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10.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192435

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 17.02.2017 – 4 Ta 2/17

Es besteht keine einen Anscheinsbeweis begründende Lebenserfahrung, dass Asylbewerber, die Grundleistungen nach dem AsylBLG beziehen, ihrer Mitteilungspflicht gem. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I zuwider in der Regel in verheimlichender Weise entreichernde konsumtive Bedarfsbefriedigungen über die Einkünfte aus Grundleistungen hinaus vornehmen, sobald ihnen solche Gelder, woher und warum auch immer, zufließen. Will ein derart Bereicherter eine Entreicherung geltend machen, hat er diese konkret darzulegen und zu beweisen.


Im Beschwerdeverfahren mit d. Beteiligten
- Beklagter/Beschwerdeführer -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Stöbe ohne mündliche Verhandlung am 17.02.2017
beschlossen:

Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kammern Aalen vom 02.01.2017 (8 Ca 264/16) wird zurückgewiesen.


2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Gründe



I.



Der Beklagte richtet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe.



In der Hauptsache macht die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Ausbildungsvergütung geltend. Dem Beklagten stand aus dem noch in der Probezeit gekündigten Ausbildungsverhältnis für den letzten Monat Dezember 2015 noch ein Nettoentgeltanspruch in Höhe von 380,74 € zu. Versehentlich zahlte die Klägerin an den Beklagten 3.870,74 €. Auf dem Kontoauszug des Beklagten, den dieser seiner Behauptung nach aber nicht mehr habe, war der Zahlungsanweisende und der Verwendungszweck ausgewiesen.



Die Klägerin bemerkte dieses Versehen und forderte vom Beklagten die Überzahlung in Höhe von 3.490,00 € erstmals mit Schreiben vom 27. Juli 2016 zurück. Der Beklagte, der im Übrigen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält, wandte Entreicherung ein.



Der Beklagte macht geltend, er habe seinen Kontoauszug nicht angeschaut, sondern seinen Kontostand lediglich am Geldautomaten abgefragt. Er habe bei Kenntnisnahme des Kontostands gemutmaßt, dass er Geld von seinem vormaligen Vermieter erhalten habe, das dieser ihm für den Erwerb eines Grundstücks für die Familie in A. habe zukommen lassen wollen.



Das Arbeitsgericht wies den zur Rechtsverteidigung gegen die Klage der Klägerin gestellten Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten zurück, ursprünglich mit der Begründung, der Beklagte könne sich wegen Bösgläubigkeit gem. § 819 BGB nicht auf eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen.



Dieser Beschluss wurde der Beklagtenseite am 5. Januar 2017 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende sofortige Beschwerde des Beklagten, die am 20. Januar 2017 beim Arbeitsgericht einging.



Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 14. Februar 2017 nicht ab, nunmehr mit der Begründung, eine Entreicherung komme deshalb nicht in Betracht, weil davon auszugehen sei, dass der Beklagte mit dem Erlangten lediglich seinen Lebensunterhalt bestritten habe oder Verbindlichkeiten getilgt habe.



II.



Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.



Die vom Beklagten beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichenden Erfolgsaussichten iSv. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.



1. Der Klägerin steht aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Rückzahlungsanspruch in Höhe des eingeklagten Betrags zu. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.



2. Der Beklagte kann auch nicht rechtsvernichtend einwenden (BAG 23. Mai 2001 - 5 AZR 374/99), dass er gem. § 818 Abs. 3 BGB entreichert sei.



a) Gem. § 818 Abs. 3 BGB ist eine Verpflichtung zur Herausgabe des rechtsgrundlos Erlangten oder zum entsprechenden Wertersatz ausgeschlossen, sobald der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Das ist dann der Fall, wenn das Erlangte ersatzlos weggefallen ist und kein Überschuss mehr zwischen dem vorhandenen Vermögen und demjenigen Vermögen besteht, das auch ohne die ursprüngliche Bereicherung vorhanden wäre. § 818 Abs. 3 BGB dient dem Schutz des "gutgläubig" Bereicherten, der das rechtsgrundlos Empfangene im Vertrauen auf das (Fort-)Bestehen des Rechtsgrundes verbraucht hat und der nicht über den Betrag einer wirklichen (noch bestehenden) Bereicherung hinaus zur Herausgabe oder zum Wertersatz verpflichtet werden soll. Bei der Überzahlung von Gehalt kommt es daher darauf an, ob der Empfänger die Beträge restlos für seine laufenden Lebensbedürfnisse verbraucht oder sich damit noch in seinem Vermögen vorhandene Werte oder Vorteile verschafft hat. Letzteres ist anzunehmen, falls anderweitige Ersparnisse oder Anschaffungen vorliegen. Auch eine infolge Tilgung eigener Schulden mittels des rechtsgrundlos erlangten Geldes eingetretene Befreiung von Verbindlichkeiten zählt zu den weiterhin vorhandenen Vermögensvorteilen, die einem Wegfall der Bereicherung grundsätzlich entgegenstehen. Die rechtsgrundlose Zahlung muss für diesen Vermögensvorteil ursächlich gewesen sein (BAG 23. Mai 2001 - 5 AZR 374/99). Ein Wegfall der Bereicherung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Empfänger die rechtsgrundlose Leistung ersatzlos für (Luxus-)Ausgaben verwendet hat, die er sonst nicht gemacht hätte (BAG 18. Januar 1995 - 5 AZR 817/93).



Will der Empfänger rechtsgrundlos erhaltener Lohn- oder Gehaltsbezüge geltend machen, nicht mehr bereichert zu sein, so muss er im Einzelnen die Tatsachen darlegen, aus denen sich ergibt, dass die Bereicherung weggefallen ist, dass er also weder Aufwendungen erspart hat, die er ohnehin gemacht hätte, noch Schulden getilgt und dadurch seinen Vermögensstand verbessert hat. Diese Tatsachen hat der Bereicherungsschuldner gegebenenfalls auch zu beweisen. Dabei können ihm allerdings Erleichterungen zugute kommen (BAG 18. Januar 1995 - 5 AZR 817/93).



Gerade bei kleineren und mittleren Einkommen und einer (gleichbleibend) geringen Überzahlung, kann ein Beweis des ersten Anscheins angenommen werden, dass die Zuvielzahlung für den laufenden Lebensunterhalt, insbesondere für konsumtive Ausgaben verbraucht wurde und eine Bereicherung nicht verblieben ist (BAG 23. Mai 2001 - 5 AZR 374/99, BAG 18. Januar 1995 - 5 AZR 817/93; BGH 27. Oktober 1999 - XII ZR 239/97). Je höher die Überzahlung jedoch ist, kann je nach Lebenssituation des Arbeitnehmers und insbesondere seiner wirtschaftlichen Lage jedoch nicht mehr rückgeschlossen werden, dass die Mehrzahlungen typischerweise in den Lebensunterhalt eingeflossen sind (BAG 18. Januar 1995 - 5 AZR 817/93).



b) Dies zugrunde gelegt, spricht kein Anscheinsbeweis zugunsten des Beklagten für eine Entreicherung.



Der Einkommenszuwachs war angesichts der Lebensumstände des Beklagten und dessen wirtschaftlichen Lage außergewöhnlich groß. Er entsprach ca. dem Zehnfachen dessen, was der Beklagte eigentlich von der Klägerin zu erwarten gehabt hätte. Ein solcher Einkommenszuwachs fließt nach der typischen Lebenserfahrung nicht zugleich (vollständig und ersatzlos) in den reinen Lebensunterhalt ein.



Die Lebensumstände des Beklagten waren und sind vielmehr dadurch geprägt, dass er als Asylbewerber Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht, neben Einkünften aus dem Ausbildungsverhältnis gegebenenfalls aufstockend. Dem Beklagten war demnach vielmehr bewusst, und er war auch entsprechend belehrt, dass es ihm im Wesentlichen unmöglich ist, über die Grundleistungen hinaus Gelder zur freien konsumtiven Verfügung zu haben, da entsprechende Einkünfte oder Vermögenszuwächse gem. § 7 Abs. 1 AsylBLG vorrangig vor den Grundleistungen aufgebraucht werden müssten. Es kann nicht von einer einen Anscheinsbeweis begründenden Lebenserfahrung ausgegangen werden, dass Asylbewerber ihrer Mitteilungspflicht gem. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I zuwider in der Regel in verheimlichender Weise konsumtive Bedarfsbefriedigungen über die Einkünfte aus Grundleistungen hinaus vornehmen, sobald ihnen solche Gelder, woher und warum auch immer, zufließen.



c) Konkrete Darlegungen zur Entreicherung, also Darlegungen, zu was das Erlangte verbraucht wurde, hat der Beklagte nicht getätigt. Der Beklagte machte sich bislang noch nicht einmal die Mühe, eine Saldierung seiner Vermögenslagen überhaupt darzustellen. Sein Vorbringen ist demnach bislang unerheblich.



Sollte der Beklagte, statt des behauptetermaßen versprochenen Geldes des Vermieters nunmehr das Erlangte in den Grundstückerwerb in A. gesteckt haben, so hätte er das Erlangte jedenfalls nicht ersatzlos verbraucht. Ihm stünde dann als Gegenwert das Grundstück noch zur Verfügung. Im Vermögenssaldo wäre eine Entreicherung nicht eingetreten. Außerdem hätte er bei noch erfolgender Zahlung durch den vormaligen Vermieter einen entsprechenden Vermögenszuwachs, der nicht mehr entsprechend der Zweckbestimmung eingesetzt werden müsste, da diese dann bereits mit dem Erlangten vorweggenommen wurde.



3. Auf die Frage der Bösgläubigkeit gem. § 819 BGB kommt es daher nicht mehr an, auch wenn es wenig glaubwürdig erscheint, dass der Beklagte bei einem für seine Verhältnisse so ungewöhnlich hohem Geldzufluss nicht nachgeschaut haben will, wem er diesen zu verdanken hat.



4. Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf das Gebührenverzeichnis Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG iVm. § 1 Abs. 2 Nr. 4 GKG entbehrlich.



5. Gründe für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gem. §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Der Vorsitzende Stöbe

Vorschriften§ 819 BGB, § 818 Abs. 3 BGB, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I, § 3 Abs. 2 GKG, § 1 Abs. 2 Nr. 4 GKG, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG

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