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06.09.2017 · IWW-Abrufnummer 196364

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 22.02.2017 – 11 Sa 156/16

Einzelfall


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung im Übrigen des Teilurteils des Arbeitsgerichts Köln vom 08.12.2015 - 12 Ca 2979/15 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Versetzung der Klägerin vom 08.12.2015 rechtswidrig ist und die Beklagte verurteilt, die Klägerin als Kassenleiterin weiter zu beschäftigen.

Der Antrag auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnung vom 17.02.2015 wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten u.a. über die Berechtigung einer Abmahnung, die Wirksamkeit einer Versetzung und die Art der Beschäftigung.



Die Klägerin war seit dem März 1995 bei der Beklagten, die einen Supermarkt betreibt, als Kassiererin beschäftigt. Nach § 5 Satz 3 des Anstellungsvertrags vom 13.02.1995 kann die Beklagte die Klägerin in eine andere Abteilung oder Betriebsstätte versetzen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags vom 13.02.1995 wird auf Bl. 56 ff. d. A. verwiesen. Zum 01.01.2006 übertrug die Beklagte der Klägerin aufgrund Vereinbarung vom 15.02.2006 (Bl. 74 d. A.) die Kassenleitung. Als Leiterin der Kasse hatte die Klägerin Personalführungsbefugnis hinsichtlich etwa 50 Mitarbeiter. Sie war zuständig für 14 Kassen, die Getränkekasse und die Info-Kasse. Die Tageseinnahmen beliefen sich auf einen Betrag zwischen etwa 30.000,-- € bis 80.000,- €. Die Klägerin erstellte die Dienstpläne, die Urlaubspläne, die Vertretungspläne und war zuständig für den ordnungsgemäßen Kassenablauf. Für den Kassenbereich gilt die schriftliche Kassenanweisung für Scannerkassen (Bl. 44 ff. d. A.). Diese Anweisung regelt unter Ziffer 27. u.a., dass es verboten ist, dass mehrere Kassierer ohne vollständige Abrechnung an der gleichen Kasse kassieren.



Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist belastet. Neben zweier arbeitsgerichtlicher Streitigkeiten erteilte die Beklagte der Klägerin im Jahre 2014 acht Abmahnungen. Unter dem 17.02.2015 mahnte die Beklagte die Klägerin erneut ab, weil die Klägerin entgegen einer Anweisung des Geschäftsstellenleiters geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer mehr als neun Stunden die Woche eingesetzt habe (Bl. 8 d. A.). Mit Abmahnung vom 30.03.2015 (Bl. 7 d. A.) beanstandete die Beklagte, dass die Klägerin gegen die Kassenanweisung Nr. 27 verstoßen habe, indem sie die Kasse einer Kassiererin genutzt habe. Zum 01.04.2015 versetzte die Beklagte die Klägerin von der Kassenleitung auf die Position einer Kassiererin.



Mit Schreiben vom 21.07.2015 (Bl. 135) bat die Beklagte den Betriebsrat um Zustimmung zur Versetzung der Klägerin von der Leitung Kasse zur Leitung Back-Shop, wenn die erkrankte Klägerin wieder arbeitsfähig ist. Der Betriebsrat antwortete mit Schreiben vom 07.12.2015 u.a., dass er die Versetzung zur Kenntnis nehme. Wegen der Einzelheiten des Antwortschreibens des Betriebsrats vom 07.12.2015 wird auf Bl. 136 d. A. verwiesen.



In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 08.12.2015 erklärte die Beklagte, dass sie an der Versetzung vom 01.04.2015 nicht festhalte und die Klägerin im Falle der Wiedergenesung als Substitutin im Back-Shop (Leitung der dortigen Abteilung) eingesetzt werde. Im Back-Shop werden - neben der Klägerin - drei weitere Mitarbeiterinnen beschäftigt.



Mit Teilurteil vom 08.12.2015 (Bl. 83 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht erkannt, dass für die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung vom 01.04.2015 kein Feststellungsinteresse mehr bestehe, die Abmahnung vom 17.02.2015 inhaltlich gerechtfertigt sei und der Beschäftigungsantrag auf Weiterbeschäftigung als Kassenleiterin unbegründet sei, da die Beklagte die Klägerin im Rahmen ihres Direktionsrechts auf die Position einer Abteilungsleiterin Backwaren versetzt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbingens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.



Gegen das ihr am 08.01.2016 zugestellte Teilurteil hat die Klägerin am 01.02.2016 Berufung eingelegt und diese am 03.03.2016 begründet.



Seit Wiedergenesung im Mai 2016 wird die Klägerin im Back-Shop eingesetzt. Die Parteien haben den Antrag, der sich auf Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung vom 01.04.2015 richtet, übereinstimmend für erledigt erklärt.



Die Klägerin ist der Ansicht, die am 08.12.2015 übertragene Tätigkeit als Leiterin des Back-Shops sei nicht gleichwertig, weil sie nicht mit einer gleichwertigen Leitungsfunktion verbunden sei und Dienstpläne vorgegeben würden. Zudem sei die Anzahl der unterstellten Arbeitnehmerinnen deutlich geringer. Die Tätigkeit im Back-Shop sei als einfache Verkäufertätigkeit anzusehen und belaste die Klägerin gesundheitlich, weil sie in einem Dreischichtdienst erfolge. Der Betriebsrat sei vor der Versetzungsmaßnahme nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Abmahnung vom 17.02.2015 sei unberechtigt, da sich die Klägerin aufgrund Personalmangels in einer Notsituation befunden habe. Um eine ordnungsgemäße Kassenöffnung zu gewährleisten habe sie die Mehrarbeit der geringfügig beschäftigten Mitarbeiter angeordnet.



Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. unter Abänderung des am 08.12.2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln, Aktenzeichen 12 Ca 2979/15, festzustellen, dass auch die mündliche Versetzung der Klägerin vom 08.12.2015 in der Kammerverhandlung des Arbeitsgerichts Köln rechtswidrig ist; 2. unter Abänderung des am 08.12.2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln, Aktenzeichen 12 Ca 2979/15, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als Kassenleiterin weiter zu beschäftigen; 3. unter Abänderung des am 08.12.2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln, Aktenzeichen 12 Ca 2979/15, die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 17.02.2015 zurückzunehmen und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.12.2015 - Az: 12 Ca 2979/15 - zurückzuweisen.



Die Beklagte meint, die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz, die sich gegen die Versetzung vom 08.12.2015 richtet, sei als Klageerweiterung ebenso unzulässig wie der Beschäftigungsantrag. Letzterer weil sich die Klägerin nicht hinreichend mit den Gründen des Arbeitsgerichts auseinandersetze. Die zugewiesene Tätigkeit im Back-Shop sei gleichwertig mit jener als Kassenleitung, da sie bei unverändertem Gehalt ebenfalls mit einer Leitungsfunktion verbunden sei. Die Klägerin sei im Back-Shop u.a. für die Arbeitseinteilung und die Urlaubs- und Vertretungspläne zuständig. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung gelte mangels fristgerechter Zustimmungsverweigerung als erteilt. Die Abmahnung vom 17.02.2015 sei berechtigt. Ein Notfall habe nicht vorgelegen, vielmehr setze sich die Klägerin eigenmächtig über die Anweisungen ihres Vorgesetzten hinweg.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 02.03.2016, 14.04.2016, 22.06.2016, 29.07.2016 und 14.09.2016, die Sitzungsniederschrift vom 28.09.2016 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet. Die Klägerin setzt sich in der Berufungsbegründung durch ihre Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Versetzungsmaßnahmen, die untrennbare Grundlage der rechtlichen Beurteilung des Beschäftigungsanspruchs sind, hinreichend mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts im Sinne der §§ § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO auseinander. Sie führt im Einzelnen aus, warum es sich bei der Tätigkeit im Back-Shop nicht um eine gleichwertige und damit nicht vertragsgemäße Tätigkeit handeln soll. Die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz hinsichtlich der Versetzungsmaßnahme vom 08.12.2015 ist zulässig, §§ 263, 533 ZPO. Sie ist sachdienlich (§ 533 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und wird auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung im Rahmen des Beschäftigungsantrags ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO).



II. Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.



1. Ohne Erfolg blieb die Berufung der Klägerin, soweit die Klägerin die Rücknahme und Entfernung der Abmahnung vom 17.02.2015 begehrt. Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit mit zutreffenden Gründen, denen sich die Berufungskammer in vollem Umfang anschließt und auf die Bezug genommen wird, abgewiesen. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.



a) Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (BAG, Urt. v. 19.07. 2012 - 2 AZR 782/11 - m. w. N.). Entscheidend ist, ob ein objektiver Pflichtenverstoß vorliegt. Es kommt nicht darauf an, der Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist (BAG, Urt. v. 30.05.1996 - 6 AZR 537/95 - m. w. N.).



b) Die Klägerin hat sich unstreitig über die Vorgabe der Beklagten, dass geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer nur nach Genehmigung des vorgesetzten Geschäftsstellenleiters mit Mehrarbeit betraut werden dürfen, hinweggesetzt. Sie hat damit ihre Einteilungskompetenz vorgabewidrig ausgeübt, die Kassen waren dadurch nicht ordnungsgemäß im Rahmen der Vorgaben besetzt. Ob die Klägerin sich in einem Rechtsirrtum (vermeintliche Interessenkollision) befand oder schuldhaft gehandelt hat, ist unbeachtlich. Die erteilte Abmahnung vom 17.02.2015 ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.



2. Die Berufung ist begründet, soweit die Klägerin sich gegen die Versetzung vom 08.12.2015 wendet und die Beschäftigung als Kassenleiterin begehrt.



Die Klägerin hat aus dem Anstellungsvertrag vom 13.02.1995 und der Zusatzvereinbarung vom 15.02.2006 einen arbeitsvertraglichen Anspruch gegen die Beklagte auf Beschäftigung als Angestellte in der Funktion der Kassenleitung. Dieser Anspruch wird durch die zugewiesene Tätigkeit im Back-Shop nicht erfüllt im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB. Bei der Tätigkeit im Back-Shop handelt es sich nicht um eine gleichwertige Tätigkeit, die die Beklagte der Klägerin nach § 5 Satz 3 des Arbeitsvertrags vom 13.02.1995 i. V. m. 106 Satz 1 GewO übertragen kann.



a) Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz festgelegt sind. Das Direktions- oder Weisungsrecht berechtigt den Arbeitgeber weder dazu, dem Arbeitnehmer Tätigkeiten einer niedrigeren Vergütungsgruppe zu übertragen noch ihm Tätigkeiten zuzuweisen, die nach der Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild nicht gleichwertig sind (BAG, Urt. v. 30.08.1995- 1 AZR 47/95 - m. w. N.). Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit einer Versetzung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 106 GewO für eine Versetzung. Dazu gehört nicht nur, dass er darlegt und ggf. beweist, dass seine Entscheidung billigem Ermessen entspricht, sondern auch, dass die Versetzung im Rahmen der gesetzlichen, arbeitsvertraglichen und kollektiv-rechtlichen Grenzen erfolgt (BAG, Urt. v. 13.03.2007 - 9 AZR 433/06 - m. w. N.).



b) Die Beklagte hat nicht hinreichend dargetan, dass die übertragene Tätigkeit im Back-Shop der als Kassenleitung gleichwertig ist. Es überzeugt nicht, wenn die Beklagte darauf verweist, auch die Aufgabe der Klägerin im Back-Shop sei mit einer Leitungsfunktion verbunden und die Klägerin habe weiterhin Personalkompetenzen und sei für den ordnungsgemäßen Betrieb des Back-Shops zuständig. Im Gegenteil sprechen die Kriterien des Umfangs des Aufgabengebiets, das Maß an Verantwortung und die Anzahl unterstellter Mitarbeiter gegen die Annahme einer Gleichwertigkeit. Die Tätigkeiten in der Kassenleitung sind wesentlich umfangreicher und anspruchsvoller. Sie erstrecken sich nur auf den Kassenbereich sondern erfassen auch den Informationsbereich. Als Kassenleiterin kommt der Klägerin eine Kassenverantwortung zu, die in finanzieller Hinsicht erheblich über dem liegt, was im Back-Shop umgesetzt wird. Die Personalführung im Hinblick auf die Anzahl unterstellter Mitarbeiter reduzierte sich durch die Versetzung auf weniger als ein Zehntel der bisherigen Aufgabe. Es handelt sich nach Verkehrsauffassung und dem Sozialbild nicht um eine gleichwertige Tätigkeit. Dies zeigt sich auch an der Wertung der Tarifvertragsparteien im Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel NRW, der in der Gehaltsgruppe III, unter die sowohl Substitute als auch Kassenaufsichten beispielhaft fallen, die niedrigere Gehaltsstaffel a) für Arbeitsbereiche mit bis zu vier unterstellten Vollbeschäftigten vorsieht, die höhere Gehaltsstaffel c) hingegen bei in der Regel mehr als acht unterstellten fest angestellten zur Anwendung gelangt, jeweils einschließlich Auszubildender.



III. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.



IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Vorschriften§ 64 Abs. 2 b) ArbGG, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, §§ 263, 533 ZPO, § 533 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 529 ZPO, § 533 Nr. 2 ZPO, §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 362 Abs. 1 BGB, § 106 Satz 1 GewO, § 106 GewO, § 72 Abs. 2 ArbGG

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