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21.02.2018 · IWW-Abrufnummer 199739

Bundesgerichtshof: Urteil vom 25.01.2018 – VII ZR 219/14

Eine Stoffpreisgleitklausel des öffentlichen Auftraggebers von Bauleistungen ist überraschend und wird nicht Vertragsbestandteil, wenn sie ohne ausreichenden Hinweis den Auftragnehmer zur Vermeidung erheblicher Nachteile bei Stoffpreissenkungen dazu anhält, bereits bei seiner Kalkulation von üblichen Grundsätzen abzuweichen (Festhaltung BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 344/13,BGHZ 202, 309).


Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die m?ndliche Verhandlungvom 25. Januar 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Eick, die RichterHalfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit und die Richterinnen Gra?nack und Borris

f?r Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Kl?gerin wird der Beschluss des9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts M?nchen vom20. August 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als dieBerufung der Kl?gerin gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung von 208.267,11 € nebst Zinsen zur?ckgewiesen wurde.

Auf die Berufung der Kl?gerin wird das Urteil des LandgerichtsM?nchen I vom 26. Februar 2014 teilweise abge?ndert und wiefolgt neu gefasst:

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, andie Kl?gerin 208.267,11 € nebst Zinsen hieraus in H?hevon 8 Prozentpunkten ?ber dem jeweiligen Basiszinssatzseit dem 30. Mai 2012 zu zahlen; im ?brigen wird dieKlage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz tragen die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 85 %, die Kl?gerinzu 15 %. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.



Tatbestand

1


Die Kl?gerin fordert die Zahlung restlichen Werklohns. Die Beklagtenschrieben im Herbst 2008 die Bauma?nahme "Hochwasserschutz zwischen S.und V." aus. Die Vergabeunterlagen nahmen auf die VOB/B (2006) Bezug undumfassten die "Stoffpreisgleitklausel Stahl", die unter anderem folgende Bestimmungen enthielt:




"1. Anwendungsbereich



Die Klausel gilt nur f?r Stoffe, die im "Verzeichnis f?r Stoffpreisgleitklausel Stahl" genannt sind. (...) Mehr- oder Minderaufwendungen werden nach den folgenden Regelungen abgerechnet.



2. Allgemeines



2.1 Der Auftragnehmer hat dem Auftraggeber ?ber die Verwendung der Stoffe nach Nr. 1 pr?fbare Aufzeichnungen vorzulegen,wenn Mehr- oder Minderaufwendungen abzurechnen sind. Ausden Aufzeichnungen m?ssen die Menge des Stoffes und der Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verwendung hervorgehen. (...)



2.2 Der Ermittlung der Mehr- oder Minderaufwendungen werdennur die Baustoffmengen zugrunde gelegt, f?r deren Verwendungnach dem Vertrag eine Verg?tung zu gew?hren ist. (...)



Vermeidbare Mehraufwendungen werden nicht erstattet; vermeidbar sind insbesondere Mehraufwendungen, die dadurch entstanden sind, dass der Auftragnehmer



- Vertragsfristen ?berschritten,



- die Bauausf?hrung nicht angemessen gef?rdert



hat.



2.3 An den ermittelten Aufwendungen wird der Auftragnehmer beteiligt, seine Selbstbeteiligung betr?gt 10 v. H. der Mehraufwendungen, mindestens aber 0,5 v. H. der Abrechnungssumme (Verg?tung f?r die insgesamt erbrachte Leistung bzw. wenn mehrere



Fachlose zusammen vergeben wurden, f?r das Fachlos, das vonder Nennung von Ordnungsziffern im Verzeichnis betroffen ist).F?r die Berechnung des Selbstbehalts zugrunde zu legen sind derMehrbetrag ohne Umsatzsteuer sowie die Abrechnungssummeohne die aufgrund von Gleitklauseln zu erstattenden Betr?ge undohne Umsatzsteuer.



Ein Mehr- oder Minderbetrag kann erst geltend gemacht werden,wenn der Selbstbeteiligungsbetrag ?berschritten ist; bis zur Feststellung der Abrechnungssumme wird 0,5 v. H. der Auftragssumme f?r die insgesamt zu erbringende Leistung bzw. f?r den/dieAbschnitt(e)/Titel, der/die von der Nennung von Ordnungsziffernim Verzeichnis betroffen ist/sind, zugrunde gelegt.



2.4 Bei Stoffpreissenkungen ist der Auftragnehmer verpflichtet, dieersparten (=Minder-)Aufwendungen von seinem Verg?tungsanspruch abzusetzen. Er ist berechtigt, 10 v. H. der ersparten Aufwendungen, mindestens aber 0,5 v. H. der Aufrechnungssumme(vgl. Nr. 2.3) einzubehalten.



2.5 Sind sowohl Mehraufwendungen als auch Minderaufwendungen zu erstatten, so werden diese getrennt ermittelt und gegeneinander aufgerechnet; auf die sich ergebende Differenz wirdNr. 2.3 bzw. 2.4 angewendet.



3. Abrechnung



3.1 Der Auftraggeber setzt im Einheitlichen Formblatt - EFB-StGL319 einen "Marktpreis" (Grundpreis zuz?glich ggf. des Abmessungsaufpreises, des G?teaufpreises und des Schrottpreiszuschlages, jedoch ohne etwaige Lieferanten- und Transportzuschl?ge) f?r die jeweilige Stahlart zum Zeitpunkt der Versendungder Angebotsunterlagen (Monat/Jahr) als Nettopreis in Euro/Tonne fest.



3.2 Der Preis zum Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verwendungwird ermittelt aus dem vorgegebenen "Marktpreis" (3.1) multipliziert mit dem Quotienten der Preisindizes (Monat/Jahr) der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (GP) des Statistischen Bundesamtes vom Tag des Einbaus bzw. der Verwendung und dem vomAuftraggeber unter Nr. 3.1 genannten Zeitpunkt, ver?ffentlicht inder Fachserie 17, Reihe 2 unter der entsprechenden GP-Nummer.



3.3 Mehr- oder Minderaufwendungen werden errechnet f?r jedeneinzelnen im Verzeichnis genannten Stoff aus der Differenz des"Preises" vom Tag des Einbaus bzw. der Verwendung (Nr. 3.2)und des vom Auftraggeber vergebenen "Marktpreises" zu dem imVerzeichnis vorgegebenen Zeitpunkt (Nr. 3.1).3.4 Die nach Nr. 3.3 errechneten Mehr- oder Minderaufwendungen werden f?r jede im "Verzeichnis f?r Stoffpreisgleitklausel Stahl" angegebene OZ und der nachgewiesenen Menge (vgl.Nr. 2) unter Ber?cksichtigung der Selbstbeteiligung gem?? Nr. 2.3und 2.4 zus?tzlich zum Angebotspreis verg?tet bzw. von diesemabgezogen."

2


Mit nachgereichtem Schreiben machten die Beklagten das erg?nzte"Verzeichnis f?r Stoffpreisgleitklausel Stahl" zum Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen.


3


Die Kl?gerin, die auf ihr Angebot vom 30. Oktober 2008 am15. Dezember 2008 den Zuschlag erhielt, erbrachte im Jahr 2009 ihre Leistungen. Nach Abnahme im Oktober 2011 legte die Kl?gerin am31. Dezember 2011 Schlussrechnung. Diese k?rzten die Beklagten unter Berufung auf Minderaufwendungen, berechnet nach der Stoffpreisgleitklausel Stahlin H?he von insgesamt 208.267,11 € brutto.


4


Die Kl?gerin, die diese Abz?ge f?r unberechtigt h?lt, begehrt - soweit f?rdie Revision noch von Bedeutung - Restwerklohn in dieser H?he nebst Zinsen.Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl?gerin hat dasBerufungsgericht durch Beschluss nach ? 522 Abs. 2 ZPO zur?ckgewiesen. Mitder vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Kl?gerin die Stattgabe ihrerKlage im oben genannten Umfang.


2 Mit nachgereichtem Schreiben machten die Beklagten das erg?nzte"Verzeichnis f?r Stoffpreisgleitklausel Stahl" zum Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen. 3 Die Kl?gerin, die auf ihr Angebot vom 30. Oktober 2008 am15. Dezember 2008 den Zuschlag erhielt, erbrachte im Jahr 2009 ihre Leistungen. Nach Abnahme im Oktober 2011 legte die Kl?gerin am31. Dezember 2011 Schlussrechnung. Diese k?rzten die Beklagten unter Berufung auf Minderaufwendungen, berechnet nach der Stoffpreisgleitklausel Stahlin H?he von insgesamt 208.267,11 € brutto. 4 Die Kl?gerin, die diese Abz?ge f?r unberechtigt h?lt, begehrt - soweit f?rdie Revision noch von Bedeutung - Restwerklohn in dieser H?he nebst Zinsen.Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl?gerin hat dasBerufungsgericht durch Beschluss nach ? 522 Abs. 2 ZPO zur?ckgewiesen. Mitder vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Kl?gerin die Stattgabe ihrerKlage im oben genannten Umfang.



Entscheidungsgr?nde

5


Die Revision hat in ihrem zugelassenen Umfang Erfolg und f?hrt zurVerurteilung der Beklagten.




I.

6


Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagten h?tten dieSchlussrechnung der Kl?gerin zu Recht wegen Minderaufwendungen nach derStoffpreisgleitklausel Stahl um 208.267,11 € gek?rzt. Die StoffpreisgleitklauselStahl sei als Preisnebenabrede einer Kontrolle nach ? 307 Abs. 3 Satz 1 BGBunterzogen. Die Klausel sei jedoch wirksam vereinbart worden.




II.

7


Das h?lt der rechtlichen Nachpr?fung nicht stand.


8


1. Die Beklagten waren nicht berechtigt, die kl?gerische Schlussrechnung um "Minderaufwendungen", berechnet nach der StoffpreisgleitklauselStahl zu k?rzen, die nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen desBerufungsgerichts eine von den Beklagten gestellte Allgemeine Gesch?ftsbedingung ist. Die Stoffpreisgleitklausel Stahl ist, soweit sie den Abzug ersparter"Minderaufwendungen" betrifft, wegen ihres ?berraschenden Charakters gem?? 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden, was der Senat nachder Entscheidung des Berufungsgerichts f?r eine gleichlautende Klausel bereitsentschieden hat (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 344/13, BGHZ 202,309). Daran h?lt der Senat fest. Zur Begr?ndung wird auf die dortigen Entscheidungsgr?nde Bezug genommen.


9


Entgegen der Auffassung der Beklagten rechtfertigen die individuellenBegleitumst?nde des Streitfalls keine andere rechtliche Beurteilung. Ob eineKlausel ?berraschend im Sinne von ? 305c BGB ist, bestimmt sich nach einemgenerell-konkreten Ma?stab. Die Klausel muss im Hinblick auf den typischenInhalt des Vertrags aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nach denGesamtumst?nden objektiv ungew?hnlich sein. Daneben ist festzustellen, obdie Klausel so ungew?hnlich ist, dass der Kunde mit ihr nicht zu rechnenbraucht. Auch der ?berraschungseffekt ist anhand einer typisierenden Betrachtung des f?r derartige Vertr?ge typischen Kundenkreises zu pr?fen (vgl. Ulmer/Sch?fer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl., ? 305c Rn. 12 f.;PWW/Berger, BGB, 12. Aufl., ? 305 c Rn. 6).


10


Ob eine Klausel ungew?hnlich ist, beurteilt sich aus der Perspektive desvertragstypischen Durchschnittskunden nach objektiven Kriterien. Zu beurteilenist die Klausel, nicht deren Auswirkungen im Einzelfall. Dementsprechendkommt es nicht darauf an, ob die Beklagten f?r den 9. Oktober 2008 einen Wertvorgaben, der zum damaligen Zeitpunkt oder zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe mit dem aktuell ermittelten und damit realistischen Preis f?r Spundwandbohlen ?bereingestimmt hat. Selbst wenn der von den Beklagten vorgegebene"Marktpreis" - zuf?llig - den tats?chlichen Preisverh?ltnissen im Oktober 2008entsprochen haben sollte, w?rde dies an der Ungew?hnlichkeit des Berechnungsmodus nichts ?ndern.


11


Entgegen der Auffassung der Beklagten hindert eine branchen?blicheVerwendung von Stoffpreisgleitklauseln nicht, die Klausel als ?berraschend anzusehen. M?gen Stoffpreisgleitklauseln bzw. Materialpreisgleitklauseln branchen?blich verwandt werden, bedeutet dies nicht, dass dem Vertragspartner dieVoraussetzungen und Auswirkungen der von der Beklagten vorgegebenenStoffpreisgleitklausel so vertraut sind, dass er ohne besonderen Hinweis des Verwenders die sich f?r ihn hieraus ergebenden Risiken erkennen und bei seiner Kalkulation ber?cksichtigen kann (vgl. Ulmer/Sch?fer, aaO, ? 305c Rn. 52"Stoffpreisgleitklausel"). Gleiches gilt f?r den Einwand der Revisionsbeklagtenin der m?ndlichen Verhandlung, dass mit einem nachgereichten Schreiben dieBerechnungsfaktoren der Ausschreibung vervollst?ndigt wurden.


12


2. Der Beschluss des Berufungsgerichts kann im angegriffenen Umfangdanach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und der Rechtsstreit zurEndentscheidung reif ist, ? 563 Abs. 3 ZPO.


13


a) Die Kl?gerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung desRestwerklohns in H?he von 208.267,11 € brutto nebst Zinsen in H?he von8 Prozentpunkten ?ber dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 30. Mai 2012 gem?? ? 631 Abs. 1, ? 288 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, ? 286 Abs. 1, Abs. 3Satz 1 BGB i. V. m. ? 16 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 VOB/B.


14


b) F?r die von der Stoffpreisgleitklausel erfassten Leistungen verbleibt esbei den vertraglich vereinbarten und abgerechneten Preisen, denn die durch diefehlende Einbeziehung der Stoffpreisgleitklausel Stahl betreffend die Herabsetzung der Verg?tung wegen "Minderaufwendungen" entstandene Regelungsl?cke kann nicht im Wege erg?nzender Vertragsauslegung nach ?? 157, 133BGB gef?llt werden (Urteil vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 344/13, BGHZ 202,309 Rn. 24 f.). Besonderheiten, die eine andere Bewertung rechtfertigen w?rden, weist der Fall nicht auf.




III.

15


Die Kostenentscheidung beruht auf ? 91 Abs. 1 Satz 1, ? 92 Abs. 1Satz 1, ? 97 Abs. 1, ? 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO.


Eick
Halfmeier
Jurgeleit
Gra?nack
Borris

Verk?ndet am: 25. Januar 2018

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