23.05.2017 · IWW-Abrufnummer 194101
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 09.03.2017 – 5 Sa 780/16
1. Zur Kausalität im Rahmen des Nachteilsausgleichsanspruches nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG bei einer erst nach zwei Jahren seit dem unterbliebenen Interessenausgleich erfolgenden Entlassung.
2. Zur Frage der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Unternehmen eines Gemeinschaftsbetriebes für den Abfindungsanspruch aus § 113 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG .
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 12.05.2016 - 2 Ca 1607/14 - teilweise abgeändert:
Die Beklagte zu 2) wird verurteilt,
1. an den Kläger einen Nachteilsausgleich in Höhe von 20.708,70 Euro brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.12.2014 zu zahlen;
2. an den Kläger eine Sozialplanabfindung in Höhe von 4.314,31 Euro brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 45 % und die Beklagte zu 2) zu 55 %; die Beklagten zu 1) und 3) bis 6) tragen keine Kosten.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Nachteilsausgleichsansprüche.
Der Kläger war bei der Beklagten zu 2) von 1985 bis zum 31.05.2014 als Lkw-Fahrer beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund arbeitgeberseitiger ordentlicher Kündigung vom 24.10.2013. Der Kläger, der der Betriebsratsvorsitzende des Betriebsrats der L. Gruppe war, erzielte ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von durchschnittlich 3.451,45 Euro.
Im Jahre 2010 war von allen Mitarbeitern der L. Gruppe ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden. Am 30.08.2011 fassten die Gesellschafter der Beklagten zu 2) den Beschluss, den von ihr geführten Baubetrieb zum 31.03.2012 vollständig einzustellen. Die vorhandenen Aufträge sollten abgewickelt und neue nur noch angenommen werden, wenn die Abarbeitung bis zum 31.03.2012 sicher gestellt sei. Im Gesellschafterbeschluss vom 30.08.2011 war unter Ziff. 6. aufgenommen worden:
Mit Schreiben vom 30.09.2011 kündigte die Beklagte zu 2) allen Arbeitnehmern, ohne zuvor den Abschluss eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Im Hinblick auf die dem Kläger gegenüber ausgesprochene und von diesem angegriffene Kündigung erging ein Anerkenntnisurteil, der Kläger wurde weiterbeschäftigt. Da erst nach Ausspruch aller Kündigungen im Rahmen der Einsetzung einer Einigungsstelle ein Interessenausgleich/Sozialplan verhandelt werden konnte, bekamen schließlich eine Vielzahl von gekündigten Arbeitnehmern im Rahmen von arbeitsgerichtlichen Prozessen Nachteilsausgleichsansprüche zugesprochen.
Mit Beschluss vom 09.09.2013 wurde schließlich die endgültige Schließung des Betriebs der Beklagten zu 2), der Verkauf des Grundstücks sowie die Kündigung der 3 verbliebenen Arbeitnehmer, so die auch des Klägers beschlossen. Mit Beschluss vom 31.08.2012 wurde die Gesellschaft der Beklagten zu 1) aufgelöst und am 30.11.2012 die Liquidation der Beklagten zu 3) beschlossen. Der seinerzeit verhandelte Sozialplan (Blatt 49 ff. der Akte) sieht unter § 2 einen Abfindungsanspruch vor und zwar für den Fall, dass Nachteilsansprüche nicht bestehen, in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt x 1,75 insgesamt. Dies ergibt im Falle des Klägers einen Betrag in Höhe von 6.040,03 Euro brutto.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, im August 2011 habe ein gemeinsamer Betrieb der Gesellschaften der L. Gruppe bestanden. Die Stilllegung des Baubetriebes habe als Nachteilsausgleichsansprüche auslösende Betriebsänderung nicht nur die im Jahre 2011 gekündigten Mitarbeiter betroffen, sondern darüber hinaus auch den Kläger. Denn auch er sei "infolge" dieser Betriebsänderung entlassen worden. Es bestehe ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Beschluss vom 30.08.2011 (Betriebsstilllegung) und seiner späteren Entlassung, die nach Abschluss der Abwicklungsarbeiten im Jahre 2013 zu Ende Mai 2014 - unstreitig - erfolgt war. Die Abwicklungsarbeiten in Form von Gewährleistungsarbeiten und Mängelbeseitigung würden naturgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, als übliche Geschäftstätigkeiten, so dass der Zeitraum zwischen August 2011 und seiner Entlassung im Oktober 2013 keinesfalls als "langer Zeitraum" anzusehen sei. Der unmittelbare Kausalverlauf zur Stilllegungsentscheidung aus dem Jahre 2011 sei daher weiter gegeben gewesen. Die Ursache für die Entlassung des Klägers fuße unmittelbar auf dem Stilllegungsbeschluss vom 30.08.2011, denn diese Stilllegung habe zum Wegfall des Arbeitsplatzes und somit des Beschäftigungsbedürfnisses des Klägers geführt. Wegen der inzwischen rechtkräftig festgestellten Nachteilsausgleichspflicht der Beklagten zu 2) sei auch er unzweifelhaft anspruchsberechtigt. Der Kläger berechnet die Höhe des ihm zustehenden Nachteilsausgleichsanspruchs mit insgesamt 41.417,40 Euro. Wegen der diesbezüglichen Begründung wird auf die Klageschrift (Blatt 33 der Akte) verwiesen. Der Kläger hält im Übrigen eine gesamtschuldnerische Haftung aller Beklagten für gegeben.
Jedenfalls bis August 2011 hätten die Beklagten zu 1) - 6) einen Gemeinschaftsbetrieb geführt, was so auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zuletzt noch einmal in den Rechtsstreitigkeiten 17 Sa 68/14, 17 Sa 76/14 und 17 Sa 69/14 mit Urteilen vom 19.08.2014 festgestellt habe.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagten haben beantragt,
Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, ein Nachteilsausgleichsanspruch sei deshalb nicht gegeben, da die Kündigung des Klägers nicht auf der Stilllegungsentscheidung aus dem Jahre 2011 beruhe. Sie verweisen auf die zwischen den Parteien unstreitige Tatsache, dass die ursprünglich im Zusammenhang mit der Stilllegung ausgesprochene Kündigung "zurückgenommen" worden war und der Kläger im Anschluss 2 Jahre weiterbeschäftigt worden sei. In diesem Zusammenhang verweisen die Beklagten darauf, dass verschiedene Fortführungsvarianten im Rahmen des nach Kündigungsausspruch durchgeführten Interessenausgleichsverfahrens diskutiert worden waren. Die Beklagten weisen in diesem Zusammenhang auf die ebenfalls unstreitige Tatsache hin, dass der Kläger - anders als die übrigen gekündigten Mitarbeiter - gerade nicht infolge der Betriebsstillegung gekündigt sondern ausdrücklich weiterbeschäftigt worden war und insoweit die mehr als zwei Jahre später ausgesprochene Kündigung in keinem ursächlichen Zusammenhang (mehr) mit der ursprünglichen Stilllegungsentscheidung bestanden habe. Die Beklagte verweist auf das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen, wonach die damals vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 24.10.2013 abgewiesen worden war sowie auf die für den Kläger ebenfalls erfolglos verlaufende Berufungsentscheidung des LAG Düsseldorf.
Soweit der Kläger behaupte, dass die Beklagten zumindest bis August 2011 einen Gemeinschaftsbetrieb begründet hätten, sei dies zu bestreiten. Die zur Darlegung eines Gemeinschaftsbetriebes klägerseits angeführten Umstände könnten bei genauer Betrachtung die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebes nicht rechtfertigen. Im Übrigen dürfte spätestens durch den Liquidationsbeschluss auch eine stillschweigende Vereinbarung über einen Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst worden sein.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im Hinblick auf den hilfsweise geltend gemachten Sozialplananspruch stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Dabei hat es angenommen, dass es sich bei dem Stilllegungsbeschluss aus dem Jahre 2011 ohne jeden Zweifel um eine Betriebsänderung handele, die - da die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats seinerzeit vollständig missachtet worden seien - zu einer Nachteilsausgleichspflicht der Beklagten zu 2) geführt habe. Im Hinblick auf die streitgegenständliche Kündigung aus dem Herbst 2013, die unstreitig eine "Entlassung" im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG darstelle, bestehe allerdings keine Nachteilsausgleichsverpflichtung der Beklagten zu 2) und auch nicht der übrigen Beklagten, weil diese Kündigung nicht mehr infolge der damaligen Betriebsänderung erfolgt sei. Selbst wenn man der Argumentation des Klägers folge und die Kündigung des Klägers im Oktober 2013 auf den ursprünglichen Stilllegungsentschluss zwei Jahre zuvor zurückführen wollte, so stünde dem Kläger ein Nachteilsausgleichsanspruch zwar dem Grunde nach zu, dieser würde sich jedoch der Höhe nach auf Null reduzieren. Durch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses von mehr als zwei Jahren sehe die Kammer einen Nachteil, der ausgeglichen werden müsste, als nicht (mehr) gegeben an. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 398 ff. d. A.) Bezug genommen.
Mit seiner Form - und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verweist der Kläger darauf, dass er innerhalb der mehr als zwei Jahre bei der Beklagten zu 2) noch bestehenden Beschäftigungszeit nur mit Abwicklung von Gewährleistungsansprüchen, also Abwicklungsarbeiten betraut gewesen sei. Die zwei Jahre später ausgesprochene Kündigung stehe daher unverändert in adäquat kausalem Zusammenhang mit der unternehmerischen Entscheidung über die Betriebsstilllegung aus dem Jahre 2011. Diese Entscheidung sei auch nicht geändert worden. Auch in der Einigungsstelle zum Abschluss eines Interessenausgleichs, die seitens der Beklagten zu 2) erst ein halbes Jahr nach der Umsetzung der Betriebsänderung betrieben worden sei, sei keine abweichende unternehmerische Entscheidung getroffen worden. Es sei lediglich eine hypothetische Änderung des Gesellschafterbeschlusses in den Raum gestellt worden, welche tatsächlich jedoch nicht erfolgt sei. Auch wenn das Arbeitsgericht richtig feststelle, dass der Kläger seinen sozialen Besitzstand verloren habe, so komme es rechtlich doch zu dem falschen Ergebnis, dass ihm trotzdem kein Nachteilsausgleichsanspruch zustehen würde, weil er noch weiterbeschäftigt worden wäre. Dass der Kläger über einen längeren Zeitraum als seine Kollegen noch bei der Beklagten zu 2) verdient habe, sei richtig. Nicht anders sei der Umstand jedoch zu werten als bei den Kollegen, die ein neues Arbeitsverhältnis begründet hätten und auch dort wieder "in Lohn und Brot" gekommen seien. Der Kläger habe genauso wie alle anderen betroffenen Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz verloren und damit seinen sozialen Besitzstand, dies nur etwas später. Dies sei für ihn im Übrigen auch nicht ausschließlich vorteilhaft gewesen, da es für ihn unklar gewesen sei, wann das Arbeitsverhältnis enden werde. Sicher habe er aber sein können, dass es enden werde. Der Kläger habe fast zwei Jahre im Ungewissen verbringen müssen, auch sich nicht um eine Anschlussbeschäftigung in der Zeit kümmern können.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagten beantragen:
Die Beklagten verteidigen im Wesentlichen das angefochtene Urteil - u. a. unter Verweis darauf, dass es dem Kläger freigestanden hätte, eine anderweitige Beschäftigung zu suchen. Dies habe er sich auch ausdrücklich im Interessenausgleichsverfahren und Sozialplanverfahren bestätigen lassen. Im Übrigen verweisen sie - wie bereits erstinstanzlich geschehen - auch darauf, dass der Kläger unmittelbar eine Anschlussbeschäftigung gefunden und von daher keinen wirtschaftlichen Nachteil erlitten habe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, in der Sache hat sie jedoch nur teilweise Erfolg.
I.
Dem Kläger steht ein Nachteilsausgleichanspruch gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG in dem hier ausgeurteilten Umfang zu.
1. Nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer vom Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Dieser Anspruch entsteht, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Ihre Durchführung beginnt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt (BAG vom 23.09.2003 - 1 AZR 576/02; BAG vom 30.05.2006 - 1 AZR 25/05 - Rz. 17; BAG vom 14.04.2015 - 1 AZR 794/13 - Rz. 12, 22).
Ein nachfolgender Interessenausgleich, wie vorliegend, kann grundsätzlich keine Relevanz für diesen Anspruch mehr haben und auch nicht den arbeitgeberseitigen Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten, welcher mit § 113 Abs. 3 BetrVG sanktioniert werden soll, nicht mehr heilen. Anders wäre dies allenfalls dann, wenn die nachträglich geführten Interessenausgleichsverhandlungen zu einer Abkehr von den ursprünglichen Planungen und einem damit einhergehenden Verzicht auf ursprünglich zu befürchtenden Entlassungen oder andere wirtschaftliche Nachteile führen würden. Letzteres war vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Weder ist die Beklagte zu 2) im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen von ihrem Beschluss, den von ihr unterhaltenen Baubetrieb einzustellen, abgerückt, noch hat sie seinerzeit evtl. angedachte Modifikationen tatsächlich dann in der Folgezeit umgesetzt. Der Kläger ist, wie es bereits in dem Gesellschafterbeschluss vom 30.08.2011 unter Ziff. 6. als eine von zwei möglichen Alternativen angedacht gewesen war, im Rahmen der von vornherein über den 31.03.2012 hinaus geplanten Restarbeiten/Mängelbeseitigungsarbeiten und Gewährleistungsarbeiten und deren sodann wohl beschlossenen internen Durchführung eingesetzt worden. Die Weiterbeschäftigung des Klägers über mehr als zwei Jahre diente mithin allein der Abwicklung, die aufgrund des Einstellungsbeschlusses vom 30.08.2011 (noch) nötig war. Durch die Weiterbeschäftigung des Klägers über den 31.03.2012 hinaus ist hier mithin nicht indiziert, dass er vom Stilllegungsbeschluss vom 30.08.2011 nicht mehr betroffen war, sondern nur, dass er noch nicht zum damaligen Zeitpunkt - wie alle anderen - schon betroffen war. Die für einen Nachteilsausgleichsanspruch erforderliche Kausalität ist mithin zu bejahen.
2. Dem steht vorliegend auch nicht das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2004 (1 AZR 504/03) entgegen, nach dem es den Anschein hat, als würde eine zuvor ausgesprochene, dann aber zurückgenommene Kündigung den Kausalverlauf im Hinblick auf eine nochmalige spätere Entlassung grundsätzlich unterbrechen. Dass solches nicht gemeint sein kann, ergibt sich aus dem Verweis des Bundesarbeitsgerichts in dieser Entscheidung auf eine frühere Entscheidung vom 31.10.1995 (1 AZR 372/95), in deren Rahmen durchaus die Möglichkeit einer noch auf eine frühere Betriebsstilllegung zurückgehende "Nachkündigung" anerkannt wird.
II.
Hinsichtlich der Höhe der nach § 113 BetrVG i.V.m. § 10 KSchG festzusetzenden Abfindung, bei der je nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer ein Rahmen von bis zu zwölf, 15 oder 18 Monatsverdiensten vorgesehen ist, verweist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht noch darauf hin, dass innerhalb dieses Rahmens wichtige Faktoren bei der Bemessung der Abfindung insbesondere das Alters des Arbeitnehmers, dessen Betriebszugehörigkeit und seine Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sind. Zu Unrecht meint es dann jedoch, dass durch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses von mehr als zwei Jahren zugunsten des Klägers kein Nachteil bestehe, der ausgeglichen werden müsste. Dem kann nicht gefolgt werden. Zutreffend ist insoweit nur, dass der Kläger von der Betriebsänderung nicht so hart betroffen wurde, wie die anderen Arbeitnehmer, denen im Jahr 2011 sofort gekündigt worden war. Gleichwohl ist aber auch der Kläger nicht von einer betriebsänderungsbedingten Entlassung und dem damit einhergehenden Arbeitsplatzverlust und dem Verlust des erworbenen Besitzstandes verschont geblieben. Die Weiterbeschäftigung über mehr als zwei Jahre nach der Auflösung der vormaligen Betriebsorganisation im Jahre 2012 stellt für die vorgenannten Nachteile keine "Kompensation" dar, zumal der Kläger für den insoweit erzielten Verdienst schließlich auch gearbeitet hat und die Beklagte zu 2) insofern auch Nutznießer dieser Arbeitsleistung gewesen ist. Ebenso wie eine ausgeschlagene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist eine wahrgenommene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit jedoch ein Umstand, der bei der Bemessung der Abfindungshöhe anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann (vgl. BAG vom 10.12.1996 - 1 AZR 290/96 - NZA 1997 S. 787 ff.). Die mehr als zweijährige Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses bedeutete für den Kläger, dass ihm sein bisheriger Verdienst zunächst noch über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinaus sicher war, wohingegen diejenigen, denen sofort gekündigt worden war, zum Erhalt ihres bisherigen Einkommensniveaus einer alsbaldigen Anschlussbeschäftigung zu vergleichbaren Bedingungen bei einem anderen Unternehmen bedurften. So sich ihnen eine solche bot, durften sie dann aber zur Vermeidung von Einkommenseinbußen im Hinblick auf die insoweit zu erwartenden Arbeitsbedingungen nicht "wählerisch" sein, wohingegen der Kläger über zwei Jahre lang Zeit hatte, den Arbeitsmarkt und die Stellenangebote zu prüfen, d.h. er war nicht gezwungen gewesen, aus finanziellen Gründen das "erstbeste" Angebot anzunehmen, sondern konnte in Ruhe nach für ihn optimalen Angeboten suchen, wobei aus seinem Vortrag nicht ersichtlich geworden ist, wieso er bei der Beklagten zu 2) nicht vorzeitig hätte ausscheiden können, um ein für ihn attraktives Anschlussarbeitsverhältnis einzugehen. Tatsächlich hat er dann ja auch unmittelbar ab Juni 2014 ein neues Beschäftigungsverhältnis gefunden, wie sich aus dem insoweit klägerseits unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 30.01.2015 ergibt, so dass er sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu 2) nicht einmal vorzeitig beenden musste, um sich eine bietende Anschlussbeschäftigung wahrnehmen zu können.
Ausgehend von dem vorliegend geforderten Abfindungsbetrag in Höhe von 12 Monatsgehältern, welcher auch nach Ansicht der Beklagten angesichts der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers und seines Lebensalters an sich als durchaus angemessen erscheinen würde, führen die vorgenannten Umstände zwar nicht dazu, dass dieser Abfindungsbetrag auf "Null" zu reduzieren wäre, sie lassen jedoch eine erhebliche Reduzierung des Abfindungsbetrages als angemessen erscheinen, wobei die Kammer in Abwägung aller Umstände und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles eine Reduzierung in Höhe eines hälftigen Abschlages als gerechtfertigt angesehen hat.
III.
Im Ergebnis waren dem Kläger danach ein Nachteilsausgleich nebst Zinsen in der tenorierten Höhe sowie die nach Ziff. 2. der Klageanträge geforderte Sozialplanabfindung nach Maßgabe des zwischen den Betriebsparteien der Beklagten zu 2) abgeschlossenen Sozialplans zuzusprechen.
IV.
Eine Verurteilung der Beklagten zu 1) sowie der Beklagten zu 3) bis 6) als Gesamtschuldner kam nicht in Betracht. Diese haften für die hier streitgegenständlichen Forderungen nicht.
1. Grundvoraussetzung für eine solche gesamtschuldnerische Haftung wäre zunächst, dass zwischen den einzelnen Unternehmen überhaupt ein Gemeinschaftsbetrieb bestanden hat und nicht lediglich eine unternehmerische Zusammenarbeit praktiziert wurde, bei der die hier in Rede stehende Geschäftsführung bzw. das vom Kläger angesprochene "Führungsgremium" die Aufgaben für alle Unternehmen in Bezug auf deren personelle und soziale Angelegenheiten nicht zwangsläufig einheitlich wahrgenommen haben muss, sondern diese auch organisatorisch voneinander getrennt geleitet haben kann (vgl. dazu etwa BAG vom 25.05.2005 - 7 ABR 38/04 -).
Selbst bei einem vormalig anzunehmenden Gemeinschaftsbetrieb muss dieses in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt nach dem Stilllegungsbeschluss der Beklagten zu 2) vom 30.08.2011 noch bestanden haben, d.h. insoweit weder eine (konkludente) Kündigung der vormals bestehenden Führungsvereinbarung noch eine sofortige Auflösung des Gemeinschaftsbetriebes, sondern dessen Fortführung zumindest bis zum Ausspruch der Kündigungen am 30.09.2012 anzunehmen sein. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers erschöpft sich in der Behauptung, dass jedenfalls bis August 2011 ein Gemeinschaftsbetrieb bestanden habe, über den hier maßgeblichen Folgezeitraum hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger keinerlei Ausführungen gemacht, wie er im Übrigen auch das (Fort-)Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebes im Hinblick auf die - ihrem arbeitstechnischen Zweck nach unterschiedlichen - einzelnen Unternehmen und ihre jeweilige Zugehörigkeit zum Gemeinschaftsbetrieb nicht näher dargelegt und begründet hat.
2. Die vorgenannten Fragen können hier im Ergebnis jedoch dahinstehen, da selbst bei Annahme eines Gemeinschaftsbetriebes über den 30.08.2011 hinaus eine Haftung für die hier streitgegenständlichen Ansprüche nur auf Seiten der Beklagten zu 2) angenommen werden kann. Eine Mithaftung der anderen Beklagten hätte zumindest vorausgesetzt, dass alle Unternehmen gemeinsam (als Gemeinschaft der den Betrieb führenden Unternehmen) verpflichtet gewesen wären, in Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat einzutreten, bevor der Vertragsarbeitgeber, hier die Beklagte zu 2), vollendete Tatsachen durch den Ausspruch von Kündigungen schafft. Eine solche gemeinsame Verpflichtung sämtlicher Unternehmen eines Gemeinschaftsbetriebes anzunehmen, dessen Auflösung aufgrund Stilllegungsbeschlusses eines dieser Unternehmen alsbald bevorsteht, und die Arbeitnehmer der Belegschaft des ehemaligen Gemeinschaftsbetriebes, wie vorliegend, in sehr unterschiedlichem Ausmaß tangiert, erscheint der Kammer mehr als fraglich. Insoweit stellen sich sowohl tatsächlich als auch rechtlich eine Vielzahl von Problemen:
Wie sollten die anderen Unternehmen eines Gemeinschaftsbetriebes das zur Stilllegung entschlossene Unternehmen an einem verfrühten Ausspruch von Kündigungen seiner Arbeitnehmer hindern?
Wie wäre zu bewerkstelligen, dass alle Unternehmen in Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat eintreten - und dies selbst dann, wenn allseits auf Unternehmensebene von einer bloßen unternehmerischen Zusammenarbeit, nicht aber vom Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes ausgegangen wird. Was ist, wenn vor dem Hintergrund der Annahme einer bloßen unternehmerischen Zusammenarbeit, die sich später als rechtlich unzutreffend herausstellt, ein Unternehmen seine Stilllegung beschließt und dieses Unternehmen "im Alleingang" einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht oder gar abschließt, der im Falle des Vorliegens eines Gemeinschaftsbetriebes und einer damit anzunehmenden Verpflichtung aller Unternehmen zu gemeinsamen Interessenausgleichsverhandlungen als unzureichend anzusehen wäre und dann gleichwohl Nachteilsausgleichsansprüche im Sinne des § 113 BetrVG auslösen könnte?
Zu bedenken ist auch die (nur) für den (Vertrags-)Arbeitgeber vorgesehenen Möglichkeit nach § 1 Abs. 5 KSchG, einen Interessenausgleich mit Namensliste abzuschließen, bei dem der Betriebsrat im Übrigen wohl ebenso wenig wie ein Arbeitnehmer fordern könnte, dass einzelne Arbeitnehmer auch nach Durchführung der geplanten Stilllegung und der damit verbundenen Auflösung des vormaligen Gemeinschaftsbetriebes bei anderen Unternehmen des vormaligen Gemeinschaftsbetriebes weiterbeschäftigt werden (vgl. dazu etwa BAG vom 18.10.2012 - 6 AZR 41/11 -; BAG vom 21.05.2008 - 8 AZR 84/07 -). Des Weiteren fragt sich, ob die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG auch dann noch greifen kann, wenn der Interessenausgleich mit allen Unternehmen gemeinsam zu verhandeln und abzuschließen gewesen wäre, tatsächlich aber nur mit dem Vertragsarbeitgeber abgeschlossen wurde.
Als diese tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten dürften bei einer Sachverhaltskonstellation, wie der vorliegenden, dazu führen, dass regelmäßig allenfalls das zur Stilllegung entschlossene Unternehmen des Gemeinschaftsbetriebes, nicht jedoch alle Unternehmen zusammen, rechtzeitig in Interessenausgleichsverhandlungen eintreten, so dass bei Annahme einer gemeinsamen Verpflichtung aus § 111 BetrVG in aller Regel ein Verstoß mit der sich dann ergebenden Sanktion aus § 113 BetrVG zu vergegenwärtigen wäre, d.h. die wirtschaftlich noch als kostenneutral anzusehende Verpflichtung sämtlicher Unternehmen zur gemeinsamen Führung von Interessenausgleichsverhandlungen würde im Regelfall erhebliche finanzielle Verpflichtungen aus § 113 BetrVG für alle zur Folge haben, wobei in einem Fall, wie dem vorliegenden, auch Kleinstunternehmen des Gemeinschaftsbetriebes für das größte Unternehmen mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern und deshalb ganz erheblich belastenden Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 BetrVG u. U. mithaften müssten. Das Argument, dass ein Interessenausgleich nicht über die Einigungsstelle erzwingbar ist und die Unternehmen durch die Verpflichtung, den Betriebsrat zu unterrichten und den Versuch eines Interessenausgleichs zu unternehmen, nicht finanziell unzumutbar belastet würden (so Fitting, BetrVG 28. Aufl., § 111 Rz. 23), dürfte insoweit rein faktisch in aller Regel schon nicht greifen.
3. Aber auch all diese vorhergenannten Fragen können nach Auffassung der Kammer vorliegend dahinstehen.
Die Frage, ob sich beim Unterbleiben des Versuchs eines Interessenausgleichs der durch § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG zwingend vorgeschriebene Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf den Nachteilsausgleich nicht nur gegen ihren Vertragsarbeitgeber, sondern gegen alle den Betrieb gemeinschaftlich führenden Unternehmen richtet, hat das Bundesarbeitsgericht bislang offengelassen (BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01 -). Nach Auffassung der Kammer ist diese Frage zu verneinen, so wie es das Bundesarbeitsgericht im vorgenannten Urteil für Sozialplanansprüche entschieden hat mit Hinweis darauf, dass es bei dem Sozialplan nicht um das Schicksal des Betriebes, sondern um Kompensationen für die einzelnen Arbeitnehmer geht. Dies trifft nach Ansicht der Kammer auch für den Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG zu. Auch beim Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG geht es nicht (mehr) um das Schicksal des Betriebes, sondern um Sanktionen für dessen betriebsverfassungswidrig "besiegeltes" Schicksal. Dabei dient § 113 BetrVG insbesondere aber auch dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile. Ein Nachteilsausgleichsanspruch in Form eines Abfindungsanspruches ist dabei nach § 113 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG allerdings erst dann gegeben, wenn es infolge der Betriebsänderung zu einer Entlassung kommt, die allein der Vertragsarbeitgeber aussprechen oder unterlassen kann, wobei sich deren Höhe nach den beim Vertragsarbeitgeber erfüllten Merkmalen des § 10 KSchG richtet. Zwischen dem Nachteilsausgleich in Form einer Abfindung und der Sozialplanabfindung besteht Zweckidentität (vgl. dazu BAG vom 16.05.2007 - 8 AZR 693/06 -), wobei für letztere das Bundesarbeitsgericht eine gesamtschuldnerische Haftung aller am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen von Gesetzes wegen abgelehnt hat (BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01 -). Aus den nämlichen Gründen kann nach Auffassung der Kammer für den Abfindungsanspruch aus § 113 BetrVG, der als Kompensation für den Arbeitsplatzverlust beim jeweiligen Vertragsarbeitgeber dient, auch im Rahmen des § 113 BetrVG nur der Vertragsarbeitgeber Anspruchsgegner und Haftungsverpflichteter sein.
Die gegen die Beklagte zu 1) sowie die Beklagten zu 3) bis 6) gerichtete Berufung des Klägers war nach alledem als unbegründet zurückzuweisen.
IV.
Die Kosten des Rechtsstreits waren entsprechend dem wechselseitigen Obsiegen und Unterliegen der Parteien gemäß § 92 Abs. 1 ZPO verhältnismäßig aufzuteilen.
V.
Die Revision war für den Kläger gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.
Jansen
Paxa