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12.06.2018 · IWW-Abrufnummer 201673

Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 06.02.2018 – 22 W 2/18

1. Der Geschädigte kann nach Vorlage des Anspruchsschreibens erwarten, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung kurzfristig mitteilt, ob, inwieweit und wie lange eine Prüfung stattfindet.

2. Die Dauer der Prüffrist ist von der Lage des Einzelfalls abhängig, beträgt in der Regel aber maximal vier Wochen.


Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Beschl. v. 06.02.2018


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 18.10.2017 wie folgt abgeändert:

Von den Kosten des Rechtstreits und des Vergleichs tragen der Kläger 13% und die Beklagte 87%.

Die Streitwertfestsetzung bleibt bestehen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

I.

Der Kläger erlitt am .../2016 einen Verkehrsunfall, für den die Beklagte in vollem Umfang einstandspflichtig ist. Er forderte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 9.12.2016 auf, den bereits vollständig einschließlich des Schmerzensgeldes bezifferten Schaden binnen 10 Tagen zu zahlen. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte nicht. Unter dem 9.1.2017 forderte der Klägervertreter die Beklagte erneut zur Zahlung auf und fragte unter dem 11.1.2017 nochmals telefonisch unter Hinweis auf die Einreichung der bereits vorbereiteten Klage bei der Beklagten nach, ohne allerdings eine sachgerechte Information über die Leistungsbereitschaft zu erhalten.

Deshalb reichte er am 12.1.2017 die Klage ein. Mit Schreiben vom 16.1.2017, beim Klägervertreter am 20.1.2017 eingegangen, regulierte die Beklagte die Ansprüche weitgehend, zog lediglich bei verschiedenen Schadenspositionen einzelne Beträge ab, und zahlte den Gesamtbetrag von 10.601,39 € vor Klagezustellung. An- und Abmeldekosten, die Unkostenpauschale und die medizinische Selbstbeteiligung zahlte sie auf gesonderte Aufforderung später. Insoweit wird, da dies für die Entscheidung der sofortigen Beschwerde nicht von Bedeutung ist, auf die Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Der Kläger hat hinsichtlich des gezahlten Betrags die Klage zurückgenommen und teilweise in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Parteien haben sich anschließend vor dem Landgericht gütlich geeinigt, die Kostenentscheidung allerdings der Entscheidung des Landgerichts vorbehalten.

Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss gemäß §§ 91a, 269 ZPO nach übereinstimmender Erledigungserklärung in der Hauptsache die Kosten weitgehend dem Kläger auferlegt und dazu ausgeführt, die Beklagte habe sich im Zeitpunkt der Zahlung noch nicht in Verzug befunden, da ihr eine Regulierungsfrist von 4-6 Wochen zustehe, die erst im Zeitpunkt der Zahlung abgelaufen gewesen sei.

Hinsichtlich der noch streitigen Punkte ist das Landgericht unangegriffen davon ausgegangen, dass das Ergebnis mangels Beweisaufnahme noch offen sei und deshalb die Chancen beider Seiten gleich hoch zu gewichten seien.

Die sofortige Beschwerde des Klägers richtet sich im Wesentlichen gegen die Ansicht des Landgerichts, die Beklagte habe keinen Anlass zur Klage gegeben.

II.

Die sofortige Beschwerde ist weitgehend begründet; die Kostenentscheidung des Landgerichts war mithin gemäß den §§ 269, 91a ZPO insoweit abzuändern, als das Landgericht dem Kläger hinsichtlich des von der Beklagten unter dem 20.1.2017 gezahlten Betrags die Kosten gemäß § 269 ZPO auferlegt hat.

Ein Beklagter gibt iSd § 269 Abs. 3 ZPO Anlass zur Klagerhebung, wenn er sich vor Prozessbeginn so verhält, dass der Kläger bei vernünftiger Würdigung davon ausgehen muss, er werde anders als durch eine Klage nicht zu seinem Recht kommen. Von einer Klageveranlassung seitens der Versicherung kann grundsätzlich dann ausgegangen werden, wenn sich die Versicherung zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage in Verzug befindet.

Die Frage, wann sich die Versicherung mit der Zahlung in Verzug befindet, richtet sich nach § 286 BGB. § 286 I 1 BGB regelt: "Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug."

Schuldner ist aufgrund des Direktanspruches nach § 115 VVG neben dem Schädiger auch die Versicherung.

Da gem. § 271 BGB eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist, kann der Unfallgeschädigte die Leistung sofort verlangen. Dies gilt zumindest dann, wenn er seinen Schaden ordnungsgemäß spezifiziert und in nachprüfbarer Form belegt hat.

Durch eine Schadensaufstellung mit der Aufforderung, den bezifferten Schaden bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu zahlen, gerät die Versicherung nach Ablauf der gesetzten Frist allerdings - unabhängig von deren Länge - nicht automatisch in Verzug. Die bloße Aufforderung, die Ansprüche bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu regulieren, stellt keine Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 BGB dar, sondern begründet zunächst nur die Fälligkeit der Forderung. Es wird durch eine Fristsetzung im Anspruchsschreiben keine Leistungszeit im Sinn des § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB bestimmt. Eine Leistung, für die eine "Zeit nach dem Kalender bestimmt ist", kann nur durch eine entsprechende Vereinbarung und nicht durch eine einseitige Bestimmung durch den Gläubiger, also auch nicht durch eine Fristsetzung im Anspruchsschreiben, erfolgen.

Um die Versicherung folglich wirksam in Verzug zu setzen, bedurfte es mithin nicht nur einer ordnungsgemäß spezifizierten und nachprüfbar belegten Schadensaufstellung, sondern einer sich anschließenden Mahnung.

Ein "automatischer" Verzugseintritt gem. § 286 Abs. 3 BGB greift gegenüber der Haftpflichtversicherung nicht, da keine Entgeltforderung vorliegt und Schadensersatzansprüche durch § 286 Abs. 3 BGB gerade nicht erfasst werden.

Die Beklagte hat durch das Verstreichenlassen der gesetzten Frist auch keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung i.S.d. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB erklärt. Hierzu hätte sie ausdrücklich das Einstehen für die Unfallfolgen verweigern müssen.

Vorliegend geriet die Beklagte mithin erst durch das Schreiben vom 9.1.2017 in Verzug.

Selbst in dem Fall, in dem eine Mahnung nach einer ordnungsgemäß spezifizierten und nachprüfbar belegten Schadensaufstellung erfolgt ist, gerät die Versicherung allerdings nicht automatisch nach Ablauf der dort gesetzten Frist in Verzug. Gemäß § 286 Abs. 4 BGB kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Zwar muss ein Versicherer die Schadensprüfung beschleunigen, dennoch ist ihm bei der Regulierung eines Haftpflichtschadens eine angemessene Frist zur Prüfung von Grund und Umfang der Ersatzpflicht zuzubilligen, vor deren Ablauf gemäß § 286 Abs. 4 BGB kein Verzug eintritt (vgl. zu allem Pott, NZV 2015, 111; Saarländisches Oberlandesgericht, NZV 1991, 312). Die Pflicht des Versicherers oder Schadensregulierungsbeauftragten zur unverzüglichen Bearbeitung (§ 3a PflVG) gewährt dem Geschädigten keinen klagbaren Anspruch (OLG Frankfurt 14.8.09 - 19 W 47/09 -).

Für die Länge der Prüfungsfrist gibt es zwar keine festen oder starren Regeln. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und muss regelmäßig nicht ein übermäßiges Zuwarten berücksichtigen, vielmehr hat ein Versicherer die Prüfung des Schadens, für den er einzustehen hat, tunlichst zu beschleunigen. Auch unter Berücksichtigung dieses Beschleunigungsgebots war im Streitfall eine hinreichende und tragfähige Untersuchung in der vom Kläger gesetzten Frist von 10 Tagen sicher nicht zu leisten. Wenngleich das Unfallgeschehen und dessen Folgen keine allzu komplexen Prüfungen erforderten, - jedenfalls ist in dieser Hinsicht trotz der Beteiligung mehrerer Fahrzeuge durch die Beklagte nicht vorgetragen - war vor dem Jahreswechsel sicherlich keine Regulierung zu erwarten.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts gibt es weder im Bezirk des OLG Frankfurt noch grundsätzlich eine einheitliche Auffassung hinsichtlich einer abstrakten Länge der Frist. Die Dauer der Prüffrist (vgl. § 14 I VVG n.F.) wird in der Rechtsprechung vielmehr unterschiedlich angesetzt:

2 Wochen: OLG Saarbrücken 27.2.2007 - 4 U 470/06 - MDR 07, 1190; AG Erlangen DAR 2005, 690

3 Wochen: OLG Düsseldorf 27.6.07 - 1 W 23/07 - NZV 08, 151; OLG Saarbrücken MDR 2007, 1190 [OLG Saarbrücken 27.02.2007 - 4 U 470/06]; OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 114 [OLG Düsseldorf 27.06.2007 - I-1 W 23/07]; LG München I zfs 1984, 367: mindestens 12-15 Arbeitstage)

4 Wochen: KG 30.6.08 - 22 U 13/08 - NJW 08, 2656; OLG München 29.7.10 - 10 W 1789/10 -; LG München I VersR 1973, 871; LG Düsseldorf VersR 1981, 582 [583]; LG Bielefeld zfs 1988, 282; i. Erg. auch OLG München [24. ZS] VersR 1979, 479 [OLG München 27.11.1978 - 24 W 191/78], etwa 1 Monat OLG Frankfurt a.M. OLGR 1996, 77;

4-6 Wochen: OLG Stuttgart 26.4.10 - 3 W 15/10 -; 21.4.10 - 3 U 218/09 -; 18.9.13 - 3 W 46/13 -; OLG Koblenz 20.4.11 - 12 W 195/11 -; LG Köln 23.9.11 - 2 O 203/11 -; OLG Köln 31.1.12 - 24 W 69/11 -; OLG Frankfurt 2.12.2014 - 7 W 64/14 -; LG Koblenz 25.4.2016 - 5 O 72/16 -; OLG Rostock OLG-NL 2001, 92; KG VersR 2009, 1262 [KG Berlin 30.03.2009 - 22 W 12/09]; OLG Dresden, 29.06.2009 - 7 U 499/09; OLG Saarbrücken, 09.02.2010 - 4 W 26/10;

2 Monate bei Auslandsbezug: LG Berlin 6.1.16 - 44 O 133/15 -.

Nach Ansicht des Senats ist davon auszugehen, dass die Dauer der Prüffrist von der Lage des Einzelfalls abhängig ist, in der Regel aber maximal 4 Wochen beträgt (vgl. in dieser Richtung OLG München [24. ZS] VersR 1979, 479 [OLG München 27.11.1978 - 24 W 191/78]; 21.06.2010 - 10 U 5028/09). Dabei ist auch der technische Fortschritt in der Schadensbearbeitung zu berücksichtigen, weshalb auch deutlich kürzere Fristen zu erwägen sind (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2007, 1190 [OLG Saarbrücken 27.02.2007 - 4 U 470/06]; OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 114 [OLG Düsseldorf 27.06.2007 - I-1 W 23/07]). Der Fall, der der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 2.12.2014 - 7 W 64/14 - zugrunde lag, ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.

Insbesondere kann der Geschädigte aber erwarten, dass der Schädiger kurzfristig mitteilt, ob und inwieweit eine Prüfung stattfindet und welche Verzögerungen durch Ermittlungen etc. zu erwarten sind. Angesichts der Schnelligkeit, mit der Haftpflichtversicherungen in der Lage sind, im Wege des Schadensmanagements auf günstige Mietwagenangebote oder Restwertaufkäufer hinzuweisen, muss dies auch dafür gelten, ob und wann die Versicherung in die Regulierung eintreten will.

Die ggf. vom Versicherer als erforderlich angesehene - vorliegend aber offensichtlich irrelevante, da nicht vorgetragene - Einsicht in die Ermittlungsakte hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Dauer dieser Prüffrist (und den Eintritt des Verzugs), weil sonst berechtigte Interessen des Geschädigten an einer zügigen Regulierung des Schadens ohne triftigen Grund unberücksichtigt blieben (OLG Saarbrücken NZV 1991, 312; OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009 - 7 U 499/09; OLG München 29.7.10 - 10 W 1789/10 -).

Vorliegend bedeutet dies, dass die Beklagte sich zum Zeitpunkt der Klageeinreichung bereits durch das Schreiben vom 9.1.2017 in Verzug befand und auch ein Regulierungszeitraum von mehr als einem Monat (ab dem 9.12.2016) abgelaufen war, ohne dass für den Kläger erkennbar war, ob und aus welchen Gründen die Beklagte nicht zahlen wollte. Hinzu kommt, dass der Klägervertreter unstreitig bei der Beklagten angerufen und auf die beabsichtigte Klageerhebung hingewiesen hat, ohne dass eine sachdienliche Reaktion der Beklagten - und sei es auch nur im Hinblick auf eine kurz bevorstehende Regulierung - erfolgte.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist deshalb davon auszugehen, dass ein weiteres Zuwarten für den Kläger weder zumutbar noch angemessen war, so dass die Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Auffassung des Landgerichts wendet, hinsichtlich der Sachverständigenkosten fehle es an der Aktivlegitimation, bleibt sie allerdings erfolglos, weil angesichts der Sicherungsabtretung eine klageweise Geltendmachung grundsätzlich nicht oder allenfalls mit dem Antrag auf Zahlung an den Sachverständigen möglich war.

Unter Berücksichtigung der übrigen Erwägungen des Landgerichts, die mit der Beschwerde nicht angegriffen worden sind, ergibt sich ein Betrag, mit dem der Kläger voraussichtlich obsiegt hätte von 10.601,39 + 807,- € = 11.408,39 €. Im Verhältnis zum Gesamtbetrag der Klage von 13.111,23 € ergibt sich deshalb eine Kostentragung von 87% zu Lasten der Beklagten und 13% zu Lasten des Klägers.

Die Kostenentscheidung folgt angesichts des nahezu vollständigen Erfolgs des Rechtsmittels aus § 97 ZPO.

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