03.07.2017 · IWW-Abrufnummer 194850
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 17.05.2017 – 4 Sa 1/17
In der Rechtssache
- Klägerin/Berufungsklägerin -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Stöbe, den ehrenamtlichen Richter Brucker und den ehrenamtlichen Richter Ruoff auf die mündliche Verhandlung vom 17.05.2017
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Ulm vom 1.12.2016 (2 Ca 278/16) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die (Fort-)Gewährung von Fahrtkostenerstattungen.
Die Beklagte ist die regionale Gliederung der Gewerkschaft X. für den Bezirk Südwürttemberg. Die Beklagte sowie die weiteren regionalen Gliederungen der X. und deren Landesverband führen einen Gemeinschaftsbetrieb, für den ein Betriebsrat gebildet ist.
Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt seit 1. September 1998 als Sekretärin auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 6. August 1998 (Bl. 5 und 6 d. ArbG-Akte), der ua. auf die Allgemeinen Anstellungsbedingungen des DGB Bezug nimmt.
Die Klägerin erhielt bis letztmalig März 2016 von der Beklagten monatlich ein "Fahrgeld" bezahlt, welches sich zuletzt aufteilte in 11,00 € (pauschalversteuert) und 71,82 € (steuer- und sozialversicherungspflichtig) (Abrechnung, Bl. 7 d. ArbG-Akte). Die Steuerlast trug die Beklagte. Der sich hieraus ergebende Nettobetrag von 48,00 € entsprach dem monatlichem Preis eines Jahresabos der D.... GmbH. Grundlage dieser Zahlung war eine zwischen der Beklagten, den weiteren Bezirken und dem Landesverband der X. mit deren Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung Nr. 9 vom 1. März 2003 (Fahrtkostenzuschuss) (Bl. 8 d. ArbG-Akte) (nachfolgend: BV Nr. 9), in welcher es wie folgt heißt:
Mit Schreiben des Landesverbandes vom 7. Oktober 2004 (Bl. 10 d. ArbG-Akte) wurde dem Betriebsrat folgendes mitgeteilt:
Mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 erklärten alle Vertragspartner der BV Nr. 9 auf Arbeitgeberseite gegenüber dem Betriebsrat:
Die Klägerin meinte, die BV Nr. 9 sei schon mit Schreiben vom 7. Oktober 2004 gekündigt worden. Die Betriebsvereinbarung habe sich somit bereits seit 1. April 2005 im Zustand der Nachwirkung befunden. Eine (nochmalige) Kündigung einer Betriebsvereinbarung, die sich in der Nachwirkung befinde, sei unzulässig, da damit die Nachwirkung unterlaufen würde. Die alleinige Kündigung der Nachwirkung im Nachwirkungszeitraum sei nicht möglich.
Außerdem hätten die Betriebsparteien in der BV Nr. 9 vertraglich eine Nachwirkung begründet, die auch den freiwilligen Teil der teilmitbestimmten Regelungen umfasse.
Die Klägerin meinte, ihr stehe aus der BV Nr. 9 auch inhaltlich ein Zahlungsanspruch zu. Sie fahre zwar regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit, je nach Wetterlage gelegentlich aber auch mit dem Auto. Ihr sei auf der Grundlage der BV Nr. 9 auch in der Vergangenheit schließlich immer der Fahrtkostenzuschuss gezahlt worden.
Die Klägerin beantragte:
Die Beklagte beantragte,
Sie vertrat die Auffassung, mit der Erklärung, keinen Dotierungsrahmen mehr zur Verfügung stellen zu wollen, habe sie die gesetzliche Nachwirkung beendet. Ohne "Topf" gebe es nichts mehr zu verteilen und deshalb für den Betriebsrat auch nichts mehr mitzubestimmen. Dies schlage auf die Nachwirkung durch.
Selbiges gelte für die vertragliche Nachwirkungsabrede. Ohne Verteilungsmasse sei eine Mitbestimmung sinnentleert.
Im Übrigen verweist die Beklagte darauf, dass der Klägerin schon nach der bestehenden BV Nr. 9 auch inhaltlich ein Anspruch nicht zustehe. Die Klägerin fahre nämlich regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die Klage sei deshalb unschlüssig.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Dezember 2016 abgewiesen. Es führte zur Begründung aus, die BV Nr. 9 wirke nicht gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach. Das Schreiben vom 7. Oktober 2004 sei keine Kündigung gewesen, sondern lediglich eine Ankündigung einer Kündigung. Gekündigt worden sei die Betriebsvereinbarung erst mit Schreiben vom 29. Oktober 2015. Eine bloß teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung könne ohne Dotierungsrahmen nicht nachwirken. Die vereinbarte Nachwirkung könne unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nur so ausgelegt werden, dass diese nur so lange gelten könne, wie auch ein Dotierungsrahmen zur Verfügung stehe.
Dieses Urteil wurde der Klägerseite am 13. Dezember 2016 zugestellt. Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der Klägerin, die am 11. Januar 2017 beim Landesarbeitsgericht einging und die am 10. Februar 2017 begründet wurde.
Die Klägerin beanstandet im Wesentlichen eine Verletzung materiellen Rechts.
Sie meint, der Wortlaut der Nachwirkungsvereinbarung sei eindeutig und somit weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Die Betriebsparteien hätten eindeutig einen Fall wie den vorliegenden vor Augen gehabt. Es sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die BV Nr. 9 tarifersetzenden Charakter habe. Hätte bei der Beklagten ein Tarifvertrag geschlossen werden können, hätte § 4 Abs. 5 TVG gegolten. Die nicht mögliche Tarifnachwirkung habe durch die Vereinbarung ersetzt werden sollen. Den Betriebsparteien stehe bei teilmitbestimmten Regelungen die Regelungsbefugnis zu, auch den sonst mitbestimmungsfreien "Topf" einer Nachwirkung zu unterstellen. Die Beklagte hätte zumindest die Einigungsstelle anrufen müssen.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 64 Abs. 7 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet.
I.
Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat nämlich keinen Anspruch auf (Fort-)Zahlung von Fahrtkostenerstattungen aus der BV Nr. 9.
1. Es kann dabei dahinstehen, ob die BV Nr. 9 bereits mit Schreiben vom 7. Oktober 2004 mit Wirkung zum 31. März 2005 beendet wurde.
a) Denn entweder bei diesem Schreiben handelte es sich tatsächlich um eine Kündigung, dann galten die Regelungen der BV Nr. 9 ab 1. April 2005 aufgrund der Nachwirkung gem. § 77 Abs. 6 BetrVG als auch aufgrund der vereinbarten Nachwirkung in der BV Nr. 9 selbst noch fort. Denn in dem Schreiben vom 7. Oktober 2004 wurde noch eindeutig ausgeführt, dass die freiwillige Sozialleistung nicht eingeschränkt werden solle. Es sollte also der "Topf" bestehen bleiben und lediglich wegen steuerlicher Änderungen die Verteilung geändert werden. Besteht aber zur Verteilung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG noch ein Mitbestimmungsrecht, besteht auch die Nachwirkung.
b) Sollte das Schreiben vom 7. Oktober 2004 dagegen, wie vom Arbeitsgericht angenommen, selbst noch keine Kündigung gewesen sein, sondern nur eine noch vorgelagerte Ankündigung einer Kündigung, hätte die BV Nr. 9 über den 31. März 2005 hinaus ohnehin gem. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG noch unmittelbar und zwingend gegolten.
2. Jedenfalls wurde die BV Nr. 9 mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 mit Wirkung zum 31. März 2016 gekündigt.
Damit wurde die BV Nr. 9 entweder erstmalig gekündigt oder aber es handelte sich um eine lediglich wiederholende und somit eigentlich überflüssige Kündigung, die lediglich der Beendigung der Nachwirkung hat dienen sollen. Dazu nachfolgend.
3. Die BV Nr. 9 wirkt ab 1. April 2016 nicht gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach.
a) Gem. § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung deren Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies betrifft die Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung, zu denen auch das Mitbestimmungsrecht bei der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) gehört. Betriebsvereinbarungen über Gegenstände, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, entfalten kraft Gesetz keine Nachwirkung. Betriebsvereinbarungen mit teils erzwingbaren, teils freiwilligen Regelungen wirken grundsätzlich nur hinsichtlich der Gegenstände nach, die der zwingenden Mitbestimmung unterfallen. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nachwirkungslosen Teil aufspalten lässt. Anderenfalls entfaltet zur Sicherung der Mitbestimmung die gesamte Betriebsvereinbarung Nachwirkung. Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen des Arbeitgebers, die dieser ohne eine vertragliche oder sonstige rechtliche Verpflichtung erbringt, sind regelmäßig teilmitbestimmt. Während der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen mitbestimmungsfrei vorgeben kann, bedarf es für die Ausgestaltung, also für den Verteilungs- und Leistungsplan, nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Die Nachwirkung derart teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen hängt im Falle ihrer Kündigung durch den Arbeitgeber davon ab, ob die finanziellen Leistungen ersatzlos beseitigt oder lediglich reduziert werden sollen. Will ein Arbeitgeber mit der Kündigung einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung seine finanziellen Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen, tritt keine Nachwirkung ein. Bei einer vollständigen Einstellung der Leistungen verbleiben keine Mittel, über deren Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hätte. Sinn der Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ist - zumindest auch - die Wahrung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte. Sind solche nicht betroffen, bedarf es der Nachwirkung nicht. Will der Arbeitgeber seine finanziellen Leistungen nicht völlig zum Erlöschen bringen, sondern mit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung nur eine Verringerung des Volumens der insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel und zugleich eine Veränderung des Verteilungsplans erreichen, wirkt die Betriebsvereinbarung nach. In diesem Fall verbleibt ein Finanzvolumen, bei dessen Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat (BAG 5. Oktober 2010 - 1 ABR 20/09; BAG 26. August 2008 - 1 AZR 354/07).
Ob eine teilmitbestimmte Regelung sich sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nichtnachwirkenden Teil aufspalten lässt, hängt vor allem auch davon ab, ob die einzustellende Leistung systemisch eingebunden ist in eine Gesamtvergütungsordnung oder nicht. Nur wenn eine gesondert geregelte Leistung, die nicht untrennbarer Bestandteil eines umfassenden betrieblichen Vergütungssystems ist, gänzlich eingestellt werden soll, entfällt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und damit auch eine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG (BAG 10. Dezember 2013 - 1 ABR 39/12; BAG 5. Oktober 2010 - 1 ABR 20/09; BAG 26. August 2008 - 1 AZR 354/07). Dies gebietet der Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Das Beteiligungsrecht soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten Lohngestaltung schützen. Zugleich soll die Einbeziehung des Betriebsrats zur Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sowie zur Sicherung der Angemessenheit und Durchsichtigkeit des Lohngefüges beitragen (BAG 5. Oktober 2010 - 1 ABR 20/09).
Da die Nachwirkung einer solchen teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung ausschließlich von dem Willen des Arbeitgebers abhängt, die dort geregelte Leistung auch zukünftig zu erbringen, ist es aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geboten, dass sich der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat oder den begünstigten Arbeitnehmern über seine Vorstellungen hinsichtlich der zusätzlichen Leistung festlegt. Der Arbeitgeber muss eindeutig erklären, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe nach dem Ablauf der Kündigungsfrist für den bisherigen Leistungszweck Mittel zur Verfügung stehen. Will der Arbeitgeber die Leistung nicht gänzlich einstellen, sondern lediglich das Finanzvolumen unter Beibehaltung des bisherigen Verteilungsplans reduzieren, hat er dies gleichermaßen mitzuteilen. Nur auf diese Weise können der Betriebsrat und die betroffenen Arbeitnehmer die Weitergeltung der bisher durch Betriebsvereinbarung gestalteten finanziellen Leistungen rechtssicher beurteilen, während andererseits der Arbeitgeber angehalten wird, sich mit den Auswirkungen seiner Entscheidung auf das betriebliche Zusammenleben auseinander zu setzen. Eine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG tritt nicht ein oder entfällt, wenn nach den Angaben des Arbeitgebers ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht in Betracht kommt. Der Arbeitgeber ist daher gehalten, sich entweder gegenüber dem Betriebsrat oder den Arbeitnehmern über seine Vorstellung über das weitere Schicksal der bisher in der Betriebsvereinbarung ausgestalteten Leistung zu erklären, wenn er den Eintritt der Rechtsfolgen aus § 77 Abs. 6 BetrVG vermeiden will. Diese Angaben können bereits mit der Kündigung der Betriebsvereinbarung verbunden werden. Es ist jedoch ausreichend, wenn die Mitteilung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Bis zu deren Zugang wirkt der Inhalt einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung allerdings weiter (BAG 5. Oktober 2010 - 1 ABR20/09). Will der Arbeitgeber eine Nachwirkung einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung jedoch erst nach einer Kündigung derselben nachträglich aufgrund einer Änderung seiner Absichten (völlige Streichung der freiwilligen Leistung statt Umstrukturierung) beseitigen, kann er dies nicht mit sofortiger Wirkung tun, sondern hat auch für diese Erklärung die Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG einzuhalten (DKKW/Berg BetrVG 15. Aufl. § 77 Rn. 122).
b) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich Folgendes:
aa) Die BV Nr. 9 war nicht untrennbarer Bestandteil eines Gesamtvergütungssystems.
Die Fahrtkostenerstattungen wurden unstreitig in einer gesonderten BV Nr. 9 geregelt. Diese Betriebsvereinbarung hatte keinerlei Anbindungen an das Gesamtvergütungssystem der Beklagten, welches im Wesentlichen geregelt ist in den Allgemeinen Anstellungsbedingungen, die wiederum Bestandteil des Arbeitsvertrages der Klägerin sind. Der Regelungsinhalt der BV Nr. 9 betrifft auch keine klassischen Vergütungsleistungen, sondern nur eine zweckgebundene Fahrtkostenerstattung, die im Entlohnungssystem der Beklagten kein Pendant hat (ArbG Freiburg 14. Februar 2017 - 11 Ca 189/16, nv.).
bb) Die Beklagte hat im Kündigungsschreiben vom 29. Oktober 2015 gegenüber dem Betriebsrat auch eindeutig und unmissverständlich kundgegeben, keine Mittel für Fahrtkostenzuschüsse mehr zur Verfügung stellen zu wollen.
Selbst wenn sich also die BV Nr. 9 zum Zeitpunkt der Kündigung am 29. Oktober 2015 bereits in der Nachwirkung befunden haben sollte, weil die Betriebsvereinbarung schon zuvor durch eine Kündigung vom 7. Oktober 2004 gekündigt wurde, wäre die Nachwirkung durch diesen ausdrücklichen Hinweis nunmehr nachträglich entfallen. Die entsprechend anzuwendende dreimonatige Kündigungsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG wurde eingehalten.
4. Die BV Nr. 9 wirkt auch nicht aufgrund einer vereinbarten Nachwirkung fort.
a) Ob die BV Nr. 9 trotz mitgeteilter Absicht der Beklagten zur gänzlichen Leistungseinstellung hinsichtlich des ursprünglich freiwilligen und somit eigentlich mitbestimmungsfreien Teils der Zurverfügungstellung eines Dotierungsrahmens nachwirken sollte oder ob die Nachwirkungsabrede als bloße deklaratorische Nachzeichnung des § 77 Abs. 6 BetrVG gemeint war, ist durch Auslegung zu ermitteln.
Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters nach den für Tarifverträge und Gesetze geltenden Regeln auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (BAG 14. Dezember 2010 - 3 AZR 939/08).
Bezogen auf eine Nachwirkungsabrede ist zu beachten, dass es den Betriebspartnern grundsätzlich gestattet ist, freiwillige Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung zu schaffen. Diesem Recht ist dann grundsätzlich auch die Befugnis zu entnehmen, den so geschaffenen Normen eine eingeschränkte Nachwirkung beizulegen und damit die Rechtslage zu übernehmen, die durch das Gesetz im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung ausdrücklich vorgesehen wird. Um in solchen Fällen einer fehlender Mitwirkungsbereitschaft einer der Betriebsparteien zum Neuabschluss einer ablösenden Betriebsvereinbarung und einer damit verbundenen Perpetuierung des Nachwirkungszustands zu einer Dauerbindung entgegenzuwirken, ist eine solche freiwillige Betriebsvereinbarung, die eine § 77 Abs. 6 BetrVG entsprechende Nachwirkung vorsieht, dahingehend ergänzend auszulegen, dass die Einigungsstelle bei Scheitern der Verhandlungen einseitig angerufen werden kann und diese verbindlich entscheiden kann (BAG 28. April 1998 - 1 ABR 43/97).
Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt dies nicht nur im Sonderfall der freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 102 Abs. 6 BetrVG, die der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 1998 (1 ABR 43/97) zugrunde lag, sondern ist verallgemeinerungsfähig für alle Fälle der freiwilligen Mitbestimmung. Diese Grundsätze wurden vom Bundesarbeitsgericht zB auch bei der freiwilligen Leistung einer betrieblichen Altersversorgung angewendet (BAG 21. August 2001 - 3 ABR 44/00). Das heißt, auch bei freiwilligen Geldleistungen ist es dem Arbeitgeber unbenommen, auch hinsichtlich des eigentlich mitbestimmungsfreien Teils eine Nachwirkung zu vereinbaren und diesen hochzuzonen als wäre er mitbestimmungspflichtig. Es will auch nicht einleuchten, worin der Unterschied zwischen einer freiwillig vereinbarten Nachwirkung im Falle des § 102 Abs. 6 BetrVG im Vergleich zu Fällen des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG liegen soll. In beiden Fällen soll die vereinbarte Nachwirkung einen Regelungsgegenstand betreffen, zu welchem dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zusteht und den der Betriebsrat auch nicht erzwingen könnte. Der Arbeitgeber, der trotz grundsätzlich fehlender Erzwingbarkeit freiwillig das Zugeständnis der Nachwirkung eingeht, weiß, was er tut und macht dies auf volles eigenes Risiko.
Ein etwa gebotenes Einigungsstellenverfahren wäre in diesen Fällen auch keine leere Hülse und unnütze Scheinveranstaltung. Dieses würde vielmehr den Betriebsparteien nochmals einen anderen Verhandlungsrahmen auch über den "Topf" geben unter Vermittlung eines neutralen Vorsitzenden. Es mag zwar sein, dass auch in der Einigungsstelle eine Verpflichtung zu einer fortwährenden Leistungserbringung nicht erzwingbar wäre. Doch auch solche Konstellationen sind dem Betriebsverfassungsgesetz nicht grundsätzlich wesensfremd. So ist zB bei Betriebsänderungen zwingend über einen Interessenausgleich (auch in der Einigungsstelle) zu verhandeln, auch wenn ein Einigungsstellenspruch über einen solchen Interessenausgleich nicht erzwungen werden kann. Es geht um die Schaffung einer verfahrensmäßig eingekleideten Einwirkungsmöglichkeit auf den Arbeitgeber.
Eine solche gesetzlich jedoch nicht vorgesehene Nachwirkung muss dann aber unmissverständlich erklärt werden (BAG 21. August 2001 - 3 ABR 44/00, Rn. 48). Im Zweifel ist vom gesetzlichen Regelfall auszugehen (BAG 21. August 2001 - 3 ABR 44/00, Rn. 47).
b) In Anwendung dieser Grundsätze kann die BV Nr. 9 nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Betriebsparteien eine Nachwirkung auch für den freiwilligen Teil der Dotierung haben vereinbaren wollen.
aa) Es sprechen zwar folgende Gesichtspunkte in der Auslegung zugunsten der klägerischen Auffassung:
Die Betriebsparteien haben ausdrücklich eine Nachwirkung vereinbart ohne Differenzierung zwischen dem mitbestimmungspflichtigen und dem mitbestimmungsfreien Teil. Würde die Nachwirkungsklausel nur den ohnehin mitbestimmungspflichtigen Teil betreffen, wäre sie eigentlich überflüssig. Denn insoweit wäre die Nachwirkung schon gesetzlich über § 77 Abs. 6 BetrVG gesichert.
Hinzu kommt, dass die Nachwirkung "bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung" gelten soll. Dies mag nahelegen, dass die Betriebspartner auf jeden Fall von einem Neuabschluss und nicht von einer Dauernachwirkung ausgegangen sind (BAG 28. April 1998 - 1 ABR 43/97 -), eine Einstellung der Leistung somit gar nicht in Betracht gezogen haben.
Außerdem ist, wie von Klägerseite zu Recht beanstandet, zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um eine Gewerkschaft handelt. Mit einer Gewerkschaft auf Arbeitgeberseite kann mangels tariffähiger Tarifpartner auf der Gegenseite jedoch kein Tarifvertrag geschlossen werden (BKS/Kocher/Berg TVG 5. Aufl. Rn. 74). Betriebsvereinbarungen über Entgeltleistungen haben deshalb tarifersetzende Wirkung. Wäre ein Tarifvertrag möglich gewesen, hätte bei einer Kündigung die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG gegriffen. Es ist deshalb nicht von der Hand zu weisen, dass im Lichte dieses Umstandes bei fehlender Differenzierung zwischen mitbestimmungspflichtigen und nichtmitbestimmungspflichtigen Regelungsteilen die vereinbarte Nachwirkung dahingehend gedeutet werden könnte, dass eine mit § 4 Abs. 5 TVG vergleichbare umfassende Nachwirkung gewollt gewesen sein könnte.
bb) Dass die Betriebsparteien die BV Nr. 9 ausweislich ihres Eingangssatzes "auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes" haben abschließen wollen, könnte dagegen eher nahelegen, dass die Betriebsvereinbarung nur insoweit hat abgeschlossen werden sollen als auch ein zwingendes Mitbestimmungsrecht besteht. Jedoch lässt das Betriebsverfassungsgesetz gerade auch freiwillige Betriebsvereinbarungen zu, sodass diese Formulierung eher als neutral einzustufen sein dürfte.
Maßgeblich zugunsten einer bloß deklaratorischen Verweisung auf § 77 Abs. 6 BetrVG spricht jedoch der Wortlaut der Nachwirkungsabrede selbst. Danach "gilt" die Nachwirkung im Falle einer Kündigung der Betriebsvereinbarung nämlich bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung. Durch das Wort "gilt" haben die Betriebsparteien zum Ausdruck gebracht, nicht selbst eine (weitergehende) Nachwirkung schaffen, also vereinbaren zu wollen, sondern an eine bereits bestehende Nachwirkung anknüpfen zu wollen. Das konnte dann aber nur die Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG sein. Die Regelung beinhaltet dann aber nur (nachzeichnend) die Nachwirkungsdauer.
cc) Jedenfalls kann nicht eindeutig auf den Willen einer eigenständigen Nachwirkung auch für den "Topf" rückgeschlossen werden, sodass zumindest im Zweifel von einer bloßen Nachzeichnung des Gesetzes ausgegangen werden muss.
5. Es kann deshalb dahinstehen, ob Radfahrern nach dieser BV Nr. 9 überhaupt ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung hat eingeräumt werden sollen, weil für eine "Erstattung" mangels anfallender Kosten eigentlich kein Raum bleibt.
II. Nebenentscheidungen
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Gründe für eine Revisionszulassung gem. § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.
Brucker
Ruoff
Verkündet am 17.05.2017