20.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193406
Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 03.11.2016 – 6 W 79/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
6 W 79/16
14 O 31/14 LG Frankfurt (Oder)
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In dem Kostenfestsetzungsverfahren
I…gesellschaft
- Beklagte und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
gegen
Gemeinde …,
- Klägerin und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
hat der 6. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch
xxx
am 03.11.2016
b e s c h l o s s e n:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin
des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23.10.2015 teilweise abgeändert und insgesamt
wie folgt neu gefasst:
Aufgrund des Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 29.07.2015 sind von
der Beklagten an die Klägerin an weiteren Kosten 5.369,52 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem
04.09.2015 zu erstatten.
Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren ist nicht zu erheben. Von den
außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Klägerin 74 % und
die Beklagte 26 % zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Feststellung der Unwirksamkeit eines
notariellen Grundstückskaufvertrages in Anspruch genommen. Durch
Versäumnisurteil vom 02.06.2008 hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Den
Gebührenstreitwert hat das Landgericht auf 1.606.763,28 € festgesetzt. Das im
schriftlichen Verfahren ergangene Versäumnisurteil ist der Beklagten am
02.06.2008 öffentlich zugestellt worden.
Auf der Grundlage des Versäumnisurteils hat die Klägerin durch Beschluss vom
19.01.2009 die Kostenfestsetzung gegen die Beklagte in Höhe einer 1,3
Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) sowie einer 0,5 Terminsgebühr (Nr. 3105 VV
RVG) ihrer Prozessbevollmächtigten zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale
und Umsatzsteuer, insgesamt 13.831,13 € nebst Zinsen, erwirkt.
Mit Schriftsatz vom 24.01.2014 hat die Beklagte bei dem Landgericht Einspruch
gegen das Versäumnisurteil eingelegt und zur Begründung unter anderem geltend
gemacht, das Urteil sei ihr nicht wirksam zugestellt worden. Im weiteren
Prozessverlauf hat die Beklagte Widerklage erhoben.
Mit dem am 29.07.2015 verkündeten Urteil hat das Landgericht das
Versäumnisurteil aufrechterhalten und der Widerklage unter Zurückweisung im
übrigen im Hilfsantrag stattgegeben. Es hat die weiteren Kosten des
Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Gebührenstreitwert hat das
Landgericht zuletzt auf 1.670.697,35 € (1.605.763,28 € Klage und 64.934,07 €
Widerklage) festgesetzt.
Aufgrund dieses Urteils hat die Klägerin mit Antrag vom 03.09.2015 die Festsetzung
weiterer Kosten in Höhe einer erneuten 1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG)
und einer erneuten 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) nebst Post- und
Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer, insgesamt 20.292,48 €
beantragt. Sie hat geltend gemacht, nach § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG, jedenfalls
aber in analoger Anwendung der Vorschrift, seien aufgrund des Ablaufs von mehr
als fünf Jahren zwischen Ergehen des Versäumnisurteils und Einlegung des
Einspruchs die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr ihrer
Prozessbevollmächtigten erneut angefallen und erstattungsfähig.
Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 23.10.2015 die angemeldeten Kosten
antragsgemäß gegen die Beklagte festgesetzt. Dagegen wendet sich die Beklagte
mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie begehrt, den Festsetzungsantrag vom
03.09.2015 insgesamt zurückzuweisen.
II.
Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO
zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist teilweise begründet und im
übrigen unbegründet.
Entgegen der Ansicht der Rechtspflegerin sind die Verfahrens- und die
Terminsgebühr der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach Einspruch gegen das
Versäumnisurteil nicht noch einmal entstanden. Den Prozessbevollmächtigten der
Klägerin sind für ihre Vertretung der Klägerin im Rechtsstreit insgesamt eine
1,3 Verfahrens- und eine 1,2 Terminsgebühr nach dem Gebührenstreitwert von
Klage und Widerklage (1.670.697,35 €) entstanden. Da die Höhe dieser Gebühren
nebst Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) und Umsatzsteuer (Nr. 7008
VV RVG) den mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.01.2009 festgesetzten Betrag
von 13.831,13 € übersteigt, ist der Differenzbetrag von 5.369,52 € zugunsten
der Klägerin gegen die Beklagte als weiterer Erstattungsbetrag festzusetzten.
1) Der Rechtsanwalt kann die Gebühren in derselben Angelegenheit und demselben
prozessualen Rechtszug grundsätzlich nur einmal verlangen, § 15 Abs. 2 RVG.
Wird der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist,
beauftragt, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden, erhält er gem. §
15 Abs. 5 Satz 1 RVG nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von
vornherein hiermit beauftragt worden wäre. Anders verhält es sich nach der
Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG nur dann, wenn der Rechtsanwalt
beauftragt wird, nachdem der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren
erledigt war. In diesem Fall gilt gem. § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG die weitere
Tätigkeit als neue Angelegenheit und im RVG bestimmte Anrechnungen von Gebühren
entfallen.
Voraussetzung für die Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG ist, dass der
frühere Auftrag erledigt ist und dem Rechtsanwalt nach Erledigung ein weiterer
Auftrag erteilt wird (vgl. BGH, Beschluss v. 30.03.2006, VII ZB 69/05, NJW
2006, 1525; Beschluss v. 11.08.2010 - XII ZB 60/08, MDR 2010, 1218; Senat,
Beschluss v. 26.03.2012 - 6 W 19/12; BayVGH, Beschluss v. 08.12.2014 - 15 M
14.2529, NJW 2015, 648). Ohne das Erfordernis der Erteilung eines neuen
Auftrages findet § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG nach Satz 3 der Vorschrift in der seit
dem 01.11.2012 geltenden - vorliegend gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht
heranzuziehenden - Fassung des Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes
und zur Änderung anderer Vorschriften v. 19.10.2012 (KapMuGRefG, BGBl. I S.
2182) dann entsprechende Anwendung, wenn ein Vergleich mehr als zwei
Kalenderjahre nach seinem Abschluss angefochten wird oder wenn mehr als zwei
Kalenderjahre nach Zustellung eines Beschlusses nach § 23 Absatz 3 Satz 1
KapMuG der Kläger einer Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens stellt.
1.1) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift des § 15 Abs. 5 Satz 2
RVG liegen im Streitfall nicht vor.
Zwar ist es mit Bewirken der Zustellung des Versäumnisurteils zu einer
Erledigung des Auftrags im Sinne der Fälligkeit der Anwaltsvergütung gem. § 8
Abs. 1 Satz 1 RVG gekommen, es fehlt aber an der Erteilung eines neuen
Auftrages. Den Rechtsanwälten ist nach Einspruch gegen das Versäumnisurteil
nicht ein neuer Auftrag erteilt worden. Die Klägerin macht nicht geltend, dass
das Anwaltsmandat ihrer Prozessbevollmächtigten niedergelegt oder der Auftrag
gekündigt wurde. Ein neuer Anwaltsauftrag wäre kostenerstattungsrechtlich auch
nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich anzusehen, § 91
Abs. 1 Satz 1 ZPO. Wird gegen ein Versäumnisurteil Einspruch erhoben, so wird
dasselbe Verfahren fortgesetzt, es liegt gebührenrechtlich dieselbe
Angelegenheit vor (vgl. nur KG Berlin, Beschluss v. 15.08.2008 - 1 W 398/08,
JurBüro 2008, 647; Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl., § 15 RVG Rn. 32
„Einspruch“, Rn. 70 „Versäumnisurteil“).
1.2) Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG ist nicht
gerechtfertigt.
Bei der Regelung des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG handelt es sich um einer eng
auszulegende Ausnahmevorschrift (vgl. BGH, Beschluss v. 11.08.2010 a.a.O.;
BayVGH, Beschluss v. 08.12.2014 a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss v. 13.01.2011
- 13 WF 166/10, FamRZ 2011, 665; Hartmann, Kostengesetze a.a.O. § 15 Rn. 97).
Soweit der Bundesgerichtshof vor der Gesetzesänderung durch das KapMuGRefG
entschieden hat, dass § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG für der Fall der Anfechtung eines
Prozessvergleichs eine planwidrige Regelungslücke aufweist und deshalb insoweit
analog anzuwenden ist, hat der Gesetzgeber diese Lücke mit der Einfügung des
Satzes 3 in § 15 Abs. 2 RVG geschlossen. Die Gesetzesänderung durch Anordnung
entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG auf die im Gesetz genannten
besonderen Fälle verdeutlicht, dass der Gesetzgeber das Erfordernis der
Erteilung eines neuen Auftrages allein für jene Fälle als entbehrlich angesehen
hat.
Eine planwidrige Regelungslücke der Vorschrift des § 15 RVG für den Fall, dass
gegen ein Versäumnisurteil erst nach Ablauf von mehr als zwei Kalenderjahren
seit dessen Verkündung oder Zustellung der Einspruch eingelegt wird, ist nicht
gegeben. Es ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus der Gesetzesbegründung
ein Regelungsplan des Gesetzgebers dahin, dass für den Fall der Fortsetzung des
Rechtsstreits in derselben Instanz nach Einspruch gegen ein Versäumnisurteil
der Rechtsanwalt allein im Hinblick auf die Zeitdauer der Unterbrechung der
anwaltlichen Bearbeitung der Angelegenheit eine zusätzliche Vergütung
unabhängig von der Erteilung eines neuen Auftrages erhalten soll. Die
Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/6962 S. 102 zur Vorgängervorschrift § 13 BRAGO,
BT-Drs. 15/1971 S. 190 zu § 15 RVG) stellt ausdrücklich darauf ab, dass
die im Gesetz bestimmte Zeitdauer „bis zur Erteilung eines weiteren Auftrages“
vergangen ist (vgl. auch BGH, Beschluss v. 30.03.2006 a.a.O.).
2) Die Gebühren der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind mithin nur einmal
in Ansatz zu bringen. Sie berechnen sich gem. § 60 RVG insgesamt nach den
Sätzen der Anlage 2 zu § 13 Absatz 1 Satz 3 RVG in der bei Erteilung des
unbedingten Prozessauftrages im Jahr 2007 geltenden Fassung.
2.1) Folgende Gebühren und Auslagen sind entstanden und erstattungsfähig:
Verfahrensgebühr (Nr. 3101 VV RVG) 8.379,80 € nach dem Gebührenwert von
1.670.697,35 €
Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) 7.735,20 € nach dem Gebührenwert von
1.670.697,35 €,
in welcher die Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG aufgegangen ist
Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 €
Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 3.065,65 €
Gesamt: 19.200,65 €
2.2.) Da mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.01.2009 zugunsten der Klägerin
bereits 13.831,13 € festgesetzt sind, beläuft sich der weitere
Erstattungsanspruch der Klägerin auf 5.369,52 €
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, Nr. 1812 KV GKG.
IV.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich, § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.