26.01.2018 · IWW-Abrufnummer 199191
Landesarbeitsgericht Sachsen: Beschluss vom 08.09.2016 – 4 Ta 67/16 (9)
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den die Prozesskostenhilfe aufhebenden Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.12.2015 - 3 Ca 806/14 - wird zurückgewiesen .
2. Die Rechtsbeschwerde wird für die Klägerin zugelassen.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde richtet sich gegen die Aufhebung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der ab 01.01.2014 geltenden Fassung wegen unterbliebener Mitteilung der Anschriftenänderung der Klägerin.
Der Klägerin wurde mit Beschluss des Arbeitsgerichts vom 20.05.2014 Prozesskostenhilfe zur Durchführung einer Klage auf Zahlung restlicher Vergütungsansprüche, auf Erteilung einer Lohnabrechnung für November 2013 sowie eines qualifizierten Arbeitszeugnisses bewilligt. Ihr wurde Rechtsanwältin ... als Prozessbevollmächtigte beigeordnet. Eine Ratenzahlungsanordnung erfolgte nicht.
Im Überprüfungsverfahren wurde die Klägerin mit Schreiben vom 20.10.2015 (Bl. 53 d. A. i. PKH-Heft) aufgefordert, sich zu ihren derzeitigen aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erklären. Dieses o. g. Schreiben konnte der Klägerin nicht "zugestellt" werden. Es kam mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt" zurück.
Aus der sich anschließenden Anfrage beim kommunalen Kernmelderegister ergab sich, dass die Klägerin bereits am 29.07.2014 umgezogen war und nunmehr unter der im Rubrum ersichtlichen Adresse wohnhaft ist.
Daraufhin wurde die Klägerin mit Schreiben vom 27.10.2015 (Bl. 56 d. A. i. PKH-Heft) zu einer beabsichtigten Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung wegen unterlassener Mitteilung der Anschriftenänderung angehört. Gleiches Schreiben ging auch der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu, die mit Schriftsatz vom 30.10.2015 (Bl. 59 d. A. i. PKH-Heft) die neue Anschrift der Klägerin mit ... in ... mitteilte.
Mit Beschluss vom 03.12.2015 hob das Arbeitsgericht die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nach § 124 Ziffer 4 ZPO wieder auf. Der Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11.12.2015 zugestellt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende sofortige Beschwerde der Klägerin vom 23.12.2015, beim Arbeitsgericht Leipzig eingegangen am gleichen Tag. Die Klägerin trägt unter Bezugnahme auf diverse Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte vor, dass sie zwar die neue Adresse nicht sofort mitgeteilt habe, jedoch sei dies weder absichtlich noch grob fahrlässig erfolgt. Es handele sich hierbei lediglich um eine einfache Fahrlässigkeit; sie habe ihre Sorgfalt in keinem ungewöhnlich hohen Maße verletzt.
Das Arbeitsgericht half mit Beschluss vom 02.03.2016 der sofortigen Beschwerde der Klägerin nicht ab und legte sie dem Sächsischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet, denn das Arbeitsgericht hat die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu Recht aufgehoben. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO n. F. liegen vor, da die Beschwerdeführerin die Mitteilung einer Adressänderung unterlassen hat.
1. Die zum 01.01.2014 erfolgte Neuregelung des § 124 ZPO ist anwendbar. Denn nach § 40 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung sind nur dann, wenn eine Partei vor dem 1. Januar 2014 für einen Rechtszug Prozesskostenhilfe beantragt hat, für diesen Rechtszug die §§ 114 bis 127 der Zivilprozessordnung (ZPO) in der bis zum 31.12.2013 geltenden Fassung anzuwenden. Der Antrag der Beschwerdeführerin datiert vom 17.02.2014, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse stammt vom 12.02.2014.
2. Nach § 120 a Abs. 2 ZPO ist die Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt wurde, verpflichtet, eine Verbesserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb von vier Jahren nach der rechtskräftigen Entscheidung oder Beendigung des Verfahrens dem Gericht ebenso unverzüglich mitzuteilen, wie eine Einkommensverbesserung von mehr als 100,00 € brutto monatlich oder den Wegfall einer entsprechenden Belastung. Gleichfalls besteht die Verpflichtung, eine Änderung der Anschrift dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.
Über diese Verpflichtung wird die antragstellende Partei mit der Antragstellung bereits im Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, dort unter Ziffer K, fettgedruckt, hingewiesen. Ein entsprechender Hinweis erfolgt zudem im Hinweisblatt zum Formular für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe.
Das Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit dem entsprechenden Hinweis wird auch i. d. R. durch die antragstellende Partei unterschrieben.
Nach § 124 Abs. 1 Ziffer 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei gegen die o. g. Verpflichtung absichtlich verstoßen oder aus grober Nachlässigkeit die Angaben unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
Voraussetzung der Aufhebung der Prozesskostenhilfe, die nach dieser Vorschrift der Regelfall bei einem entsprechenden Verstoß darstellt, wie sich aus der Formulierung des Abs. 1 als Sollbestimmung ergibt, ist ein Verstoß gegen die Verpflichtung aus § 120 a Abs. 2 Satz 1 bis 3 ZPO, und dieser muss absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit erfolgen.
a) Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben:
aa) Die antragstellende Partei gab in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zunächst eine Adresse in ... an, nach dem kommunalen Melderegister vom 23.10.2015 ist die Beschwerdeführerin jedoch seit 29.07.2014 unter der Anschrift ... in ... gemeldet.
bb) Die Änderung der Anschrift hat die antragstellende Partei nicht von sich aus dem Gericht mitgeteilt. Das Arbeitsgericht erlangte von der neuen Anschrift erstmals Kenntnis durch die Anfrage beim kommunalen Kernmelderegister vom 23.10.2015 (Bl. 55 d. A. i. PKH-Heft).
cc) Die Klägerin hat vorliegend unstreitig die Mitteilung einer Adressänderung unterlassen.
dd) Nach Auffassung der Beschwerdekammer ergeben sich aus der Neuregelung unter Ziffer K in dem Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse folgende Verpflichtungen bzw. Konsequenzen (vgl. insoweit die Beschlüsse d. LAG München v. 25.02.2015 - 10 Ta 51/15 - und 09.03.2015 - 10 Ta 8/15 -, beide zitiert in Juris, deren Auffassung auch die Beschwerdekammer vorliegend folgt).
Nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO muss die Mitteilung unverzüglich erfolgen, nachdem eine Adressänderung eingetreten ist. Unverzüglich bedeutet dabei "ohne schuldhaftes Zögern", die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB ist auch hierfür heranzuziehen. Die Mitteilung muss daher innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs-, Überlegungs- und Erklärungsfrist erfolgen. Insoweit führt das LAG München vom 25.02.2015 - 10 Ta 51/15 - (zitiert in Juris), dessen Auffassung wie gesagt auch die Beschwerdekammer vorliegend folgt, aus:
"Das subjektive Tatbestandsmerkmal der Vorsätzlichkeit oder der groben Nachlässigkeit bezieht sich dabei allein auf die Unrichtigkeit der Mitteilung (so auch Musielak/Voit, ZPO, 12 Auflage, § 124 Rdnr. 8 a). Das Merkmal "unverzüglich" enthält bereits in sich ein subjektives Element ("ohne schuldhaftes Zögern"). Es sind keine Hinweise ersichtlich, dass die o. g. Legaldefinition durch die Erwähnung von Vorsatz und grober Nachlässigkeit eingeschränkt werden soll. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, die dazu auf § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO verweist, wo von unverzüglicher Mitteilung nicht die Rede ist. Schließlich spricht dafür, dass das entscheidende Gericht häufig wohl nicht beurteilen könnte, ob eine unterlassene oder verspätete Mitteilung aus Absicht oder aus grober Nachlässigkeit erfolgte."
Bereits in dem Begriff "unverzüglich" ist ein Verschuldensmoment enthalten. Denn hat eine Mitteilung "unverzüglich" zu erfolgen, so hat diese gemäß § 121 Satz 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen. Der darin enthaltene Verschuldensmaßstab mag zwar, wie das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 10.06.2015 - 4 Ta 8/15 - zutreffend ausführt, deutlich geringer sein als der Maßstab der Absicht oder der groben Nachlässigkeit. Dass jedoch neben dem ersten Verschuldensmaßstab "unverzüglich" noch ein zweiter Verschuldensmaßstab der Absicht oder der groben Nachlässigkeit in der neuen Bestimmung des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO enthalten sein soll, ergibt sich hier weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes.
Außerdem macht die Berücksichtigung zweier Verschuldensmaßstäbe in einem Satz auch nur wenig Sinn. Der Gesetzgeber wollte mit der neuen Bestimmung im Prozesskostenhilfe-Überprüfungsverfahren und Prozesskostenhilfe-Aufhebungsverfahren eine Sanktion erreichen.
Dies mit einem weiteren Verschuldensmaßstab Absicht oder grobe Nachlässigkeit zu unterlaufen, ist nicht Sinn und Zweck des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Bestimmung lediglich die abstrakte Gefahr der unterlassenen Mitteilungspflicht als solche sanktionieren.
Die Verpflichtung zur Mitteilung von Adressänderungen lediglich als ergänzendes Hilfsmittel gegenüber der Verpflichtung zur Mitteilung der Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu betrachten, überzeugt hier nicht. Die in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO normierten Mitteilungspflichten stehen sich hier gleichrangig gegenüber, von einer Gewichtigkeit dieser Pflichten kann keine Rede sein.
Das Ausmaß eines evtl. Verschuldens im Einzelfall reduziert sich - so mit dem LAG München vom 25.02.2015 a. a. O. - nicht auf die Frage der Rechtzeitigkeit. Das Ausmaß des Verschuldens kann Auswirkungen darauf haben, ob ein Regelfall oder ein atypischer Fall vorliegt, und es kann in eine evtl. erforderlich werdende Ermessensausübung einfließen (s. dazu unten).
Die Aufhebung der Prozesskostenhilfe hat Sanktionscharakter (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung zu § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Die Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung ist nach dem Willen des Gesetzgebers für den Regelfall die angemessene Sanktion für einen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht. Daraus folgt zum einen, dass sie i. d. R. unabhängig davon erfolgen soll, ob sich durch die Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auswirkungen auf die Prozesskostenhilfe-Bewilligung ergeben. Ansonsten hätte § 124 Abs. 1 ZPO keinen sinnvollen Regelungsbereich, da unabhängig davon die Änderungsmöglichkeit des § 120 a Abs. 1 ZPO bei wesentlicher Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse besteht, worauf die Gesetzesbegründung ausdrücklich hinweist. Zum anderen folgt daraus, dass eine nur teilweise Entziehung nach dieser Vorschrift nicht möglich ist (wie hier Musielak/Voit § 124 Abs. 1 ZPO Rdnr. 2).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich hier Folgendes:
aa) Die Beschwerdeführerin hat gegen die o. g. Mitwirkungspflicht verstoßen. Sie hat die zum 29.07.2014 erfolgte Adressänderung nicht unverzüglich angezeigt.
Die Pflicht zur Mitteilung einer Adressänderung ergänzt die Pflicht, nachträgliche Verbesserungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen. Teilt eine Partei einen Anschriftenwechsel nicht von sich aus mit, ist das Gericht nicht oder nur nach aufwendigen Ermittlungen in der Lage, ein Verfahren zur Änderung oder Aufhebung der Bewilligung zu betreiben (Bundestagsdrucks. 17/11472).
Die Mitteilung der Adressänderung durch den Klägervertreter unter dem 28.12.2015 (Bl. 52 d. A. i. PKH-Heft) ist nicht mehr unverzüglich. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt keinen nachvollziehbaren Grund für eine so späte Mitteilung erkennen.
Die Beschwerdeführerin wurde auch darauf hingewiesen, dass eine Adressänderung unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen ist, und dass bei einem Verstoß hiergegen die Bewilligung aufgehoben werden kann (§ 120 a Abs. 2 Satz 4 ZPO).
bb) Nach hiesiger Überzeugung ist bei einer unterlassenen Mitteilung nicht Voraussetzung, dass dies absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit erfolgte (s. o.). Das Ausmaß eines evtl. Verschuldens ist bei der Frage zu prüfen, ob ein atypischer Fall vorliegt und fließt in eine u. U. zu treffende Ermessensentscheidung ein (vgl. so auch LAG München vom 25.02.2015 a. a. O.). Auch wenn man diese Auffassung nicht teilen wollte, ergibt sich im zu entscheidenden Fall kein anderes Ergebnis. Die Beschwerdeführerin wurde darauf hingewiesen, dass eine Adressänderung unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen ist, und dass bei einem Verstoß hiergegen die Bewilligung aufgehoben werden kann. Sie hat dennoch gegen diese Mitteilungspflicht verstoßen und damit den objektiven Tatbestand erfüllt. Eine fehlende Mitteilung trotz eindeutigem und im Druckbild herausgehobenem Hinweis lässt daraus schließen, dass das Unterlassen zumindest grob nachlässig erfolgte. Es ist dann an der Beschwerdeführerin, das zu erschüttern.
Rechtsfolge dieses Verstoßes ist, dass das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben soll (§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt und umgesetzt.
Der Gesetzgeber hat bewusst das Wort "soll" und nicht das Wort "muss" verwendet. Das Gericht ist daher nicht in jedem Fall gezwungen, die Prozesskostenhilfe-Bewilligung aufzuheben. Dem entspricht auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11472), die betont, dass "Grundsätzlich ... bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 kein Raum für ein gerichtliches Ermessen (ist). Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die völlige Aufhebung gerichtlicher Spielräume in besonders gelagerten Einzelfällen zu unangemessenen Ergebnissen führen könnte. Deshalb ist Abs. 1 als Soll-Vorschrift auszugestalten, die zwar bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Aufhebung als Regelfall vorsieht, in atypischen Fällen aber eine andere Entscheidung zulässt." (gleichlautend bereits BR-Drs. 516/12).
cc) Ob ein solcher atypischer Fall gegeben ist, der den Weg zu einer Ermessensentscheidung eröffnet, ist nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern dieser vorgelagert (vgl. BSG v. 11.02.1988 - 7 RAr 55/86 - zitiert n. Juris). Diese Frage unterliegt daher - im Gegensatz zur zu treffenden Ermessensentscheidung selbst - der vollen Überprüfung in der Beschwerde. Liegt ein atypischer Fall vor, dann muss das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung das Ermessen ausüben und dies auch in der Begründung erkennen lassen. Ansonsten liegt ein fehlerhafter Nichtgebrauch des Ermessens vor, was zur Aufhebung der Entscheidung führt. Das Gericht hat dann erneut zu entscheiden. Dem gleichzustellen ist eine nur formelhafte Begründung, weil eine solche die maßgeblichen Kriterien der Entscheidung nicht erkennen lässt. Im Zweifel ist daher dem entscheidenden Gericht anzuraten, hilfsweise von einem Ausnahmefall auszugehen oder zumindest hilfsweise nach Ermessen zu entscheiden. Möglich ist auch, solche Erwägungen im Rahmen der Abhilfeentscheidung vorzunehmen, wenn ein Vorbringen in der Beschwerde dazu Anlass bietet. Eine diese Möglichkeit einschränkende Norm ist nicht ersichtlich.
Bei Vorliegen eines atypischen Falls ist die dann zu treffende Ermessensentscheidung über die Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung nicht negativ präjudiziert. Die Gründe, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, eine Aufhebungsmöglichkeit bei Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vorzusehen, fließen aber im Rahmen der Ermessensausübung ein. Liegt ein atypischer Fall vor, hat das Gericht daher mehr Flexibilität, um den besonderen Umständen des konkreten Falles ausreichend Rechnung zu tragen. Rechtswidrigkeit einer Ermessensentscheidung ist gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. LAG München vom 25.02.2015 a. a. O.).
Liegt kein atypischer Fall vor, dann versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung. Nur dann, wenn dem Arbeitsgericht außergewöhnliche Umstände bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind (vgl. BVerwG v. 16.06.1987 - 3 C 22/96 - zitiert n. Juris). In einem solchen Fall wäre die Aufhebung rechtsfehlerhaft und die Entscheidung deswegen aufzuheben.
dd) Ob ein atypischer Fall vorliegt, hängt vom Zweck der Regelung und den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass die Mitwirkungspflicht grundsätzlich zumutbar ist, die Partei wird durch sie regelmäßig nicht unzumutbar belastet. Die Einhaltung der Mitteilungspflicht ist gleichzeitig für das Gericht von großer Bedeutung, weil es i. d. R. nur mit Hilfe dieser Mitteilungen in die Lage versetzt wird, der Aufgabe der Nachverfolgung bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne übermäßigen Aufwand gerecht zu werden.
Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die Umstände des Einzelfalles im Hinblick auf die mit der Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung verbundenen Nachteile von den Normalfällen so signifikant abweichen, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen. Ein solcher atypischer Fall ist allerdings nicht allein deshalb gegeben, weil nach Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung die Staatskasse Ansprüche geltend machen und der beigeordnete Anwalt gegen seine Partei vorgehen kann; denn die mit der Aufhebung der Prozesskostenhilfe verbundene Härte mutet das Gesetz jedem Betroffenen zu. Auch eine schlechte Einkommens- und Vermögenslage führt noch nicht ohne weiteres zu einem atypischen Fall, da der Gesetzgeber die Leistungsfähigkeit nicht zur Voraussetzung für die Aufhebung gemacht hat. Zu berücksichtigen ist aber, wenn eine Partei infolge der Aufhebung der Prozesskostenhilfe in eine darüber hinausgehende besondere Bedrängnis gerät. Auch ein besonders geringes Ausmaß des Verschuldens kann zur Annahme eines atypischen Falls führen. Ein atypischer Fall kann auch vorliegen, wenn besondere Umstände vorliegen, welche die Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung als unbilligen Eingriff in die persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen erscheinen lassen. Hier kann das Lebensalter, dessen soziale Verhältnisse, Familienstand oder Gesundheitszustand von Bedeutung sein. Schließlich kann sich auch bei Vorliegen mehrerer Umstände, die für sich gesehen keinen atypischen Fall begründen, im Rahmen einer vorzunehmenden Gesamtschau ein atypischer Fall herauskristallisieren (vgl. LAG München vom 25.02.2015 - 10 Ta 51/15 - a. a. O.).
c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich hier Folgendes:
aa) Aus der Einlassung der Klägerin ergibt sich, dass diese ihrer Mitteilungspflicht bewusst nicht nachgekommen ist. Die Klägerin hat hier eine Mitteilung vollständig unterlassen - sei es, dass sie es vergessen oder ignoriert hat -, so dass von einem geringen Verschulden ihrerseits, das für einen atypischen Fall sprechen könnte, bei dem das Ermessen durch das Arbeitsgericht auszuüben wäre, nicht auszugehen ist.
bb) Ein atypischer Fall ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Antragstellerin ggf. über ihren Prozessbevollmächtigten erreichbar blieb. Dies stellt in Prozesskostenhilfeverfahren gerade den Regelfall dar. Dennoch hat der Gesetzgeber die Sanktion des Entzugs der Prozesskostenhilfe als Regelfall vorgesehen.
Die Beschwerdekammer folgt nicht der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20.07.2015 - 21 Ta 975/15 - Juris, wonach ein Unterlassen des Anschriftenwechsels unschädlich ist, wenn die Partei anwaltlich vertreten war. Zwar ist zutreffend, dass an die anwaltlich vertretene Partei auch im Prozesskostenhilfeverfahren über ihren Rechtsanwalt zugestellt werden kann, da sich die Vollmacht des Prozessbevollmächtigten auf das PKH-Bewilligungs- und Überwachungsverfahren erstreckt (vgl. BAG vom 19.07.2006 - 3 AZB 18/06 -, BGH vom 08.12.2010 - XII ZB 38/09 -). Die Umwandlung der "Kann"-Vorschrift des § 124 ZPO in eine "Soll"-Vorschrift sollte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich eine gerichtliche Ermessensentscheidung ausschließen, abgesehen von besonders gelagerten atypischen Einzelfällen (Bundestagsdrucksache 17/11472, S. 34). Ausdrücklich unterscheidet die Gesetzesbegründung zwischen dem Unterlassen einer Änderungsmitteilung und einer erstatteten, aber inhaltlich unrichtigen Änderungsmitteilung und sieht die Sanktion der Aufhebung im Regelfall als begründet an (Bundestagsdrucksache a. a. O., S. 35 zu Buchst. dd).
cc) Dass eine Partei nach einem Umzug viel zu erledigen und je nach persönlicher Situation damit verbunden entsprechend viel an Mehrbelastungen "um die Ohren" haben kann, ist keine atypische, sondern eine typische Situation und kann ein Abweichen von der Sollvorschrift nicht begründen, anderenfalls sie im Ergebnis leerlaufen würde (vgl. dazu etwa LAG Düsseldorf vom 29.07.2015 - 2 Ta 372/15 -, vom 04.02.2015 - 2 Ta 588/15 -). Dabei bedeutet "unverzüglich" bei der Mitteilung der Adressänderung an das Gericht nicht, dass ein Wohnungswechsel dem Gericht innerhalb weniger Tage nach dem Umzug bekanntzumachen ist. Es ist nachvollziehbar und nicht zu beanstanden, wenn ein gewisser - kurzer - Zeitraum zwischen Wohnungswechsel und der Nachricht an das Gericht vergeht. Ein Zeitraum von mehr als ein Jahr - wie vorliegend - ist jedoch nicht mehr im Rahmen der zuzubilligenden Toleranzgrenzen (LAG Düsseldorf vom 03.07.2015 - 2 Ta 309/15 -, Groß, BerH Prozesskostenhilfe 13. Auflage § 124 Rz. 22 geht sogar nur von einer zweiwöchigen Karenzzeit aus). Denn Ziel der Gesetzesänderung, die zur jetzigen Rechtslage geführt hat, ist u. a. die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe effizienter zu gestalten. Von einer Adressänderung kann das Gericht i. d. R. nur durch eine Mitteilung eines Hilfeempfängers Kenntnis erlangen. Diese Pflicht ist ihm i. d. R. zumutbar. Durch die daran anknüpfende regelhafte Aufhebung, wenn der Hilfeempfänger seiner Pflicht der Anzeige der Adressänderung nicht oder ungenügend nachkommt, wird die Einhaltung dieser Pflicht abgesichert (BT-Drs. 17/11472). Diese scharfe Sanktion betont die Bedeutung dieser Verpflichtung und stellt damit klar, dass an die einzuhaltende Sorgfalt bei der Erfüllung dieser Verpflichtung keine zu geringen Anforderungen zu stellen sind.
Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen aber auch nicht überspannt werden. Der Gesetzentwurf betont an mehreren Stellen die hohe Bedeutung der Prozesskostenhilfe und auch deren verfassungsrechtliche Relevanz gerade im Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch und das Sozialstaatsgebot. Beide Verfassungsgrundsätze würden verletzt, wenn bereits geringe und geringste Pflichtverletzungen zu einer regelhaften Aufhebung führen würden. Die Verfassung verbietet es, an die Mitwirkungspflichten überhöhte Anforderungen zu stellen und damit die Sicherstellung des Existenzminimums in einer Art und Weise zu erschweren, die nicht mehr mit dem Gesetzesauftrag an die Verwaltung, die Voraussetzungen des Vollzugs durch die Mitteilungspflicht sicherzustellen, zu vereinbaren ist. Der Gesetzgeber möchte diejenigen belangen, die ihre Mitteilungspflicht nicht oder nur nachlässig erfüllen (vgl. auch LAG München vom 25.02.2015 a. a. O.).
In dem hier zu entscheidenden Fall liegt daher kein atypischer, sondern ein typischer Fall vor, so dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung durch das Arbeitsgericht zu Recht erfolgte.
Dementsprechend war daher die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.12.2015 zurückzuweisen.
Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen.
Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende allein ergehen (§§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 568 Abs. 1 ZPO, 127 II Satz 2 erster Halbsatz ZPO i. V. m. §§ 64 Abs. 7, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).
Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 78 Abs. 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage für die Klägerin zuzulassen.