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29.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192887

Landesarbeitsgericht Sachsen: Urteil vom 14.04.2015 – 3 Sa 529/14


In dem Rechtsstreit

...

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 3 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Frau ... auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2015

für R e c h t erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 22.08.2014 - 10 Ca 3692/13 - abgeändert und festgestellt, dass dem Kläger ab dem Kalenderjahr 2013 24 Arbeitstage Jahresurlaub zustehen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über den Umfang des dem Kläger zu gewährenden Jahresurlaubs.



Die Beklagte, vormals firmierend unter "... GmbH", mit Sitz in ... ist Mitglied im Sächsischen Arbeitgeberverband Nahrung und Genuss e.V. (SANA e.V.). Sie liefert mit kontrollierten Elterntierherden, Brütereien, eigenen Mastfarmen und Futtermühlen vom Brutei bis hin zum Fertigprodukt alles aus einer Hand. Ihr Sortiment umfasst Geflügel, Feinkost, Tiefkühlkost und Convenience Produkte. Unter dem 24.09.2001 unterzeichnete sie zusammen mit der ... GmbH und der ... GmbH einen ab dem 01.01.2000 gültigen Manteltarifvertrag - Haustarifvertrag - (MTV 2000) mit der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau). Dieser enthält in seinem § 8 unter der Überschrift "Urlaub" u.a. folgende Regelungen:



2. Urlaubsdauer



2.1 (...)



2.2 Alle übrigen Arbeitnehmer erhalten 23 Arbeitstage Urlaub.



2.3 Für langjährige Betriebszugehörigkeit erhöht sich der Urlaubsanspruch gemäß Ziff. 2.2 wie folgt:



- nach vollendeter 5-jähriger Betriebszugehörigkeit um 1 Arbeitstag,



- nach vollendeter 10-jähriger Betriebszugehörigkeit um 2 Arbeitstage,



- nach vollendeter 15-jähriger Betriebszugehörigkeit um 3 Arbeitstage,



- nach vollendeter 20-jähriger Betriebszugehörigkeit um 4 Arbeitstage,



- nach vollendeter 25-jähriger Betriebszugehörigkeit um 5 Arbeitstage,



- nach vollendeter 30-jähriger Betriebszugehörigkeit um 6 Arbeitstage.



Ergibt das erste Jahr der Beschäftigung kein volles Kalenderjahr, so bleibt es bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit im Sinne der vorgenannten Staffelung außer Betracht.



Unter dem 16.12.2004 vereinbarten die vorgenannten Tarifvertragsparteien für die in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen liegenden Betriebe und Betriebsteile der Unternehmen einen für die Zeit ab dem 01.01.2005 gültigen (neuen) Manteltarifvertrag (MTV 2005). In dessen § 7 ist unter der Überschrift "Urlaub" u.a. Folgendes bestimmt:



2. Urlaubsdauer



(...)



Alle seit dem 01.01.2004 eingestellten Arbeitnehmer und Auszubildende erhalten 21 Arbeitstage Urlaub.



Für die langjährige Betriebszugehörigkeit aller Arbeitnehmer erhöht sich der Urlaubsanspruch wie folgt:



- nach vollendeter 10-jähriger Betriebszugehörigkeit um 1 Arbeitstag,



- nach vollendeter 20-jähriger Betriebszugehörigkeit um 2 Arbeitstage,



- nach vollendeter 30-jähriger Betriebszugehörigkeit um 3 Arbeitstage.



Ergibt das erste Jahr der Beschäftigung kein volles Kalenderjahr, so bleibt es bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit im Sinne der vorgenannten Staffelung außer Betracht. Als Betriebszugehörigkeit im Sinne dieser Urlaubsregelung gilt die Zeit bei den Unternehmen lt. fachlichem Geltungsbereich dieses Vertrages.



Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.04 begonnen hat, gelten die bis zum 31.12.04 erworbenen Urlaubsansprüche gemäß dem Manteltarifvertrag vom 24.09.01 besitzstandswahrend weiter.



Die IG Bau kündigte den MTV 2005 mit Ablauf des 31.12.2009. Ein neuer Tarifvertrag wurde nicht vereinbart.



Im März 2007 gaben die am MTV 2005 beteiligten Unternehmen und der SANA e.V. eine Mitarbeiterinformation heraus (Anlage zur Klageschrift vom 09.10.2013; Bl. 25 d. A.), in der u.a. Folgendes ausgeführt wird:



Grundsatz: Für alle vor dem 01.01.04 begonnenen Arbeitsverhältnisse gilt die bis 31.12.04 erworbene Urlaubsdauer so lange fort, bis der neue Urlaubsanspruch lt. MTV v. 16.12.04 den bisherigen Besitzstand übertrifft. (...)



Grundsatz: Der neue MTV v. 16.12.04 gewährt maximal 24 AT Urlaub (21 AT Grundurlaub plus 3 AT Betr.zug.). Damit bleibt ein bis zum 31.12.04 erworbener Besitzstand von 24 oder mehr AT Gesamturlaub künftig konstant erhalten. Entsprechend der Betriebszugehörigkeit wird der Besitzstand schrittweise durch den Urlaub für Betriebszugehörigkeit ersetzt.



Unter dem 23.11.2010 informierten die oben genannten Unternehmen ihre Mitarbeiter darüber, dass sich Geschäftsführung und Betriebsrat am 20.08.2010 auf eine neue "Betriebliche Mantelregelung" verständigt hätten, die von der Geschäftsführung ab dem 01.12.2010 in Kraft gesetzt werde (vgl. Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 24.07.2014; Bl. 89 d. A.). Die vom Betriebsrat nicht unterzeichnete "Betriebliche Mantelregelung" (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 11.11.2013; Bl. 31 ff. d. A.) enthält unter ihrem § 7 "Urlaub" Ziffer 2. "Urlaubsdauer" zunächst wortgleich die Regelung des § 7 Ziff. 2 MTV 2005. Angefügt ist am Ende folgender Satz:



"Für diese Arbeitnehmer wird ein nach dem 31.12.2004 neu entstehender Urlaubsanspruch von mehr als 24 Arbeitstagen - im Sinne dieser betrieblichen Mantelregelung - ausgeschlossen."



In der Folgezeit gaben die genannten Unternehmen nach Abstimmung mit dem Betriebsrat eine undatierte, lediglich von einem Geschäftsführer unterzeichnete "Klarstellung/Änderung/Ergänzung zur Betrieblichen Mantelregelung vom 19.11.2010" (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 11.11.2013; Bl. 39 d. A.) heraus, in der es u.a. heißt:



zu § 7 Punkt 2 In Abstimmung mit dem Betriebsrat wird der letzte Satz des § 7 Punkt 2 der o.a. Betrieblichen Mantelregelung:



"Für diese Arbeitnehmer wird ein nach dem 31.12.2004 neu entstandener Urlaubsanspruch von mehr als 24 Arbeitstagen - im Sinne dieser betrieblichen Mantelregelung - ausgeschlossen."



ersatzlos gestrichen.



Der Kläger ist seit dem 03.05.2000 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 20.07.2000 (Anlage zur Klageschrift vom 09.10.2013; Bl. 5 ff. d. A.) bei der Beklagten beschäftigt. Unter § 3 "Tarifliche Bestimmungen" des Arbeitsvertrages ist u.a. Folgendes bestimmt:



"Für das Arbeitsverhältnis gelten der Manteltarifvertrag sowie der Lohn- und Gehaltstarifvertrag als Haustarifverträge in ihrer jeweilig gültigen Fassung."



In der Lohnabrechnung für Januar 2012 wies die Beklagte für den Kläger einen Jahresurlaub von 23 Urlaubstagen aus. Hierauf machte der Kläger mit Schreiben vom 04.05.2012 aufgrund seiner 10jährigen Betriebszugehörigkeit einen weiteren Urlaubstag geltend. Diese Forderung lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Mitarbeiterinformation von März 2007 mit dem Hinweis ab, der Kläger erhalte bis 2030 jährlich 23 Arbeitstage Urlaub; ab 2031 habe er seine maximale Urlaubsdauer von 24 Arbeitstagen erreicht. Eine nochmalige Geltendmachung durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 15.08.2013 wurde ebenfalls abschlägig beschieden.



Mit seiner vor dem Arbeitsgericht Leipzig erhobenen Klage hat der Kläger seine Forderung weiter verfolgt. Er hat die Ansicht vertreten, aufgrund seiner 10jährigen Betriebszugehörigkeit müsse ihm die Beklagte aufgrund der Regelung unter § 7 Ziff. 2 MTV 2005 neben dem erworbenen Besitzstand von 23 Urlaubstagen einen weiteren Urlaubstag gewähren.



Der Kläger hat beantragt,



festzustellen, dass ihm ab dem Kalenderjahr 2013 24 Arbeitstage Jahresurlaub zustehen.



Die Beklagte hat beantragt,



die Klage abzuweisen.



Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Regelung des § 7 Ziff. 2 MTV 2005 sei dahingehend zu verstehen, dass auch vor dem 01.01.2004 eingetretenen Mitarbeitern maximal 24 Urlaubstage zu gewähren seien, soweit sie nicht bis zum 31.12.2004 einen höheren Urlaubsanspruch erworben hätten. Soweit der erworbene Besitzstand unter 24 Urlaubstagen liege, sei dieser zunächst auf die tariflichen Urlaubsansprüche anzurechnen. Erst wenn der Besitzstand den tariflichen Urlaubsansprüchen nach § 7 Ziff. 2 MTV 2005 entspreche, komme eine Erhöhung aufgrund Betriebszugehörigkeit in Betracht. Beim Kläger erfolge daher eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs auf 24 Arbeitstage erst bei einer 30jährigen Betriebszugehörigkeit im Jahr 2031.



Mit seinem dem Kläger am 16.09.2014 zugestellten Urteil vom 22.08.2014 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Berufung für den Kläger zugelassen.



Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 08.10.2014 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung, die er am 16.12.2014 begründet hat, nachdem die Frist zur Berufungsbegründung auf seinen am 14.11.2014 eingegangenen Antrag bis zum 17.12.2014 verlängert worden war.



Der Kläger greift das Urteil des Arbeitsgerichts unter vertiefender Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens mit Rechtsausführungen an.



Der Kläger beantragt,



das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 22.08.2014 - 10 Ca 3692/13 - abzuändern und festzustellen, dass ihm ab dem Kalenderjahr 2013 24 Arbeitstage Jahresurlaub zustehen.



Die Beklagte beantragt,



die Berufung zurückzuweisen und verteidigt die angegriffene Entscheidung mit Rechtsausführungen als zutreffend.



Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 14.04.2015 (Bl. ff. d. A.) Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I.



Auf die aufgrund der Zulassung durch das Arbeitsgericht gemäß § 64 Abs. 2 lit. a ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sowie ausgeführte Berufung des Klägers ist das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 22.08.2014 - 10 Ca 3692/13 - abzuändern und festzustellen, dass dem Kläger ab dem Kalenderjahr 2013 24 Arbeitstage Jahresurlaub zustehen.



Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist sowohl zulässig als auch begründet.



A.



Der auf Feststellung des Umfangs des Jahresurlaubs ab 2013 gerichtete Antrag des Klägers ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.



1. Der Klageantrag ist auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Zwar können nach dieser Bestimmung nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, nicht hingegen bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich allerdings nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken, sondern kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (BAG, Urteil vom 12.11.2013 - 3 AZR 274/12 - Rz. 21, m.w.N., NZA 2014, 780, 781 f. [BAG 12.11.2013 - 3 AZR 274/12] ). Streitgegenständlich ist vorliegend die Frage, in welchem Umfang die Beklagte dem Kläger ab 2013 Urlaub gewähren muss, mithin der Umfang einer Leistungspflicht. Unproblematisch ist insoweit, dass sich der Antrag seinem Wortlaut nach auf den gesamten Jahresurlaub bezieht, obwohl dieser im Umfang von 23 Urlaubstagen unstreitig ist. Vor dem Hintergrund des Vorbringens des Klägers ist der Antrag so auszulegen, dass er nur den Streit der Parteien über den Anspruch des Klägers auf Gewährung eines weiteren Urlaubstages pro Urlaubsjahr klären soll (vgl. BAG, Urteil vom 21.10.2014 - 9 AZR 956/12 - Rz. 10, NZA 2015, 297, 298 [BAG 21.10.2014 - 9 AZR 956/12] ).



2. Es steht der Annahme eines Feststellungsinteresses nicht entgegen, dass der Zeitraum, auf den sich die begehrte Feststellung erstreckt, teilweise in der Vergangenheit liegt. Der erforderliche Gegenwartsbezug wird dadurch hergestellt, dass der Kläger für die Vergangenheit die Nachgewährung der zusätzlichen Urlaubstage im Wege des Schadenersatzes anstrebt.



3. Der grundsätzlich geltende Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit des Feststellungsantrags nicht entgegen. Der Vorrang der Leistungsklage dient dem Zweck, Rechtsstreitigkeiten prozesswirtschaftlich sinnvoll zu erledigen. Danach ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn mit ihr eine sachgerechte, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Überlegungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (so BAG, Urteil vom 12.04.2011 - 9 AZR 14/10 - Rz. 15, m.w.N., NZA 2012, 97, 98 f. [BAG 12.04.2011 - 9 AZR 14/10] ). Diese Voraussetzungen liegen vor. Ein Feststellungsurteil ist geeignet, den rechtlichen Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zu vermeiden, da zwischen den Parteien lediglich Streit über die Auslegung einer tariflichen Regelung besteht.



B.



Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist gemäß § 7 Ziff. 2 MTV 2005 verpflichtet, dem Kläger ab dem Jahr 2013 insgesamt 24 Arbeitstage Jahresurlaub zu gewähren.



1. Der MTV 2005 findet jedenfalls aufgrund der Regelung in § 3 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 20.07.2000 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.



Danach gilt für das Arbeitsverhältnis u.a. der Manteltarifvertrag als Haustarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung. Letztgültiger Manteltarifvertrag/Haustarifvertrag ist unstreitig der MTV 2005.



2. Aufgrund der Regelung im letzten Satz des § 7 Ziff. 2 MTV 2005 konnte der Kläger seit dem 01.01.2005 einen Jahresurlaub im Umfang von 23 Arbeitstagen beanspruchen.



Für den Kläger galten die gemäß dem MTV 2000 bis zum 31.12.2004 erworbenen Urlaubsansprüche weiter, da sein Arbeitsverhältnis am 03.05.2000 und damit vor dem 01.01.2004 begonnen hatte. Gemäß § 8 Ziff. 2.2 MTV 2000 betrug sein Jahresurlaub daher 23 Arbeitstage, da er am 31.12.2004 noch keine 5jährige Betriebszugehörigkeit aufwies.



3. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts und der Beklagten kann der Kläger ab dem Jahr 2013 gemäß § 7 Ziff. 2 MTV 2005 einen weiteren Urlaubstag beanspruchen, da er zehn Jahre Betriebszugehörigkeit vollendet hat. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Vorschrift.



a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 22.04.2010 - 6 AZR 962/08 - Rz. 17, m.w.N., NZA 2011, 1293, 1294 f. [BAG 22.04.2010 - 6 AZR 962/08] ) folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.



b) Ausgehend hiervon ist § 7 Ziff. 2 MTV 2005 dahingehend auszulegen, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2004 begonnen hat, neben dem Besitzstand auf der Basis des MTV 2000 nach Vollendung einer 10-, 20- oder 30-jährigen Betriebszugehörigkeit nach dem 01.01.2005 jeweils einen weiteren Arbeitstag als Urlaub beanspruchen können.



Entgegen der Ansicht der Beklagten, enthält § 7 Ziff. 2 keine Regelung, wonach der Jahresurlaub für alle Arbeitnehmer maximal 24 Arbeitstage beträgt. Ausdrücklich geregelt ist vielmehr der Mindesturlaub. Dieser beträgt für alle seit dem 01.01.2004 eingestellten Arbeitnehmer 21 Arbeitstage. Korrespondierend dazu gelten für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2004 begonnen hat, die bis zum 31.12.2004 erworbenen Urlaubsansprüche gemäß dem MTV 2000 besitzstandswahrend weiter. Der Besitzstand trifft aber nur eine Aussage dazu, welche Urlaubsansprüche erhalten bleiben, nicht dazu, welche Urlaubsansprüche zukünftig noch erworben werden können. Daneben bestimmt § 7 Ziff. 2 MTV 2005 ausdrücklich, dass sich der Urlaubsanspruch aller Arbeitnehmer bei langjähriger Betriebszugehörigkeit um ein, zwei bzw. drei Arbeitstage erhöht. Anders als beim Mindesturlaub/Besitzstand wird bei den zusätzlichen Urlaubstagen nicht zwischen vor oder nach dem 01.01.2004 eingetretenen Arbeitnehmern unterschieden. Entsprechend ist die Regelung dahingehend zu verstehen, dass die Zusatztage allen Arbeitnehmern zusätzlich zu ihrem jeweiligen Mindesturlaub bzw. Besitzstand zu gewähren sind. Hätten die Tarifvertragsparteien eine grundsätzlich für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihren Eintrittsdatum geltende Zahl von Urlaubstagen vereinbaren wollen, hätte es nahe gelegen, zu formulieren, dass der Jahresurlaub für alle Arbeitnehmer nach vollendeter 10jähriger Betriebszugehörigkeit 22 Arbeitstage, nach vollendeter 20jähriger Betriebszugehörigkeit 23 Arbeitstage und nach vollendeter 30jähriger Betriebszugehörigkeit 24 Arbeitstage beträgt, soweit nicht der erworbene Besitzstand größer ist. Dadurch, dass nur die Zahl der zusätzlichen Urlaubstage benannt ist, liegt es nahe, diese zum jeweils individuellen Mindesturlaub bzw. Besitzstand hinzuzurechnen.



Soweit das Arbeitsgericht annimmt, der Wortlaut der Besitzstandsklausel im letzten Satz des § 7 Ziff. 2 MTV 2005 schließe "eindeutig" die Hinzurechnung von Zusatztagen für langjährige Betriebszugehörigkeit aus, soweit der Besitzstand größer oder gleich dem Urlaubsanspruch der ab dem 01.01.2004 eingestellten Arbeitnehmer sei, kann dem nicht gefolgt werden. Eindeutig ist allein, dass die zusätzlichen Urlaubstage gemäß § 8 Ziff. 2.3 MTV 2000 nicht verlangt werden können, wenn die entsprechende Betriebszugehörigkeit erst nach dem 31.12.2004 vollendet wird.



Hierüber besteht zwischen den Parteien aber auch kein Streit. Dagegen enthält die Besitzstandsregelung in § 7 Ziff. 2 MTV 2005 keine Aussage dazu, ob und wie sich der geschützte status quo der vor dem 01.01.2004 eingestellten Arbeitnehmer weiter entwickeln soll.



Auch Sinn und Zweck der Besitzstandsklausel sprechen nicht gegen eine Hinzurechnung der zusätzlichen Urlaubstage für langjährige Betriebszugehörigkeit zum am 31.12.2004 erreichten Besitzstand. Richtig ist, dass es durch die Neuregelung des Urlaubsanspruchs im MTV 2005 zu einer Verringerung des maximal zu gewährenden Urlaubs kommen sollte. Dieser Zweck wird aber auch bei Berücksichtigung des hier vertretenen Auslegungsergebnisses erreicht. Konnte der Kläger nach dem MTV 2000 maximal einen Urlaubsanspruch von 29 Arbeitstagen erlangen, sind es nach dem MTV 2005 unter Berücksichtigung des Besitzstandes von 23 Urlaubstagen maximal 26 Urlaubstage. Ein Wille, den Urlaubsanspruch für alle Arbeitnehmer grundsätzlich auf 24 Arbeitstage zu begrenzen, hat in der tariflichen Regelung des § 7 Ziff. 2 MTV 2005 keinen hinreichenden Ausdruck gefunden. Die Mitarbeiterinformation vom März 2007 ist für die Auslegung des § 7 Ziff. 2 MTV 2005 ohne Belang, da in ihr nur die Rechtsansicht der Arbeitgeberseite wiedergegeben wird.



c) Ausgehend vom vorstehenden Auslegungsergebnis kann der Kläger jedenfalls seit dem 01.01.2013 neben seinem Besitzstand von 23 Urlaubstagen einen zusätzlichen Arbeitstag als Urlaub beanspruchen, denn das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand unstreitig seit dem 03.05.2000, mithin mit Ablauf des 31.12.2010 zehn volle Kalenderjahre. Ob sich für den Kläger aus der "Betrieblichen Mantelregelung" vom 19.11.2010 ein geringerer Urlaubsanspruch ergeben würde, kann dahinstehen, da die einseitig durch die Beklagte gesetzte Regelung mangels einvernehmlicher Inbezugnahme durch die Parteien auf das Arbeitsverhältnis des Klägers keine Anwendung findet.



II.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.



Die Zulassung der Revision für die Beklagte folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Auslegung der Regelung unter § 7 Ziff. 2 MTV 2005 hat grundsätzliche Bedeutung, da es sich insoweit um eine über den Gerichtsbezirk des erkennenden Landesarbeitsgerichts hinaus geltende tarifliche Regelung handelt. Es gilt daher die nachfolgende

Vorschriften§ 7 Ziff. 2 MTV, § 64 Abs. 2 lit. a ArbGG, § 256 Abs. 1 ZPO, § 8 Ziff. 2.2 MTV, § 8 Ziff. 2.3 MTV, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG

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