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10.01.2018 · IWW-Abrufnummer 198761

Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 08.12.2017 – 13 TaBV 72/17


Tenor:

Die Beschwerden des Betriebsrats und des Antragstellers I gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 20.07.2017 - 1 BV 51/17 - werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Gründe



A.



Die Beteiligten streiten um den Ersatz der Kosten für die Teilnahme des Betriebsratsvorsitzenden I an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung.



Die Arbeitgeberin produziert mit aktuell 343 Arbeitnehmern Bad- und Sanitäreinrichtungen. Im Betrieb besteht ein neunköpfiger Betriebsrat, dessen Vorsitzender der (Mit-) Antragsteller I ist.



Dieser nahm in der Zeit vom 14. bis 19.05.2017 an einer von der IG Metall Bildungszentrum Beverungen abgehaltenen Schulung mit dem Thema "Änderungen der Arbeitsorganisation in KMU" teil. Als Seminarthemen wurden u.a. angegeben: "gesetzliche Bestimmungen, u.a. §§ 81, 90, 91, 111 BetrVG". Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird verwiesen auf die Anlage zum Antragstellerschriftsatz vom 20.06.2017 (Bl. 37 d. A,).



Mit Rechnung Nr. 12345, gerichtet an "I, J c/o C GmbH & Co. KG", machte der Bildungsträger für die Übernachtung, Verpflegung und Seminarkosten insgesamt einen Betrag in Höhe von 1.575,50 € geltend (Bl. 35 d. A.). Daneben verlangt der Betriebsratsvorsitzende als Fahrtkosten einen Betrag in Höhe von 42,30 €.



Der Schulung vorangegangen waren zwei Betriebsratssitzungen vom 16.03. und 06.04.2017.



In der ersten Sitzung am 16.03.2017 wurde u.a. die Teilnahme des Betriebsratsvorsitzenden I an der genannten Schulung beschlossen, und zwar einstimmig bei sieben anwesenden Betriebsratsmitgliedern. Für das erkrankte Betriebsratsmitglied C1 war das Ersatzmitglied M geladen worden. Nach vorangegangener telefonischer Unterrichtung nahm dieses ebenso wenig wie das Betriebsratsmitglied I1 an der Sitzung teil. In der Anwesenheitsliste steht in beiden Fällen unter Bemerkung: "Ist am Arbeitsplatz". Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 08.12.2017 (Bl. 177 ff. d. A.).



In der zweiten Sitzung am 06.04.2017 wurde in Anwesenheit von erneut sieben Betriebsratsmitgliedern einstimmig beschlossen, im Falle fortdauernder Weigerung, die Kosten zu übernehmen, gerichtlich gegen die Arbeitgeberin vorzugehen. Zu dieser Sitzung war für das in Kur befindliche Betriebsratsmitglied I1 das Ersatzmitglied M geladen worden. Nach vorangegangenen telefonischen Abmeldungen nahm dieses ebenso wenig wie das Betriebsratsmitglied H an der Sitzung teil. In der Anwesenheitsliste steht in beiden Fällen unter Bemerkung: "Ist am Arbeitsplatz". Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 08.12.2017 (Bl. 188 ff. d. A.).



Die Antragstellerseite hat vorgebracht, die Teilnahme an der Schulung sei erforderlich gewesen. Im Betrieb der Arbeitgeberin gebe es fortlaufend Änderungen bei der Arbeitsorganisation, z.B. die Einführung des Shopfloor Managements, C Lean und die sog. 5-A-Methoden. Auch sei die Automatisierung durch die Inbetriebnahme von Roboteranlagen und CNC-Maschinen stark forciert worden. Deshalb müsse der Betriebsrat namentlich über seine Rechte nach §§ 90 f. und § 111 BetrVG informiert sein. Irrelevant sei die IG Metall-eigene Bezeichnung KMU, weil sich das Seminar an alle Betriebe mit einschlägiger Thematik gerichtet habe.



Die Antragstellerseite hat beantragt,



Die Arbeitgeberin hat beantragt,



Sie hat die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrates bestritten.



In inhaltlicher Hinsicht hat sie vorgebracht, dass das Seminar schon deshalb nicht einschlägig gewesen sei, weil es sich bei ihr, der Arbeitgeberin, nicht um ein KMU handele. Auch im Übrigen bestehe kein betriebsbezogener Anlass, weil im Unternehmen keine Änderungen der Arbeitsorganisation gegeben seien und damit auch keine Rechte gemäß §§ 90 f. und § 111 BetrVG.



Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 20.07.2017 den Antrag zurückgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird verwiesen auf II. der erstinstanzlichen Entscheidung.



Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Sie sind der Auffassung, im Vorfeld der Schulung sei eine wirksame Beschlussfassung durch den Betriebsrat erfolgt. Inhaltlich sei die Schulung erforderlich gewesen, weil es zu Änderungen der Arbeitsorganisation mit damit verbundenen Auswirkungen auf die Belegschaft gekommen sei und weiter komme, was insbesondere aus den fortlaufend Anwendung findenden Lean-Management-Konzepten resultiere.



Die IG Metall-eigene Bezeichnung KMU in der Seminarbeschreibung sei dabei irrelevant.



Der Betriebsrat beantragt,



Der Antragsteller I beantragt,



Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens beantragt die Arbeitgeberin,



Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.



B.



Die Beschwerden des Betriebsrates und des Antragstellers I sind unbegründet.



Es konnte nämlich nach dem im Rahmen des § 83 Abs. 1 ArbGG ermittelten Sachverhalt schon nicht festgestellt werden, dass am 16.03. und/oder 06.04.2017 der gemäß § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG erforderliche wirksame Beschluss des Betriebsrates zur Teilnahme des Betriebsratsvorsitzenden I an der Schulungsveranstaltung "Änderungen der Arbeitsorganisation in KMU" vom 14. bis 19.05.2017 in Beverungen gefasst worden ist.



I. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ( 23.08.1984 - 2 AZR 391/83 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 17; 03.08.1999 - 1 ABR 30/98 - AP BetrVG 1972 § 25 Nr. 7) ist die Ladung aller Betriebsratsmitglieder einschließlich etwaiger Ersatzmitglieder nach Maßgabe des § 25 Abs. 1 BetrVG eine wesentliche Voraussetzung für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses. Wird für ein zeitweilig verhindertes Mitglied ein vorhandenes Ersatzmitglied nicht geladen, so ist der Betriebsrat an einer wirksamen Beschlussfassung gehindert. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass normalerweise nur Beschlüsse in der nach § 9 BetrVG vorgegebenen Regelbesetzung gefasst werden.



II. Diese Voraussetzungen waren im konkreten Fall nach der gegebenen Sachlage weder am 16.03. noch am 06.04.2017 erfüllt.



An beiden Sitzungen nahmen bei einer Regelbesetzung von neun jeweils nur sieben Betriebsratsmitglieder teil.



1. Am 16.03.2017 fehlten das Betriebsratsmitglied I1 und das für das erkrankte Betriebsratsmitglied C1 geladene Ersatzmitglied M. In beiden Fällen erfolgte vor der Sitzung ein Telefonat, wobei sich in der Anwesenheitsliste jeweils der Vermerk "Ist am Arbeitsplatz" befindet. Auf Befragen erklärte der Betriebsratsvorsitzende I in der mündlichen Anhörung am 08.12.2017 im Anschluss an entsprechende schriftsätzliche Darlegungen, die beiden Geladenen hätten sich auf ein erhöhtes Arbeitsaufkommen berufen, was aus seiner Sicht aber nicht zu einer zeitweiligen Verhinderung (§ 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) geführt habe.



2. Dem kann nach den konkreten Einzelfallumständen nicht gefolgt werden.



a) Allgemein liegt die zeitweilige Verhinderung eines Betriebsratsmitgliedes immer dann vor, wenn es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die anstehenden Amtsgeschäfte wahrzunehmen (z.B. BAG, 24.04.2013 - 7 ABR 82/11 - AP BetrVG 1972 § 25 Nr. 11). Im Einzelfall können die Voraussetzungen auch dann erfüllt sein, wenn das betroffene Betriebsratsmitglied in seiner Stellung als Arbeitnehmer im Betrieb unabkömmlich ist, weil die von ihm geschuldete Arbeitsleistung unbedingt, z.B. im Interesse wartender Kunden oder zur Behebung eines Notfalls, sofort erbracht werden muss (vgl. ErfK/Koch, 18. Aufl., § 25 Rn. 3; GK/Oetker, 10. Aufl., § 25 Rn. 17).



b) Liegt ein solcher Interessenkonflikt zwischen Amts- und Arbeitspflicht vor, hat das betroffene Betriebsratsmitglied unter Wahrung der von ihm eingegangenen Verpflichtung zur gewissenhaften Amtsführung darüber zu entscheiden, welchen Pflichten es den Vorrang einräumt ( BAG, 15.04.2014 - 1 ABR 2/13 (B) - AP BetrVG 1972 § 29 Nr. 9). Entscheidet es sich dafür, die Arbeit zu erbringen, ist sodann vom Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen des § 29 Abs. 2 Satz 6 BetrVG regelmäßig davon auszugehen, dass ein Verhinderungsfall gegeben ist. Nur wenn Anhaltspunkte für eine pflichtwidrige Entscheidung des jeweiligen Betriebsratsmitgliedes vorliegen, kann Veranlassung bestehen, den angegebenen Hinderungsgrund nachzuprüfen und ggf. auf die Ladung eines Ersatzmitgliedes zu verzichten (Fitting, 28. Aufl., § 25 Rn. 21; siehe zum vergleichbaren Fall eines ehrenamtlichen Richters: BAG, 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 6).



c) Hier haben sich die Herren I1 und M unter Wahrung der gemäß § 29 Abs. 2 Satz 5 BetrVG bestehenden Mitteilungspflicht auf die Erledigung von Arbeitsaufgaben berufen. Es wäre nun Aufgabe des Betriebsratsvorsitzenden gewesen, darzulegen, welche konkreten Anhaltspunkte ihm für ein pflichtwidriges Verhalten der beiden von ihm geladenen Amtsträger vorgelegen haben, die ihn dazu veranlasst haben, am Morgen des 16.03.2017 darauf zu verzichten, die kurzfristige Ladung anderer vorhandener Ersatzmitglieder zu versuchen, und statt dessen die Sitzung nur mit sieben statt neun Betriebsratsmitgliedern abzuhalten.



Da dies nicht geschehen ist, war von der Unwirksamkeit des nur von sieben Betriebsratsmitgliedern gefassten Beschlusses auszugehen.



3. Entsprechende Erwägungen gelten für die Sitzung am 06.04.2017, wobei insoweit auch nicht dargelegt wurde, woraus auf ein pflichtwidriges Verhalten des Betriebsratsmitgliedes H geschlossen worden ist, als er sich kurz vor Sitzungsbeginn telefonisch abmeldete und vermerkt wurde: "Ist am Arbeitsplatz".



Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden, wobei offenbleiben konnte, ob tatsächlich die Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG erfüllt waren, es einer Kostenaufschlüsselung bedurft hätte (Einwand der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 07.10.2017 unter 6.) und ob von Seiten der IG Metall Bildungszentrum Beverungen eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung erfolgt ist.



Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Vorschriften§§ 81, 90, 91, 111 BetrVG, §§ 90 f., § 111 BetrVG, § 83 Abs. 1 ArbGG, § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG, § 25 Abs. 1 BetrVG, § 9 BetrVG, § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, § 29 Abs. 2 Satz 6 BetrVG, § 29 Abs. 2 Satz 5 BetrVG

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