20.12.2017 · IWW-Abrufnummer 198454
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 14.09.2017 – 5 Sa 108/16
Zur Auslegung einer vertraglichen Vereinbarung als "Neuvertrag".
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.11.2015 - 7 Ca 4983/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung der Klägerin.
Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (im Folgenden: ver.di) und arbeitet seit dem 1.4.1992 für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerinnen. Im unter dem 21.2.1992 abgeschlossenen Arbeitsvertrag der Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Firma Gebr. I., die Mitglied im Arbeitgeberverband Einzelhandel NRW war, finden sich unter anderem die folgenden Regelungen:
Mit Schreiben vom 24.4.2009 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Gebr. I. KG, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31.10.2009 und bot ihr zugleich an, sie über diesen Termin hinaus zu veränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen. In dem Schreiben heißt es in diesem Zusammenhang konkret:
Die Klägerin nahm das Angebot der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen in der Folge unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Ihre gegen die Änderungskündigung vom 24.04.2009 gerichtete Klage wies das Arbeitsgericht Düsseldorf jedoch im Anschluss durch - inzwischen rechtskräftiges - Urteil vom 04.09.2009 in dem Verfahren 1 Ca 3620/09 ab.
Im weiteren Verlauf verständigte sich die Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Gebr. I. KG, unter dem 02.11.2010 auf eine Änderung ihres Arbeitsvertrags. Darin heißt es:
In der Folge trat die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Gebr. I. SE & Co. KG, mit Ablauf des 31.12.2011 aus dem Arbeitgeberverband Einzelhandel NRW aus. Dennoch gab sie im Anschluss die zum 01.07.2012 im Gehaltstarifvertrag zwischen dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Handelsverband NRW) und ver.di vom 29.6.2011 vorgesehene Erhöhung der Vergütung in der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr von monatlich 2.589,00 € brutto auf monatlich 2.641,00 € brutto an die Klägerin weiter.
Mit Wirkung zum 1.1.2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über, die im Arbeitgeberverband Einzelhandel Nordrhein-Westfalen Mitglied ohne Tarifbindung ist. Im Anschluss vereinbarten der Handelsverband NRW und ver.di durch Abschluss des Gehaltstarifvertrags vom 10.12.2013 (im Folgenden: GTV vom 10.12.2013) eine Erhöhung der Vergütung in der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr zum 1.8.2013 auf monatlich 2.720,00 € brutto und zum 1.5.2014 auf monatlich 2.777,00 € brutto. Diese Erhöhungen gab die Beklagte jeweils nicht an die Klägerin weiter.
Unter dem 20.12.2013 sandte die Beklagte folgendes Schreiben an die Klägerin:
Im weiteren Verlauf forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 17.02.2014 auf, die im GTV vom 10.12.2013 vereinbarte Erhöhung der Vergütung in der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr zum 01.08.2013 und zum 01.05.2014 an sie weiterzugeben. Mit Schreiben vom 19.03.2013 erhielt die Klägerin von der Beklagten eine ablehnende Antwort auf dieses Schreiben. Die Beklagte kam dieser Forderung der Klägerin auch nach erneuter Aufforderung durch die Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2014 nicht nach. Vielmehr lehnte sie diese im Anschluss mit Schreiben vom 26.11.2014 ausdrücklich ab. Daraufhin forderte die Klägerin die Beklagte durch Schreiben vom 5.8.2015 letztmalig erfolglos auf, sie jedenfalls ab dem September 2013 nach der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr des GTV vom 10.12.2013 zu vergüten. Im unmittelbaren Anschluss vereinbarten der Handelsverband NRW und ver.di durch Gehaltstarifvertrag vom 18.8.2015 (im Folgenden: GTV vom 18.8.2015) eine weitere Erhöhung der Vergütung in der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr zum 01.08.2015 auf monatlich 2.846,00 € brutto.
Mit ihrer am 24.8.2015 bei Gericht eingegangenen, der Beklagten am 28.08.2015 zugestellten und durch Schriftsatz vom 11.9.2015 erweiterten Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten, sie ab dem Monat September 2013 nach der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr des GTV vom 10.12.2013 bzw. vom 18.08.2015 zu vergüten.
Das monatliche Einkommen der Klägerin bestand zuletzt aus folgenden Bestandteilen (außer Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit):
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, die Tariflohnerhöhungen an sie weiterzugeben, weil arbeitsvertraglich eine Bezugnahme auf den jeweils gültigen Tarifvertrag vereinbart worden sei. Eine sog. Gleichstellungsabrede liege nicht vor. Richtig sei zwar, dass das Bundesarbeitsgericht in seiner früheren Rechtsprechung davon ausgegangen sei, es bestehe eine widerlegliche Vermutung, dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitsgeber nur darum gehe, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten Mitarbeitern hinsichtlich der Maßgeblichkeit des in Bezug genommenen Tarifvertrages für das Arbeitsverhältnis gleichzustellen. Diese Vermutung sei hier deshalb nicht anzuwenden, weil die Parteien die relevante Klausel im Rahmen der Änderungskündigung vom 24.04.2009 zum Gegenstand einer neuen Willensbildung gemacht hätten.
Die Klägerin hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Sie hat die Ansicht vertreten, die Regelung unter Ziffer 2. des Arbeitsvertrags vom 21.02.1992 sei als sogenannte Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auszulegen und habe daher mit Austritt ihrer Rechtsvorgängerin, der Gebr. I. SE & Co. KG, aus dem Arbeitgeberverband Einzelhandel NRW zum 31.12.2011, jedenfalls aber mit dem Betriebsübergang zum 01.01.2013 ihre zeitliche Dynamik verloren. Die Vertragsänderungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 24.04.2009 sowie vom 02.11.2010 und vom 20.12.2013 stünden einer entsprechenden Auslegung der Bezugnahmeklausel nicht entgegen. Die Vertragsparteien hätten diese Klausel durch den rein deklaratorischen Hinweis auf den Fortbestand der übrigen Vertragsbedingungen nicht erneut zum Gegenstand ihrer rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht.
Mit Urteil vom 05.11.2015 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat angenommen, die Beklagte sei zur Zahlung nach Vergütungsgruppe G II sowie zur Weitergabe der Tariflohnerhöhungen verpflichtet. Dabei hat es zugrunde gelegt, dass dahinstehen könne, ob die Regelung unter Ziff.2 des Arbeitsvertrages der Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 21.02.1992 ursprünglich als sog. Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auszulegen war. Denn aufgrund der Änderungen dieses Arbeitsvertrages im Zusammenhang mit der Änderungskündigung der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 24.04.2009, durch die zwischen ihr und der Klägerin vereinbarte Vertragsänderung vom 02.11.2010 und durch die zwischen den Parteien vereinbarte Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 20.12.2013 seien für die Beurteilung dieser Regelung jedenfalls nicht mehr die Auslegungsmaßstäbe für "Alt-" sondern diejenigen für "Neuverträge" maßgeblich.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl.375 ff. der Akten Bezug genommen.
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Feststellungen des Arbeitsgerichts in dem angefochtenen Urteil. Die im Arbeitsvertrag der Klägerin vom 21.02.1992 unter Ziff. 2 enthaltene Klausel sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als bloße Gleichstellungsabrede auszulegen. Entgegen der Rechtsausfassung des Arbeitsgerichts Düsseldorf führe auch die Änderungskündigung vom 24.04.2009 nicht zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage. Der Auslegung des Arbeitsgerichts könne nicht gefolgt werden. Vielmehr sei regelmäßig davon auszugehen, dass ein Arbeitgeber bei einer Änderungskündigung gerade keine weiteren Änderungen als zwingend notwendig vornehmen wolle. Dass die Rechtsvorgängerin mit dem Vergütungsangebot (Tarifgruppe G II statt Tarifgruppe G I) deutlich zum Ausdruck gebracht habe, dass sie die Klägerin entsprechend den einschlägigen tariflichen Entgeltbestimmungen habe vergüten wollen, sei richtig. Nicht jedoch in dem Sinne, dass damit eine dynamische Vergütung gemeint gewesen wäre. Dafür ergäben sich überhaupt keine Anhaltspunkte. Entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts hätten auch die Zusatzverträge vom 26.07.2001, 02.11.2010 und 20.12.2013 keine Änderung der Sach- und Rechtslage herbeigeführt.
Das Arbeitsgericht hätte den Rechtsstreit zumindest bis zum Abschuss des Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht unter dem AZ 4 AZR 61/14 aussetzen müssen.
Die Beklagte beantragt:
Die Klägerin beantragt:
Mit ihrer Berufungsbeantwortung, auf die wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens verwiesen wird, verteidigt die Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen aus beiden Instanzen Bezug genommen.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.08.2016 den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des EuGH in einer der Sachen BAG 4 AZR 61/14 (A) und BAG 4 AZR 95/14 (A) ausgesetzt.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
I.
Das im Hinblick auf die Vorlageentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 17.06.2015 (4 AZR 95/14 (A) - und - 4 AZR 61/14 (A )-) ausgesetzte Verfahren war wieder aufzunehmen, nachdem der EuGH über die Vorabentscheidungsersuchen mit Urteil vom 27.04.2017 entschieden und die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht bestätigt hat (EuGH vom 27.04.2017 - C- 680/15 und C-681/15).
II.
Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1.Zutreffend hat das Arbeitsgericht angenommen, dass die Klägerin gegen die Beklagte einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Vergütung nach der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr entsprechend dem Gehaltstarifvertrag vom 10.12.2013 und dem GTV vom 18.08.2015 hat, weil auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme diese Tarifverträge für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung finden.
Nach Ziff.2 des unter dem 21.02.1992 abgeschlossenen Arbeitsvertrages der Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten richtet sich das Anstellungsverhältnis nach den Bestimmungen der Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen nebst Nachfolgeverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung. Diesbezüglich kann auch nach Auffassung der erkennenden Kammer kein Zweifel daran bestehen, dass diese Klausel als zeitdynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge des Einzelhandels nebst Nachfolgeverträge auszulegen ist. Mit dem Arbeitsgericht geht die Kammer des Weiteren davon aus, dass vorliegend dahinstehen kann, ob die Regelung in Ziff.2 des Arbeitsvertrages vom 21.02.1992 ursprünglich als sog. Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auszulegen war, da aufgrund der Änderungen dieses Arbeitsvertrages im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 24.04.2009 für die Beurteilung dieser Regelung jedenfalls nicht mehr die Auslegungsmaßstäbe für "Alt-" sondern diejenigen für "Neuverträge" maßgeblich sind.
Die diesbezügliche Begründung des Arbeitsgerichts in dem angefochtenen Urteil macht sich die erkennende Kammer zu Eigen und sieht von einer nur wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs.2 ArbGG ab.
2.Ergänzend und eingehend auf das Vorbringen in der Berufungsbegründung ist allerdings noch Folgendes hervorzuheben, wie es so bereits im Aussetzungsbeschluss der Kammer vom 04.08.2016 niedergelegt worden war:
3.Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage und der mit diesem Antrag verfolgten, in ihrer Berechnung unstrittigen Vergütungsdifferenzen mithin zu Recht in dem hier ausgeurteilten Umfang stattgegeben und der Klägerin die von ihr insoweit geforderten Zinsen nach §§ 286 Abs.1 Satz 1, Abs.2 Nr.1, 288 Abs.1 BGB zugesprochen.
Soweit die Beklagte im Rahmen der Berufungsbegründung behauptet hat, dass die rückständigen Zahlungsansprüche erst mit anwaltlichen Schreiben vom 05.08.2015 angezeigt worden und deshalb teilweise verfallen seien, ist ihr wohl entgangen, dass die rückwirkende Vornahme der zwischenzeitlich eingetretenen Tarifanhebungen bereits mit gewerkschaftlichem Schreiben vom 14.02.2014 eingefordert und der Eingang dieses Schreibens bei ihr mit Schreiben vom 19.03.2014 bestätigt worden war (wenn dieses Schreiben fälschlicherweise auch das Datum "19.03.2013" trägt).
Zu Recht hat das Arbeitsgericht schließlich die Zulässigkeit der Feststellungsklage zu Ziff.2 der Anträge nach zutreffender Auslegung dieses Antrages und dessen Konkretisierung (im Hinblick auf die hier unstreitig angesprochenen Tarifvertragsparteien) bejaht und - mit entsprechender Tenorierung - der Klage auch insoweit stattgegeben. Die diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils macht sich das Berufungsgericht zu eigen (§ 69 Abs.2 ArbGG).
Die in anderen Rechtsstreitigkeiten einer Bejahung des Feststellungsinteresses u.U. entgegenstehende Frage der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen stellt sich vorliegend nicht.
Der Berufung der Beklagten konnte nach alledem kein Erfolg beschieden sein.
III.
Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat die Beklagte zu tragen, §§ 64 Abs.6 ArbGG, 525, 97 ZPO.
IV.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung an das Bundesarbeitsgericht liegen vor. Die Kammer ist der Auffassung, dass dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung zukommt. Damit besteht der Revisionsgrund des § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG.
Sentker
Laudien