24.01.2018 · IWW-Abrufnummer 199126
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 06.06.2016 – 9 Sa 11/16
Führt eine selbständige Betriebsärztin im Betrieb eine Grippeschutzimpfung als Maßnahme der allgemeinen Gesundheitsvorsorge durch, haftet der Arbeitgeber nicht für einen möglichen Impfschaden. Der Behandlungsvertrag kommt zwischen Arzt und Arbeitnehmer zustande.
In der Rechtssache
- Klägerin/Berufungsklägerin -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
- Streithelferin -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 9. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Tillmanns, die ehrenamtliche Richterin Dietze und den ehrenamtlichen Richter Happle auf die mündliche Verhandlung vom 06.06.2016
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 14.12.2015, Az. 1 Ca 226/14 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten als ihrer früheren Arbeitgeberin Zahlung eines angemessenen Schmerzensgelds und die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz. Die Klägerin begründet dies damit, dass sie bei einer im Betrieb der Beklagten in der Mittagspause durchgeführten Grippeschutzimpfung durch die Betriebsärztin der Beklagten einen Impfschaden erlitten habe.
Die Klägerin war ab dem 16.5.2011 im U. als Angestellte in der Abteilung Controlling beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete zum 18.5.2012 durch einen Aufhebungsvertrag vom 10.11.2011.
Die Betriebsärztin der Beklagten Frau Dr. B. sowie die Betriebsärztin Frau Dr. W. riefen in einer E-Mail vom 2.11.2011 alle Mitarbeiter zur Teilnahme an einer Grippeschutzimpfung auf. In der E-Mail (Anl. K1 Akten Bl. 18 der arbeitsgerichtlichen Akte) hieß es:
Die Impfung war für die Mitarbeiter kostenlos, die Beklagte übernahm sämtliche Kosten.
Am 8.11.2011 führte Frau Dr. B. bei der Klägerin die Grippeschutzimpfung durch. Unstreitig ist, dass die Impfung ohne Behandlungsfehler durchgeführt worden ist. Streitig ist jedoch, ob die Klägerin zuvor über die Risiken aufgeklärt worden ist und ob die Klägerin tatsächlich einen Impfschaden erlitten hat.
Mit Anwaltsschreiben vom 12.08.2014 machte die Klägerin Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche gegenüber der Beklagten wegen eines ärztlichen Aufklärungs- bzw. Behandlungsfehlers bei der am 08.11.2011 erfolgten Grippeschutzimpfung geltend.
Die Beklagte lehnte dies ab und verwies darauf, mögliche Ansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz beim Landratsamt geltend zu machen.
Frau Dr. B., die die Impfung ausgeführt hat, ist bei der Beklagten als freiberufliche Betriebsärztin aufgrund eines Vertrages vom 30.1.1997 tätig. Nach § 2 des Vertrages übernimmt Frau Dr. B. die Aufgaben einer Betriebsärztin, die sich aus dem Arbeitssicherheitsgesetz ergeben.
Durch zwischenzeitlich rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 21.4.2015 wies das Sozialgericht Freiburg die Klage der Klägerin auf Feststellung, dass es sich bei dem behaupteten Schaden um einen Arbeitsunfall gehandelt habe zurück (Az. S 3 U 68/14). Darüber hinaus macht die Klägerin wegen des von ihr behaupteten Schadens Ansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz geltend, die Gegenstand eines Verfahrens vor dem Sozialgericht Bremen mit dem Az. S 3 VE 7/15 sind. Hier liegt noch keine Entscheidung vor.
Mit Schriftsatz vom 30.10.2015 verkündete die Beklagte Frau Dr. B. den Streit, die mit Schriftsatz vom 2.12.2015 den Beitritt auf Seiten der Beklagten erklärte.
Vor dem Arbeitsgericht hat die Klägerin vorgetragen, sie habe durch die Grippeschutzimpfung vom 08.11.2011 einen erheblichen Folgeschaden erlitten. Wenige Stunden nach der Impfung sei es bei ihr zu starken Schmerzen mit erheblicher Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule gekommen, welche bis heute andauerten. Sie leide an Encephalomyelitis, Trigeminusneuralgien V3 links, Occopitalis-Neuralgien links, Retroauricularis-Neuralgien links, spinale Gangataxie mit pathologischen Reflexen und Sigalateration der Densspitze. Seit der Grippeschutzimpfung habe sie mit Nackensteifigkeit, beginnenden Lähmungserscheinungen und Gefühlsstörungen sowohl im Gesicht als auch in den Händen und im rechten Bein zu kämpfen. Sie leide nach wie vor täglich unter erheblichen Schmerzen mit brennendem oder stechenden Charakter. Derartige Nebenwirkungen seien im Beipackzettel des verwendeten Impfstoffes (Anl. K7 der arbeitsgerichtlichen Akte) erwähnt.
Die Beklagte hafte für den erlittenen Impfschaden, weil sie vor der Durchführung der Grippeschutzimpfung nicht über mögliche Folgeschäden aufgeklärt habe. Wäre das geschehen, hätte sie die angebotene Impfung im Betrieb nicht durchführen lassen. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sei ihr nicht möglich, weswegen sie ein Interesse an der Feststellung habe, dass die Beklagte zum Ersatz des ihr entstandenen und noch entstehenden Schadens als Folge der Influenza-Impfung verpflichtet ist.
Die Klägerin hat daher vor dem Arbeitsgericht beantragt:
Die Beklagte hat beantragt,
Sie trägt zur Begründung vor, die Aufklärung vor der Impfung sei durch ein an der Impfstelle an einer Stellwand angebrachtes Plakat ordnungsgemäß erfolgt. Wegen des Plakates weist die Beklagte auf die Anl. B1, Akten Bl. 57 der arbeitsgerichtlichen Akte hin. Darüber hinaus habe Frau Dr. B. die Klägerin vor der Impfung befragt, ob sie die schriftliche Aufklärung über die Grippeschutzimpfung einschließlich der damit verbundenen möglichen Nebenwirkungen zur Kenntnis genommen habe und mit der Impfung einverstanden sei. Nachdem die Klägerin dies bejaht habe, habe Frau Dr. B. die Impfung lege artis durchgeführt. Zudem bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin und der in den Räumen der Beklagten durchgeführten Grippeschutzimpfung. Zudem könne der Beklagten keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden, da nicht die Beklagte als Arbeitgeberin, sondern die freiberuflich tätige Ärztin Frau Dr. B. die Impfung durchgeführt habe und daher ein Behandlungsvertrag zwischen der Klägerin und Frau Dr. B., nicht jedoch mit der Beklagten zustande gekommen sei. Zudem sei das Schmerzensgeld völlig überzogen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 14.12.2015 zurückgewiesen und ausgeführt, zwischen der Klägerin und der Beklagten sei kein Behandlungsvertrag zustande gekommen, da die Beklagte nicht die allgemeine Gesundheitsfürsorge für ihre Mitarbeiter schulde. Die Aufklärungspflicht treffe den Vertragspartner des Behandlungsvertrages. Das sei jedoch nicht die Beklagte, sondern Frau Dr. B.. Diese habe zur Grippeschutzimpfung eingeladen, nicht die Beklagte, die lediglich die Kosten hierfür übernommen habe. Frau Dr. B. sei auch nicht in ihrer Funktion als Betriebsärztin tätig geworden, denn allgemeine Grippeschutzimpfungen gehörten nach § 3 ASiG nicht zu den Aufgaben der Betriebsärzte. Werde gleichwohl von einem durch den Arbeitgeber als Betriebsarzt eingesetzten Arzt eine Schutzimpfung durchgeführt, komme im Verhältnis zwischen den Arbeitnehmern, die sich impfen lassen und dem Arbeitgeber kein stillschweigend geschlossener ärztlicher Behandlungsvertrag zu Stande. Dies sei weder für die Klägerin noch für die Beklagte interessengerecht: Weder habe ein Arbeitgeber regelmäßig die personellen und materiellen Ressourcen, um seinen Mitarbeitern ärztliche Heilbehandlungen fachgerecht anzubieten und für die beschäftigten Arbeitnehmer bestehe im Hinblick auf das Sozialversicherungssystem der Krankenversicherung regelmäßig auch kein wirtschaftliches Bedürfnis für eine ärztliche Heilbehandlung durch den Arbeitgeber. Da zwischen der Beklagten und der Klägerin kein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist, hafte die Beklagte auch nicht für ein eventuelles Verschulden von Frau Dr. B..
Die Beklagte treffe auch keine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis zur Aufklärung über Impfrisiken. Bei der in den Räumen der Beklagten angebotenen Grippeschutzimpfung und der damit verbundenen Risiken gehe es nicht um die Aufklärung über Risiken, die sich im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung ergeben. Ziel des Arbeitsschutzgesetzes sei es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu verbessern. Die Grippeschutzimpfung stehe jedoch nicht mit der Erbringung der Arbeitsleistung im Zusammenhang, weil die Klägerin nicht im Pflegebereich tätig gewesen sei. Auch aus § 241 Abs. 2 BGB ergebe sich keine Aufklärungspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin. Die ärztliche Behandlung zur allgemeinen Gesundheitsfürsorge sei dem privaten Lebensbereich zuzuordnen, denn die Durchführung der Impfung sei keine Voraussetzung zur Erbringung der Arbeitsleistung und stehe mit dieser auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang, auch wenn die Beklagte mittelbar durch einen geringeren Grad an Arbeitsunfähigkeit davon profitieren könne.
Gegen das der Klägerin am 11.1.2016 zugestellte Urteil legte sie fristgerecht am 11.2.2016 beim Landesarbeitsgericht Berufung ein und begründete diese dann innerhalb der aufgrund eines fristgerechten Verlängerungsantrags vom 10.3.2016 bis zum 11.4.2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist fristgerecht am 11.4.2016.
Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin unter Bezugnahme auf eine entsprechende Publikation (Bauer, AuR 2009 Seite 123, "Impfen in der Mittagspause?") vor, Impfungen seien klinisch erfahrenen und freipraktizierenden Ärzten vorbehalten und gehörten nicht zu den Aufgaben der Betriebsärzte. Die Betriebsärzte hätten ausschließlich eine beratende Funktion, hätten aber keine rechtfertigende Indikationsstellung, um Impfungen selber durchzuführen. Da der Betriebsarzt zu Impfungen nicht ausdrücklich befugt sei, könne er sich, wenn er eine Grippeschutzimpfung durchführe auf keine ermächtigende Rechtsgrundlage berufen. Die Beklagte habe es jedoch zugelassen, dass Frau Dr. B. außerhalb ihres Aufgabenbereiches als Betriebsärztin, obwohl sie zu Impfungen nicht befugt gewesen sei, eine Impfung durchgeführt habe. Auch fehle Frau Dr. B. die kassenärztliche Zulassung, so dass sie entgegen der arbeitsgerichtlichen Auffassung gleichwohl als Betriebsärztin der Beklagten die Klägerin geimpft habe, ohne dazu befugt gewesen zu sein. Daher hafte die Beklagte für das Verhalten von Frau Dr. B. und den der Klägerin durch diese zugefügten Impfschaden.
Die Klägerin beantragt daher:
Die Beklagte beantragt,
Sie trägt zur Begründung vor, die Berufung sei bereits unzulässig, weil die Berufungsbegründung keinen Vortrag enthalte, der eine Abweichung von der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts rechtfertigen könne. In der Berufungsbegründung würden keine konkreten Einwände vorgebracht werden, wieso das arbeitsgerichtliche Urteil falsch sei. Die Berufungsbegründung setze sich an keiner Stelle konkret mit den Entscheidungsgründen im angefochtenen Urteil auseinander. Die Berufung erschöpfe sich darin, dass vorgetragen werde, dass die Rechtslage bei Durchführung von Impfungen durch Betriebsärzte unklar sei. Im Übrigen sei die Berufung auch unbegründet. Zwischen der Klägerin und der Beklagten sei kein Behandlungsvertrag zustande gekommen, aus dem eine Aufklärungspflicht abgeleitet werden könne. Dabei könne dahinstehen, ob die Durchführung von Schutzimpfungen zum Aufgabenbereich der Betriebsärzte gehöre. Jeder Arzt sei befugt, Impfungen durchzuführen, wenn er approbiert ist. Jeder Arzt erfülle mit der Erlangung der Approbation die Qualifikation zum impfen. Die Frage, in welcher Funktion ein approbierter Arzt eine Impfung durchführe, habe mit der Frage der Haftung nichts zu tun. So wie auch das Sozialgericht entschieden habe, handele es sich bei der Grippeschutzimpfung um keine betriebliche Tätigkeit. Die Grippeschutzimpfung stehe daher auch in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit der Klägerin und sei daher auch nicht durch die Tätigkeit der Klägerin veranlasst worden, so dass es keinen Grund gebe, der Beklagten etwaige Folgen einer Grippeschutzimpfung zuzurechnen. Vielmehr handele der Arzt, der die Impfung durchführt aufgrund der Empfehlungen der STIKO und damit als Amtsträger. Zutreffend habe das Arbeitsgericht auch ausgeführt, dass die Beklagte keine Nebenpflicht verletzt habe.
Die Streitverkündete Frau Dr. B. hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Sie habe die Klägerin vor Durchführung der Impfung ordnungsgemäß aufgeklärt.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien und der Streitverkündeten wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die (noch) zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG an sich statthafte Berufung ist innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Die Berufung genügt auch noch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Danach muss sich die Berufung mit dem angegriffenen Urteil in der Weise auseinandersetzen, dass sie die behaupteten Rechtsfehler aufzeigt. Ob die Auffassung in der Berufung zutreffend ist spielt hier keine Rolle. Maßgeblich ist alleine, dass eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Argumentation des Erstgerichtes stattfindet.
Obwohl die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung im wesentlichen den Aufsatz von Bauer, AuR 2009, Seite 123 vollständig abgeschrieben hat, finden sich am Ende der Berufungsbegründung jedenfalls noch in ausreichendem Umfang Aussagen, die den Schluss darauf zulassen, wieso die Klägerin das arbeitsgerichtliche Urteil für verfehlt hält. Sie geht aufgrund des Aufsatzes von Bauer davon aus, dass ein Betriebsarzt bei Durchführung von Allgemeinen Schutzimpfungen auch mangels kassenärztlicher Zulassung außerhalb seiner Befugnisse als Betriebsarzt handelt und daher eine solche Impfung gar nicht durchführen darf. Da die Beklagte eine solche - im Verständnis der Klägerin wohl rechtswidrige - Impfung zugelassen hat, haftet sie für den daraus entstehenden Schaden.
Damit stellt sich die Klägerin auf einen Standpunkt, der jedenfalls noch aufzeigt, wieso die Beklagte - losgelöst von der Frage, mit dem der Behandlungsvertrag zustande gekommen ist - in jedem Fall für den Impfschaden zu haften hat.
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet und war daher zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung ausgeführt, wieso die Beklagte für den von der Klägerin behaupteten Folgeschaden aus der Grippeschutzimpfung nicht haftet. Daher wird zunächst auf die in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes vollumfänglich Bezug genommen. Insbesondere das Arbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten kein Behandlungsvertrag, aufgrund dessen die Beklagte zur Aufklärung über die möglichen Folgen der Grippeschutzimpfung verpflichtet gewesen sei, zustande gekommen ist. Abgesehen davon, dass die Klägerin dies in ihrer Berufungsbegründung auch nicht nennenswert in Abrede stellt, sind die Ausführungen zutreffend.
1. Bezüglich der Zulässigkeit der Klage wird auf die zutreffenden und nicht angegriffenen Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. 1. und 2 des Urteil verwiesen. Dem hat die Klägerin in der Berufung auch insoweit Rechnung getragen, als sie mit dem Antrag zu 2) nur noch die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftigen Schaden begehrt.
2. Ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB und Zahlung von Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB wegen einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Impfung der Klägerin am 8.11.2011 gegen die Beklagte für den - unterstellten - Impfschaden der Klägerin besteht nicht, da es an einer vertraglichen Beziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten in Bezug auf die Erbringung der medizinischen Maßnahme einer Grippeschutzimpfung fehlt.
a) Es liegt zunächst keine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch die Beklagte vor. Die Vornahme der Impfung gehörte weder zu den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der Beklagten noch zu denen der Klägerin. Da die Klägerin als Controllerin bei der Beklagten keinen Patientenkontakt hatte, war weder die Klägerin gehalten, sich einer Grippeschutzimpfung zu unterziehen, wobei offenbleiben kann, ob eine Pflicht überhaupt besteht, noch war die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine solche Impfung auf ihre Kosten zu ermöglichen. Allgemeine Gesundheitsvorsorge ist grundsätzlich Sache jedes einzelnen. Eine Grippeschutzimpfung gehört grundsätzlich zur allgemeinen Gesundheitsvorsorge, sofern nicht aus besonderen Risiken des Arbeitsverhältnisses heraus eine erhöhte Gefährdung des Arbeitnehmers für eine Ansteckung mit einer solchen Erkrankung besteht und das Angebot einer Grippeschutzimpfung daher zu den Pflichten des Arbeitgebers § 3 Abs. 1 ArbSchG gehört. Für Letzteres gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Aus diesem Grunde hat die von der Beklagten angebotene und von der Klägerin in Anspruch genommene Grippeschutzimpfung nichts mit den Pflichten beider Vertragsparteien aus dem Arbeitsverhältnis zu tun und mögliche Pflichtverletzungen bei der Vornahme der Impfung sind daher keine Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten durch die Beklagte.
b) Aus diesem Grunde kommt auch eine Verletzung von Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag nicht in Betracht. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte keine Aufklärungspflichten bezüglich der Risiken einer Grippeschutzimpfung trifft, auch wenn sie die Möglichkeit gewährt, dass durch die Betriebsärztin eine solche Impfung in ihrem Betrieb durchgeführt wird. Sofern nicht die Beklagte selbst Vertragspartner des entsprechenden Behandlungsvertrages zur Durchführung der Grippeschutzimpfung ist, trifft sie allein aufgrund der arbeitsrechtlichen Verbundenheit der Parteien keine Verpflichtung, die Klägerin über die Risiken der Impfung aufzuklären. Diese Aufklärungspflicht kann ein Arbeitgeber im Normalfall selbst gar nicht leisten, weil ihm dazu die erforderliche Fachkenntnis fehlt. Dass im vorliegenden Fall der Arbeitgeber "zufällig" ein großes Krankenhaus ist ändert daran nichts, denn die Frage der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden Nebenpflichten ist vertragstypisch zu beantworten und nicht bezogen auf den zufälligen Erkenntnisstand einzelner Arbeitgeber. Insbesondere sind auch die Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB vertragstypische Pflichten, hier also Pflichten im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, während die Frage einer Aufklärung über mögliche Impfschäden bei einer Grippeschutzimpfung ohne konkreten Bezug zu Gefährdungen aus dem Arbeitsverhältnis einen arbeitsvertraglichen Bezug hat und sich vertragliche Schutzfristen daher hierauf auch nicht beziehen können. Insbesondere setzt eine Aufklärungspflicht jedoch auch voraus, dass die Beklagte selbst von den Risiken einer Grippeschutzimpfung Kenntnis hat (Münchener Kommentar/Bachmann, § 241 BGB Rn. 122) und von einem Arbeitgeber, der in seinem Betrieb lediglich eine Grippeschutzimpfung durchführen lässt, kann eine solche Aufklärung schon deswegen nicht erwartet werden, weil er eine Kenntnis über die möglichen Nebenwirkungen einer Grippeschutzimpfung hat.
Eine solche Aufklärungspflicht ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des vorangegangenen gefährlichen Tuns (Ingerenz). Die Durchführung einer Grippeschutzimpfung im Betrieb der Beklagten stellt kein derartiges vorangegangenes gefährliches Tun dar. Eine Grippeschutzimpfung ist eine von der STIKO empfohlene Schutzimpfung - die Ermöglichung einer solchen Impfung kann bereits unter diesem Gesichtspunkt keine Aufklärungspflicht aus Ingerenz begründen.
c) Die Beklagte hat auch keine Pflichten aus einem Behandlungsvertrag mit der Klägerin verletzt, da ein solcher Behandlungsvertrag zwischen den Parteien nicht besteht, sondern zwischen der Betriebsärztin Frau Dr. B. und der Klägerin zustande gekommen ist. Der Behandlungsvertrag als Unterfall des Dienstvertrages (seit dem Jahr 2013 durch das Patienten Rechtsgesetz in den §§ 630. a ff. geregelt) kommt in aller Regel zwischen dem Patienten und dem Behandler zu Stande, in dem sich der Patient in die Behandlung begibt und mit dieser einverstanden ist (Palandt/Weidenkaff, § 630 Buchst. a BGB Rn. 6) und der Behandelnde die Behandlung übernimmt. Der Vertragspartner ist regelmäßig der Behandelnde, also derjenige, der die medizinische Behandlung zusagt. Es ist im Regelfall der Arzt, soweit sich nicht aus den Umständen ergibt, dass eine andere Person Vertragspartner werden soll, wie beispielsweise der Aufnahme in einem Krankenhaus oder der Behandlung in einem medizinischen Versorgungszentrum (Palandt/Weidenkaff, vor § 630 a Rn. 3). Eine Grippeschutzimpfung stellt eine medizinische Maßnahme im Rahmen einer medizinischen Behandlung dar (Palandt/Weidenkaff, vor § 630a BGB, Rn. 2).
Da hier kein ausdrücklicher Vertragsabschluss zustande gekommen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, mit wem die Klägerin den entsprechenden Behandlungsvertrag abgeschlossen hat. Dieser Behandlungsvertrag ist zwischen der Klägerin und der Betriebsärztin Frau Dr. B. zustande gekommen, nicht jedoch mit der Beklagten. Das ergibt sich aus folgenden Umständen:
aa) Zu der Grippeschutzimpfung hat nicht die Beklagte, sondern Frau Dr. B. eingeladen. Dass sie die Einladung mit dem Zusatz Betriebsärztin versehen hat ändert nichts daran, dass sie diejenige ist, die durch die E-Mail zu erkennen gegeben hat, dass die Grippeschutzimpfung durch sie bzw. durch ihre Kollegin Frau Doktor W. durchgeführt werden wird und sie die entsprechende Behandlungsleistung erbringen wollten.
Jedenfalls dann, wenn es nicht zu den Aufgaben des Betriebsarztes gehört, im Bezug auf den konkreten Arbeitnehmer eine Grippeschutzimpfung durchzuführen, ist dann, wie im vorliegenden Fall, davon auszugehen, dass der Betriebsarzt selbst Vertragspartner wird. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Durchführung von allgemeinen Grippeschutzimpfungen durch Betriebsärzte im Betrieb nicht zu deren Aufgaben nach § 3 ASiG gehören. Die Aufgaben der Betriebsärzte sind in § 3 ASiG genannt. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 ASiG gehört die Untersuchung der Arbeitnehmer zu ihren Aufgaben, jedoch mit der Zielrichtung der arbeitsmedizinischen Beurteilung. Das Ergreifen medizinischer Maßnahmen, zu denen auch eine Impfung gehört, gehört nicht dazu, weil es an dem notwendigen arbeitsmedizinischen Bezug fehlt, solange es jedenfalls sich um eine allgemeine Grippeschutzimpfung handelt. Der Schwerpunkt der Aufgaben von Betriebsärzten liegt darin, arbeitsmedizinische Erkenntnisse für die betriebliche Prävention nutzbar zu machen (HK-ArbR/Hamm/Faber, ASiG, Rn. 6). Jedenfalls eine allgemeine Grippeschutzimpfung gehört nicht zu den Aufgaben des Betriebsarztes. Diese Auffassung als auch die Klägerin, zieht jedoch daraus die unzutreffende Schlussfolgerungen, dass dann der Behandlungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin zustande gekommen sein muss. Dem ist jedoch gerade nicht so. Frau Dr. B. ist (unwidersprochen) approbierte Ärztin und darf deshalb den Arztberuf - zu dem auch die Vornahme von Impfungen gehört - ausüben. Dass dies nicht zu ihren Aufgaben als Betriebsärztin gehört, spielt dabei keine Rolle. Dass sie keine kassenarztrechtliche Zulassung besitzt, ist ebenso unerheblich, weil die nur besondere Pflichten des Arztes gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen begründet, nicht aber die Zulässigkeit von Behandlungen regelt.
bb) Einem Arbeitgeber fehlt es in der Regel an jedem Fachwissen, um die medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen für eine im Betrieb durchgeführte Grippeschutzimpfung beurteilen zu können. Dass es sich bei der Beklagten um ein Krankenhaus handelt ändert daran nichts. Der Arbeitgeber, der sich bei der Durchführung der Impfung allein auf den Arzt verlassen muss, dass die Impfung rechtlich und medizinisch lege artis durchgeführt wird, mag ein allgemeines Interesse daran haben, dass seine Mitarbeiter nicht (möglicherweise langwierig) an einer Influenza erkranken. Möglicherweise handelt es sich jedoch bei der Durchführung einer solchen Impfung auch nur um eine besondere Form von freiwilligem Engagement für die allgemeine Gesundheit und die seiner Mitarbeiter. Für einen verständigen informierten Dritten wird der Arbeitgeber aber alleine dadurch, dass er die Kosten einer Grippeschutzimpfung übernimmt angesichts seiner medizinischen Unwissenheit nicht zugleich die Verpflichtung und die daraus resultierende Haftung für die Durchführung der Grippeschutzimpfung lege artis übernehmen können und wollen.
cc) Ebenso entspricht es der Interessenlage des Arbeitnehmers, dass der Behandlungsvertrag zwischen dem impfenden Arzt und ihm zu Stande kommt. Auch der Arbeitnehmer hat ein Interesse daran, dass die Behandlung lege artis durchgeführt wird - und dies hat alleine der behandelnde Arzt in der Hand, so dass es naheliegt, dass dieser auch für diese so wichtige vertragliche Hauptpflicht der Haftende ist und nicht sein Arbeitgeber, der davon nichts versteht. Sollte es zu einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Behandlung kommen, entspricht es ebenfalls dem wohlverstandenen Interesse des Arbeitnehmers, dass der Behandlungsvertrag zwischen ihm und dem Arzt zustande gekommen ist. Er kann davon ausgehen, dass der behandelnde Arzt über eine entsprechende Haftpflichtversicherung verfügt, die Behandlungsschäden abdeckt, während die Übernahme durch eine nur möglicherweise vorhandenen Betriebshaftpflicht des Arbeitgebers wesentlich fraglicher sein dürfte. Hat der Arbeitgeber keine einen solchen Schaden abdeckende Versicherung, unterliegt die Ersatzpflicht für die Schäden, die infolge der nicht korrekten Behandlung erfolgt sind, zudem dem Insolvenzrisiko des Arbeitgebers.
dd) Entgegen der Auffassung der Klägerin spielt es auch keine Rolle, ob Frau Dr. B. freiberufliche oder "scheinselbständige" Betriebsärztin ist. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 ASiG sind sie bei Anwendung ihrer Fachkunde weisungsfrei. Die Durchführung einer allgemeinen innerbetrieblichen Grippeschutzimpfung gehört allerdings, wie oben dargestellt nicht zu ihren Aufgaben als Betriebsärztin. Selbst wenn sie weisungsgebunden tätig wäre, könnte sie die Beklagte nicht nach § 106 GewO anweisen, eine solche Tätigkeit, die außerhalb ihres Aufgabenbereiches liegt, auszuführen. Vielmehr bedarf es zur Durchführung einer solchen Grippeschutzimpfung einer einvernehmlichen Regelung zwischen Betriebsärztin und der Beklagten, dass selbst eine weisungsgebundene Tätigkeit der Annahme, dass der Behandlungsvertrag zwischen der Klägerin und Frau Dr. B., nicht aber mit der Beklagten zustande gekommen ist, nicht entgegensteht. Darüber hinaus hat die Klägerin nichts konkretes dazu vorgetragen, wieso Frau Dr. B. "scheinselbstständig" sein soll.
3. Soweit die Berufungsbegründung der Klägerin dahin zu verstehen ist, dass sie davon ausgeht, die Beklagte hafte für den von der Klägerin behaupteten Impfschaden, weil sie dem rechtswidrigen Tun von Frau Dr. B. keinen Einhalt geboten hat, begründet auch das nicht eine Haftung der Beklagten. In Betracht kommt insoweit nur eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 1 BGB durch Unterlassen oder Mittäterschaft, in dem die Beklagte die Impfung in ihrem Betrieb überhaupt erst ermöglicht hat.
Eine solche Haftung der Beklagten scheitert aber bereits daran, dass die Durchführung einer solchen betrieblichen Impfung nicht rechtswidrig ist, sondern als Ganzes gesehen einen sinnvollen Beitrag zum Gesundheitsschutz der Belegschaft und der Bevölkerung bietet. Soweit im Einzelfall eine Körperverletzung dadurch begangen worden sein sollte, dass die erforderliche Aufklärung von Frau Dr. B. nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, hat die Beklagte als diejenige, die die Impfaktion lediglich finanziert hat, hierauf keinen Einfluss. Sollte Frau Dr. B. tatsächlich mangels ausreichender Aufklärung eine Körperverletzung begangen haben, trifft die Beklagte, die auf die Art der Aufklärung keinen Einfluss hat, kein Verschulden, zumal es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass Frau Dr. B. für diese Tätigkeit nicht qualifiziert gewesen sei. Und Frau Dr. B. durfte derartige Impfaktionen als approbierte Ärztin durchführen. Sie war auch keine Verrichtungsgehilfin im Sinne von § 831 Abs. 1 BGB. Wie oben dargelegt, war Frau Dr. B. selbst die Vertragspartnerin der Klägerin im Rahmen des Behandlungsvertrages. Die Haftung trifft daher ausschließlich sie.
Da es bereits an einer Grundlage für eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin fehlt, kann dahingestellt bleiben, ob die Aufklärung vor der Impfung tatsächlich ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Selbst wenn nicht, haftet die Beklagte nicht für den aus dieser Körperverletzung resultierenden Schaden, sondern die Haftung richtet sich ausschließlich gegen Frau Dr. B.. Das Arbeitsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.
III.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen. Für die Klägerin war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen zur Klärung der Frage, ob ein Arbeitgeber für einen Impfschaden haftet, der anlässlich einer von ihm finanzierten Mitarbeiterimpfung durch den Betriebsarzt einem Mitarbeiter entstehen.
Dietze
Happle
Verkündet am 06.06.2016