17.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192558
Landesarbeitsgericht Köln: Beschluss vom 03.03.2017 – 9 Ta 313/16
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe teilweise ablehnende Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 14.10.2016 abgeändert.
Der Klägerin wird für den ersten Rechtszug auch bezüglich der Kündigungsschutzklage und der Zeugnisanträge derzeit ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R zu den Bedingungen eines im Bezirk des Arbeitsgerichts K niedergelassenen Rechtsanwalts mit Wirkung ab dem 18.07.2016 bewilligt.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bezüglich des Kündigungsschutzantrags und des geltend gemachten Zwischenzeugnisses abgelehnt, weil die Klägerin nicht rechtzeitig eine unbedingte Kündigungsschutzklage erhoben, sondern zunächst nur einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hat.
1.) Die (beabsichtigte) Kündigungsschutzklage der Klägerin hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn ihr Arbeitsverhältnis bei der Beklagten unterliegt nach dem Vortrag der Klägerin dem Kündigungsschutzgesetz; die Beklagte hat dies nicht bestritten.
a) Zwar gilt eine Kündigung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an wirksam, wenn ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht wurde. Ob das hier der Fall ist, steht jedoch noch nicht fest und ist auch nicht abschließend im Prozesskostenhilfeverfahren zu klären. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 04. August 2016 - 1 BvR 380/16 -, Rn. 12, [...]).
b) Es sprechen zunächst zumindest vertretbare Argumente dafür, dass die Klägerin rechtzeitig eine unbedingte Kündigungsschutzklage erhoben hat, weil sie sich gegen die am 30.06.2016 zugegangene Kündigung mit einem am 18.07.2016 - also an sich fristgerecht - bei dem Arbeitsgericht Köln eingereichten und ausdrücklich als "Klage" - und nicht als "Prozesskostenhilfegesuch" - bezeichneten Schriftsatz, der in jeder Hinsicht den Anforderungen des § 253 ZPO an eine Klageschrift entspricht, wehrt. Zwar beantragt die Klägerin in diesem Schriftsatz, ihr "für dieses Verfahren
vorab
Prozesskostenhilfe zu bewilligen". Ferner kündigt sie Sachanträge "im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe" an. Auch ist im Schriftsatz von der "beabsichtigten Klage" die Rede. Zugleich bittet sie aber - unbedingt - um Anberaumung eines Gütetermins. Es bestanden daher bei Eingang des Schriftsatzes sowohl Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unbedingten Klage mit der Bitte, zeitlich zunächst über die Prozesskostenhilfe zu entscheiden, als auch Anhaltspunkte für eine von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängige Klage. Prozessuale Willenserklärungen sind in einem solchen Fall so auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Zudem sind die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten zu berücksichtigen (BAG, Beschluss vom 22. Dezember 2009 - 3 AZN 753/09 -, BAGE 133, 28-33, Rn. 12; BAG, Beschluss vom 05. Juli 2016 - 8 AZB 1/16 -, Rn. 9, [...]). Im Zweifelsfalle ist davon auszugehen, dass eine Klage anhängig wird (OLG Köln, Beschluss vom 12. April 2005 - 17 W 69/05 -, Rn. 25, [...]). Dies gilt umso mehr bei einer Kündigungsschutzklage, bei der die Klägerin eher das Risiko einer gegebenenfalls erfolglosen Kündigungsschutzklage auf sich nehmen will, als zu riskieren, dass ihre Klage schon wegen der Versäumung der Frist des § 4 Satz 1 KSchG abgewiesen wird (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 23. November 2009 - 14 Ta 357/09 -, Rn. 26, [...]). Schutzwürdige Belange der Beklagten wären bei einem solchen Verständnis im vorliegenden Fall nicht tangiert, da die Beklagte aufgrund des Schriftsatzes der Klägerin vom 18.07.2016 wusste, dass sie sich gegen die Kündigung wehren will, und sich demgemäß darauf einstellen konnte. Auch das Arbeitsgericht selbst ist nach Eingang der Klage davon ausgegangen, dass eine unbedingte Klageerhebung vorliegt. Denn es hat einen Gütetermin anberaumt und die Zustellung der Klageschrift veranlasst, ohne vorher die aus seiner späteren Sicht notwendige Rückfrage beim Klägervertreter, ob eine unbedingte Klageerhebung gewollt sei, vorzunehmen. Ist aber das Gericht bei Eingang des Schriftsatzes ohne weiteres Nachfragen davon ausgegangen, dass eine unbedingte Klage erhoben werden soll, kann es eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der Klägervertreter habe in dem mehrere Wochen später stattfindenden Gütetermin erklärt, es habe sich um nur um einen Prozesskostenhilfeantrag gehandelt, der die Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht wahren könne. Auf diese Erklärung kann es im Übrigen schon deswegen nicht ankommen, weil prozessualen Erklärungen nachträglich kein anderer Sinn gegeben werden kann, als derjenige, der sich aus ihrer Auslegung ergibt (vgl. BAG, Beschluss vom 22. Dezember 2009 - 3 AZN 753/09 -, BAGE 133, 28-33, Rn. 12).
b) Aber auch wenn man in dem Schriftsatz vom 18.07.2016 keine Klage, sondern nur einen Prozesskostenhilfeantrag sieht, kann die Prozesskostenhilfe nicht wegen der Versäumung der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG abgelehnt werden. Denn es sprechen zumindest gute Argumente dafür, von einer Fristwahrung auch dann auszugehen, wenn eine unterschriebene Klage zusammen mit einem vollständigen Prozesskostenhilfegesuch bei Gericht eingereicht und in ein Hilfsverhältnis gestellt wird. Denn dann ist eine echte Rechtsbedingung (innerprozessuale Bedingung) anzunehmen (ErfK/Kiel KSchG § 4 Rn. 12-15, [...]). Demgemäß wird in der Rechtsprechung vertreten, dass die Stellung eines Prozesskostenhilfeantrags rückwirkend die Frist des § 4 KSchG wahrt, sofern die Klage unverzüglich nach positiver oder negativer rechtskräftiger Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch zugestellt wird. Dies wird mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 167 ZPO begründet. Die Verzögerung durch ein Prozesskostenhilfeverfahren ist einer unbemittelten Partei nicht zuzurechnen, wenn bereits mit dem Antrag der Entwurf der Klagschrift eingereicht wird und dem Antrag vollständige Prozesskostenhilfeunterlagen beigefügt sind. Dann haben die unbemittelte Partei und ihr Prozessbevollmächtigter das ihnen Zumutbare getan, um für eine alsbaldige Zustellung Sorge zu tragen (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 07. August 2002 - 10 Ta 242/02 -, Rn. 4, [...]). Zwar wird auch vertreten, dass die Mittellosigkeit des Arbeitnehmers deswegen nicht als Hindernis für eine rechtzeitige Klageerhebung in Betracht kommt, weil an die Klageerhebung nur geringe Anforderungen gestellt würden und die Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts zur Verfügung stehe (so noch Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 18. Februar 2005 - 9 Ta 452/04 -, [...]). Eine gebührenfreie Klagerücknahme nach Nr. 8210 KV GKG ist jedoch nur dann möglich, wenn dadurch das Verfahren vor streitiger Verhandlung insgesamt erledigt wird (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 14. Juni 2011 - 14 Ta 295/11 -, Rn. 19, [...]; Roloff, Das moderne Kostenrecht im arbeitsgerichtlichen Verfahren, NZA 2007, 900, 902 f.). Jedenfalls ist die umstrittene Frage der nachträglichen Zulassung einer verfristeten Kündigungsschutzklage bei rechtzeitigem Prozesskostenhilfeantrag nicht im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren zu klären. Denn dieses Verfahren hat nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen, die möglicherweise einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen, vorweg zu entscheiden. Die Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Rechtsverfolgung ist vielmehr zu bejahen und Prozesskostenhilfe bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen zu gewähren (vgl. BAG, Beschluss vom 10. Juli 2015 - 10 AZB 23/15 -, Rn. 4, [...]).
2.) Hinsichtlich des begehrten (Zwischen-)Zeugnisses hätte die hinreichende Erfolgsaussicht ebenfalls nicht verneint werden dürfen, da der Ausgang des Kündigungsschutzrechtsstreits offen ist (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 13. Februar 2007 - 19 Sa 1589/06 -, Rn. 31, [...]) und ein Arbeitnehmer nach verbreiteter Ansicht nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses während des Laufs des Kündigungsschutzprozesses wählen kann, ob er ein Endzeugnis oder ein Zwischenzeugnis verlangt (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 13. Februar 2007 - 19 Sa 1589/06 -, [...]).
3.) Die Bedürftigkeit der Klägerin (§§ 114, 115 ZPO) und die Voraussetzungen einer Beiordnung hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt.