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31.01.2018 · IWW-Abrufnummer 199301

Landesarbeitsgericht Sachsen: Urteil vom 16.05.2017 – 3 Sa 630/16


In dem Rechtsstreit

...

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht -Kammer 3 -durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2017

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 14.11.2016 - 13 Ca 3686/15 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung, die die Beklagte auf einen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ab geschlossenen Interessenausgleich mit Namensliste stützt.



Die am 06.03.1954 geborene Klägerin verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Wartungsmechanikerin für Datenverarbeitungs- und Büromaschinen, Spezialisierung Schreibtechnik (vgl. Facharbeiterzeugnis vom 31.08.1972 in Anlage B 27 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06.07.2016; Bl. 401/402 d. A.) und ist seit dem 01.02.2009 durchgängig Mitglied der IG Metall (vgl. Bestätigung der Mitgliedschaft vom 18.08.2016; Anlage K 16 zum Schriftsatz der Klägerin vom 05.09.2016; Bl. 695 d. A.). Seit dem 01.07.1972 ist die Klägerin bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Mit Wirkung ab dem 01.11.2010 änderten die Parteien die Tätigkeitsbezeichnung der Klägerin bei unveränderter Vergütung nach der Lohngruppe 7 dahingehend, dass die Klägerin ab diesem Zeitpunkt als Maschinenführerin I (Einpressroboter) und nicht mehr als Schlosser III beschäftigt wurde (vgl. Anlage K 4 zur Klageschrift vom 14.12.2015; Bl. 10 d. A.).



Die Beklagte ist Systemlieferantin für Elektronik-Gehäuse. Sie entwickelt und produziert insoweit Werkzeuge sowie Gehäuse aus Kunststoff und Metall als Trägerbaugruppen für elektronische Bauteile. Unter dem 08.10.2009 unterzeichneten die Beklagte und die IG Metall einen "Anerkennungstarifvertrag" (Anlage B 12 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.02.2016; Bl. 133 ff. d. A.), nach dessen Inhalt im Unternehmen der Beklagten die Tarifverträge für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der Metall- und Elektroindustrie des Tarifgebietes Sachsen Anwendung finden. Unter dem 25.09.2014 vereinbarten die Beklagte und die IG Metall eine "Tarifliche Sonderregelung" (Anlage B 13 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.02.2016; Bl. 137 ff. d. A.). In deren § 6 ist unter der Überschrift "Beschäftigungssicherung" u.a. Folgendes bestimmt:



"Ab dem 01.10.2014 bis zum 30.06.2017 gilt Beschäftigungssicherung für alle Beschäftigten, die Mitglied der IG Metall sind und zum 01.09.2014 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen. Ausgenommen davon sind befristete Arbeitsverhältnisse und Ausbildungsverhältnisse.



Betriebsbedingte Beendigungskündigungen für IG Metall Mitglieder können frühestens nach dem 30.06.2017 ausgesprochen werden."



Bereits in den Jahren 2003, 2007 und 2011 kam es im Unternehmen der Beklagten zu betriebsbedingten Entlassungen im Umfang von 15, 80 bzw. 15 Arbeitnehmern, die zu einem Rückgang der Anzahl der noch beschäftigten jüngeren Arbeitnehmer führten. Zum 30.11.2015 beschäftigte die Beklagte noch 118 Arbeitnehmer, von denen 64 (= ca. 55 %) 50 Jahre und älter waren. Von den 118 Arbeitnehmern waren 23 im Angestelltenbereich (Verwaltung im weiteren Sinn) und 95 im gewerblichen Bereich (Produktion) tätig.



Am 16.09.2015 beantragte die Beklagte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. In der Folge wurde am 18.09.2015 durch das Amtsgericht Dresden die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet und Rechtsanwalt ... zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Dieser wurde mit Beschluss vom 05.11.2015 ermächtigt, die Arbeitgeberbefugnisse für die Beklagte auszuüben, insbesondere Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der IG Metall zu Betriebsvereinbarungen, Betriebsänderungen, Tarifverträgen nebst Zusatzvereinbarungen, Kündigung von Arbeitsverhältnissen sowie zu Sozialplänen und Interessenausgleichen zu führen. In der Folge führte der vorläufige Insolvenzverwalter Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan sowie mit der IG Metall über eine (weitere) tarifliche Sonderregelung.



Mit Beschluss vom 30.11.2015, 08.05 Uhr, eröffnete das Amtsgericht Dresden das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten und bestellte Rechtsanwalt ... zum Insolvenzverwalter. Dieser zeigte dem Insolvenzgericht um 08.45 Uhr Masseunzulänglichkeit an. Unter dem 30.11.2015, 09.00 Uhr unterzeichneten der Insolvenzverwalter und der Vorsitzende des Betriebsrats einen Interessenausgleich, mit dem als Anlage 5 eine Namensliste, in der die Klägerin namentlich aufgeführt ist, durch Heftung und Siegelung fest verbunden war (Kopie in Anlage B 18 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.02.2016; Bl. 148 ff. d. A.). Der Interessenausgleich hat u.a. folgenden Wortlaut:



2. Gegenstand der Betriebsänderung/Arbeitsplatzabbau



a. Übersicht der erforderlichen Maßnahmen



(...)



- Personal



Abbau des Personalüberhangs



Abschluss eines Sanierungstarifvertrages als Haustarifvertrag



Investorensuche



Einleitung eines M&A Prozesses



b. Erläuterungen zum Abbau des Personalüberhangs



(...) In der Produktion reduziert sich bei dem prognostizierten Zielumsatz für 2016 die Anzahl der Mitarbeiterstunden um rund 50 %. Deshalb sind sich die Betriebsparteien darüber einig, dass die Anzahl der Arbeitnehmer im gewerblichen Bereich um 48 Arbeitnehmer auf 47 Arbeitnehmer reduziert werden soll. Dabei besteht Einvernehmen darüber, dass die Funktionsfähigkeit einzelner Produktionsbereiche mit belastbaren Kapazitäten erhalten bleiben muss, sodass der Abbau innerhalb der Vergleichsgruppen nicht durchgehend proportional erfolgen kann. Zudem besteht Einvernehmen darüber, dass zur Wahrung der Funktionsfähigkeit die Beschäftigung flexibel in Vollzeit einsetzbarer Arbeitnehmer erforderlich ist. (...)



Insgesamt sind arbeitgeberseitig 54 Arbeitsverhältnisse durch Kündigungen zu beenden. Freie Arbeitsplätze, die eine Weiterbeschäftigung der abzubauenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ermöglichen würden, stehen im schuldnerischen Unternehmen nicht zur Verfügung.



3. Durchführung der Betriebsänderung - Personalmaßnahmen



(...)



a. Namensliste



Die Betriebsparteien vereinbaren im Rahmen dieses Interessenausgleichs eine Namensliste im Sinne von § 125 InsO (Anlage 5). In dieser Namensliste sind die zu kündigenden 54 Arbeitnehmer mit Vor- und Nachnamen namentlich aufgelistet. Die Namensliste ist bereits bei Unterzeichnung des Interessenausgleichs mit diesem durch Anheftung fest verbunden und integraler Bestandteil des Interessenausgleichs. Interessenausgleich und angeheftete Namensliste bilden eine zusammengesetzte Urkunde.



b. Arbeitnehmer-/Vergleichsgruppen



Bei Durchführung der Betriebsänderung hat der Insolvenzverwalter die Aufteilung der Beschäftigten des Betriebes in Arbeitnehmer-/Vergleichsgruppen vorgenommen, die vergleichbare Tätigkeiten ausüben. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass bei dem Umfang der Personalmaßnahmen die Fortführung des Geschäftsbetriebes sichergestellt sein muss.



Diese sind im gewerblichen Bereich:



- (...)



- Maschinenführer



- (...)



- Schlosser, höher qualifiziert



- Schlosser, geringer qualifiziert



- Schlosser, ungelernt



- (...)



(...) Der Betriebsrat ist mit der Einteilung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diese Arbeitnehmer-/Vergleichsgruppen einverstanden. Die Betriebsparteien sind sich darüber einig, dass eine gruppenübergreifende Vergleichbarkeit bzw. Austauschbarkeit der Arbeitnehmer nicht möglich ist.



c. Soziale Kriterien



(...)



Arbeitgeber und Betriebsrat sind sich darüber einig, dass eine ausgewogene Personalstruktur im Sinne von § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO geschaffen werden soll. Gemeint ist in erster Linie eine ausgewogene Altersstruktur. Grund hierfür ist der Umstand, dass der Betrieb von einer starken Überalterung der Belegschaft geprägt ist. So sind 64 der derzeit beschäftigten 118 Arbeitnehmer 50 Jahre und älter. Dies entspricht einem prozentualen Anteil der Gesamtbelegschaft von rund 55 %. Deshalb werden in die Kündigungen verstärkt Arbeitnehmer höherer Altersgruppen einbezogen. Hierdurch soll die Sanierung des Unternehmens auf Dauer mit einem geeigneten Investor gefördert und Arbeitsplätze auf Dauer erhalten werden. Zu diesem Zweck werden Altersgruppen innerhalb des in die Sozialauswahl einzubeziehenden Personenkreises gebildet und stärkere Altersgruppen dabei überproportional abgebaut. Die Altersgruppen werden sowohl im gewerblichen Bereich als auch im Angestelltenbereich wie folgt gebildet:



bis 29 Jahre



30 bis 39 Jahre



40 bis 49 Jahre



50 bis 59 Jahre



ab 60 Jahre.



Die Betriebsparteien sind sich darüber einig, dass der vorgenannte Arbeitsplatzabbau hinsichtlich der betroffenen Anzahl und Namen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unerlässlich für die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur und für den Fortbestand des schuldnerischen Unternehmens ist. (...)



Im weiteren Verlauf des 30.11.2015 wurde der Klägerin im Anschluss an eine Betriebsversammlung eine auf diesen Tag datierte Kündigung übergeben, mit der der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 29.02.2016, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin kündigte und diese mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von der Arbeitsleistung freistellte. Parallel dazu wurde ein inhaltlich gleichlautendes Kündigungsschreiben der Klägerin per Boten durch Einwurf in den Hausbriefkasten zugestellt, welches die Klägerin nach Rückkehr von der Betriebsversammlung vorfand. Die Kündigungsschreiben unterscheiden sich lediglich insoweit, als dass im Namens- und Anschriftenfeld einmal "per Übergabe" und einmal "per Boten" vermerkt ist. Auch alle weiteren in der Namensliste genannten Arbeitnehmer erhielten eine Kündigung, soweit nicht zunächst die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen war. Von den Arbeitnehmern, die ebenso wie die Klägerin der Gruppe der Maschinenführer zugeordnet worden waren, wurden folgende nicht gekündigt:



- ..., geboren am 12.10.19.., betriebszugehörig seit 24.01.1995, keine Unterhaltspflichten, Betriebsratsmitglied;



- ..., geboren am 24.12.19.., betriebszugehörig seit 01.03.1995, keine Unterhaltspflichten, gemäß 3. d. des Interessenausgleichs als Spezialist für Lack, Siebdruck, Beschäumen aus der Sozialauswahl herausgenommen;



- ..., geboren am 07.12.19.., betriebszugehörig seit 23.08.2004, keine Unterhaltspflichten;



- ..., geboren am 11.04.19.., betriebszugehörig seit 01.09.1990, keine Unterhaltspflichten;



-..., geboren am 08.02.19.., betriebszugehörig seit 29.07.1992, keine Unterhaltspflichten.



Die Klägerin gehörte in der Gruppe der Maschinenführer als einzige der Altersgruppe "ab 60 Jahre" an. Insgesamt verblieben 27 Arbeitnehmer, die am 30.11.2015 50 Jahre und älter waren. Der Anteil dieser Gruppe an allen verbliebenen Arbeitnehmern beträgt ca. 42 %. Das Durchschnittsalter der verbliebenen Arbeitnehmer betrug am 30.11.2015 ca. 46 Jahre. Von der Gruppe der am 30.11.2015 60 Jahre und älteren Arbeitnehmer wurden nur folgende drei Arbeitnehmer nicht gekündigt:



- der am 28.03.19.. geborene Angestellte ...;



- der am 29.11.19.. geborene Angestellte ..., der mit Ablauf des 31.03.2016 in Rente ging;



- der am 23.04.19.. geborene gewerbliche Arbeitnehmer .... Dieser war in der Zeit vom 06.01.2014 bis 27.07.2015 arbeitsunfähig krank. Seit dem 28.07.2015 ist Herr ... auf eigenen Wunsch von der Arbeitsleistung freigestellt, da er sich nicht mehr in der Lage sieht, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.



Mit ihrer am 15.12.2015 beim Arbeitsgericht Dresden eingegangenen, gegen den Insolvenzverwalter gerichteten Klage, der eine Kopie der der Klägerin persönlich ("per Übergabe") übergebenen Kündigung beigefügt war, hat sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt. Nach Hinweis des Insolvenzverwalters auf das weitere Kündigungsschreiben, hat die Klägerin mit einem am 10.03.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz auch das "per Boten" übermittelte Kündigungsschreiben ausdrücklich zum Gegenstand ihrer Klage gemacht.



Mit einem am 16.02.2016 zugegangenen anwaltlichem Schriftsatz vom 15.02.2016 (Anlage K 11 zum Schriftsatz der Klägerin vom 14.04.2016; Bl. 258 d. A.) machte die Klägerin gegenüber dem Insolvenzverwalter einen Wiedereinstellungsanspruch mit sofortiger Wirkung geltend, ohne dass hierauf eine Reaktion erfolgte. In der Folge hat die Klägerin den Wiedereinstellungsanspruch mit ihrer am 14.04.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung gerichtlich weiter verfolgt.



Nachdem das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten mit Beschluss vom 29.07.2016 aufgehoben worden ist, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.08.2016 die Berichtigung des Beklagtenrubrums beantragt. Die vormalige Prozessbevollmächtigte des Insolvenzverwalters hat sich in der Folge auch für die Beklagte angezeigt und ist der Rubrumsberichtigung entgegengetreten. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Klägerin entsprochen.



Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es liege lediglich eine Kündigung vor, die zweimal erklärt worden sei. Die Frist des § 4 Satz 1 KSchG sei deshalb durch die am 15.12.2015 erhobene Klage gewahrt, auch wenn dieser nur das persönlich übergebene Kündigungsschreiben in Kopie beigefügt gewesen sei. Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei das Amt des Insolvenzverwalters erloschen mit der Folge, dass die Beklagte automatisch an dessen Stelle getreten sei, was im Prozess durch eine Rubrumsberichtigung zu berücksichtigen sei. Die Kündigung vom 30.11.2015 sei sozialwidrig und deshalb unwirksam. U.a. genüge die Sozialauswahl dem Maßstab des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nicht. Bereits die Bildung der Arbeitnehmer-/Vergleichsgruppen sei fehlerhaft. Es sei nicht nachvollziehbar, warum derart viele Gruppen gebildet worden seien. Bei 95 gewerblichen Arbeitnehmern in 17 Gruppen seien jeder Gruppe durchschnittlich gerade einmal 5 bis 6 Arbeitnehmer zuzuordnen, die wiederum auf fünf Altersgruppen zu verteilen seien. Eine Auswahl nach Sozialkriterien finde daher in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr statt, sondern werde komplett durch die Gruppenbildung ausgehebelt. Auch weiche die Bezeichnung der Schlosser-Gruppen von der tariflichen und unternehmensüblichen Bezeichnung ab. Jedenfalls sei sie auch in die Sozialauswahl der Schlosser- Gruppen mit einzubeziehen gewesen, da sie über eine entsprechende Qualifikation und Erfahrung verfüge, um eine solche Tätigkeit auszuführen. Es sei üblich gewesen, dass die Maschinenführer zu 50 % auch als Schlosser III eingesetzt worden seien. Des Weiteren werde in der Folge der Kündigungen keine ausgewogene Personalstruktur erzielt. Eine solche sei weder im Interessenausgleich beschrieben, noch ergäben sich die Vorstellungen der Betriebsparteien hierzu aus dem Vorbringen der Beklagten. Insgesamt führten die Kündigungen lediglich zu einer übermäßigen Verjüngung. Allein das Durchschnittsalter der Belegschaft zu reduzieren sei jedoch kein legitimes Ziel. Im Ergebnis verbleibe von den vormals 14 gewerblichen Arbeitnehmern im Alter von 60 und darüber nur ein dauerhaft arbeitsunfähiger im Unternehmen. Unter sozialen Gesichtspunkten habe ein Unternehmen jedoch auch ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen. Eine vollständige Verjüngung und Entlassung aller krankheitsgefährdeten Arbeitnehmer unter Umgehung der personenbedingten Kündigung sei auch im Insolvenzverfahren nicht erlaubt. Die Senkung des Altersdurchschnitts der Belegschaft auf 46 Jahre sei ein zufälliges, kein gesteuertes Ergebnis. Zudem stelle die Senkung des Altersdurchschnitts keine "Struktur" dar.



Die Klägerin hat zuletzt beantragt,



1. festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen des Insolvenzverwalters vom 30.11.2015 nicht aufgelöst worden ist;



2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten über den 29.02.2016 hinaus fortbesteht; sowie hilfsweise,



3. die Kündigungsschutzklage gegenüber der an sie mit Boten zugestellten Kündigung vom 30.11.2015 nachträglich zuzulassen;



4. die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages vom 15.02.2016 ab dem 16.02.2016 zu den Arbeitsbedingungen, wie sie zuvor zwischen ihr und der Beklagten gemäß Arbeitsvertrag vom 01.09.1972 in der Fassung der letzten Änderung vom 03./08.11.2010 zu einem Bruttogehalt nach Entgeltgruppe 7 des jeweils aktuellen mit der Gewerkschaft IG Metall geschlossenen Tarifvertrages bestanden, unter Berücksichtigung aktueller tariflicher Sonderregelungen für die Beklagte und unter Anrechnung der bisherigen Beschäftigungsdauer anzunehmen; sowie als uneigentlicher Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens in erster Instanz,



5. die Beklagte zu verurteilen, sie vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Maschinenführerin I weiter zu beschäftigen.



Die Beklagte hat beantragt,



die Klage abzuweisen.



Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei jedenfalls durch die am 30.11.2015 per Boten übermittelte Kündigung aufgelöst worden, denn die Klägerin habe diese nicht innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen. Unabhängig davon genügten die Kündigungen vom 30.11.2015 dem Maßstab des § 125 InsO. Insbesondere sei die durchgeführte Sozialauswahl nicht grob fehlerhaft. Die unterschiedlichen Schlossergruppen ergäben sich aus den unterschiedlichen Ausbildungen und der sich daraus ergebenen unterschiedlichen tariflichen Eingruppierung. Daraus ergäben sich auch unterschiedliche Hierarchieebenen. Bei den Maschinenführern gebe es keine Hierarchie; sie seien allein zwei Lohngruppen (7 und 8) zugeordnet. Eine Vergleichbarkeit der Klägerin mit den Schlossern, höher qualifiziert, bzw. Schlossern III bestehe nicht, da die Klägerin über keine abgeschlossene Facharbeiterausbildung als Schlosser verfüge. Zudem sei sie kraft Direktionsrechts nur als Maschinenführerin einsetzbar. Was unter einer ausgewogenen Personalstruktur zu verstehen sei, habe der Gesetzgebern nicht definiert. Die Schaffung einer solchen müsse für das Erreichen der Sanierung angemessen und erforderlich sein. An die entsprechende Darlegung dürften keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Vorliegend sei eine Absenkung des Altersdurchschnitts vom Betriebsrat mit Nachdruck gefordert worden und aus mehreren Gründen erforderlich gewesen. So habe der Anteil der krankheitsbedingten Fehlzeiten der Arbeitnehmer im Alter von 50 Jahren und älter vor Zugang der Kündigungen 77,69 % an den gesamten krankheitsbedingten Fehlzeiten betragen. 41 % seien auf die Arbeitnehmer im Alter von 60 Jahren und älter und 37 % auf die Arbeitnehmer im Alter von 50 bis 59 Jahren entfallen. Dadurch habe die Produktivität mit 116,8 Arbeitsstunden im Monat pro Arbeitnehmer weit unter dem branchenüblichen Durchschnitt von 158,9 Arbeitsstunden gelegen. Die durch die Überalterung bedingten erhöhten Kosten für die krankheitsbedingten Ausfälle hätten im Zusammenspiel mit der niedrigmargigen Auftragsfertigung eine wirtschaftlich sinnvolle Betriebsfortführung in Frage gestellt. Schon in der kurzen Zeit bis Ende Februar 2016 habe sich nach Freistellung der gekündigten Arbeitnehmer ein Anstieg der Produktivität auf 124,8 Arbeitsstunden ergeben. Unabhängig davon habe die Überalterung zu einer reduzierten Leistungsfähigkeit geführt, die mit einem effektiven Schichtmodell nicht kompatibel gewesen sei. Auch seien jüngere Mitarbeiter eher in der Lage, Maschinen und Einrichtungen mit komplexen Steuerungen zu betreiben. Die älteren Mitarbeiter hätten Weiterbildungen im technischen Bereich überwiegend abgelehnt. Sie hätten auch keine Bereitschaft gezeigt, Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit zu nutzen, weshalb sie nur begrenzt einsetzbar gewesen seien. Neun potentielle Investoren hätten während der vorläufigen Insolvenzverwaltung zunächst Interesse an einem Investorenprozess geäußert, davon jedoch aufgrund der stark überalterten Belegschaftsstruktur schnell wieder Abstand genommen. Die tariflichen Regelungen für ältere Arbeitnehmer und die überdurchschnittlich hohen Lohnkosten hätten außer Verhältnis zu der möglichen Marge der Produkte gestanden. Im Ergebnis habe daher zur Förderung des Sanierungserfolgs eine dementsprechende Personalstruktur geschaffen werden müssen. Der nunmehrige Altersdurchschnitt von ca. 46 Jahren liege noch immer über dem Durchschnittsalter in der Metall- und Elektroindustrie von 42 Jahren. Letzteres sei jedoch nicht erreichbar gewesen, da es Arbeitnehmer-/Vergleichsgruppen gegeben habe, in denen nur Arbeitnehmer im Alter von 50 und mehr beschäftigt gewesen seien. Deshalb hätten sich die Betriebsparteien darauf verständigt, mit dem Personalabbau das Durchschnittsalter aller Arbeitnehmer auf 46 Jahre zu senken. Selbst wenn die Kündigungen unwirksam seien, habe jedenfalls der Weiterbeschäftigungsantrag keinen Erfolg. Es bestehe ein überwiegendes Interesse an einer Nichtbeschäftigung der Klägerin. Eine Rubrumsberichtigung in der Folge der Aufhebung des Insolvenzverfahrens komme nicht in Betracht. Der Insolvenzverwalter und nicht sie habe die streitgegenständlichen Kündigungen erklärt. Aufgrund der punktuellen Streitgegenstandstheorie könne im Verhältnis zu ihr daher keine Feststellung erfolgen, dass die vom Insolvenzverwalter erklärte Kündigung ein Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe, welches im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung mit ihr nicht bestanden habe.



Mit seinem der Beklagten am 17.11.2016 zugestellten Urteil vom 14.11.2016 hat das Arbeitsgericht unter Klageabweisung im Übrigen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten durch die Kündigung des Insolvenzverwalters vom 30.11.2015 nicht aufgelöst worden ist, und die Beklagte entsprechend dem Klageantrag zu 5. zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am Montag, dem 19.12.2016 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung, die sie am 10.02.2017 begründet hat, nachdem die Frist zur Berufungsbegründung auf ihren am 16.01.2017 eingegangenen Antrag bis zum 17.02.2017 verlängert worden war.



Die Beklagte vertritt die Ansicht, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Sozialauswahl betreffend die Klägerin grob fehlerhaft sei. Dabei habe das Arbeitsgericht seiner Entscheidung zum Teil außerhalb des Anwendungsbereichs des § 125 InsO ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Grunde gelegt. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht die Anforderungen an die Darlegungslast im Hinblick auf die Zulässigkeit der Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur überspannt und teilweise entscheidungserheblichen Sachvortrag übergangen. So habe sie konkret vorgetragen, warum die vorgefundene Altersstruktur einer möglichen Sanierung im Wege gestanden habe. Sie habe dargestellt, dass der Altersdurchschnitt in ihrem Betrieb deutlich über dem Altersdurchschnitt vergleichbarer Unternehmen gelegen habe. Auch habe sie erläutert, welche konkrete Altersstruktur die Betriebsparteien hätten schaffen wollen und weshalb diese erforderlich gewesen sei. Damit sei es den Betriebsparteien gerade nicht nur darum gegangen, allein das Durchschnittsalter der Belegschaft zu reduzieren. Soweit das Arbeitsgericht die Ansicht vertrete, das Ergebnis der Sozialauswahl spreche gerade im gewerblichen Bereich dagegen, dass den Interessen der älteren Arbeitnehmer in irgendeiner Weise Rechnung getragen worden sei, sei dies unzutreffend. Selbst nach den Kündigungen betrage der Anteil der Arbeitnehmer ab 50 Jahren noch nahezu 50 %. 22 der verbliebenen gewerblichen Arbeitnehmer seien 50 Jahre und älter (= 47,04 %). Mit 46 Jahren liege der Altersdurchschnitt aller verbliebenen Arbeitnehmer immer noch über dem branchenüblichen Durchschnitt der Metall- und Elektroindustrie. Vor diesem Hintergrund könne keine Rede davon sein, es sei eine vollständige Verjüngung und Entlassung aller krankheitsgefährdeten Arbeitnehmer unter Umgehung von personenbedingten Kündigungen erfolgt. Schließlich habe sich das Arbeitsgericht im Rahmen der Begründung betreffend den Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin nicht einmal im Ansatz mit den Argumenten auseinandergesetzt, die sie insoweit gegen den Weiterbeschäftigungsanspruch vorgebracht habe.



Die Beklagte beantragt,



das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 14.11.2016 - 13 Ca 3686/15 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 19.12.2016 abzuändern und die Klage abzuweisen.



Die Klägerin beantragt,



die Berufung zurückzuweisen;



hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages vom 15.02.2016 ab dem 16.02.2016 zu den Arbeitsbedingungen, wie sie zuvor zwischen ihr und der Beklagten gemäß Arbeitsvertrag vom 01.09.1972 in der Fassung der letzten Änderung vom 03./08.11.2010 zu einem Bruttogehalt nach Entgeltgruppe 7 des jeweils aktuellen mit der Gewerkschaft IG Metall geschlossenen Tarifvertrages bestanden, unter Berücksichtigung aktueller tariflicher Sonderregelungen für die Beklagte und unter Anrechnung der bisherigen Beschäftigungsdauer anzunehmen.



Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend.



Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2017 (Bl. 1089 ff. d. A.) Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I.



Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sowie ausgeführte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 14.11.2016 ist zurückzuweisen, denn sie ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht nach den Anträgen der Klägerin erkannt.



A.



Zu Recht hat das Arbeitsgericht das Kündigungsschutzverfahren nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ab dem 29.07.2016 mit der vormaligen Schuldnerin als Beklagten fortzuführen. Diese ist kraft Gesetzes an die Stelle des vormals beklagten Insolvenzverwalters getreten.



Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse auf den Schuldner über (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Schuldner wird, von dem hier nicht einschlägigen Ausnahmefall des § 259 Abs. 3 InsO abgesehen, wieder selbst prozessführungsbefugt. Dies hat - da der Insolvenzverwalter einen anhängigen Prozess nicht nach § 265 Abs. 2 ZPO weiter führen kann - einen Parteiwechsel kraft Gesetzes zur Folge (vgl. BGH, Beschluss vom 07.04.2011 - V ZB 11/10 - Rz. 6, m.w.N., zitiert nach Juris). Dieser Parteiwechsel vollzieht sich nicht nur in vormaligen Aktivprozessen des Insolvenzverwalters, sondern auch dann, wenn der Insolvenzverwalter - wie hier - während des laufenden Insolvenzverfahrens beklagt worden ist. Das Gesetz hat in § 259 Abs. 3 InsO ausdrücklich nur einen konkreten Fall benannt, in dem der Insolvenzverwalter auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen anhängigen Rechtsstreit fortführen kann. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass er es in allen anderen Fällen nicht kann, da sein Amt gemäß § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO erloschen ist. Zwar mag es sein, dass in der aktuellen Rechtsprechung nur Fälle behandelt werden, in denen der Insolvenzverwalter als Kläger aufgetreten ist. Dies hindert aber nicht, die - insbesondere vom Bundesgerichtshof - allgemein gehaltenen und nicht auf Aktivprozesse beschränkten Rechtsgrundsätze auch auf Passivprozesse anzuwenden. Soweit die Beklagtenseite eine abweichende Auffassung vertritt, muss sie sich fragen lassen, was ohne Parteiwechsel kraft Gesetzes ansonsten mit einem Passivprozess geschehen soll. Führt ihn der Insolvenzverwalter mangels Amt als eigenen Prozess auf eigenes Kostenrisiko? Und mit welcher Konsequenz insbesondere in einem laufenden Kündigungsschutzverfahren? Oder ist ein Passivprozess einzustellen mit der Folge, dass evtl. eine neue Klage gegen den vormaligen Schuldner zu richten wäre? Alle diese Wege erscheinen als wenig praxistauglich und die damit verbundenen Probleme können durch einen Parteiwechsel kraft Gesetzes vermieden werden.



Ob sich der gesetzliche Parteiwechsel vom Insolvenzverwalter auf den Schuldner ohne weiteres oder entsprechend den Vorschriften der §§ 239 ff. ZPO vollzieht, kann vorliegend dahinstehen. Vorliegend war der Insolvenzverwalter durch eine Prozessbevollmächtigte vertreten mit der Folge, dass entsprechend § 246 Abs. 1 ZPO eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eintrat. Einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens hat die Prozessbevollmächtigte nicht gestellt.



B.



Zutreffend ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung des Insolvenzverwalters vom 30.11.2015 nicht aufgelöst worden ist.



1. Die Kündigung vom 30.11.2015 gilt nicht deshalb gemäß § 7 KSchG als wirksam, weil die Klägerin die ihr am 30.11.2015 per Boten übermittelte Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG eigenständig mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen hat. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.



a) Die Kündigungsschreiben des Insolvenzverwalters vom 30.11.2015 sind gemäß §§ 133, 157 BGB dahin auszulegen, dass der Insolvenzverwalter durch sie lediglich eine einheitliche Kündigung im Rechtssinne ausgesprochen hat, die lediglich auf zwei unterschiedlichen Wegen gegenüber der Klägerin verlautbart worden ist. Beide Schreiben betreffen denselben Kündigungsvorgang und sind in Form und Wortlaut völlig identisch. Allein die unterschiedliche Art der Übermittlung wird im Adressfeld durch den Vermerk "per Übergabe" bzw. "per Boten" verdeutlicht. Eine Angabe unterschiedlicher Kündigungsgründe, die für eigenständige Kündigungserklärungen sprechen könnte (vgl. insoweit BAG, Urteil vom 23.06.2009 - 2 AZR 474/07 - Rz. 22, NZA 2009, 1136, 1139), ist nicht erfolgt. Entsprechend hat die Beklagte beide Kündigungserklärungen auch auf denselben Lebenssachverhalt gestützt. Dem Insolvenzverwalter kam es ersichtlich darauf an, den Zugang der Kündigung auf zwei verschiedenen Wegen sicherzustellen, da er nicht sicher davon ausgehen konnte, dass die Klägerin an der Betriebsversammlung am 30.11.2015 teilnehmen würde, er aber zur Wahrung der Kündigungsfrist einen Zugang der Kündigung am 30.11.2015 gewährleisten musste. Dies spricht ebenfalls dafür, dass ein und dieselbe Kündigungserklärung der Klägerin mehrfach zugestellt worden ist (vgl. BAG, Urteil vom 06.09.2007 - 2 AZR 264/06 - Rz. 38, NZA 2008, 636, 640).



b) Unabhängig vom Vorstehenden und selbständig tragend wahrt die am 15.12.2015 eingegangene Kündigungsschutzklage der Klägerin die 3-Wochen-Frist im Hinblick auf beide Kündigungserklärungen. Der Insolvenzverwalter konnte aufgrund der Klage erkennen, dass sich die Klägerin gegen den durch das der Klage in Kopie beigefügte Kündigungsschreiben verkörperten Kündigungsvorgang insgesamt und nicht allein gegen die persönlich übergebene Kündigungserklärung wenden wollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 06.09.2007 - 2 AZR 264/06 - Rz. 40, m.w.N., NZA 2008, 636, 640) reicht es insoweit aus, dass die Klage dem beklagten Arbeitgeber die Gewissheit verschafft, dass der klagende Arbeitnehmer nicht gegen irgendeine Kündigung oder nur gegen eine von mehreren selbständigen Kündigungen vorgehen, sondern sich gegen einen einheitlichen Kündigungsvorgang zur Wehr setzen wollte, unabhängig davon, in welcher Erklärung eine Kündigung zu sehen war. Dies ist hier der Fall. Der Insolvenzverwalter konnte nicht ernsthaft davon ausgehen, dass es der Klägerin speziell darauf ankam, die persönlich übergebene Kündigung anzugreifen, die per Boten übermittelte, auf den selben Termin wirkende Kündigung dagegen nicht.



2. Die Kündigung vom 30.11.2015 ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, denn sie ist gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO sozial ungerechtfertigt. Die soziale Auswahl der gekündigten Arbeitnehmer ist im Hinblick auf die Klägerin grob fehlerhaft.



a) Die Kündigung vom 30.11.2015 unterfällt dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab des § 125 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat haben unstreitig vor Ausspruch der Kündigung unter dem 30.11.2015, 09.00 Uhr, einen Interessenausgleich unterzeichnet, mit dem eine Liste fest verbunden war, in der die Betriebsparteien die zu kündigenden Arbeitnehmer, u.a. die Klägerin, namentlich bezeichnet haben. Nach Vorlage des Originals in der Berufungsverhandlung hat die Klägerin ihr Bestreiten im Hinblick auf die Formalien des Interessenausgleichs aufgegeben. Der Interessenausgleich diente auch der Vorbereitung einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, denn der Insolvenzverwalter plante unstreitig eine wesentliche Einschränkung des Betriebes in Form einer Massenentlassung im Sinne von § 17 KSchG (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 09.11.2010 - 1 AZR 708/09 - Rz. 14, m.w.N., NZA 2011, 466, 467).



b) Die soziale Auswahl ist bezogen auf die Klägerin unter Beachtung der drei in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 InsO genannten Sozialdaten (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten) grob fehlerhaft. Dies gilt selbst dann, wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass die Betriebsparteien die Gruppen der vergleichbaren Arbeitnehmer zutreffend gebildet und die Klägerin zu Recht der Gruppe der Maschinenführer zugeordnet haben. Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt (st. Rspr., vgl. z.B. BAG, Urteil vom 19.12.2013 - 6 AZR 790/12 - Rz. 22, m.w.N., zitiert nach Juris). Dies ist bei einer Prüfung der Sozialauswahl auf der Basis der drei in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 InsO genannten Sozialdaten bezogen auf die Klägerin der Fall. Die Klägerin war unstreitig in der Gruppe der Maschinenführer mit weitem Abstand die älteste und am längsten betriebszugehörige Arbeitnehmerin. Entsprechend hat sie auf Basis des Interessenausgleichs einen Punktwert von 151 erreicht und der nächstfolgende, nicht gekündigte Maschinenführer (Herr ...) nur 102.



c) Die nach den allgemeinen Sozialkriterien gegebene grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl entfällt vorliegend entgegen der Ansicht der Beklagten nicht gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO. Es ist nicht erkennbar, dass es der Kündigung der Klägerin bedurfte, um eine ausgewogene Personalstruktur zu schaffen.



(1) Bei beabsichtigter Schaffung einer neuen Struktur gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO muss der Insolvenzverwalter vortragen, welche konkrete Personalstruktur die Betriebsparteien schaffen wollten und aus welchem Grund dies erforderlich war. Er ist insoweit darlegungs- und beweispflichtig. Aus dem Vortrag muss ersichtlich werden, dass die vereinbarte Altersgruppenbildung zur Erreichung des Ziels der sanierungsbedingten Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur angemessen und erforderlich ist. Die Vorlage des Interessenausgleichs kann nur dann ausreichen, wenn in diesem die erforderlichen Angaben bereits enthalten sind. Schlagwortartige Bezeichnungen genügen nicht. Sonst kann nicht überprüft werden, ob die Ungleichbehandlung durch das verfolgte Ziel gerechtfertigt ist. Das bloße Bestreben, das Durchschnittsalter der Beschäftigten zu reduzieren, ist für sich allein betrachtet kein legitimes Ziel (vgl. BAG, Urteil vom 19.12.2013 - 6 AZR 790/12 - Rz. 34, m.w.N., zitiert nach Juris).



Der Begriff der Personalstruktur in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO ist nicht mit dem der Altersstruktur gleichzusetzen. Er ist im Hinblick auf die Gesetzesbegründung, nach der dem Schuldner oder dem Übernehmer ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung stehen soll, in einem umfassenderen Sinn zu verstehen. Als weitere Aspekte einer Personalstruktur kommen deshalb auch die Ausbildung und die Qualifikation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und damit die Bildung entsprechender Qualifikationsgruppen und -bereiche in Betracht (so BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - Rz. 36, NZA 2004, 432, 435). Auch Leistungen, Fehlzeiten und bestimmte Verhaltensweisen können einbezogen werden (vgl. KR-Weigand, 11. Auflage, § 125 InsO Rz. 32).



(2) Ausgehend hiervon ist nicht zu erkennen, welche konkrete Personal- bzw. Altersstruktur die Betriebsparteien schaffen wollten. Allein das Erreichen eines bestimmten Durchschnittsalters (hier nach Behauptung der Beklagten 46 Jahre) ist keine "Struktur", wie die Klägerin zu Recht bemerkt hat. Es erscheint vielmehr so, dass die Betriebsparteien pauschal überproportional viele ältere Arbeitnehmer auf die Namensliste gesetzt haben, um das angeblich angestrebte Durchschnittsalter zu erreichen. Zwar hat die Beklagte verschiedene Aspekte angeführt, die im Rahmen der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur berücksichtigt werden dürfen (Fehlzeiten, Produktivität, Fachwissen, Bereitschaft zu Qualifizierung, Flexibilität bei der Arbeitszeit). Einen konkreten Niederschlag haben diese Aspekte im Rahmen der Auswahlentscheidung jedoch - soweit ersichtlich - nicht gefunden.



Die Betriebsparteien haben vielmehr offenbar die positiven Aspekte pauschal mit geringem Alter und die negativen Aspekte pauschal mit hohem Alter verknüpft und damit im Ergebnis allein das Alter berücksichtigt. Dies stellt jedoch keine sachgerechte Differenzierung dar, denn es ist keineswegs zwingend, dass die auf diese Weise verbliebenen Arbeitnehmer tatsächlich über die zur Sanierung der Beklagten erforderlichen positiven Eigenschaften verfügen.



(3) Unabhängig vom Vorstehenden und selbständig tragend ist die von den Betriebsparteien geschaffene Personalstruktur jedenfalls nicht ausgewogen. Was unter einer "ausgewogenen" Personalstruktur zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Zwar wird man den Betriebsparteien insoweit einen großen Gestaltungsspielraum zumessen müssen; dieser hat sich aber stets an den von ihnen verfolgten, zur Sanierung des Unternehmens erforderlichen Zielen zu orientieren, die ihrerseits mit den Interessen der betroffenen Arbeitnehmer abzuwägen sind.



Ausgehend hiervon ist nicht nachvollziehbar, warum gerade das von den Betriebsparteien angeblich angestrebte Durchschnittsalter von 46 Jahren für die Sanierung erforderlich war. Das Bundesarbeitsgericht hat noch bei einem Durchschnittsalter von 51 Jahren auf eine ausgewogene Struktur geschlossen (vgl. BAG, Urteil vom 19.12.2013 - 6 AZR 790/12 - Rz. 39, zitiert nach Juris). Der von der Beklagten angeführte Vergleich mit dem behaupteten Altersdurchschnitt der Branche von 42 Jahren stellt für sich genommen keine tragfähige Begründung der Vorgehensweise dar. Eine Wunschvorstellung der Arbeitgeberseite kann als solche keine Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertigen, anderenfalls wäre jeder Überprüfung der nach § 10 Satz 1 AGG anzuwendende objektive Maßstab entzogen (vgl. BAG, Urteil vom 19.12.2013 - 6 AZR 790/12 - Rz. 40, zitiert nach Juris).



Darüber hinaus ist nach allgemeinem Sprachverständnis etwas "ausgewogen", wenn alle maßgeblichen Aspekte in einem Gleichgewicht sind. Bezogen auf das Lebensalter muss es daher insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Gesetzgeber langjährig beschäftigten, älteren Arbeitnehmern grundsätzlich einen besonderen Schutz vor Kündigungen zukommen lässt, in einem Betrieb sowohl jüngere als auch ältere Arbeitnehmer geben. Von einer Ausgewogenheit kann daher jedenfalls dann nicht mehr gesprochen werden, wenn - wie hier - in der Gruppe der Arbeitnehmer mit einem Lebensalter von 60 und mehr praktisch keine gewerblichen Arbeitnehmer mehr beschäftigt werden. Zwar sind unstreitig zwei von vierzehn gewerblichen Arbeitnehmern der Altersgruppe 60+ nicht gekündigt worden. Diese können zur Begründung der Ausgewogenheit jedoch nicht herangezogen werden, da sie tatsächlich absehbar nicht im Betrieb beschäftigt blieben bzw. waren. Unstreitig ist Herr ... einen Monat nach Ablauf der Kündigungsfristen wegen Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Betrieb ausgeschieden, und Herr ... sah sich schon vor Abschluss des Interessenausgleichs selber dauerhaft nicht mehr in der Lage, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.



C.



In der Folge der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.11.2015 ist die Beklagte verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Maschinenführerin I weiter zu beschäftigen.



1. Der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Aus dem Antrag der Klägerin im Zusammenhang mit der Antragsbegründung kann mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, auf welche Beschäftigung der Antrag der Klägerin zielt. Im Antrag selber ist die Tätigkeitsbezeichnung benannt. Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus den mit der Klage zur Akte gereichten "Arbeitsvertraglichen Änderungen" zum 01.11.2010 nebst Anlage. Hierin sind die maßgebliche Lohngruppe und die Tätigkeitsbeschreibung enthalten.



2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Weiterbeschäftigungsantrag auch begründet.



a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Beschluss vom 27.02.1985 - GS 1/84 - NZA 1985, 702) überwiegt das Interesse des gekündigten Arbeitnehmers an einer Weiterbeschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus das Interesse des kündigenden Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung und damit der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch ein die Instanz abschließendes Urteil festgestellt wird, es sei denn, es liegen neben der Ungewissheit über den Prozessausgang zusätzliche, den Arbeitgeber besonders belastende Umstände vor, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers begründen.



b) Ausgehend hiervon überwiegt seit der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils, das die Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.11.2015 festgestellt hat, das Beschäftigungsinteresse der Klägerin. Besonders belastende Umstände, die ein überwiegendes Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung der Klägerin begründen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Zwar ist es richtig, dass der Insolvenzverwalter erstinstanzlich umfassend zu den negativen Auswirkungen einer Weiterbeschäftigung der Klägerin auf das Insolvenzverfahren vorgetragen hat. Diese Begründung trägt jedoch seit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr. Seit diesem Zeitpunkt befindet sich die Beklagte in der gleichen Situation wie jeder andere Arbeitgeber auch, der in der Folge einer unwirksamen betriebsbedingten Kündigung einen Arbeitnehmer weiter beschäftigen muss. Selbstverständlich ergeben sich hieraus (finanzielle) Belastungen. Diese sind aber regelmäßig zumutbar, solange eine Beschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers mit seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit noch möglich ist. Dies ist vorliegend der Fall. Unstreitig beschäftigt die Beklagte noch Maschinenführer in ihrem Betrieb.



II.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten der von ihr ohne Erfolg eingelegten Berufung zu tragen.



Die Zulassung der Revision für die Beklagte folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Es gilt daher die nachfolgende



Rechtsmittelbelehrung



[...]

Vorschriften§ 125 InsO, § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO, § 4 Satz 1 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG, § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 259 Abs. 3 InsO, § 265 Abs. 2 ZPO, § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO, §§ 239 ff. ZPO, § 246 Abs. 1 ZPO, § 7 KSchG, §§ 133, 157 BGB, § 1 Abs. 1 KSchG, § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 125 Abs. 1 InsO, § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, § 17 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 InsO, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO, § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, § 10 Satz 1 AGG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG

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