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20.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192616

Landesarbeitsgericht Thüringen: Urteil vom 20.04.2016 – 6 Sa 71/14


In dem Rechtsstreit

./.

- Beklagter und Berufungskläger -

Prozessbevollmächtigte:

./.

gegen

./.

- Kläger und Berufungsbeklagter -

Prozessbevollmächtigte:

./.

hat das Landesarbeitsgericht in Erfurt auf die mündliche Verhandlung vom 20.04.2016

durch den Richter am Arbeitsgericht Holthaus als Vorsitzenden und die Ehrenamtlichen Richter Thiemann und Förster als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 10.10.2013 - 3 Ca 61/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung des Klägers.



Der nicht tarifgebundene Beklagte war ein seit April 2005 eingetragener Verein. Nach § 2 seiner Satzung war sein Zweck die Förderung der qualifizierten Berufsausbildung. § 4 der Satzung sah vor allem vor, dass Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie Mitglied werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts der Satzung des Beklagten wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 87-90 Rückseite) verwiesen.



Der Beklagte stellte vor allem Jugendliche mit besonderen Ausbildungsschwierigkeiten ein, denen aufgrund schulischer Schwierigkeiten, komplizierter familiärer Verhältnisse und damit verbundener Erziehungsdefizite, aber auch wegen sprachlicher Schwierigkeiten in Einwandererfamilien der Zugang zur Ausbildung schwer fällt. Er verfolgte ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke und keine eigenen kommerziellen Interessen. Der Beklagte schloss mit Auszubildenden Ausbildungsverträge. Die Ausbildung wurde jeweils von einem der Mitgliedsunternehmen des Beklagten durchgeführt. Die Auszubildendengestellung durch den Beklagten und die Ausbildungsübernahme durch die Mitgliedsunternehmen wurden durch die Ausbildungsübernahmeverträge geregelt. Auf diese Weise schuf der Beklagte über die bei seinen Mitgliedern schon vorhandenen betrieblichen Ausbildungsplätze hinaus neue Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche. Die Mitgliedsunternehmen stellten dem Beklagten zusätzlich zu den von ihnen selbst schon zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätzen weitere zur Verfügung, welche sie sonst nicht geschaffen hätten. Damit gab der Beklagte Jugendlichen, die bei Wirtschaftsunternehmen direkt keine Ausbildungsstelle fänden, eine Perspektive für ein späteres Berufsleben. Der Beklagte finanzierte sich über Beiträge.



Eines der Mitgliedsunternehmen war die .............................. AG. Diese war Mitglied im Arbeitgeberverband der Metall und Elektroindustrie Thüringens. Ihr Vorstand war auch Vorstand der Beklagten. Die ............................. AG bildete auch selbst Auszubildende aus. Sie stellte zur Erfüllung ihrer Verpflichtung aus der Vereinsmitgliedschaft zusätzliche Ausbilder ein und wandte hierfür am Standort G... ca. 445.368,64 € auf. Die Sachinvestitionen für diese zusätzlichen Ausbildungsplätze beliefen sich auf 469.126,55 €.



Der am 21. Dezember 1982 geborene Kläger verfügte über einen Realschulabschluss. Er war Mitglied der IG Metall. Er bewarb sich bei der .................. AG um einen Ausbildungsplatz zum Industriemechaniker. Mitarbeiter der ..................... AG führten ein Vorstellungsgespräch mit ihm.



Unter dem 26.3.2010 schlossen die Parteien einen Ausbildungsvertrag. Dieser sah eine monatliche Ausbildungsvergütung i.H.v. 395,00 € brutto für das erste Lehrjahr, 420,00 € brutto für das zweite Lehrjahr, 440,00 € brutto für das dritte Lehrjahr und 460,00 € brutto für das vierte Lehrjahr vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhaltes dieses Vertrages wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 6-8 der Akte) verwiesen.



Während seiner Ausbildung erteilte die ............... AG dem Kläger unter dem 19.4.2012 eine Beanstandung mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen. Im Zeitraum vom 7.11.2012 bis 3.1.2013 erteilte ihm der Beklagte fünf Abmahnungen wegen deren Inhaltes im Einzelnen auf die zu den Akten gereichten Kopien (Bl. 99 R-103 der Akte) verwiesen wird.



Unter dem 14.12.2012 unterschrieben die Parteien einen neuen Berufsausbildungsvertrag. Dieser sah eine monatliche Ausbildungsvergütung vor i.H.v. 679,00 € brutto für das erste Lehrjahr, 718,00 € brutto für das zweite Lehrjahr, 764,00 € brutto für das dritte Lehrjahr und 798,20 € für das vierte Lehrjahr vor. Außerdem vereinbarten sie unter Ziffer 16 dieses Ausbildungsvertrages eine dreimonatige Ausschlussfrist. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes dieses Vertrages wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 113-114 R der Akte) verwiesen.



Der Beklagte zahlte an den Kläger für das erste Ausbildungsjahr eine Ausbildungsvergütung in Höhe von insgesamt 4.780,00 € brutto sowie anteiliges Weihnachtsgeld i.H.v. 65,00 Euro brutto und ein anteiliges Urlaubsgeld i.H.v. 279,00 € brutto. Der Kläger erhielt im zweiten Ausbildungsjahr eine Ausbildungsvergütung von 5.260,00 € brutto sowie Weihnachtsgeld i.H.v. 2.115,00 € brutto und Urlaubsgeld i.H.v. 240,00 € brutto. Für die Zeit von August bis Dezember 2012 zahlte der Beklagte eine Ausbildungsvergütung von 2.760,00 € brutto.



Mit seiner am 24. Januar 2013 erhobenen Klage verlangte der Kläger die Differenz zwischen der ihm gezahlten und der von ihm für angemessen gehaltenen Ausbildungsvergütung für den Zeitraum August 2010 bis einschließlich Dezember 2012. Zur Berechnung der Höhe seiner Forderung wird auf die Ausführungen in der Klageschrift Seite 3-5 (Bl. 3-5 der Akte) verwiesen.



Er ist der Rechtsansicht gewesen, die ihm tatsächlich gezahlte Ausbildungsvergütung sei nicht angemessen im Sinne von § 17 BBiG. Sie unterschreite die tarifliche Vergütung von Auszubildenden nach dem Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie für das Land Thüringen um weit mehr als 30 %.



Er hat beantragt,



den Beklagten zu verurteilen, an ihn 11.762,00 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Januar 2013 zu zahlen.



Der Beklagte hat beantragt,



die Klage abzuweisen.



Er ist der Rechtsansicht gewesen, mangels Tarifbindung nicht verpflichtet zu sein, dem Kläger Ausbildungsvergütung nach den Metalltarifverträgen zu zahlen. Er gehöre auch nicht zur Metallbranche, denn er betätige sich auf dem Gebiet der Berufsbildung. Branchentarifverträge seien generell kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung. Diese habe sich am vorherrschenden Unterhaltszweck der Ausbildungsvergütung auszurichten. Daran gemessen sei die von ihm gezahlte Vergütung angemessen. Außerdem liege in der Anknüpfung an Branchentarifverträge eine unzulässige Umgehung der gesetzlichen Regelungen zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, was mit einem Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit einhergehe. Außerdem bestehe die Gefahr einer unzulässigen mittelbaren Diskriminierung von Frauen. Bei "typischen Frauenberufen" (Friseur) würden erheblich niedrigere Ausbildungsvergütungen gezahlt als in den "typischen Männerberufen" (Metallbranche). Es sei aber nicht ersichtlich, dass der Unterhaltsbedarf in typischen Männerberufen höher sei als in typischen Frauenberufen. Wegen der weiteren Einzelheiten der von ihm geltend gemachten rechtlichen Bedenken wird auf das vom Beklagten selbst eingereichte Rechtsgutachten (Bl. 72-86 der Akte) verwiesen.



Wenn die Ausbildungsvergütung der Höhe nach sich am Tarifvertrag bemessen lasse, müsse auch die tarifvertragliche Ausschlussfrist zur Anwendung kommen. Jedenfalls aber seien Teile der Forderung aufgrund der einzelvertraglichen Ausschlussfrist aus dem neu abgeschlossenen Ausbildungsvertrag vom Dezember 2012 verfallen.



Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.10.2013 der Klage stattgegeben. Die Vergütungsabrede im Ausbildungsvertrag vom März 2010 sei nichtig, weil die Ausbildungshöhe nicht angemessen im Sinne von § 17 BBiG sei. Sie unterschreite die tarifliche Ausbildungsvergütung in der Branche um mit mehr als 40 %. Deshalb habe der Beklagte eine angemessene Ausbildungsvergütung i.H.v.100 Prozent der entsprechenden Tarifvergütung zu zahlen. Die Ansprüche seien nicht verfallen. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist sei nicht anwendbar. Der Kläger habe die streitgegenständlichen Ansprüche zum größten Teil bereits vor Abschluss des neuen geänderten Ausbildungsvertrages geltend gemacht und die zum Zeitpunkt des Abschlusses des neuen Ausbildungsvertrages noch nicht fällige Vergütung für Dezember 2012 rechtzeitig innerhalb der dreimonatigen Frist mit Klageerhebung am 24. Januar 2012. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 144-150 der Akte) verwiesen.



Gegen dieses ihm am 12.3.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit am 18. März 2014 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und mit am 2. April 2014 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.



Das Arbeitsgericht verkenne, dass der Hauptzweck der Ausbildungsvergütung die Beihilfe zum Unterhalt und nicht die Vergütung für geleistete Arbeit sei. Daraus leite sich ab, dass die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung sich nicht an Branchentarifverträgen sondern am tatsächlichen Unterhaltsbedarf zu messen habe. Schließlich sei die Ausbildungsvergütung hier nicht am Maßstab des Tarifvertrages der Metall und Elektroindustrie in Thüringen zu bemessen, weil er, der Beklagte, zusätzliche Ausbildungsplätze schaffe, hiervon keinen eigenen wirtschaftlichen Nutzen habe und mit fremden Geldern zu diesem Zwecke gefördert sei. Für öffentlich geförderte Ausbildungsträger sei deshalb anerkannt, dass sich die Ausbildungsvergütung in dem Falle am wesentlich niedrigerem BaFöG Satz ausrichten dürfe. Hier sei wesentlich mehr als zwei Drittel des BaFöG Satzes gezahlt, so dass von einer angemessenen Ausbildungsvergütung auszugehen sei. Wegen der Einzelheiten des Vortrages des Beklagten hierzu wird auf den Schriftsatz vom 19.1.2016 Seiten 2 und 3 (Bl. 219, 220 der Akte) verwiesen. Außerdem orientierte sich der einschlägige Tarifvertrag bei der Bemessung der Höhe der Ausbildungsvergütung nicht am Lebensalter der Auszubildenden und könne schon aus diesem Grunde nicht Maßstab für die Angemessenheit im Sinne des § 17 Abs. 1 BBiG sein, weil sich der Tarifvertrag selbst an dessen Vorgabe nicht halte. Schließlich wiederholt der Beklagte seine Rechtsansichten zur Anwendbarkeit und der sich daraus ergebenden Folgen der tariflichen und vertraglichen Ausschlussfrist; wegen der Einzelheiten des Vortrages diesbezüglich wird auf die Seiten 4 bis 6 der Berufungsbegründung (Bl. 167-169 der Akte) verwiesen.



Er beantragt,



das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 10. Oktober 2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.



Der Kläger beantragt,



die Berufung zurückzuweisen.



Er verteidigt das angefochtene Urteil im Wesentlichen unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend.



Entscheidungsgründe



Die Berufung ist unbegründet.



Die Klage ist begründet.



Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 11.762,00 € brutto als restliche Ausbildungsvergütung für den Zeitraum August 2010 bis einschließlich Dezember 2012. Anspruchsgrundlage ist § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG. Danach haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung.



Die tatsächlich seitens des Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum gezahlte Ausbildungsvergütung war nicht angemessen, weil sie 80 % der tariflichen Ausbildungsvergütung der Metall- und Elektrobranche Thüringens unterschritt.



Angemessen ist eine Vergütung, welche die drei Funktionen der Ausbildungsvergütung berücksichtigt und bei der Bemessung auch die berechtigten Interessen des Ausbilders abwägt. Die in § 17 BBiG geregelte Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang "entlohnen" (vgl. statt vieler BAG 17.3.2015, 9 AZR 732/13). Das Bundesarbeitsgericht hält an der Rechtsprechung fest, dass mit dem Begriff der Angemessenheit in § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG kein objektiver Maßstab angesprochen ist und unter einer angemessenen Vergütung nicht das zu verstehen ist, was tatsächlich gemessen am Zweck Ausbildungsvergütung angemessen ist, sondern das, was nach der Verkehrsanschauung für angemessen gehalten wird. (BAG 29.4.2015, 9 AZR 108/14 Rn. 20).



Nach der Verkehrsanschauung ist Maßstab für die Angemessenheit der entsprechende Tarifvertrag. Es ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen haben die Vermutung der Angemessenheit für sich (BAG 17.3.2015, 9 AZR 732/13). Das ist kein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit, dass erstreckt die Geltung eines Tarifvertrages nicht unzulässigerweise auf Außenseiter, dass stellt keinen Verstoß gegen mittelbare Frauendiskriminierung dar. Der Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie Thüringens kann auch herangezogen werden, obwohl dort Ausbildungsvergütungen geregelt sind, für die das Lebensalter eines Auszubildenden überhaupt keine Rolle spielt. Das verstößt nicht gegen § 17 Abs. 1 S. 2 BBiG, wonach sich die Höhe der Ausbildungsvergütung auch nach dem Lebensalter richten soll (vgl. zum Ganzen BAG 29.4.2015, 9 AZR 108/14).



Dem folgt die Kammer und versteht den Begriff der "angemessenen Vergütung" in § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG hier in o.g. Sinne.



Ein Auszubildender genügt dann der ihm obliegenden Darlegungslast im Hinblick auf die Unangemessenheit der Vergütung, wenn er darlegt, dass seine Ausbildungsvergütung 80 % der einschlägigen tariflichen Ausbildungsvergütung unterschritt. So ist es hier. Maßstab sind die Ausbildungsvergütungen der thüringischen Metall- und Elektroindustrie. Die tatsächlich gezahlte Vergütung des Klägers unterschritt diese um deutlich mehr als 20 %, was zwischen den Parteien nicht streitig ist.



Obwohl der Beklagte kein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie ist muss in diesem Falle dieser Tarifvertrag als Maßstab herangezogen werden. Die Parteien haben vereinbart, dass die Ausbildung nicht beim Beklagten, sondern bei einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie durchgeführt wird. Der Beklagte weist auch eine besondere Nähe zu diesem Wirtschaftszweig auf, weil er sich ausweislich § 4 seiner Satzung im Wesentlichen an Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie wendet und seine Mitgliedschaft im Wesentlichen aus diesem Bereich rekrutiert. Schließlich ist der vom Kläger angestrebte Ausbildungsberuf einer der Metall- und Elektroindustrie. Entsprechend sind dieselben Ausbildungsinhalte zu vermitteln wie in der Metall- und Elektroindustrie. Das Auswahlverfahren fand auch nicht beim Beklagten, sondern beim zur Metall- und Elektroindustrie gehörenden Ausbildungsträger statt und wurde durch dessen Mitarbeiter geführt.



Hier ist auch nicht etwa deshalb ein anderer Maßstab anzusetzen, weil der Beklagte den Kläger auf einem zusätzlich geschaffenen Ausbildungsplatz, der gleichsam durch Fremdgelder (das der Mitglieder) finanziert worden ist, ausgebildet hat. Die Kammer hat der Entscheidungsfindung gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig zu Grunde zu legen, dass der Beklagte durch Fremdgelder gefördert zusätzliche Ausbildungsplätze schafft, damit förderungsbedürftigen Jugendlichen mit erschwertem Zugang zum Ausbildungsmarkt eine zusätzliche Chance gibt und damit keine eigenen wirtschaftlichen Vorteile anstrebt. Die Verkehrsanschauung geht von der Angemessenheit tariflich ausgehandelter Ausbildungsvergütungen aus, weil in Tarifverträgen ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Ausbildenden und Auszubildenden enthalten sei, der die Zwecksetzungen der Ausbildungsvergütung berücksichtige (BAG 17.3.2015, 9 AZR 732/13). Deshalb kann eine besondere Interessenkonstellationen durchaus dazu führen, dass auch nach der Verkehrsanschauung eine weniger hohe Ausbildungsvergütung als die nach Tarifvertrag angemessen erscheint. Das kommt in Betracht, wenn ein Ausbilder zusätzliche Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stellt und diese nicht eigenwirtschaftlich nutzen kann, um Jugendlichen mit Zugangshindernissen zum Ausbildungsmarkt besondere Chancen zu eröffnen (BAG 17.3.2015, 9 AZR 732/13). Der Beklagte reklamiert dieses hier für sich und trägt dazu abstrakt vor, dass er Ausbildungskapazitäten für Jugendliche schaffe, die im nichtgeförderten Ausbildungsmarkt keine Chance hätten. Nach Auffassung der Kammer kommt es allerdings nicht darauf warten, ob dies dem allgemeinen Verhalten des Beklagten entspricht, sondern es muss vorgetragen werden und festgestellt werden können, dass im Einzelfall der Ausbilder vorträgt, warum der Auszubildende ohne Hilfe des Ausbildenden voraussichtlich keinen Ausbildungsplatz erhalten hätte oder während der Ausbildung besonderer Unterstützung und Förderung bedurft habe (BAG 29.4.2015, 9 AZR 108/14 Rn. 29).



Derartigen Sachvortrag hat der Beklagte hier nicht gehalten. Der Beklagte ist weder im ersten noch im zweiten Rechtszug dem Vortrag des Klägers entgegengetreten, dieser habe den Besuch des Gymnasiums mit dem Realschulabschluss beendet, um eine industrielle Ausbildung durchzuführen. Es habe keinerlei Verhaltensauffälligkeiten oder Förderungsbedürftigkeit gegeben. Der Kläger habe keine sprachlichen Schwierigkeiten, noch schwere Familienverhältnisse oder sonstige Hindernisse für den Zugang zum freien Ausbildungsmarkt. Dass zum Zeitpunkt der Begründung des Berufsausbildungsverhältnisses zwischen den Parteien ein solches Handicap bestanden hätte behauptet der Beklagte nicht. Hierauf wäre es der Kammer aber im Wesentlichen angekommen. Der Beklagte trägt allerdings vor, der Kläger habe zahlreiche Abmahnungen erhalten. Der Inhalt dieser Abmahnungen, mithin die beanstandeten Pflichtverletzungen, lassen aber keine Rückschlüsse auf Chancen für den Zugang zum Ausbildungsmarkt bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu. Beanstandet werden im Wesentlichen unerlaubte Nebentätigkeiten zum Teil im Zusammenhang mit vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit und eine Schwarzfahrt mit einem Dienstwagen. Ferner wird beanstandet, dass der Kläger eine Fortbildungsveranstaltung nicht besuchte. Hieraus lassen sich für die Kammer keine sicheren Rückschlüsse auf die vom Beklagten beschriebenen Zugangshindernisse (schwierige Familienverhältnisse, Sprachschwierigkeiten, schulische Schwierigkeiten, Lernschwierigkeiten etc.) zum Zeitpunkt des Zugangs des Klägers zum Berufsausbildungsmarkt im Jahr 2010 ziehen. Auch die seitens des tatsächlichen Ausbildungsbetriebes erteilte Beanstandung mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen, die sich auf Ordnung und Sauberkeit bezieht, vermittelt dies nicht in ausreichendem Maße. Die fünf Abmahnungen vermitteln der Kammer auch nicht den Eindruck einer besonderen Förderungsbedürftigkeit des Klägers während des Ausbildungsverhältnisses. Ohnehin ist zu beachten, dass das Ausbildungsverhältnis überwiegend störungsfrei verlaufen zu sein schien und dann innerhalb zweier Monate die fünf Abmahnungen für notwendig gehalten wurden. Die Kammer lässt bei dieser Betrachtung ausdrücklich den zeitlichen Zusammenhang der verdichtet erteilten Abmahnungen mit der Geltendmachung der Ausbildungsvergütung und der Klage außer Betracht. Allein abstellend auf den Inhalt der Abmahnungen lassen diese den Schluss zu, dass besondere Disziplinierung des Klägers notwendig gewesen sein mag, nicht aber eine Förderung im Hinblick auf Handicaps für den Zugang zum freien Ausbildungsmarkt.



Rechtsfolge ist, dass die Beklagte dem Kläger mangels wirksamer Ausbildungsvergütungsvereinbarung die angemessene Vergütung gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BBIG schuldet. Diese ergibt sich aus dem einschlägigen Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen der thüringischen Metall- und Elektroindustrie. Insoweit darf auf das Rechenwerk des Klägers und des angefochtenen Urteils, welches vom Beklagten im Berufungsrechtszug nicht mehr beanstandet worden ist, Bezug genommen werden.



Der Anspruch ist nur teilweise durch Erfüllung in Höhe der niedrigeren Zahlungen durch die Beklagte untergegangen (§ 362 BGB), so dass der Beklagte zur Restzahlung zu verurteilen war.



Der Anspruch ist nicht wegen der tariflichen Ausschlussfrist nicht durchsetzbar; insofern darf auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 29.4.2015 (BAG 29.4.2015, 9 AZR 108/14) verwiesen werden.



Die einzelvertragliche Ausschlussfrist führt auch nicht zum rückwirkenden Verfall von Ansprüchen, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Ausschlussfrist bereits nicht mehr rechtzeitig hätten gelten gemacht werden können. Offenbar hat der Beklagte hier mit dem neuen Ausbildungsvertrag vom Dezember 2014 auch allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet und ein solches Verständnis der Verfallfrist käme einem Verzicht auf vergangene Ansprüche gleich. Diesbezüglich wäre die Klausel nicht hinreichend transparent und stellte auch eine unangemessene Benachteiligung des Klägers dar. Soweit man davon ausgeht, dass ab Inkrafttreten der einzelvertraglichen Ausschlussfrist alle Ansprüche innerhalb dieser hätten geltend gemacht werden müssen, ist die Ausschlussfrist eingehalten. Der Kläger hat innerhalb von drei Monaten, nämlich mit Zustellung der Klage am 24.1.2013, Klage erhoben.



Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 291 BGB in Verbindung mit § 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Danach ist vom Eintritte der Rechtshängigkeit, hier mit Zustellung der Klage am 24.1.2013, eine Forderung zu verzinsen (§ 291 BGB) und zwar mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 S. 2 BGB).



Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung (§ 97 Abs. 1 ZPO).



Die Kammer hat trotz der alle Bedenken des Beklagten umfassend erörternden Entscheidung des BAG vom 29.4.2015 (9 AZR 108/14) die Revision noch einmal zugelassen, um den Beklagten wunschgemäß Gelegenheit zu geben, den vom BAG in der vorbezeichneten Entscheidung in Rn. 29 angesprochenen Gesichtspunkt und dessen Bewertung durch die Kammer noch einmal überprüfen zu lassen.

HolthausThiemannFörster

Vorschriften§ 17 BBiG, § 17 Abs. 1 BBiG, § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG, § 17 Abs. 1 S. 2 BBiG, § 138 Abs. 3 ZPO, § 362 BGB, § 291 BGB, § 288 Abs. 1 S. 2 BGB, § 97 Abs. 1 ZPO

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