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23.04.2018 · IWW-Abrufnummer 200827

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 27.02.2018 – VI ZR 156/17

GG Art. 103 Abs. 1

ZPO § 840 Abs. 2 Satz 2

StGB § 288

Zur Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (hier: zum Bestehen von Vergütungsansprüchen eines "faktischen Geschäftsführers").


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Februar 2018 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin von Pentz, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller
beschlossen:

Tenor:
1. Dem Beklagten wird als Beschwerdeführer für die Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung gewährt und Rechtsanwalt Dr. von Plehwe beigeordnet.


2. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. März 2017 aufgehoben.


Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.


3. Der Streitwert wird auf bis 22.000 € festgesetzt.



Gründe



I.

1


Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer ihrer Behauptung nach unrichtigen Drittschuldnererklärung auf Schadensersatz in Anspruch.


2


Die Klägerin, ein in Bulgarien ansässiges Speditionsunternehmen, erwirkte am 7. Februar 2013 ein mittlerweile in Rechtskraft erwachsenes Versäumnisurteil gegen die Spedition W. GmbH und deren Geschäftsführer G. Br. über einen Betrag von 108.552,28 €. Mit Beschluss vom 2. Oktober 2013 wurde über das Vermögen der Spedition W. GmbH das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Aufgrund des rechtskräftigen Versäumnisurteils gegen G. Br. ließ die Klägerin der ehemaligen Beklagten zu 1, der A. GmbH, und dem Beklagten, der auch Geschäftsführer der A. GmbH war, die Benachrichtigung zustellen, dass die Pfändung von Ansprüchen des Herrn Br. gegen beide bevorstehe (Vorpfändung). Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 mit:"Zunächst informiere ich Sie darüber, dass Herr Br. keineAnsprüche/Forderungen gegen die A. GmbH hat. ... Ergänzend teile ich mit,dass sämtliche Geschäftsbeziehungen mit Herrn Br. bereits vor längerer Zeitgekündigt bzw. aufgelöst wurden. Herr Br. hat und hatte keine Ansprüche gegen die Firma oder den Geschäftsführer. Einen Lohn hat Herr Br. zu keinemZeitpunkt bezogen, da er nie in der Firma angestellt war. Es ist daher keinRechtsgrund ersichtlich, weswegen hier ein begründeter Anspruch als Drittschuldner gegen die A. GmbH vorliegen soll."


3


Ein Schreiben gleichen Inhalts übersandte der Beklagte am 30. Oktober 2013 an das Amtsgericht und legte Beschwerde gemäß § 793 ZPO gegen die Benennung der A. GmbH und seiner Person als Drittschuldner ein. Am 19. November 2013 wurde der A. GmbH und dem Beklagten ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betreffend angebliche Gehaltsansprüche des Herrn Br. gegen die A. GmbH aus dem Jahr 2013 und Ansprüche des Herrn Br. gegen den Beklagten aus einem Treuhändervertrag zugestellt. Hintergrund war eine am 10. September 2012 zwischen dem Beklagten als Treuhänder und G. Br. als Treugeber geschlossene notarielle Treuhandvereinbarung über zwei das gesamte Gesellschaftsvermögen darstellende Geschäftsanteile der A. GmbH. Diese Anteile hatte zunächst der Beklagte für sich gehalten und sollte sie von nun an für Herrn Br. halten. Nach dem Vertrag sollte nach außen hin der Beklagte als Gesellschafter auftreten, während im Innenverhältnis Herr Br. als Treugeber als Gesellschafter behandelt werden und auf ihn auch der Gewinn entfallen sollte. Darüber hinaus war der Beklagte als Treuhänder verpflichtet, dem Treugeber alles herauszugeben, was er als Inhaber der Geschäftsanteile erhalten hatte. Am 14. Januar 2013 hatte der Beklagte als Geschäftsführer der A. GmbH Herrn Br. eine schriftliche Handlungsvollmacht erteilt, wonach dieser berechtigt war, "die selbständige Zweigniederlassung der A. GmbH in W., Österreich" in allen Geschäften mit Dritten zu vertreten. Nach der Behauptung des Beklagten kam es am 15. Januar 2013 zu einer schriftlichen Vereinbarung, wonach das Treuhandverhältnis aufgehoben sei. Eine Kopie der Vertragsurkunde liegt vor. Die Klägerin macht geltend, diese sei gefälscht.


4


Mit der Klage hat die Klägerin die A. GmbH und den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Nachdem über das Vermögen der A. GmbH mit Beschluss vom 9. April 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, ist der Rechtsstreit gegen diese abgetrennt worden. Das Landgericht hat die gegen den Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 19.200 € nebst Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass der Beklagte zur Zahlung aufgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung verpflichtet sei. Es hat weiter festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin den aus der Nichterfüllung der Auskunftsverpflichtung der A. GmbH gemäß § 840 Abs. 1 ZPO entstandenen Schaden zu ersetzen. Die weitergehende Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.




II.

5


Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.


6


1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte hafte der Klägerin wegen einer unrichtigen Drittschuldnerauskunft sowohl aus § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1, § 27 StGB auf Schadensersatz. Die Angaben des Beklagten in seinen Schreiben vom 17. und 30. Oktober 2013 seien falsch gewesen. Unzutreffend sei insbesondere die Auskunft gewesen, Herrn Br. stünden keine Ansprüche gegen die A. GmbH zu. Denn Herr Br. sei als faktischer Geschäftsführer der A. GmbH aufgetreten und habe als solcher Gehaltsansprüche gegen diese Gesellschaft gehabt; er allein sei berechtigt gewesen, über ihr Geschäftskonto bei der O. Bank AG zu verfügen. Hätte der Beklagte den wahren Sachverhalt dargelegt, wäre der Klägerin aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ein Zugriff auf die auf die Gehaltsansprüche des Herrn Br. entfallenden, von diesem vom Konto der O. Bank AG vorgenommenen Abhebungen möglich gewesen. Die Höhe des dadurch entstandenen Schadens schätze der Senat auf vier Monatsgehälter zu je 4.800 € brutto, d.h. insgesamt 19.200 €.


7


2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass diese Beurteilung auf einer Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG beruht.


8


a) Die Bestimmung in Art. 103 Abs. 1 GG hat den Zweck, einen angemessenen Ablauf des Verfahrens zu sichern (vgl. BVerfGE 119, 292, 296). Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 ff.). Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 19, 32, 36; 49, 325, 328; 55, 1, 6; 60, 175, 210; 64, 135, 143 f.) sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (vgl. BVerfGE 6, 19, 20; 15, 303, 307; 36, 85, 87). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 1, 5; 65, 227, 234; 84, 188, 190; 86, 133, 144 ff.; BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14, NJW 2017, 3218 Rn. 47 mwN).


9


b) Mit diesen Grundsätzen steht die angefochtene Entscheidung nicht im Einklang. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Beklagten in der Klageerwiderung und in der Berufungserwiderung übergangen hat, wonach Herrn Br. ohne einen Anstellungsvertrag oder ein ähnliches Schuldverhältnis mit der A. GmbH keine Gehaltsansprüche, insbesondere kein Anspruch auf Zahlung einer Geschäftsführervergütung zustehe. In der Berufungsbegründung hat die Beklagte ausdrücklich auf die Feststellung im landgerichtlichen Urteil unter 2.4 verwiesen, wonach weder seitens der Klagepartei noch seitens der einvernommenen Zeugen vertragliche Unterlagen zwischen Herrn Br. und der A. GmbH vorgelegt worden seien, die entsprechende Zahlungsansprüche des Herrn Br. begründen könnten. Mit diesem rechtlichen Gesichtspunkt, den der Beklagte ausdrücklich aufgeworfen und auf den sich auch das Landgericht gestützt hatte, hätte sich das Berufungsgericht auseinandersetzen müssen. Das ist nicht geschehen. Aus dem Berufungsurteil ist nicht ersichtlich, woraus sich der angenommene Vergütungsanspruch ergeben soll.


10


c) Der eben dargestellte Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens Vergütungsansprüche des Herrn Br. gegen die A. GmbH und damit jedenfalls einen gemäß § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. § 823 Abs. 2 i.V.m. § 288, 27 StGB ersatzfähigen Schaden verneint hätte (vgl. zum Schaden i.S.d. § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO: BGH, Urteil vom 25. September 1986 - IX ZR 46/86, BGHZ 98, 291, juris Rn. 15; vom 10. Oktober 1977 - VIII ZR 76/76, BGHZ 69, 328, juris Rn. 25; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. November 1995 - 4 U 222/94, VersR 1997, 705, juris Rn. 16, 19).




III.

11


Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen. Es wird dabei insbesondere zu berücksichtigen haben, dass den Beklagten zu dem Zeitpunkt, als er seine Angaben gemacht hat, mangels Zustellung des erst später erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses noch keine Verpflichtung zur Auskunftserteilung im Sinne des § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO traf (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1977 - VIII ZR 217/75, BGHZ 68, 289 Rn. 11 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. November 1995 - 4 U 222/94, VersR 1997, 705; MünchKomm-ZPO/Smid, 5. Aufl., § 840 Rn. 5; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 840 Rn. 3; derselbe, § 845 Rn. 15).


12


Das Berufungsgericht wird weiter zu berücksichtigen haben, dass eine Haftung des Beklagten wegen Beihilfe zur Vollstreckungsvereitelung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 288, 27 StGB) voraussetzt, dass der Haupttäter den Straftatbestand des § 288 StGB vorsätzlich und rechtswidrig verwirklicht hat, d.h. bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens veräußert oder beiseite geschafft hat (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. November 1990 - VI ZR 39/90, VersR 1991, 674; BGH, Urteil vom 10. Februar 1953 - 1 StR 638/52, NJW 1953, 1152, 1153; RGSt 22, 208, 210; Schönemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 288 Rn. 20). Auch hierzu fehlt es bislang an Feststellungen.


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