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09.05.2018 · IWW-Abrufnummer 201126

Finanzgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 02.02.2018 – 4 V 150/17

Die Leistungen eines Fotografen fallen auch dann nicht unter § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 lfd. Nr. 49, wenn er die Bilder mittels Klemmlasche zu einem „Fotobuch“ bindet. Dies gilt auch für Zeiträume vor dem 1.1.2017 – etwas anderes folgt weder aus dem BMF-Schreiben vom 20.4.2016 (BStBl. I 2016, 483), noch aus einem – teilweise – abweichenden Verwaltungshandeln.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES FINANZGERICHT

Az.: 4 V 150/17

Beschluss vom 02. Februar 2018

In dem Verfahren

wegen    Aussetzung der Vollziehung (Umsatzsteuer 2010 und 2011)

hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 2. Februar 2018 beschlossen:

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Die Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011, jeweils vom 4. Januar 2017, hat keinen Erfolg.

I.

Das Gericht der Hauptsache soll auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO). Im Streitfall mangelt es sowohl am Vorliegen ernstlicher Zweifel (dazu 1.), als auch am Vorliegen einer unbilligen Härte (dazu 2.).

1.) Ernstliche Zweifel

a)
Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 5. März 1979, GrS 5/77, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1979, 570). Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich (BFH-Beschlüsse vom 21. Juli 1994, IX B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 1995, 116; vom 2. November 2015, VII B 68/15, BFH/NV 2016, 173). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen.

Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter nicht die volle Überzeugung, sondern nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch für das Aussetzungsverfahren (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO, 8. Aufl. 2015, § 69 Rz. 196 m.w.N.). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden.

Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (BFH-Beschlüsse vom 7. September 2011, I B 157/10, BStBl II 2012, 590; vom 12. Februar 2015, V B 160/14, BFH/NV 2015, 861).

b)
Nach diesen Grundsätzen liegen keine ernstlichen Zweifel vor. Denn bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung lagen die Voraussetzungen für eine Besteuerung mit dem ermäßigten Steuersatz nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vor. Grundsätzlich unterliegen die Umsätze, die ein Unternehmer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, dem Regelsteuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG). Die Vorschriften über die Anwendungen des ermäßigten Steuersatzes (§ 12 Abs. 2 UStG) sind dagegen als Ausnahmeregelungen eng auszulegen und kommen nur unter den vom Gesetz bestimmten Voraussetzungen in Betracht (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Januar 1990, V B 130/89, BFH/NV 1990, 535). Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 UStG nicht erfüllt; insbesondere erbrachte die Antragstellerin bei summarischer Prüfung keine Leistungen i.S.d. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG.

c)
Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer für Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb der in Anlage 2 bezeichneten Gegenstände. Gemäß Anlage 2 lfd. Nr. 49 fallen darunter Bücher, Zeitungen und andere Erzeugnisse des grafischen Gewerbes mit Ausnahme der Erzeugnisse, für die Beschränkungen als jugendgefährdende Trägermedien bzw. Hinweispflichten nach § 15 Abs. 1 - 3 und 6 des Jugendschutzgesetzes in der jeweils geltenden Fassung bestehen, sowie der Veröffentlichung, die überwiegend Werbezwecken (einschließlich Reisewerbung) dienen und zwar a) Bücher, Broschüren und ähnliche Drucke, auch in Teilheften, losen Bogen oder Blättern, zum Broschieren, Kartonieren oder Binden bestimmt, sowie Zeitungen und andere periodische Druckschriften, kartoniert, gebunden oder in Sammlungen mit mehr als einer Nummer in gemeinsamem Umschlag (ausgenommen solche, die überwiegend Werbung enthalten), b) (…).

aa) Die allein auf Lieferungen (bzw. auf hier offenkundig nicht vorliegende die Einfuhren / innergemeinschaftliche Erwerbe) anwendbare Vorschrift greift – ungeachtet der Frage, wie die von der Antragstellerin ausgehändigten Werke bei isolierter Betrachtung zu qualifizieren sind – bereits deshalb nicht, weil die Antragstellerin nach dem dem Gericht unterbreiteten Sachverhalt ihren Kunden gegenüber jeweils ein Bündel von Leistungen erbrachte, welches sich als einheitliche (sonstige) Leistung sui generis (§ 3 Abs. 9 UStG) und nicht als Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) darstellte.

bb) Nach dem vorliegenden Sachverhalt stellten sich die von der Antragstellerin erbrachten Leistungen so dar, dass die Hauptkunden der Antragstellerin ihre Kunden zu einem Fotoshooting in eine ihrer Filialen einluden. Das Team der Antragstellerin kam mit entsprechender Ausrüstung zu dieser Einladung hinzu; es frisierte, schminkte und fotografierte die Kunden vor verschiedenen Kulissen und mit unterschiedlicher Beleuchtung. Anschließend wurden die Bilder gemeinsam angeschaut, und die Kunden konnten sich individuell ein Bild oder mehrere Bilder aussuchen, welches oder welche sofort vor Ort ausgedruckt wurde(n). Die Fotos wurden sodann als Einzelbild oder als „Fotobuch“ (mit einer Klemmlasche verbundene, jederzeit herausnehmbare Bilder) und/oder in Dateiform an die Kunden gegen Entgelt übergeben. Die Tätigkeit der Antragstellerin richtete sich dabei an die Endverbraucher. Die Leistungen beschränkten sich nicht auf die Lieferung eines Gegenstandes, sondern beinhalteten verschiedene Elemente des Dienstvertrages und des Rechts- bzw. Sachkaufs. Denn die Antragstellerin stellte unter Bereitstellung eines mobilen Fotostudios Bilder her, was grundsätzlich und je nach Ausgestaltung im Einzelfall zunächst das Herrichten der Umgebung für die Fotoaufnahmen und das Gestalten/Positionieren der fotografierten Objekte und Personen in der für die Fotografie geeigneten Weise beinhaltete.

Hinzu kamen die Tätigkeiten der Maskenbildner/innen sowie – als Kernbestandteil fotografischer Dienstleistungen – das „Einfangen“ des jeweiligen Bildes unter Verwendung entsprechender Beleuchtung bzw. unter Verwendung licht- und situationsangepasster Kameras bzw. Kameraeinstellungen. Schließlich umfasste sie die Leistung der Sichtbarmachung der Bilder vor Ort sowie die gemeinsame Durchsicht mit den Kunden zur Ermöglichung einer selektiven Auswahl der vom Kunden präferierten Bilder. Neben diesen Elementen beinhaltete die Tätigkeit zudem Elemente des Sachkaufs sowie des Rechtskaufs, soweit Urheberrechte mitübertragen wurden.

Dem insoweit von der Betriebsprüfung bzw. Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgestellten Sachverhalt ist die Antragstellerin nicht substantiiert entgegengetreten. Zwar legt sie dar, dass die Leistungen, wie Schminken, Frisieren und Positionieren der Kunden vor verschiedenen Kulissen etc. kein großes Gewicht hätten; diese würdigende Einschätzung stellt jedoch den von der Prüfung festgestellten tatsächlichen Ablauf der Leistungserbringung nicht substantiiert in Abrede.

cc) Die von der Antragstellerin in Summe erbrachten Leistungsbestandteile stellen sich als einheitliche sonstige Leistung sui generis und nicht als eine Lieferung dar. Gemäß § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über den Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen bzw. Dienstleistungen dagegen sind gemäß § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG Leistungen, die keine Lieferungen sind.

Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Mehrzahl einzelner Leistungsbestandteile aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht als eine Gesamtleistung zu behandeln ist, gelten folgende Grundsätze: Jeder Umsatz ist in der Regel als eine eigene, selbstständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Leistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbstständige Leistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt. Dabei ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Eine einheitliche Leistung liegt danach insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung und ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Hauptzweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige für den Verbraucher zwei oder mehrere Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Diese Grundsätze gelten auch im Verhältnis zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen/Dienstleistungen (BFH-Urteile vom 15. Januar 2009 V R 91/07, BFHE 224, 172; vom 17. April 2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712 m. w. N.; Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 18. Juli 2017, 4 K 64/16, juris; Finanzgericht Münster, Urteil vom 18. August 2009, 15 K 3176/05 U, EFG 2009, 1979).

dd) Nach diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin gegenüber ihren Kunden mehrere Handlungen vorgenommen und Leistungselemente erbracht, die umsatzsteuerlich als eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung i.S.d. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG anzusehen sind. Denn bei den von der Antragstellerin erbrachten Leistungen handelte es sich um einen im Wesentlichen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang, dessen Wesen und wirtschaftlicher Gehalt aus den als Leistungsbündel verknüpften verschiedenen Dienstleistungs- und Kaufelementen zur Erbringung des fotografischen Endproduktes sowie aus der Übergabe der (zusammengeklemmten) Fotos, gegebenenfalls Datenträgern, zur privaten Verwendung bestand. Diese Leistungsbestandteile waren so eng miteinander verknüpft, dass sie aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers eine einzige einheitliche Leistung sonstiger Art bildeten. Denn sie waren, den Gesamtzweck verfolgend, derart aufeinander abgestimmt und miteinander verknüpft, dass sie sich gegenseitig dienten und bedingten, so dass das Herauslösen einzelner Bestandteile aus dem Leistungsverbund wirklichkeitsfremd erschiene. Sinn und Zweck der gegenüber den Kunden erbrachten Leistung war es, durch die verschiedenen und situationsangepassten Handlungen der Antragstellerin, unter Zuhilfenahme der erforderlichen Ausrüstung, einschließlich des Herrichtens etwaiger Kulissen, Schminken etc. sowie unter Benutzung des fotografischen Materials und der fotografischen Fähigkeiten ein Endprodukt zu erstellen, welches dem Kunden zur privaten Verfügung diente. Es wäre wirklichkeitsfremd, in diesem Zusammenhang einzelne Bestandteile der Leistung herauszulösen und einer individualisierten umsatzsteuerlichen Behandlung zugänglich zu machen.

Der Schwerpunkt dieser einheitlichen Leistung lag dabei nicht in der Lieferung einer Sache (eines Fotobuchs). Vielmehr stellte das einheitliche Leistungsbündel eine Leistung eigener Art dar, in welcher die unterschiedlichen Elemente als unselbständige Bestandteile aufgingen und deren prägender Charakter darin bestand, für den Kunden unter Zuhilfenahme eines mobilen Fotostudios Bilder zu erstellen, ihm eines oder mehrere dieser Bilder zu verschaffen und dadurch die private Nutzung zu ermöglichen. Die Erstellung des Fotos einschließlich sämtlicher damit beschriebener verbundener Dienstleistungen stellte dabei den Ausgangspunkt der Gesamtleistung der Antragstellerin dar, welcher den maßgeblichen Einsatz der Arbeitskraft und Fähigkeiten der Mitarbeiter sowie den maßgeblichen Einsatz der Arbeitsmaterialien erforderte und damit einen Schwerpunkt der einheitlichen Leistung bildete. Dass das Endprodukt dieses Vorgangs zur Verwendung des Kunden erstellt wurde und es ihm daher in (verbundener) Papierform (gegebenenfalls auch in Datenträgerform) übergeben wurde, war integraler Bestandteil der Gesamtleistung, was jedoch nicht die Annahme begründet, dass allein die Lieferung des Bildes maßgeblicher prägender Bestandteil des Leistungsbündels war. Zwar ist davon auszugehen, dass die Kunden den Herstellungsvorgang nicht gewünscht hätten, wenn sie nicht auch ein oder mehrere Fotos hätten mitnehmen dürfen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass insbesondere die Erstellung des Produktes einschließlich sämtlicher benannter Dienstleistungen als prägender Prozess einen maßgeblichen Bestandteil des Umsatzes bildete und ohne die gewünschte Erstellung des Produktes das Interesse der Kunden an einem etwaigen Foto nicht hätte begründet werden können. Die Hergabe des Fotos stellte letztlich den letzten Akt eines einheitlichen Dienstleistungs- und Übertragungsprozesses in Gestalt einer sonstigen Leistung dar (zur Einheitlichkeit fotografischer Leistungen sui generis vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 18. Juli 2017, 4 K 64/16, juris; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. Februar 2017, 5 K 5052/15, EFG 2017, 958; die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen, s. BFH-Beschluss vom 12. September 2017, V B 45/17, juris, nicht weiter dokumentiert). Eine umsatzsteuerliche Begünstigung aufgrund der Lieferung von in der Anlage 2 bezeichneten Gegenständen kommt somit nicht in Betracht.

d)
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem BMF-Schreiben vom 20. April 2016 (BStBl. I 2016, 483). In diesem Schreiben nimmt das BMF Bezug auf die Zuweisung von Fotobüchern zum KN-Code 4911 91 00 und stellt zugleich klar, dass es für vor dem 1. Januar 2017 ausgeführte Lieferungen und innergemeinschaftliche Erwerbe von Fotobüchern nicht beanstandet wird, wenn der Unternehmer die Umsätze dem ermäßigten Steuersatz unterwirft.

Es ist bereits fraglich, ob die von der Antragstellerin erstellten Waren Fotobücher im Sinne dieses BMF-Schreibens sind. Nach der Merkmalbeschreibung im BMF-Schreiben geht das Ministerium davon aus, dass Fotobücher in diesem Sinne vom Leistungsempfänger individuell gestaltete Werke sind. Gemeint sein dürften damit also solche Werke, bei denen der Kunde (maßgeblich eigene) Bilder durch eine eigene Gestaltung mittels eines Computerprogramms in die Form eines (zunächst digitalen) Buches transferiert. Die Leistung des Herstellers liegt sodann darin,  dass dieser das vom Kunden so gestaltete Werk durch einen drucktechnischen Prozess in ein zum Broschieren, Kartonieren oder Binden bestimmtes Druckerzeugnis überführt und dieses sodann ausliefert. Angesichts dieses Verständnisses ist zweifelhaft, ob das Finanzamt verpflichtet ist, auch einen Verbund mittels Klemmlasche von einzelnen, kurz zuvor erstellten und ausgedruckten Bildern als Fotobuch im Sinne des BMF-Schreibens anzusehen (zur teilweisen Auslegungshoheit von Verwaltungsanweisungen durch die Finanzbehörden vgl. Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Beschluss vom 23. Dezember 2013, 3 V 101/12, juris). Letztlich kann diese Frage aber auch dahinstehen, da im Streitfall aus den o.g. Gründen keine Lieferung sondern eine sonstige Leistung vorliegt und das BMF-Schreiben bereits aus diesem Grunde nicht anwendbar ist.

e)
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass die Finanzbehörden in mindestens zwei anderen Fällen den ermäßigten Steuersatz angewandt bzw. die entsprechende Steuerschuld erlassen haben. Soweit sich die Antragstellerin auf ein Erlassbegehren stützt, ist vorab darauf hinzuweisen, dass ein solches Begehren im Hauptsacheverfahren im Verpflichtungswege zu verfolgen ist. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes wäre ein solches Begehren daher nur durch entsprechend gestellte und begründete Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) zu verfolgen gewesen.

Darüber hinaus führt die Berufung auf eine begünstigende Behandlung anderer (Konkurrenz-)Firmen aber auch in der Sache nicht zum Erfolg. Denn soweit einzelne Konkurrenten tatsächlich trotz gleicher Sachverhalte anders (günstiger) behandelt worden sein sollten, wäre darin eine gesetzeswidrige (teilweise) Nichtbesteuerung zu sehen, auf deren entsprechende Anwendung die Antragstellerin auch unter Berücksichtigung von § 85 AO und Art. 3 GG keinen Anspruch hätte („keine Gleichheit im Unrecht“, vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. Juni 1989, VIII R 82/86, BStBl. II 1989, 836; BFH-Beschluss vom 18.7.2002, V B 112/01, BStBl. II 2003, 675; BFH-Urteil vom 11. Januar 2006, II R 12/04, BStBl. II 2006, 615; BFH-Beschluss vom 13. Februar 2007, II B 32/06, BFH/NV 2007, 966; BFH-Beschluss vom 26.9.2007, V B 8/06, BStBl. II 2008, 405). Verwaltung und Gerichte sind auch dann nicht befugt, ein Gesetz allgemein oder im Einzelfall falsch anzuwenden, wenn eine Norm in zahlreichen Fällen („massenhaft“) und über einen längeren Zeitraum hinweg nicht richtig befolgt wird. Damit ist die Verwaltung unter keinen Umständen berechtigt, ein verfassungsrechtlich wirksames formelles Gesetz nicht in der gebotenen Weise anzuwenden. Würde man einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis den Vorrang vor dem Grundsatz der Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt einräumen, so käme dies einer Auflösung des Rechtsstaats gleich (vgl. BFH-Urteile vom 20. Juni 1989, VIII R 82/86, BStBl. II 1989, 836; vom 5. Dezember 1963, IV 375/60 U, BStBl. III 1964, 146 m.w.N.). Eine fehlerhafte Rechtsanwendung bei anderen Steuerpflichtigen begründet damit keinen grundsätzlichen Anspruch auf eine entsprechende rechtswidrige Anwendung in eigener Sache.

Ein Vertrauensschutz lässt sich auch nicht aus dem Grundsatz ableiten, wonach allgemeine Übergangsregelungen oder Anpassungsregelungen ergehen müssen, um einen Steuerpflichtigen, der im Vertrauen auf eine bisherige Rechtslage Dispositionen getätigt hat, nicht zu enttäuschen, wenn sich die bisherige Rechtsprechung verschärft hat oder eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht (vgl. BFH-Beschluss vom 26. September 2007, V B 8/06, BStBl. II 2008, 405, m.w.N.). Denn dabei liegt ein entsprechend schützenswertes Vertrauen nur dann vor, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestand und die Rechtslage nicht zweifelhaft schien. Eine zugunsten des Steuerpflichtigen bestehende, gesicherte Rechtsauffassung lag dabei insbesondere dann nicht vor, wenn die maßgebliche Rechtsfrage nicht durch die Rechtsprechung des BFH geklärt war bzw. keine eindeutige Verwaltungsregelung, sondern lediglich schlichtes Verwaltungshandeln vorlag (vgl. im Einzelnen BFH-Beschluss vom 26. September 2007, V B 8/06, BStBl. II 2008, 405). Nach diesen Grundsätzen kann sich die Antragstellerin nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil für die Frage, in welcher Form die konkreten Leistungen zu besteuern sind, keine klare und eindeutige Rechtsprechung / Verwaltungsregelung zu ihren Gunsten bestand. Im Gegenteil fußt die zu ihren Lasten ergehende Entscheidung auf Rechtsgrundsätzen (s. oben, I. 1. a), b) c)), die bereits vor den Streitjahren durch die Rechtsprechung aufgestellt wurden. Ein bloßes – sei es auch vermehrt auftretendes – Verwaltungshandeln, welches (zu Unrecht) andere Steuerpflichtige begünstigte, begründet eine solche gesicherte und zweifelsfreie Rechtsauffassung nicht.

f)
Ein Vertrauensschutz der Antragstellerin lässt sich auch nicht im Hinblick auf ein ihr gegenüber geübtes Verwaltungshandeln begründen.

Die Finanzbehörden haben grundsätzlich in jedem Jahr die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen (erneut) zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als falsch erkannte Auffassung müssen sie grundsätzlich aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (vgl. etwa FG Hamburg, Beschluss vom 16. März 2017, 2 V 55/17 - juris m.w.N.). Zu einer Bindung des Finanzamts an eine frühere (fehlerhafte) Auffassung kann es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nur in besonders gelagerten Fällen kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsempfinden in einem so hohen Maße schutzwürdig ist, dass demgegenüber der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten muss. Denn der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten nicht in Widerspruch setzt, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er unwiderruflich disponiert hat (BFH-Urteil vom 7.  Juli 2004, X R 24/03, BStBl. II 2004, 975). Die Bindung setzt dabei voraus, dass dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder das Finanzamt durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (BFH-Urteile vom 29. April 2008, VIII R 75/05, BStBl. II 2008, 817; vom 14. Januar 2010, IV R 86/06, BFH/NV 2010, 1096). Zum Setzen eines Vertrauenstatbestandes reichen jedoch bspw. Äußerungen eines Prüfers in der Schlussbesprechung, eine unzutreffende Beurteilung im Prüfungsbericht oder eine aufgrund einer Außenprüfung ergangene Steuerfestsetzung nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 5. September 1990, X R 100/89, BFH/NV 1991, 217). Dies gilt sogar dann, wenn eine für den Kläger günstige Auffassung in einem Prüfungsbericht niedergelegt wurde und das Finanzamt die günstige frühere Steuerfestsetzung aufgrund dieses Berichtes vorgenommen hatte (BFH-Urteil vom 16. Juli 1964, V 92/61 S, BStBl. III 1964, 634). Zudem reicht es nicht aus, wenn die Finanzbehörde eine für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung eine längere Zeitspanne vertreten hatte (BFH-Urteil vom 22. Juni 1971, VIII 23/65, BStBl. II 1971, 749).

Nach diesen Grundsätzen ist ein Verhalten der Behörde, welches einen Vertrauensschutz der Antragstellerin begründen könnte, nicht ersichtlich. Nach Aktenlage hat die Klägerin bis einschließlich 2009 die von ihr erbrachten Leistungen in vollem Umfang zum Regelsteuersatz erklärt. Die in den Jahren 2010 und 2011 abweichende Praxis wurde im Rahmen der Betriebsprüfungen aufgegriffen und entsprechend der aktuellen Bescheidlage umgesetzt.

g)
Eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes kommt im Streitfall auch nicht im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG in Betracht. Denn, wie oben dargelegt, erbrachte die Klägerin bei den streitgegenständlichen Umsätzen jeweils ein Bündel an Leistungen, welches sich als einheitliche sonstige Leistung sui generis darstellte, deren Schwerpunkt nicht in der Übertragung von Urheberrechten lag (vgl. dazu auch ausführlich Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 18. Juli 2017, 4 K 64/16, juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. Februar 2017, EFG 2017, 958; die Nichtzulassungsbeschwerde hiergegen wurde als unbegründet zurückgewiesen, siehe BFH-Beschluss vom 12. September 2017, V B 45/17, juris, nicht weiter dokumentiert).

2.)
Eine Aussetzung der Vollziehung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der unbilligen Härte zu gewähren.

a)
Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Bescheide wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich das erkennende Gericht anschließt, kommt eine Aussetzung der Vollziehung auch bei unbilliger Härte jedoch nur in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht ausgeschlossen werden können (BFH-Beschluss vom 2. Juni 2005, III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834).

b)
Nach diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung der Vollziehung bereits deshalb nicht in Betracht, weil aus den unter 1.) benannten Gründen keine Anhaltspunkte für etwaige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide bestehen.

Darüber hinaus hat die Antragstellerin auch keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgebracht, welche die Annahme einer unbilligen Härte rechtfertigen würde. Soweit in der Antragsschrift dargetan ist, dass der Rückgriff auf die Steuerjahre 2010 und 2011 die wirtschaftliche Existenz der A GmbH und damit der Gesellschafter gefährde, ist dies nicht weiter substantiiert und glaubhaft gemacht worden. Das Gleiche gilt für den im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens erfolgten Vortrag zu drohenden „nachhaltigen und irreparablen Schäden am Geschäftsbetrieb“. Letztlich kommt es darauf in Ermangelung entsprechender Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide jedoch auch nicht an.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Gründe, die Beschwerde zuzulassen, §§ 128 Abs. 2, 115 Abs. 2 FGO, sind nicht ersichtlich.

RechtsgebietUStGVorschriften§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 lfd. Nr. 49

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