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17.01.2018 · IWW-Abrufnummer 198850

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 16.11.2017 – 17 Sa 898/17


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 12.05.2017 - 2 Ca 1501/16 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten darüber, ob bestimmte Schichtzeiten des Klägers Vollarbeitszeit oder Bereitschaftszeit darstellen.



Der Kläger ist zumindest seit dem 01.08.2001 als Altenpfleger bei dem Beklagten auf der Grundlage eines Anschlussdienstvertrages vom 07.08.2001 (Bl. 69 - 71 d. A.) beschäftigt. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrags ist der TVöD-B als den BAT ersetzender Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Der Kläger erzielt ein Bruttogehalt von 3.450 Euro monatlich.



Er arbeitet gegenwärtig in einem Schichtmodell, das aus zwölf Arbeitstagen im Block besteht. In der ersten Woche arbeitet er pro Dienst 6,42 Stunden mit Ausnahme des Donnerstag, an dem er 7,3 Stunden arbeitet. In der zweiten Arbeitswoche geht die Schichtzeit von 20:15 Uhr bis 08:05 Uhr. Die Zeit zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr ist nach Auffassung des Beklagten Bereitschaftsdienst, der nach § 8.1 Abs. 1 a TVöD-B Stufe B zu 25 Prozent als Arbeitszeit bewertet wird. Der Beklagte rechnet die faktorisierte Arbeitszeit auf die tarifliche Arbeitszeit des Klägers an. Dieser verbringt die Schichtzeit zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr im Dienstzimmer der Station. Er ist während der Nachtschicht für die von ihm zu pflegenden Menschen in der Einrichtung Wohnverbund Lstift B zuständig. Je nach Situation entwickelt er eine geringe oder stärkere Aktivität. Mitunter fallen Einsatzzeiten häufiger, mitunter selten an.



Bei der Beklagten besteht für die Einrichtung eine Betriebsvereinbarung über die Gestaltung des Ausgleichszeitraums gemäß § 6 Abs. 6 Abs. 2 TVöD-B. Wegen der Einzelheiten der Betriebsvereinbarung wird auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 16.02.2017 vorgelegte Kopie (Bl. 76 - 78 d. A.) Bezug genommen.



Ausweislich des Stundennachweises für die Zeit vom 01.01.2017 bis zum 31.01.2017 (Bl. 74, 75 d. A.) wird die Schichtzeit zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr als Bereitschaftsdienst erfasst.



Mit seiner am 11.10.2016 bei dem Arbeitsgericht Münster eingegangenen Klage hat der Kläger zuletzt die Feststellung begehrt, dass die Schichtzeit zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr in voller Höhe auf die tarifliche Arbeitszeit angerechnet wird.



Mit Beschluss vom 14.10.2016 (Bl. 11 d.A.) hat das Arbeitsgericht Münster den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Bocholt verwiesen.



Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die geringere Aktivität in der streitgegenständlichen Einsatzzeit nichts daran ändere, dass ihm während der gesamten Schicht ein Zustand wacher Aufmerksamkeit abverlangt werde. Bei dem Dienst handele es sich um Bereitschaftszeit im Sinne von § 9 TVöD-B.



Er hat beantragt

festzustellen, dass ihm die im Rahmen seiner von 20:15 Uhr bis 08:05 Uhr andauernden Schicht von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden in voller Höhe auf die tarifliche Arbeitszeit angerechnet werden.



Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Er hat die Auffassung vertreten, bei der streitgegenständlichen Schichtzeit handle es sich um Bereitschaftsdienst, da der Kläger Arbeitsleistung nur im Falle des Abrufes erbringe. Es liege keine Bereitschaftszeit im Sinne von § 9 TVöD-B vor, da aktive und passive Arbeitszeiten nicht potentiell ständig wechselten.



Er hat vorgetragen:



In der Einrichtung gebe es eine klare Struktur von Vollarbeitsphasen und Bereitschaftsphasen mit äußerst geringer Aktivitätserwartung. Im Gegensatz zur Bereitschaftszeit sei der Bereitschaftsdienst nicht "vollarbeitsnah" ausgestaltet. Der Unterschied zeige sich in der Tatsache, dass die Bereitschaftszeit auf maximal zwölf Stunden begrenzt sei, während der Bereitschaftsdienst auf eine Zeit bis zu 16 Stunden verlängert werden könne.



Das Tatbestandsmerkmal in § 7 Abs. 3 TVöD-B "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" gehe auf das frühere Verständnis des Bereitschaftsdienstes als Ruhezeit zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der entsprechenden Regelung im BAT sei die Formulierung dahingehend verstanden worden, dass der Beschäftigte nicht dienstplanmäßig oder betriebsüblich während dieses Zeitraumes zu arbeiten habe. Die Voraussetzung sei vorliegend erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen habe, sei Bereitschaftsdienst auch während der inaktiven Phase Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitrechts. Deshalb sei die Formulierung "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" ausschließlich so zu verstehen, dass damit zum Ausdruck gebracht werde, dass während des Bereitschaftsdienstes nicht dauerhaft volle Arbeitsleistung erbracht werden müsse.



Die zeitliche Lage des Bereitschaftsdienstes sei tariflich nicht reglementiert. Er könne vor und nach der regelmäßigen Arbeitszeit, bei geteilten Diensten auch zwischen den einzelnen Vollarbeitszeiten angeordnet werden. Zwischen dem Ende der regulären Arbeitszeit und der Abforderung der Arbeitsleistung aus dem Bereitschaftsdienst müsse keine Zäsur liegen.



Mit Urteil vom 12.05.2017 hat das Arbeitsgericht Bocholt festgestellt, dass dem Kläger zukünftig die im Rahmen seiner von 20:15 Uhr bis 08:05 Uhr andauernden Schichten die von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden in voller Höhe auf die tarifliche Arbeitszeit angerechnet werden.



Es hat ausgeführt:



Es bestehe ein Feststellungsinteresse, da mit dem Feststellungsantrag der zwischen den Parteien bestehende Streit über den Umfang der Anrechenbarkeit der zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleisteten Arbeitszeit auf die tarifliche Arbeitszeit insgesamt beseitigt werde.



Die Klage sei auch begründet. Die vom Kläger zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleisteten Stunden seien kein Bereitschaftsdienst im Sinne des § 7 Abs. 3 TVöD, sondern zählten in vollem Umfang zur wöchentlichen tariflichen Arbeitszeit.



Gemäß § 7 Abs. 3 TVöD leisteten Beschäftigte Bereitschaftsdienst, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhielten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Das erfordere, dass die Bereitschaftszeiten zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit geleistet würden. Das ergebe die Tarifauslegung.



Bereits der Tarifwortlaut spreche dafür, dass Bereitschaftsdienste zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit zu leistende Dienste seien. Das Merkmal "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" beziehe sich auf den Begriff der regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne von § 6 Abs. 1 TVöD. Bereitschaftsdienste würden mithin außerhalb dieser Arbeitszeit, also zusätzlich geleistet. Bereitschaftsdienst dürfen nur zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit, jedoch nicht anstelle der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden.



Für das Ergebnis spreche auch die systematische Auslegung. Denn § 8.1 Abs. 1 und 3 TVöD-B sähen ausdrücklich vor, dass die geleistete Bereitschaftsdienstzeit nur zum Zwecke der Entgeltberechnung faktorisiert werde, nicht jedoch zum Zwecke der Einstellung in das Arbeitszeitkonto.



Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.01.2016 (6 AZR 742/14) zur Auslegung des Merkmals "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" widerspreche dem gefundenen Ergebnis nicht. Soweit es die Frage aufgeworfen habe, ob nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes die tarifliche Formulierung so zu verstehen sei, dass Bereitschaftsdienst nur zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit oder ob lediglich bei Teilzeitbeschäftigten der Bereitschaftsdienst außerhalb der individuell vereinbarten Arbeitszeit angeordnet werden dürfe, während im Übrigen damit zum Ausdruck gebracht werden solle, dass während des Bereitschaftsdiensten nicht dauerhaft die volle Arbeitsleistung erbracht werden müsse, sei nach Auffassung der Kammer eine andere Fallgestaltung betroffen. In der von dem Bundesarbeitsgericht in Bezug genommenen Entscheidung vom 21.11.1991 (6 AZR 551/89) sei es um die Frage gegangen, was unter der "regelmäßigen Arbeitszeit" zu verstehen sei, ob dies die tarifliche Arbeitszeit oder auch die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit sei. Insofern habe die Rechtsprechung Auswirkungen auf die Frage, inwieweit bei Teilzeitbeschäftigten Bereitschaftsdienst angeordnet werden könne. Das Bundesarbeitsgericht habe in seiner Entscheidung vom 21.11.1991 klargestellt, dass Bereitschaftsdienst außerhalb, also zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit zu leisten sei.



Daraus folge, dass Zeiten, die als Teil der Grundarbeitszeit, also innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit geleistet würden, nicht Bereitschaftsdienst darstellten.



Das sei vorliegend der Fall. Der Beklagte bewerte die von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleisteten Dienste zu einem Viertel als Arbeitszeit und schreibe sie in diesem Umfang dem Arbeitszeitkonto gut. Nur mit den so berechneten Zeiten erreiche der Kläger seine tarifliche Arbeitszeit von 39 Wochenstunden.



Da kein Bereitschaftsdienst vorliege, sei die streitgegenständliche Zeit in vollem Umfang als tarifliche Arbeitszeit zu werten.



Die Kammer habe nicht zu klären gehabt, ob es sich bei den streitgegenständlichen Zeiten um Bereitschaftszeiten im Sinne von § 9 TVöD-B handle. Nach der Protokollerklärung zu § 9 TVöD-B findet diese Regelung bei Schichtarbeit keine Anwendung. Der Kläger leiste jedoch Schichtarbeit.



Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 112 bis 122 der Akte verwiesen.



Der Beklagte hat gegen das ihm am 02.06.2017 zugestellte Urteil am 30.06.2017 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.09.2017 am 04.09.2017 eingehend begründet.



Er rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und führt aus:



Zu Unrecht sei das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen, dass die in der Zeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleisteten Stunden keine Bereitschaftsdienststunden im Sinne von § 7 Abs. 3 TVöD-B seien.



Es habe schon verkannt, dass der Feststellungsantrag des Klägers unzulässig sei. Nach seinem eigenen Vorbringen gehe es ihm darum, dass er unter Berücksichtigung des Bereitschaftsdienstes nicht auf seine arbeitstäglich vereinbarte Arbeitszeit komme. Das sei unzutreffend.



Nach klägerischen Vorbringen sei die Frage ausschlaggebend, ob er einen Anspruch darauf habe, dass die regelmäßige Sollarbeitszeit auch ohne faktorisierten Bereitschaftsdienst erreicht werde und er - der Beklagte - sich in Annahmeverzug mit dem Angebot der Regelarbeitszeit und damit auch mit der Vergütung der Regelarbeitszeit befinde, wenn er die Bereitschaftszeiten faktorisiere und der Kläger nach seinem Vortrag die regelmäßige Sollarbeitszeit nur aufgrund der Ableistung von Bereitschaftsdiensten erreiche. Er wäre in diesem Fall auf den Weg der Leistungsklage zu verweisen.



Die Klage sei zumindest unbegründet.



Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass Bereitschaftszeiten im Sinne des § 9 TVöD-B nicht vorlägen.



Der Kläger müsse sich während der Nachtzeit nicht im "Zustand wacher Aufmerksamkeit" befinden. Erfahrungsgemäß könne er zwischen 80 Prozent und 90 Prozent der Zeit schlafend verbringen.



Die Auslegung des Tarifmerkmales "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" durch das erstinstanzliche Gericht sei fehlerhaft. Mit diesem Merkmal werde lediglich zum Ausdruck gebracht, dass während des Bereitschaftsdienstes nicht dauerhaft volle Arbeitsleistung erbracht werden müsse. Das ergebe sich auch aus der einschlägigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.01.2016, wenn es auch die streitgegenständliche Frage offen gelassen habe. Bereitschaftsdienst könne danach nicht nur dann angeordnet werden, wenn sichergestellt sei, dass die regelmäßige Arbeitszeit ohne den Bereitschaftsdienst erreicht werde.



Er sei auch befugt, die Bereitschaftsdienstzeiten faktorisiert auf die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers anzurechnen. Diese Möglichkeit eröffne § 8.1 Abs. 6 TVöD-B.



Unstreitig leiste der Kläger im Kalendermonat nicht mehr als acht Bereitschaftsdienste, die er mit 25 Prozent als Arbeitszeit bewerte.



Er mache von der ihm eingeräumten Ersetzungsbefugnis Gebrauch, indem er die Leistung des Bereitschaftsdienstes an die Stelle der Leistung der an sich geschuldeten regelmäßigen Arbeitszeit treten lasse. Insoweit mache er von seinem Recht auf Freistellung bei fortlaufendem Entgelt Gebrauch. Die Ersetzungsbefugnis sei nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft. Sehe ein Tarifvertrag die Möglichkeit des Freizeitausgleichs vor, stehe es dem Arbeitgeber grundsätzlich frei, die Abgeltung des Bereitschaftsdienstes durch Freizeitausgleich vorzunehmen. Er könne Freizeitausgleich auch einseitig anordnen.



Die Bereitschaftsdienste würden für einen Monat individuell abgerechnet, indem die geleisteten Regelarbeits- und die faktorisierten Bereitschaftsdienstzeiten auf einem Regeldienst- beziehungsweise Bereitschaftsdienstkonto zunächst separat addiert würden. Am Monatsende erfolge eine Saldierung für den Betrachtungszeitraum.



Selbst wenn ein Freizeitausgleich nicht möglich sei, so sei die begehrte Feststellung nicht gerechtfertigt.



Der Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und führt aus:



Sein Feststellungsantrag sei zulässig und begründet.



Das Tarifmerkmal "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" erfordere die Ableistung des Bereitschaftsdienstes zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit.



Es handle sich in seinem Fall nicht um Bereitschaftsdienst im Sinne der tariflichen Vorschrift. Die Möglichkeit des Freizeitausgleichs nach § 8.1 Abs. 6 TVöD-B setze jedoch die Leistung von Bereitschaftsdienst voraus.



Die Wertung des Beklagten führe dazu, dass er regelmäßig Minusstunden ansammle, obwohl er in der Nacht mitunter genauso beschäftigt sei wie in der Tagschicht, den Zustand der Arbeitsbereitschaft die ganze Nacht über aufrechterhalten müsse. Der Widerspruch könne nur so gelöst werden, dass es sich nicht um Bereitschaftsdienst im Sinne der tariflichen Regelung handle. Die Ausführungen des Beklagten zu seiner Ersetzungsbefugnis träfen das Problem nicht. Es sei einzig und allein zu bewerten, ob es sich um Bereitschaftsdienste oder Bereitschaftszeiten handle.



In der mündlichen Verhandlung wurde mit den Parteien erörtert, dass die Frage, ob der Kläger zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr Bereitschaftsdienst oder Vollarbeitszeit erbringt, von der Frage zu trennen ist, ob Bereitschaftsdienst, sollte er vorliegen, über Freizeitausgleich auf die tarifliche Arbeitszeit angerechnet werden kann. Der Kläger hat klargestellt, dass Streitgegenstand lediglich die Frage ist, ob die von ihm zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Schichtzeit bei einem Schichtmodell von zwölf Schichtdiensten im Block mit Schichten zwischen 20:15 Uhr und 08:05 Uhr in der zweiten Arbeitswoche Vollarbeitszeit im Sinne des § 6 Abs. 1 b TVöD-B oder Bereitschaftsdienst ist.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



A.



Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 12.05.2017 ist begründet.



I.



Der Feststellungsantrag ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.



1. Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen aus einem Rechtsverhältnis und die Folgen aus diesem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche, bestimme Verpflichtungen oder auf den Umfang der Leistungspflicht beziehen (BAG 13.12.2016 - 9 AZR 574/15 - Rdnr. 20, BB 2017, 762).



Hier ergibt die Auslegung des Antrags unter Zugrundelegung der Erläuterungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2017, dass die Parteien lediglich darüber streiten, ob die vom ihm bei einem Schichtmodell von zwölf Schichtdiensten im Block die in der zweiten Woche von 20:15 Uhr bis 18:15 Uhr geleistete Schicht komplett Vollarbeitszeit im Sinne des § 6 Abs. 1 b TVöD-B darstellt oder ob er zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr Bereitschaftsdienst im Sinne des § 7 Abs. 3 TVöD-B oder Bereitschaftszeit im Sinne des § 9 Abs. 1 TVöD-B leistet. Damit streiten die Parteien über den Umfang seiner Leistungspflicht.



Vor dem Hintergrund seiner Rechtsauffassung, die Schichtzeiten zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr stellten Vollarbeitszeit dar, hat er die Frage, ob der Beklagte den Bereitschaftsdienst gemäß §§ 8.2 Abs. 6, 10 Abs. 3 Satz 2 TVöD-B in Freizeit ausgleichen und damit faktisch auf die regelmäßige Arbeitszeit anrechnen darf, nicht zum Streitgegenstand seines Feststellungsantrags gemacht. Das hat er in der mündlichen Verhandlung klargestellt.



2. Sein Feststellungsinteresse ist zu bejahen, weil der Feststellungsantrag geeignet ist, den Streit der Parteien abschließend zu klären. Leistet er Vollarbeitszeit, hat der Beklagte das Schichtmodell unter Berücksichtigung von § 6 Abs. 1, 2 TVöD-B so einzurichten, dass er die regelmäßige Arbeitszeit von durchschnittlich 39 Wochenstunden nicht überschreitet. Das stellt der Beklagte nicht in Abrede. Es ist daher davon auszugehen, dass er schon auf eine rechtskräftige Feststellung leisten wird.



II.



Der Feststellungantrag ist jedoch unbegründet.



Die vom Kläger in dem genannten Schichtmodell zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr an der Arbeitsstelle verbrachte Zeit ist entgegen seiner Auffassung nicht als Vollarbeitszeit, sondern als Bereitschaftsdienst anzusehen.



1. Der TVöD-B ist gemäß § 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 07.08.2001 auf das Arbeitsverhältnis anwendbar, da er den BAT ersetzt.



2. Bei der zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleisteten Zeit handelt es sich nicht um Bereitschaftszeit im Sinne des § 9 Abs. 1 TVöD-B. Wie das erstinstanzliche Gericht zu Recht festgestellt hat, ist die Regelung nach der Protokollerklärung zu § 9 TVöD-B nicht auf Schichtarbeit, wie sie der Kläger leistet, anwendbar.



3. Es handelt sich vielmehr um Bereitschaftsdienst im Sinne des § 7 Abs. 3 TVöD-B.



Danach leisten Beschäftigte Bereitschaftsdienst, wenn sie sich auf Anordnung des Arbeitsgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitsgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Gemäß § 7.1 Abs. 1 TVöD-B darf der Arbeitgeber Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt.



a. Der Kläger hält sich während der streitgegenständlichen Zeit im Dienstzimmer der von ihm betreuten Station auf, um die Arbeit bei Bedarf aufzunehmen. Er räumt selbst ein, dass er nicht durchgehend seine Arbeitsleistung erbringt, sondern sich seine Aktivität nach dem Arbeitsanfall richtet, es Nächte mit hohem und Nächte mit geringem Pflegebedarf gibt. Er stellt nicht durch substantiiertes Bestreiten in Abrede, dass die Zeit ohne Arbeitsleistung erfahrungsgemäß überwiegt.



b. Der Beklagte hat den Bereitschaftsdienst durch die entsprechende Schichtplanung angeordnet. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit. Der für den Kläger erstellte Stundennachweis für Januar 2017 weist entsprechend unter der Bezeichnung "B" Bereitschaftsdienst aus.



c. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch das Tatbestandsmerkmal "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" erfüllt. Aus dieser Formulierung folgt nicht, dass Bereitschaftsdienst nur in Zeiten außerhalb, vor oder nach der Vollarbeitszeit zusätzlich geleistet wird.



Die Auslegung der Tarifnorm führt zu dem Ergebnis, dass auch für die Zeit zwischen Vollarbeitszeiten Bereitschaftsdienst angeordnet werden kann.



Die Auslegung tariflicher Bestimmungen hat entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen damit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Erst dann, wenn bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel bleiben, kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden, wobei jedoch keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung der weiten Auslegungsmittel gegeben ist. Maßgeblich sind zunächst zwingend die am Wortlaut orientierten Auslegungsmittel des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs (LAG Hamm 22.11.2017 - 3 Sa 1275/17 unter Verweisung auf BAG 12.09.1984 - 4 AZR 336/82 - Rdnr. 24, BAGE 46, 308).



aa. Der Wortlaut der Tarifnorm ist auslegungsbedürftig. Er kann dahin verstanden werden, dass der Bereitschaftsdienst nur separat, außerhalb der individuell vereinbarten Arbeitszeit angeordnet werden darf. Er kann auch bedeuten, dass während des Bereitschaftsdienstes nicht dauerhaft die volle Arbeitsleistung erbracht werden muss (BAG 20.01.2016 - 6 AZR 742/14 - Rdnr. 23, ZTR 2016, 255).



bb. Der Gesamtzusammenhang der Tarifnorm spricht für letzteres Verständnis (Bepler/Goodson, TVöD, § 7 TVöD-AT, Rdnr. 13; Sponer/Steinherr, TVöD, § 7 TVöD, Rdnr. 61).



Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff der "regelmäßigen Arbeitszeit" auch in § 6 Abs. 1 Satz 1, 2 TVöD-B verwendet. Regelmäßige Arbeitszeit ist die tarifliche (Voll-) Arbeitszeit von durchschnittlich 39 Wochenstunden. Außerhalb der täglichen Arbeitszeit wird der Bereitschaftsdienst geleistet, der nach § 8.1 Abs. 1 TVöD-B grundsätzlich einer Vergütungspflicht auslöst und nur unter der Voraussetzung der §§ 8.1 Abs. 6, 10 Abs. 3 Satz 2 TVöD-B durch Freizeit auszugleichen ist. Nur insoweit kommt eine Anrechnung auf die tarifliche (Voll-) Arbeitszeit in Betracht.



Weder § 7 Abs. 3 TVöD-B noch § 7.1 Abs. 1 TVöD-B treffen eine Aussage zur Lage des Bereitschaftsdienstes.



Nach § 7.1 Abs. 1 TVöD-B ist lediglich - wie aufgezeigt - Voraussetzung, dass die begründete Erwartung besteht, dass die Zeit ohne Arbeitsleistung erfahrungsgemäß überwiegt. Nach § 7.1 Abs. 2 TVöD-B kann die tägliche Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes über acht Stunden hinaus verlängert werden, wenn mindestens die acht Stunden überschreitende Zeit im Rahmen von Bereitschaftsdienst geleistet wird. Auch diese Regelung spricht dafür, dass das Tatbestandsmerkmal in § 7 Abs. 3 TVöD-B "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" nicht dahin zu verstehen ist, dass Bereitschaftsdienst jedenfalls nicht zwischen zwei Vollarbeitsphasen liegen darf. Die Tarifvertragsparteien haben allgemein geregelt, dass eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit möglich ist, wenn Bereitschaftsdienst in einem bestimmten Umfang geleistet wird.



Nichts anderes folgt aus § 8.1 TVöD-B.



Zu Recht weist das erstinstanzliche Gericht darauf hin, dass nach Absatz 1 der Tarifnorm die Zeit des Bereitschaftsdienstes zum Zwecke der Entgeltberechnung faktorisiert wird. Damit ist jedoch keine Aussage über die Frage der Zusätzlichkeit des Bereitschaftsdienstes getroffen. Die Tatsache, dass das Bereitschaftsdienstentgelt im Falle der Faktorisierung gemäß § 8.1 Abs. 5 TVöD-B nach § 10 Abs. TVöD-B in Freizeit abgegolten werden kann, spricht eher dafür, dass Bereitschaftsdienst nicht in zeitlicher Trennung von der Vollarbeitszeit erbracht werden muss.



cc. Sinn und Zweck der Tarifregelung in § 7 Abs. 3 TVöD-B sprechen ebenfalls für die Auslegung, dass Bereitschaftsdienst vor, nach und zwischen der Vollarbeitszeit geleistet werden kann.



Merkmal des Bereitschaftsdienstes ist es, dass der Arbeitnehmer, der auf der Grundlage von § 6 Abs. 5 TVöD-B zur Ableistung von Bereitschaftsdienst verpflichtet ist, während dieser Zeit eine andere, zusätzliche Leistung erbringt, indem er dem Arbeitgeber auf Abruf zur Verfügung steht (BAG 24.10.2010 - 9 AZR 634/99 - Rdnr. 21, NZA 2001, 499 [BAG 07.12.2000 - 2 AZR 391/99] ). Der Bereitschaftsdienst beschränkt den Arbeitnehmer insoweit in der Wahl seines Aufenthaltsortes.



Die Tätigkeit auf Abruf mit der Beschränkung der Wahl des Aufenthaltsortes kann jedoch aus begründeten betrieblichen Notwendigkeiten auch zwischen Vollarbeitszeiten geboten sein. Das gilt typischerweise für Betreuungseinrichtungen der Altenpflege. In der Nacht sind keine regelmäßig Tätigkeiten wie Waschen der Bewohner, Medikamentenversorgung, Bereitstellungen von Essen und Getränken zu erbringen. Gewöhnlich schlafen die Bewohner. Aktivitäten des Pflegepersonals sind im Einzelfall bei Toilettengängen, Schlaflosigkeit, Unruhe oder medizinischen Notlagen erforderlich.



In Kenntnis der besonderen Gegebenheiten in Betreuungseinrichtungen haben die Tarifvertragsparteien den Wechsel zwischen Vollarbeitszeit und Bereitschaftsdienst gerade nicht ausdrücklich ausgeschlossen.



dd. Dem gefundenen Ergebnis wiederspricht nicht die Tarifgeschichte.



Das Tatbestandsmerkmal "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" geht auf das frühere Verständnis der Bereitschaftszeit als Ruhezeit im Sinne des § 5 ArbZG zurück (BAG 20.01.2016 a. a. O. Rdnr. 23; 18.02.2003 - 1 ABR 2/02- Rdnr. 55, BAGE 105, 32). Es wurde mit der Formulierung verdeutlicht, dass Bereitschaftsdienst nicht als regelmäßige Arbeitszeit betrachtet wurde. Weiter wurde eine Rechtsgrundlage zur Heranziehung zum Bereitschaftsdienst geschaffen. Angestoßen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (03.10.2000 - C 303/98 (Siema); 09.09.2003 - C 151/02 (Jaeger)) ist nach der geltenden Rechtslage Bereitschaftsdienst auch währen der inaktiven Zeit Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitrechts (BAG 20.01.2016 a. a. O. Rdnr. 23). Dieser veränderten Rechtslage tragen die Regelungen in den §§ 7.1, 8.1 TVöD-B Rechnung. Arbeitszeitrechtlich ist der Bereitschaftsdienst Arbeitszeit. Im Hinblick auf eine Inanspruchnahme des Klägers durch Vollarbeit von bis zu 25 Prozent in der Stufe B ist die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes auf maximal 16 Stunden täglich zulässig. Damit ist jedoch nicht festgestellt, dass der Bereitschaftsdienst zeitlich zusätzlich zur tariflichen Wochenarbeitszeit zu leisten ist und nicht zwischen zwei Blöcken mit Vollarbeit liegen darf.



ee. Das Problem des Kläger liegt nicht in der Frage, ob die Schichtzeiten zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr Bereitschaftsdienst sind, sondern in der Frage, ob Bereitschaftsdienst im Wege des Freizeitausgleichs auf die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit angerechnet werden darf (dazu Beck OT TV-L/Dannenberg, § 41 Nr. 4 Rdnr. 15). Dabei handelt es sich jedoch um einen anderen Streitgegenstand, der nicht zur Entscheidung gestellt wurde.



B.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.



Die Revisionszulassung folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Auslegung der maßgeblichen tariflichen Bestimmung ist von grundsätzlicher Bedeutung.

Vorschriften§ 7 Abs. 3 TVöD, § 6 Abs. 1 TVöD, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 256 Abs. 1 ZPO, § 5 ArbZG, § 91 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG

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