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31.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192953

Landgericht Arnsberg: Urteil vom 24.03.2017 – 2 O 375/16

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Arnsberg

2 O 375/16

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug A Zug um Zug gegen Rückübereignung und Übergabe des mangelhaften Fahrzeugs A sowie der Zahlung von 19.017,95 EUR zu übergeben und zu übereignen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Neulieferung und mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 56 % dem Kläger und zu 44% der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.

1

Tatbestand

2

Die Beklagte ist eine unabhängige Autohändlerin. Sie vertreibt neben anderen Fahrzeugmarken auch Fahrzeuge der Marke F1.

3

Am 08.06.2010 bestellte der Kläger bei der Beklagten auf Grundlage der verbindlichen F1-Bestellung einen A für einen Kaufpreis von 33.500 EUR. Ziff. IV.6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen trifft hierbei folgende Regelung:

4

„Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton sowie Änderungen des Lieferumfangs seitens des Herstellers bleiben während der Lieferzeit vorbehalten, sofern die Änderungen oder Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind. Sofern der Verkäufer oder der Hersteller zur Bezeichnung der Bestellung oder des bestellten Kaufgegenstandes Zeichen oder Nummern gebraucht, können allein daraus keine Rechte abgeleitet werden.“ (Bl. 38 d.A.)

5

Am 23.07.2010 wurde das streitgegenständliche Fahrzeug, ein A an den Kläger ausgeliefert, erstmals zugelassen und wird seitdem von diesem genutzt.

6

Im November 2010 stellte die F1 die Produktion des B (intern als „B1“ bezeichnet) ein und begann mit der Produktion des Nachfolgemodells, das intern als „B2“ bezeichnet wird. Dieses Nachfolgemodell unterscheidet sich von dem Modell B1 dahingehend, dass es als eines der ersten Fahrzeugmodelle auf dem neuen modularen Querbaukasten des Akonzerns basiert. Es unterscheidet sich daher hinsichtlich Baureihe, Typ, Karosserie und Motor von dem Vorgängermodell. Dazu ist das Nachfolgemodell mit der Euro 6-Typengenehmigung ausgestattet.

7

Im Rahmen der medialen Berichterstattung erfuhr der Kläger, dass der AKonzern in bestimmten Diesel-Fahrzeugen eine Software eingebaut hat, die erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und dann in einen speziellen Betriebsmodus schaltet. In diesem Betriebsmodus ist der Ausstoß von Stickoxiden geringer als in dem Normalmodus. Nur durch den Einsatz dieser Software wurden die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte für die Typenzulassung erreicht. Dabei erfuhr der Kläger auch, dass das streitgegenständliche Fahrzeug hiervon betroffen ist.

8

Mit Schreiben vom 21.01.2016 wendete sich der Kläger an die Beklagte und forderte sie zur Neulieferung eines fabrikneuen, baugleichen Fahrzeugs bis zum 03.03.2016 auf. Mit Schreiben vom 25.01.2016 lehnte die Beklagte einen „Austausch“ des Fahrzeugs ab (Anlage 7, Bl. 129 f. d.A.). Dazu informierte sie ihn über die geplanten Maßnahmen, kündigte weitere Informationen an und verzichtete auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2017. Für den weiteren Inhalt des Schreibens wird auf die Anlage 7, Bl. 129 f. d.A. Bezug genommen.

9

Am 03.06.2016 erging die Freigabebestätigung des Kraftfahrtbundesamtes für die technischen Maßnahmen für Fahrzeuge des Typs des streitgegenständlichen Fahrzeugs.

10

Der Kläger behauptet, er hätte im Rahmen des Verkaufsgesprächs gesagt, dass es ihm besonders auf den Ausstoß von Stickoxiden ankäme. Er sei auf der Suche nach einem umweltfreundlichen und wertstabilen Fahrzeug gewesen und gerade der Umweltaspekt sei für ihn ein wichtiges Kaufargument gewesen. Deshalb hätte er sich für ein Fahrzeug der C entschieden. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hätte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 141.926 km gehabt.

11

Er meint das Fahrzeug sei durch den Einsatz der Software sachmangelhaft. Deshalb könne er die Neulieferung eines fabrikneuen Fahrzeugs verlangen. Dies sei für die Beklagte nicht unzumutbar im Sinne des § 439 Abs. 2 BGB und wegen der Ziffer IV.6. der Neuwagen-Verkaufsbedingungen trotz der zwischenzeitlich erfolgten Modellpflege auch nicht unmöglich.

12

Der Kläger hat ursprünglich mit Schriftsatz vom 06.10.2016 (Bl. 3 d.A.) sinngemäß beantragt:

13

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug A Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs A zu übergeben und zu übereignen.

14

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Neulieferung und mit der Rücknahme der im Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeuge in Verzug befindet.

15

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Kläger entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit.

16

Die Beklagte hat beantragt:

17

Die Klage wird abgewiesen.

18

Mit Schriftsatz vom 16.02.2016 (Bl. 148 d.A.) hat der Kläger den Antrag zu 3) beziffert und beantragt:

19

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug A Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs A nachzuliefern.

20

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Neulieferung und mit der Rücknahme der im Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeuge in Verzug befindet.

21

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Kläger entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.419,07 EUR freizustellen.

22

Die Beklagte beantragt:

23

Die Klage wird abgewiesen.

24

Die Beklagte meint, die Verwendung der Software stelle keinen Sachmangel dar. Jedenfalls würde sie die Nacherfüllung durch Neulieferung gem. § 439 Abs. 2 BGB verweigern können, da die Neulieferung unverhältnismäßig sei. Hierauf beruft sie sich. Sie ist der Auffassung, eine Nacherfüllung durch Neulieferung scheitere auch an § 275 Abs. 1 BGB, da die Fahrzeuge der aktuellen Serie im Verhältnis zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein aliud darstellen würden.

25

Entscheidungsgründe

26

Die zulässige Klage hat Erfolg, soweit sie begründet ist.

27

An der Zulässigkeit bestehen keine Zweifel, insbesondere ist das Landgericht Arnsberg gem. § 17 Abs. 1 ZPO örtlich und gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.

28

I.

29

Die Klage ist teilweise begründet.

30

1)

31

Dem Kläger steht der geltend gemachte Hauptanspruch in voller Höhe zu. Er hat einen Anspruch auf Neulieferung eines fabrikneuen A mit identischer technischer Ausstattung wie das streitgegenständliche Fahrzeug gem. §§ 439 Abs. 1 Alt. 2, 437 Nr. 1 BGB.

32

a)

33

Die Parteien haben am 08.06.2010 einen Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug, einen A, für einen Kaufpreis von 33.500,00 EUR geschlossen. Der Kläger hat den Kaufpreis gezahlt.

34

b)

35

Das erfüllungshalber am 23.07.2010 gelieferte streitgegenständliche Fahrzeug war bei Gefahrübergang sachmangelhaft i.S.d. § 434 Abs.1 BGB. Jedenfalls weist es nicht die Beschaffenheit aus, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache gemäß § 434 Abs.1 S.2 Nr.2 Var.2 BGB erwarten kann (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 21. Juni 2016 – I-28 W 14/16 –, zit. n. juris, Rn. 28; OLG Celle, Beschluss vom 30. Juni 2016 – 7 W 26/16 –, zit. n. juris, Rn. 6).

36

Welche Beschaffenheit des Kaufgegenstandes ein Käufer anhand der Art der Sache im Sinne von § 434 Abs.1 S.2 Nr.2 erwarten kann, bestimmt sich nach dem Empfängerhorizont eines Durchschnittskäufers und damit nach der objektiv berechtigten Käufererwartung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – VIII ZR 191/07 – zit. n. juris, Rn. 14).

37

Ein Fahrzeug, welches mit einer Software ausgestattet ist, die letztendlich zur Verbesserung der Stickoxidwerte nur im Rollprüfstand führt, entspricht nicht den Erwartungen, die berechtigterweise an Fahrzeuge gleichen Standards gestellt werden dürfen. Die eingebaute Software erkennt, wann sich das Fahrzeug im Testzyklus befindet und aktiviert während der Testphase einen Abgasrückführungsprozess, der zu einem geringeren Stickoxidausstoß führt. Ein Durchschnittskäufer darf erwarten, dass die in der Testphase laufenden stickoxidverringernden Prozesse auch im realen Fahrbetrieb aktiv bleiben und nicht durch den Einsatz einer Software deaktiviert bzw. nur im Testzyklus aktiviert werden. Andernfalls wäre die Überprüfung und Angabe von Stickoxidwerten – wenn auch nur unter Laborbedingungen - Makulatur.

38

c)

39

Entsprechend konnte der Kläger im Rahmen der Nacherfüllung, § 439 Abs. 1 BGB zwischen Nachbesserung und Neulieferung wählen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Käufer grundsätzlich die freie Wahl zwischen beiden Arten der Nacherfüllung hat. Der Kläger hat sich hier für die Neulieferung gem. § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB entschieden.

40

Hiergegen kann die Beklagte sich nicht auf § 439 Abs. 3 BGB berufen. Die Nachbesserung war für die Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt, dem Zeitpunkt des Nacherfüllungsverlangens jedenfalls unzumutbar.

41

Eine Nachbesserung ist der Klagepartei unzumutbar (§ 440 Satz 1 Variante 3 BGB).

42

Zwar ist zu Gunsten der beklagten Partei zu berücksichtigen, dass sie bei Vertragsschluss keine Kenntnis von der Abgasproblematik hatte und sich das entsprechende Wissen der Volkswagen AG auch nicht zurechnen lassen muss. Die beklagte Partei und die Volkswagen AG sind rechtlich selbständig. Auch wird die Mängelbeseitigung mit dem Kraftfahrtbundesamt von einer staatlichen und damit vertrauenswürdigen Stelle überwacht.

43

Allerdings hatte auch die klagende Partei keine Kenntnis von der Abgasproblematik. Aus der gem. § 440 Satz 1 BGB allein maßgeblichen Käuferperspektive („wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung (...) ihm unzumutbar ist“), war es für die klagende Partei zum Rücktrittszeitpunkt unzumutbar, sich auf eine Nachbesserung mit ungewisser Dauer einzulassen. Im Einzelnen:

44

aa)

45

Eine Nachbesserung hat grundsätzlich innerhalb einer „angemessenen Frist“ zu erfolgen. Diese zeitliche Grenze ist auf die hier maßgebliche Problematik aber nicht zugeschnitten. Die Angemessenheit einer Frist ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen (BGH, Urteil vom 21.06.1985 – V ZR 134/84). Maßgeblich ist, dass dem Verkäufer eine zeitliche Grenze gesetzt wird, die aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls bestimmbar ist und ihm vor Augen führt, dass er die Nachbesserung nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt bewirken darf (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2016 – VIII ZR 49/15). Abweichend davon war hier zum Rücktrittszeitpunkt auch nicht für das Gericht bestimmbar, wie viel Zeit die Nachbesserung in Anspruch nehmen wird. Die Nachbesserung ist an ein behördliches Genehmigungsverfahren gebunden. Die Dauer und auch der Ausgang dieses Verfahrens standen nicht fest. So heißt es auch in dem Schreiben der Beklagten vom 25.01.2016 an den Kläger (Bl. 129 f. d. A.) lediglich unverbindlich und vage:

46

„Der aktuelle Zeitplan sieht vor, dass die ersten Fahrzeuge ab Januar 2016 auf den erforderlichen technischen Stand gebracht werden. (…) Bis zur konkreten Durchführung der Maßnahmen möchten wir (…) um Geduld und (…) Verständnis dafür bitten, dass wir alle notwendigen Schritte mit dem gebotenen Tempo, aber auch mit der Sorgfalt angehen, die Sie jetzt von uns erwarten dürfen.“

47

Ein Fristenlauf ist unter diesen Voraussetzungen Makulatur: Weder kann die Nachbesserung zeitlich beschleunigt werden, noch kann der Käufer absehen, wie lange er sich gedulden muss. Dies kann nicht zu Lasten des Käufers gehen.

48

bb)

49

Ein Nachbesserungsrecht, das ex-ante zeitlich nicht begrenzt werden kann, ist systemfremd und widerspricht europarechtlichen Wertungsvorgaben.

50

Ausweislich des Erwägungsgrundes 52 der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) hat der Unternehmer vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen die Ware so bald wie möglich und in jedem Fall spätestens binnen 30 Tagen nach Abschluss des Vertrags zu liefern. Diese Vorgabe setzt § 476 Abs. 3 Satz 2 BGB um. Durch die Höchstfrist soll Rechtssicherheit geschaffen werden (vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drs. 17/12637, 69: „Wie der Erwägungsgrund 51 der Richtlinie zeigt, soll Artikel 18 Absatz 1 dem Verbraucher Rechtssicherheit über den Zeitpunkt der Lieferung der Sache nach einem Kauf verschaffen“). Diese Wertungsvorgabe wird unterlaufen, wenn für den Unternehmer im Rahmen der Nachbesserung keine zeitlichen Grenzen gelten. Dies berücksichtigt letztlich auch § 308 Nr. 2 BGB.

51

Ein zeitlich nicht bestimmbarer Fristenlauf würde im Übrigen auch gegen anerkannte Auslegungsvorgaben zur Konkretisierung der Angemessenheit einer Frist verstoßen. Eine

52

„Nachfrist (…) braucht nicht so lang zu sein, dass der Schuldner Gelegenheit hat, innerhalb der Frist seine Leistung vorzubereiten. Vielmehr ist vorauszusetzen, dass die Leistung weitgehend fertiggestellt ist und dass der Schuldner lediglich Gelegenheit erhalten soll, seine im Wesentlichen abgeschlossene Leistung vollends zu erbringen“ (BGH, Urteil vom 10-02-1982 – VIII ZR 27/81; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.11.2011 – 9 U 83/11).

53

Daraus folgt aber auch, dass die Nachbesserungsfrist

54

„regelmäßig wesentlich kürzer (…) als die vereinbarte Herstellungsfrist“ sein kann (BGH, Urteil vom 18.01.1973 – VII ZR 183/70; vgl. auch Erst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 323 BGB Rn. 74).

55

Im Gegensatz dazu würde eine Nachbesserung hier genutzt werden, um das betroffene Fahrzeug neu zu entwickeln. Dies zeigt sich schon daran, dass die Nachbesserung einer behördlichen Genehmigung bedarf. Eine Betriebsgenehmigung ist vor dem Verkauf eines Fahrzeugs einzuholen.

56

cc)

57

Auch aus sonstigen Wertungsgesichtspunkten kann der klagenden Partei eine Nachbesserung mit ungewisser Dauer nicht zugemutet werden. Die Nachbesserung muss „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen“ (Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie)). Das ist hier nicht der Fall. Die mit einem Zuwarten verbundenen Risiken sind zu hoch, als dass sie dem Käufer aufgebürdet werden könnten:(1)

58

Zum Erklärungszeitpunkt war letztlich offen, ob eine – für den weiteren Betrieb des Fahrzeugs vorausgesetzte – Nachbesserung überhaupt möglich sein wird. Die Einzelgenehmigung des Kraftfahrtbundesamtes lag nicht vor. Zweifel an einem Nachbesserungserfolg sind jedenfalls unter Berücksichtigung der öffentlichen Diskussion nachvollziehbar. So heißt es auch in dem vorgenannten Schreiben der Beklagten vom 25.01.2016:

59

„Die durch die öffentliche Diskussion hervorgerufene Unsicherheit können wir sehr gut nachvollziehen.“

60

Zweifel an einem Nachbesserungserfolg sind insbesondere auch vor dem Hintergrund verständlich, dass die von der Volkswagen AG dem Kraftfahrtbundesamt vorgeschlagenen technischen Maßnahmen innerhalb kurzer Zeit für eine Vielzahl von betroffenen Fahrzeugen entwickelt worden sind und ausweislich des vorgenannten Schreibens mit kurzer Werkstattzeit umsetzbar sein sollen. Dann aber stellt sich die Zweifel begünstigende Frage, warum die technischen Lösungen nicht von vornherein implementiert worden sind.

61

Erschwerend kommt hinzu, dass nach dem gesetzlichen Grundsatz eine Nachbesserung erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt (§ 440 Satz 2 BGB). Der Käufer müsste also befürchten, dass sich weitere behördliche Verfahren mit ungewisser Dauer anschließen können.

62

(2)

63

Zum Erklärungszeitpunkt war auch offen, ob die Nachbesserung Auswirkungen auf Verbrauch und Fahrleistung haben wird. Dazu heißt es auch in dem vorgenannten Schreiben der Beklagten lediglich:

64

„Es ist unser Ziel, dass die Maßnahmen keinen nachhaltigen Einfluss auf Verbrauch und Fahrleistung haben werden.“

65

(3)

66

Unter Berücksichtigung der öffentlichen Diskussion war auch unklar, ob sich der Marktwert der betroffenen Fahrzeuge nachteilig entwickelt. Gerade der Wert eines Kraftwagens kann von subjektiven Vorstellungen beeinflusst sein (vgl. BGH, Urteil vom 04.03.1976 - VI ZR 14/75: „Mittelbar aber können auch ästhetische Urteile und selbst irrationale Vorurteile schadensrechtlich erheblich werden, wenn sie sich wegen ihrer allgemeinen Verbreitung zwangsläufig auf den Verkehrswert der Sache, auf die sie sich beziehen, auswirken. Das ist aber bei der allgemeinen besonderen Wertschätzung eines fabrikneuen unfallfreien Kraftwagens der Fall (…)“).

67

Auch im Zusammenhang mit der „130 %-Rechtsprechung“, wonach in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz des Reparaturaufwands bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs verlangt werden kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom 02.06.2015 – VI ZR 387/14), ist anerkannt, dass der Vertrautheit mit einem Fahrzeug (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90) und dem Wissen um den Zustand des Fahrzeugs, insbesondere auch das Wissen darum, „ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind“, „ein wirtschaftlicher Wert zukommt“ (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – VI ZR 70/04). Dies begründet die naheliegende Möglichkeit, dass jedenfalls vor der Freigabeerklärung des Kraftfahrtbundesamts ein Wertverlust zu besorgen ist. Zuvor ist gerade nicht bekannt, ob und wie der Mangel behoben werden kann. Dabei handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle – die Zulassung ist an die Mangelbeseitigung gebunden. Ist aber jedenfalls während der Nachbesserungszeit ein Wertverlust möglich, ist die klagende Partei in ihrer Dispositionsmöglichkeit erheblich eingeschränkt: Will sie keinen mangelbedingten Verlust erleiden, muss sie mit einem Verkauf des Fahrzeugs warten. Dies gilt erst Recht mit Blick auf den europäischen Markt. So heißt es bezeichnend in dem vorgenannten Schreiben der Beklagten vom 25.01.2016:

68

„F1 steht bereits in Kontakt mit zahlreichen zuständigen ausländischen Behörden mit dem Ziel, dass auch diese sich an den vom Kraftfahrt-Bundesamt bestätigten Maßnahmen orientieren.“

69

Ein Kraftwagen ist aber ein zentrales Verkehrsgut. Einschränkungen in der Fungibilität mit unbestimmter Dauer sind nicht hinnehmbar.

70

(4)

71

Die naheliegende Möglichkeit eines mangelbedingten Wertverlustes jedenfalls während der Nachbesserungszeit führt im Übrigen auch dazu, dass die klagende Partei das Risiko seiner unfallbedingten Verwirklichung trägt: Erleidet das Fahrzeug etwa einen technischen Totalschaden und kann der Geschädigte nur Ersatz des Wiederbeschaffungswerts verlangen, ist der (mangelbedingt ggf. geminderte) Wert zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses maßgeblich.

72

(5)

73

Das vorgenannte Schreiben der Beklagten vom 25.01.2016 begründet im Übrigen auch den Verdacht, dass ein Betrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Ausland mit rechtlichen Schwierigkeiten verbunden ist.

74

(6)

75

Es besteht aber auch der Verdacht, dass das Fahrzeug innerhalb von Deutschland nicht rechtlich gesichert betrieben werden kann bzw. kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht. Entsprechende rechtliche Erwägungen sind jedenfalls nicht unvertretbar. So heißt es etwa in dem Urteil des LG München II vom 15.11.2016 – 12 O 1482/16:

76

„Zu berücksichtigen ist auch, dass die Betriebserlaubnis für den PKW kraft Gesetzes gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVZO erloschen ist. Dass die Behörden an diesen Umstand momentan für Hunderttausende Kraftfahrzeugführer keine Folgen knüpfen, ist für sich genommen für § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVZO unerheblich, da die Rechtsfolge kraft Gesetzes eintritt – unabhängig von behördlichen Maßnahmen.“

77

Dieses rechtliche Risiko kann nicht dem Käufer aufgebürdet werden, zumal ausländische Behörden von der hiesigen Verwaltungspraxis abweichen können.

78

d)

79

Der Neulieferung steht auch nicht § 275 Abs. 1 BGB entgegen, sie ist möglich. Soweit die Beklagte einwendet, die Fahrzeuge derselben Serie seien alle mit der monierten Software ausgestattet und würden nicht mehr hergestellt und Fahrzeuge der aktuellen Serie seien ein Aliud, dringt sie nicht durch.

80

Es ist unerheblich, dass die Fahrzeuge derselben Serie alle mit der monierten Software ausgestattet sind, da die Beklagte das Nachlieferungsverlangen mit der Lieferung eines Fahrzeugs aus der aktuellen Serie erfüllen kann. Es handelt sich hierbei nicht um ein Aliud, auch wenn die Fahrzeuge der aktuellen Serie auf dem neuen modularen Querbaukasten basiert und sich von der Vorgängergeneration hinsichtlich Baureihe, Typ, Karosserie und Motor unterschiedet und mit der Euro 6 –Typengenehmigung ausgestattet sind. Wegen Ziff. IV.6 der Neuwagenverkaufsbedingungen sind auch Fahrzeuge mit solchen Änderungen noch von der vertraglich geschuldeten Gattungsschuld umfasst.

81

Soweit Bedenken gegen die Klausel bestehen könnten, da diese den Anlass für die vorbehaltenen Änderungen nicht nennt (vgl. KG, Urt. v. 27.10.2011, Az. 23 U 15/11 m.w.N.) kann dies hier dahinstehen. Die Beklagte könnte sich als Verwenderin der AGB gem. § 242 BGB ohnehin nicht auf eine Unwirksamkeit berufen (BGH, Urt. v. 25.02.2016, Az. VII ZR 49/15 Rn. 51 ff.).

82

Die Klausel bezieht sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch auf die Leistung im Rahmen der Nacherfüllung. Nach ihrem Wortlaut sind von der Klausel Änderungen „während der Lieferzeit“ umfasst. „Lieferzeit“ beschreibt den Zeitraum zwischen der Anforderung einer Sache und ihres Empfangs. Dabei ist auch eine Auslegung dahingehend möglich, dass die Lieferzeit erst endet, wenn eine vertragsgemäße, also mangelfreie Sache empfangen wird. Denn erst dann ist die ursprünglich angeforderte Sache auch empfangen.

83

Dazu erweitert die Klausel den Gattungsbegriff. Ob eine Ersatzlieferung durch ein Fahrzeug aus einer anderen Serienproduktion in Betracht kommt, ist nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien zu beurteilen (§§ 133, 157 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 07.06.2006, Az. VII ZR 209/05 Rn. 23). Eine Ersatzlieferung durch ein „aktualisiertes“ Fahrzeug ist möglich, wenn ein solches „aktualisiertes“ Fahzeug von der Vorstellung des Käufers bei seiner Kaufentscheidung umfasst war. Ob der Käufer in dem jeweils konkreten Fall auf ein Fahrzeug aus einer bestimmten Serienproduktion Wert gelegt hat oder ob es ihm nur um einen bestimmten Typ mit einer bestimmten Ausstattung und bestimmten Merkmalen ging, ist anhand konkreter und objektiver Kriterien zu ermitteln. In der vorliegenden Konstellation ergibt sich nach Würdigung der Gesamtumstände, dass der Kläger nur darauf Wert legte, das bestellte Modell aus der aktuellen Serienproduktion zu erhalten, das von seiner Ausstattung und seinen Merkmalen mit dem konkret bestellten Fahrzeug mindestens gleichwertig ist. Ziff. IV.6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen gestattet es dem Verkäufer, den bestellten Wagen durch einen anderen zu ersetzen, soweit dies für den Käufer zumutbar ist.

84

Die hier vorgenommenen Änderungen sind durch Ziff. IV.6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen gedeckt. Die Fahrzeuge der aktuellen Serienproduktion sind eine „aktualisierte“ Version des ursprünglich bestellten Fahrzeugs und der Austausch der Fahrzeuge ist für den Kläger zumutbar. Bei den in Betracht kommenden Fahrzeugen handelt es sich um eine Weiterentwicklung des ursprünglich bestellten Fahrzeugs, nicht um gänzlich andere Fahrzeuge. Die Unterschiede durch die Konstruktionsänderungen halten sich im Rahmen der Modellpflege. Insbesondere geht auch die Beklagte davon aus, dass es sich bei den Fahrzeugen der aktuellen Serie um Nachfolgemodelle des streitgegenständlichen Fahrzeugs handelt. Die Änderungen sind dem Kläger auch zumutbar. Hierbei ist zu vermuten, dass der Käufer ein möglichst aktuelles Fahrzeug möchte und Änderungen im Rahmen der Modellpflege vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Kaufvertrag daher grundsätzlich zumutbar sind, wenn sich die Fahrzeugdaten nicht verschlechtern. Hier ist nicht vorgetragen, dass sich die Fahrzeugdaten verschlechtert haben.

85

e)

86

Ein Verweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB liegt ebenfalls nicht vor. Der Aufwand der Beklagten bei der Neulieferung des Fahrzeugs steht in keinem groben Missverhältnis zu dem Interesse des Klägers an der Erfüllung des Kaufvertrages.

87

Allerdings ist hier beachtlich, dass der Beklagten im Falle der Nachlieferung gemäß § 474 Abs. 5 BGB ein Anspruch auf Nutzungsersatz nicht zusteht. Die Tatsache, dass unter Umständen die mangelhafte Sache intensiv genutzt wurde und der Verbraucher für diese Nutzung im Falle der Nachlieferung keinen Ersatz schuldet, kann im Rahmen des Verweigerungsrechtes des Verkäufers nach § 439 Abs. 3 BGB Berücksichtigung finden (Münchner Kommentar zum BGB – Lorenz, 6. Aufl., § 474 Rdnr. 32). Dieser kann in diesem Fall berechtigt sein, im Hinblick auf die Abnutzung des Gegenstandes, eine Nacherfüllung durch Neulieferung zu verweigern (Münchner Kommentar zum BGB aaO). Nach Auffassung der Kammer ist dieser Fall hier nach einer Nutzung des PKW von ca. 6 Jahren und einer Fahrleistung von ca. 140.000 km, die mehr als die Hälfte der in der Regel zu erwartenden Fahrleistung von 250.000 km ausmacht, gegeben. Nach Auffassung der Kammer kann sich der Käufer in dieser besonderen Situation das Recht auf Neulieferung aber erhalten, wenn er sich seinerseits zum Nutzungsersatz bereit erklärt, den er im Falle des Rücktritts zu gewähren hätte. Hier hat der Kläger sich zwar auf den Standpunkt gestellt, dass er aufgrund der Regelung des § 474 Abs. 5 BGB nicht zum Nutzungsersatz verpflichtet sei. Der Kläger hat aber hilfsweise Ausführungen zur Höhe des Nutzungsersatzes gemacht und im Termin die Fahrleistung des PKW angegeben. Die Kammer schließt daraus, dass sich der Kläger nicht grundsätzlich der Zahlung eins Nutzungsersatzes verschließt und bereit ist, einen solchen zu gewähren, den er ansonsten im Falle des dann erforderlichen Rücktritts leisten müsste. Den Nutzungsersatz hat die Kammer unter Berücksichtigung einer gemäß § 287 ZPO angenommenen Gesamtfahrleistung von 250.000 km und dem im Termin angegebenen Kilometerstand von 141.926 km berechnet. Für eine höhere Fahrleistung wäre die Beklagte vortrags- und beweispflichtig.

88

2)

89

An der Zulässigkeit des Feststellungsantrags bestehen ebenfalls keine Zweifel. Insbesondere folgt das Feststellungsinteresse des Klägers aus §§ 756, 765 Nr. 1 ZPO.

90

3)

91

Der Klageantrag zu 3) ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von den durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

92

Ein Anspruch hierauf gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB scheitert daran, dass die Beklagte sich mit der Neulieferung nicht in Verzug befand.

93

Ansprüche gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB bzw. § 280 Abs. 1 BGB, ggf. in Verbindung mit §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB wegen der ursprünglichen sachmangelbehafteten Lieferung bzw. einer etwaigen falschen Beratung greifen mangels Verschulden nicht. Die Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ist widerlegt, es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Mangel kannte. Sie muss sich auch etwaige Kenntnisse der F1 nicht zurechnen lassen. Die Zurechnung fremden Wissens ist gemäß § 278 S.1 BGB dann gerechtfertigt, wenn sich der Schuldner bei der Erfüllung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit der Hilfe eines Dritten bedient. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Verkäufer schuldet im Rahmen eines Kaufvertrages nicht die Herstellung, sondern die Lieferung einer mangelfreien Sache, § 433 Abs.1 S.2 BGB. Die F1 wird daher im Rahmen der Herstellung der Fahrzeuge nicht im Pflichtenkreis der Beklagten tätig.

94

II.

95

Eine Schriftsatzfrist war nicht zu gewähren, da es hierauf nicht ankam.

96

III.

97

Die Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 92 ZPO.

98

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

RechtsgebieteAutokauf, Rücktritt, Ersatzlieferung, VW-AbgasskandalVorschriften§ 433 Abs. 1 BGB; § 433 Abs. 1 BGB; § 437 Nr. 1 BGB; § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB; § 440 S. 1 Var. 3 BGB; § 476 Abs. 3 S. 2 BGB

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