätigkeiten künftig von den Kernmachern mit übernommen werden und diese aufgrund der zurückgegangenen Arbeitsmenge hierzu in der Lage sind. Dies ist vom Kläger nicht angezweifelt worden.



bb) Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich auch nicht, dass er auf einem anderen, freien Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. Der Kläger macht vielmehr geltend, dass er entweder auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiter beschäftigt werden kann, die Beklagte also die mit dem Betriebsrat beschlossene Änderung der Arbeitsabläufe in der Kernmacherei rückgängig zu machen hat, oder aber die Beklagte durch eine entsprechende Gestaltung der Arbeitsabläufe einen für ihn geeigneten, anderen Arbeitsplatz zu schaffen hat. Entsprechende Ansprüche des Klägers sind vorliegend indes nicht gegeben:



Entsprechende Ansprüche des Klägers ergeben sich zunächst einmal nicht aus § 164 Abs. 3 SGB IX (bis zum 31.12.2017: § 81 Abs. 3 SGB IX). Danach haben die Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass in ihren Betrieben und Dienststellen wenigstens die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eine möglichst dauerhafte, behinderungsgerechte Beschäftigung finden kann. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass die unternehmerische Organisationsfreiheit durch diese Bestimmung für den Arbeitgeber, der die Mindestbeschäftigungsquote nicht erfüllt, eingeschränkt wird (z. B. Düwell, Anmerkung zu OVG Hamburg, Urteil vom 10. Dezember 2014 - 4 Bf 159/12 -, jurisPR-ArbR 23/2015 Anm. 2).



Ob die unternehmerische Organisationsfreiheit tatsächlich durch § 164 Abs. 3 SGB IX eingeschränkt wird und eine dieser Bestimmung zuwider laufende unternehmerische Entscheidung als unsachlich und die Gerichte für Arbeitssachen nicht bindend anzusehen ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Wie sich aus den Angaben der Beklagten in der Massenentlassungsanzeige ergibt, hat sie die Pflichtquote vor Umsetzung der Betriebsänderung erfüllt. Die Pflichtquote nach § 154 Abs. 1 Satz 3 SGB IX wird aber auch nach Umsetzung der Betriebsänderung erfüllt. Bei 54 verbleibenden Arbeitnehmern werden weiterhin 2 schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt.



Entsprechende Ansprüche des Klägers ergeben sich auch nicht aus § 164 Abs. 4 SGB IX.



Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fertigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet, um so den Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Menschen zu erfüllen. Dies kann auch beinhalten, eine geplante Umstrukturierung zu unterlassen oder eine bereits durchgeführte Umstrukturierung ganz oder teilweise rückgängig zu machen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. März 2006 - 9 AZR 411/05 -; Landesarbeitsgericht Berlin - Brandenburg, Urteil vom 30. März 2010 - 7 Sa 58/10 -). Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre, § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10 Mai 2005 - 9 AZR 230/04 - m. w. N.).



Hiervon ausgehend ist die Beklagte nicht verpflichtet, die beabsichtigte Umverteilung der Arbeitsaufgaben in der Kernmacherei zu unterlassen bzw. wieder rückgängig zu machen. Ebenso wenig ist sie verpflichtet, für den Kläger einen anderen, zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten. Beides würde darauf hinauslaufen, dass die Beklagte einen tatsächlich nicht benötigten, zusätzlichen Arbeitsplatz unterhalten und die damit verbundenen Aufwendungen tragen müsste. Derartige Aufwendungen sind angesichts der eingetretenen Insolvenz und der angezeigten Masseunzulänglichkeit unverhältnismäßig und der Beklagten nicht zumutbar.



II. Die Kündigung ist auch nicht wegen einer grob fehlerhaften sozialen Auswahl i. S. d. §§ 1 Abs. 3 KSchG, 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO sozial ungerechtfertigt.



1. Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 KSchG nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.



Die gesetzliche Regelung reduziert den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer im Insolvenzverfahren erklärten betriebsbedingten Kündigung. Mit der Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf "grobe Fehler" wird zugleich der Prüfungsmaßstab gesenkt. Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei der sozialen Auswahl wird zugunsten einer mit dem Betriebsrat vereinbarten betrieblichen Gesamtlösung erweitert.



Dabei bezieht sich der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst. Vielmehr wird die gesamte Sozialauswahl, also insbesondere auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen, von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf grobe Fehler überprüft. Dies gilt auch für die Herausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe jedenfalls insoweit, als dies gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO dem Erhalt oder der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dient. Dabei ist der Begriff der Personalstruktur in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO nicht mit dem der Altersstruktur gleichzusetzen. Er ist im Hinblick auf die Gesetzesbegründung, nach der dem Schuldner oder dem Übernehmer ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung stehen soll (BT‑Drucks.12/7302 S. 172), in einem umfassenderen Sinn zu verstehen, so dass auch weitere Aspekte in Betracht kommen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 -).



2. Hiervon ausgehend ist die Auswahlentscheidung der Betriebsparteien zu Lasten des Klägers zumindest nicht grob fehlerhaft.



a) Im Verhältnis zu den als Kernmacher beschäftigten Mitarbeitern M und K ist die Auswahlentscheidung der Betriebsparteien nicht zu beanstanden. Dabei kann die Frage, ob diese Mitarbeiter mit dem Kläger überhaupt vergleichbar sind, dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn man dies zugunsten des Klägers unterstellt, wäre die Auswahlentscheidung nicht grob fehlerhaft. Der Mitarbeiter M ist knapp vier Jahre älter als der Kläger, 1 Jahr länger beschäftigt und gegenüber seiner Ehefrau unterhaltsverpflichtet. Er kommt nach dem von den Betriebsparteien vereinbarten Punkteschema auf 134,5 Punkte, während der Kläger lediglich 127,5 Punkte erreicht. Der im Vergleich zum Kläger etwa gleich alte Mitarbeiter K ist zwar 3 Jahre kürzer beschäftigt. Er ist im Vergleich zum Kläger aber gegenüber seiner Ehefrau und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Insgesamt kommt er auf 127 Punkte und damit auf nahezu die exakt gleiche Punktzahl wie der Kläger. Mit dem weiteren, in der Kernmacherei beschäftigten Mitarbeiter K1 ist der Kläger nicht vergleichbar. Der Mitarbeiter K1 wird nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten als Vorarbeiter mit einer Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 beschäftigt. Er ist damit auf einer anderen Hierarchieebene als der Kläger beschäftigt. Der ebenfalls in der Kernmacherei beschäftigte Mitarbeiter F ist schließlich Betriebsratsmitglied mit besonderem Kündigungsschutz nach § 15 KSchG.



b) Der vom Kläger benannte Mitarbeiter in der Waschkaue ist zwar, wenn man eine Vergleichbarkeit zwischen ihm und dem Kläger unterstellt, ca. 3 Jahre jünger als der Kläger und ca. 4,5 Jahre kürzer beschäftigt. Er ist aber anders als der Kläger gegenüber seiner Ehefrau und 3 Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Insgesamt kommt er nach dem angewandten Punkteschema auf 128,5 Punkte, so dass sich auch hier keine grobe Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung feststellen lässt.



c) Mit den Mitarbeitern G und N ist der Kläger nicht vergleichbar. Wie sich im Rahmen des Berufungsverfahrens herausgestellt hat, haben beide Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen schwere Gussteile mittels des Hallenkrans, einer im Vorfeld des Strahlhauses installierten sog. Hängebahn oder mittels Gabelstapler zu befördern. Daneben hat der Mitarbeiter N Schweißarbeiten mit Funkenflug sowie Arbeiten an einer sog. "Pendelschleifmaschine", welche an einem Säulenschwenkkran aufgehängt ist, durchzuführen. Hierbei mag es sich zwar um Tätigkeiten handeln, die ein durchschnittlich begabter, ungelernter Arbeitnehmer in maximal drei Monaten erlernen könnte. Allerdings hat der Kläger zuletzt selbst eingeräumt, dass er über keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Maschinen und Anlagen außerhalb der Kernmacherei verfüge und aufgrund seiner persönlichen Befähigung auch nicht in der Lage sei, höherwertige Tätigkeiten als bisher zu übernehmen. Damit hat der Kläger aber unstreitig gestellt, dass er die Aufgaben der Mitarbeiter G und N nicht übernehmen kann und dass es damit an einer Austauschbarkeit fehlt.



III. Die streitgegenständliche Kündigung ist auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.



1. Die Beklagte hat den bei ihr bestehenden Betriebsrat vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung mit Schreiben vom 21. März 2016 ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört.



Das Anhörungsschreiben vom 21.03.2016 genügt den Anforderungen des § 102 BetrVG.



a) Es ist zwar zutreffend, dass die Kündigungsgründe im Anhörungsschreiben in Bezug auf die einzelnen vom Personalabbau betroffenen Mitarbeiter und damit auch in Bezug auf den Kläger nicht vollständig enthalten sind. Dies war aber auch nicht erforderlich, da dem Betriebsrat der Kündigungssachverhalt schon aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich bekannt war.



Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bedarf es keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber nach § 102 BetrVG, wenn der Betriebsrat bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können. Hat der Betriebsrat den erforderlichen Kenntnisstand, um sich über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe ein Bild zu machen und eine Stellungnahme hierzu abgeben zu können, und weiß dies der Arbeitgeber oder kann er dies nach den gegebenen Umständen jedenfalls als sicher annehmen, so würde es dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG widersprechen und es wäre eine kaum verständliche Förmelei, vom Arbeitgeber dann gleichwohl noch eine detaillierte Begründung zu verlangen (27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - aaO mwN). Regelmäßig - und so war es auch hier - gehen dem Abschluss eines Interessenausgleichs, der mit einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer verbunden ist, längere Verhandlungen voran, auf Grund derer beim Betriebsrat erhebliche Vorkenntnisse über die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe und auch die mit dem Betriebsrat zusammen vorgenommene Sozialauswahl vorhanden sein können. Die dem Betriebsrat aus diesen Verhandlungen bekannten Tatsachen muss der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren nicht erneut vortragen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. August 2003 - 2 AZR 377/02 -; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Mai 1999 - 2 AZR 532/98 -).



b) Hiervon ausgehend war der Betriebsrat über den Kündigungssachverhalt ausreichend informiert. Die Beklagte hat im 2. Absatz des Anhörungsschreibens zunächst auf die bisher geführten Gespräche, die dazu präsentierten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und die Ausführungen im Entwurf des Interessenausgleichs, der dem Schreiben nochmals beigefügt war, Bezug genommen. Damit war dem Betriebsrat aber, wie sich aus dem Interessenausgleich ergibt, im Einzelnen dargelegt worden, dass die Arbeitsmenge in erheblichem Umfang rückläufig war. Während im Geschäftsjahr 2013 noch 915 Tonnen Fertigguss bearbeitet worden seien, sei im Geschäftsjahr 2015 nur noch eine Tonnage von 596 Tonnen erreicht worden. Des Weiteren war dem Betriebsrat mitgeteilt worden, dass bei einer realistischen Planung künftig nur noch mit einer Tonnage von ca. 510 Tonnen Fertigguss zu rechnen sei und dass der Personalbestand aufgrund des Rückgangs der Produktionsleistung um ca. 44% entsprechend angepasst werden solle. Um wieder wettbewerbsfähig zu sein, werde die im Geschäftsjahr 2013 erreichte Produktivität wieder angestrebt, was eine Reduktion der Belegschaftsstärke von 73 Mitarbeitern auf letztlich 54 Mitarbeiter erforderlich mache. In Bezug auf die Kernmacherei, in welcher der Kläger beschäftigt war, war dem Betriebsrat mitgeteilt worden, dass dort bislang 5 Mitarbeiter beschäftigt waren und dass es dort aufgrund der reduzierten Tonnage zu einer verminderten Arbeitsauslastung komme. Des Weiteren war mitgeteilt worden, dass eine Personalanpassung entsprechend dem Rückgang der Produktionsleistung um ca. 44% nicht erfolge, da aufgrund der sehr differenzierten Arbeitsabläufe 4 Mitarbeiter benötigt würden, so dass sich die Zahl der Mitarbeiter nur um einen Mitarbeiter reduziere. Damit war dem Betriebsrat aber der aus Sicht der Beklagten maßgebliche Kündigungssachverhalt spätestens bei Abschluss des Interessenausgleichs und damit vor der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrates nach § 102 BetrVG bekannt.



c) Gleiches gilt auch hinsichtlich der Auswahlentscheidung zu Lasten des Klägers. Die Betriebsparteien haben in § 3 der als "Betriebsvereinbarung / Interessenausgleich" bezeichneten Vereinbarung vom 29.03.2016 unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 4 KSchG eine Auswahlrichtlinie vereinbart und damit gemeinsam festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Damit waren dem Betriebsrat die Auswahlkriterien und deren Gewichtung bekannt. Daneben haben die Betriebsparteien in § 3 der Vereinbarung auch festgehalten, dass im Nachgang zur Vorauswahl nach dem Punkteschema jeweils eine individuelle Abschlussprüfung erfolge und Mitarbeiter, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten Interesse des Betriebes liegt, aus der Sozialauswahl herauszunehmen sind. Schließlich haben die Betriebsparteien ausweislich der Anlage zum Interessenausgleich gemeinsam vereinbart, dass der Kläger zum Kreis der zu entlassenden Arbeitnehmer zählt. Es geht also nicht darum, dass die Beklagte eine Auswahlentscheidung getroffen hätte, ohne dem Betriebsrat die Gründe für die Auswahl mitzuteilen. Die Auswahlentscheidung wurde vielmehr gemeinsam im Rahmen der Verhandlungen über den Interessenausgleich getroffen. Wenn die Auswahlentscheidung aber gemeinsam getroffen wurde, waren dem Betriebsrat die Gründe, die letztlich zur Aufnahme des Klägers in die Namensliste geführt haben, bekannt.



d) Schließlich war dem Betriebsrat spätestens zum Zeitpunkt seiner abschließenden Stellungnahme bekannt, dass das Insolvenzverfahren zwischenzeitlich eröffnet war und dass die Kündigungen, wie im Anhörungsschreiben ausgeführt, unter Berücksichtigung der individuellen Kündigungsfristen und der Regelung des § 113 InsO und damit mit einer maximalen Frist von 3 Monaten ausgesprochen werden sollten. Auch war dem Betriebsrat im Anhörungsschreiben mitgeteilt worden, dass die Kündigung umgehend nach Zugang des zustimmenden Bescheides des Integrationsamtes erklärt werden soll.



IV. Die streitbefangene Kündigung ist nicht gemäß § 17 Abs. 3 KSchG i. V. m. § 134 BGB nichtig. Die Beklagte hat am 30. März 2016 eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet.



Nachdem der Kläger erstinstanzlich die ordnungsgemäße Erstattung der Massenentlassungsanzeige bestritten hatte, hat die Beklagte unter Vorlage der entsprechenden Dokumente im Einzelnen dargelegt, dass sie am 30. März 2016 eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet hat. Dabei ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass die Agentur für Arbeit in dem Anschreiben, mit welchem die entsprechenden Dokumente übermittelt wurden, im Einzelnen über die Gründe der geplanten Entlassungen unterrichtet wurde. Auf den von der Bundesagentur zur Verfügung gestellten Formblättern wurde über die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer sowie den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, informiert. Hinsichtlich der vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer wurde auf den der Anzeige beigefügten Interessenausgleich Bezug genommen. Dieser ersetzte zugleich nach § 125 Abs. 2 InsO die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Den entsprechenden Darlegungen der Beklagten ist der Kläger in der Folgezeit nicht mehr entgegen getreten. Insgesamt liegt damit eine wirksame Massenentlassungsanzeige vor.



V. Schließlich steht der Wirksamkeit der Kündigung auch nicht die Regelung in § 20 Abs. 4 des Einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein - Westfalens entgegen. Danach kann Beschäftigten, die das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb / Unternehmen zehn Jahre angehören, grundsätzlich nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dies gilt aber zum einen bereits nach der tariflichen Regelung nicht bei einer Betriebsänderung, wenn ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist. Zum anderen scheitert der Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung auch an § 113 Satz 1 InsO. Danach kann ein Dienstverhältnis, bei dem der Insolvenzschuldner der Dienstberechtigte ist, ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden.



C) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.



Die Kammer hat im Hinblick auf die entscheidungserhebliche Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Pflichten des Arbeitgebers aus § 164 Abs. 3 und 4 SGB IX dem Wegfall eines leidensgerechten Arbeitsplatzes durch Umverteilung der Aufgaben entgegenstehen, die Revision zugelassen.

Vorschriften§ 102 BetrVG, § 17 Abs. 2 KSchG, § 125 Abs. 1 InsO, § 1 Abs. 2, 3 KSchG, § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 17 KSchG, § 134 BGB, § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, § 64 ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 1 Abs. 2 KSchG, § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO, § 111 BetrVG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 279 Satz 1 InsO, § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, § 17 Abs. 1 KSchG, §§ 1, 4 BetrVG, § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG, § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, §§ 125, 126 BGB, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO, § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 292 ZPO, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, § 164 Abs. 3 SGB IX, § 81 Abs. 3 SGB IX, § 154 Abs. 1 Satz 3 SGB IX, § 164 Abs. 4 SGB IX, § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX, § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX, § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX, §§ 1 Abs. 3 KSchG, 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, § 1 Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO, § 15 KSchG, § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, § 102 Abs. 1 BetrVG, § 2 Abs. 1 BetrVG, § 1 Abs. 4 KSchG, § 113 InsO, § 17 Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 2 InsO, § 113 Satz 1 InsO, § 97 ZPO, § 164 Abs. 3, 4 SGB IX

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