14.02.2017 · IWW-Abrufnummer 191825
Landesarbeitsgericht Köln: Beschluss vom 12.12.2016 – 2 TaBV 34/16
Hinsichtlich einer Mitarbeiterbefragung, die keinen Personalfragebogen i.S.d. § 94 BetrVG darstellt, ist die Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung ausgeübt, wenn die Struktur der Befragung hinsichtlich der Verarbeitung, Speicherung, Anonymisierung und Bekanntgabe der Ergebnisse geregelt ist. Die konkreten Fragen sind nicht mitbestimmt. Vielmehr sind mögliche Folgen innerhalb der Regelungen zur Struktur der Befragung zu regeln. (hier: Anonymisierung der Aussagen über Vorgesetzte wurde konkret in der BV übersehen)
Pressemitteilung
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 20.04.2016- 5 BV 108/15 - abgeändert und der Antrag vollständig abgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten in der Beschwerdeinstanz nur noch darüber, ob bei einer konzernweiten Mitarbeiterbefragung der Inhalt der einzelnen Fragen dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterfällt oder ob die Mitbestimmung durch die Einigung auf das "Informationsdokument zum IT-System Employee Opinion Survey (Mitarbeiterbefragung) Web-Version und Papier-und-Bleistift-Verfahren" abschließend ausgeübt wurde.
Der Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin, die den Konzern D P AG betreibt und etwa 216.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit beschäftigt, gebildete Konzernbetriebsrat.
Zwischen den Beteiligten besteht eine Konzernbetriebsvereinbarung "Informationstechnologien des Konzerns D P AG" (im Folgenden: KBV IT). Im Rahmen dieser KBV ist die Mitbestimmung hinsichtlich einzelner IT-Systeme und Anwendungen geregelt.
Seit dem Jahr 2007 führt die Arbeitgeberin konzernweite Mitarbeiterbefragungen durch, mit denen sie unter anderem die Arbeitszufriedenheit ihrer Mitarbeiter festzustellen versucht. Die seit Beginn der Mitarbeiterbefragungen unveränderten Fragen werden durch das IT-System " Employee Opinion Survey" (im Folgenden: EOS) verarbeitet. Dieses System wurde nach den Bestimmungen der KBV IT mitbestimmt eingeführt. In dem auf der Grundlage der KBV IT zustande gekommenen Informationsdokument EOS ist unter anderem geregelt, wie die Anonymität der Mitarbeiter, die an der Befragung teilnehmen, gesichert wird, bis zu welcher Mitarbeiterebene Informationen aufgeschlüsselt werden, wie sichergestellt wird, dass Mitarbeiter nicht zweimal an der Befragung teilnehmen können, welche Rechner und Programme insgesamt eingesetzt werden, wie und wo Daten gespeichert werden. Nicht geregelt in dieser Vereinbarung ist, wie zu verfahren ist, wenn Fragen gestellt werden, die Aussagen über Vorgesetzte ermöglichen. Eine Regelung, wie die Anonymität der Vorgesetzten gewahrt werden kann, findet sich in dem Informationsdokument EOS nicht.
Nach Abschluss des Beteiligungsverfahrens zum Informationsdokument EOS veränderte die Arbeitgeberin den Fragenkatalog. Teilweise passte sie Fragen redaktionell an, teilweise fügte sie völlig neue Fragen hinzu. Die vom Konzernbetriebsrat gewünschten neuen Fragen nahm die Arbeitgeberin nicht in den Fragenkatalog auf.
Beide Beteiligten stellen außer Streit, dass die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrates bzw. nach dessen Geschäftsordnung des Konzern Betriebsausschusses vorliegend gegeben ist, da die Arbeitgeberin mittels der jährlich gestellten Fragen nicht nur Veränderungen im Zeitablauf für einzelne Betriebe feststellen will, sondern auch aufgrund der einheitlichen Fragenstruktur Vergleiche verschiedener betrieblicher Einheiten weltweit vornehmen will.
Das Arbeitsgericht hat ein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG abgelehnt. Es hat ebenso den Antrag abgewiesen, festzustellen, dass die beauftragte Erhebung und Erfassung von Daten mittels Personalfragebogen in Form der Mitarbeiterbefragung EOS 2015 nach § 94 Abs. 1 BetrVG unzulässig ist.
Der Konzernbetriebsrat ist insoweit nicht in die Beschwerde gegangen. Das Arbeitsgericht hat ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bejaht.
In der Beschwerde streiten die Beteiligten nunmehr nur noch darum, ob dieses Mitbestimmungsrecht gegeben ist oder die Mitbestimmung durch das Informationsdokument EOS vom 24.07.2014 abschließend ausgeübt wurde.
Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antragsteller beantragt,
Hinsichtlich der geäußerten Rechtsansichten und insbesondere der bereits bestehenden Konzernbetriebsvereinbarungen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die zulässige und fristgerechte Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Der Konzernbetriebsrat hat sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hinsichtlich der Anwendung des IT-Systems EOS bereits ausgeübt. Die Ausübung war abschließend. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der vom Konzernbetriebsrat gewünschte Arbeitnehmerschutz im Hinblick auf nicht leitende Vorgesetzte durch die mitbestimmte Regelung nicht ausreichend ist, kann die Betriebsvereinbarung zum IT-System EOS gekündigt werden und insgesamt nachverhandelt werden.
Hinsichtlich der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrat und der Zulässigkeit des Feststellungsantrags als solchem schließt sich das Landesarbeitsgericht den überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bonn an. Nicht folgen kann das Landesarbeitsgericht dem Arbeitsgericht Bonn jedoch in der Frage, ob die Texte der einzelnen Mitarbeiterfragen, wenn sie unter Anwendung des IT-Systems EOS den Mitarbeitern bekannt gegeben werden und nach der Betriebsvereinbarung verarbeitet und ausgewertet werden, zusätzlich noch der Mitbestimmung im Hinblick auf ihren Wortlaut unterliegen.
Die Betriebsparteien haben bei der Vereinbarung des IT-Systems EOS die Frageninhalte, die seit dem Jahr 2007 bekannt waren, allerdings seit dieser Zeit auch nicht verändert wurden, außen vor gelassen und allenfalls beispielhaft in die Betriebsvereinbarung aufgenommen. Es ist nicht erkennbar, dass zu diesem Zeitpunkt ein Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf die einzelnen Frageinhalte angenommen wurde. Noch kann unterstellt werden, die Betriebsparteien hätten konkludent oder als Regelungsabrede formlos die aktuellen Fragen als "zulässig" vereinbaren wollen. Sie haben sich orientiert an den Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dafür entschieden, lediglich die Strukturen festzulegen, innerhalb derer die Mitarbeiterbefragung durchgeführt wird und die sicherstellen sollen, dass die eingesetzten technischen Einrichtungen bei der Mitarbeiterbefragung das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmer nicht überwachen. Dabei wurde möglicherweise übersehen, dass die gestellten Fragen nicht nur Auskünfte über die Arbeitnehmer geben können, die die Fragen beantworten, sondern dass auch Aussagen über Dritte mittels des Systems möglich sind und hierdurch aufgrund der technischen Verarbeitung der Antworten Aussagen über Vorgesetzte zusammengestellt werden können. Dass die Betriebsparteien bei Abschluss der Vereinbarung zum IT-System EOS bereits selbst kein unmittelbares Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Frageninhalte gesehen haben, ergibt sich bereits daraus, dass zu diesem Zeitpunkt die Frageninhalte jedenfalls nicht ausdrücklich in die Regelung aufgenommen wurden.
Anders als das Arbeitsgericht meint, kann die durch den Einsatz von technischen Einrichtungen beruhende Entmenschlichung der Arbeitswelt auch dadurch verhindert werden, dass hinsichtlich der Strukturen der Mitarbeiterbefragung Veränderungen vorgenommen werden, die auch die Anonymität der Vorgesetzten sicherstellt. So wäre es denkbar, in das Informationsdokument EOS aufzunehmen, dass Aussagen über Vorgesetzte nur bis zu der Ebene herunter gebrochen werden, in der mindestens sieben Vorgesetzte gegeben sind. Die Betriebsparteien waren seinerzeit davon ausgegangen, dass bei einer Gruppengröße von sieben Personen oder mehr eine Rückverfolgung auf den einzelnen Arbeitnehmer nicht mehr möglich ist und damit aufgrund der Anonymisierung unabhängig von dem Inhalt der Frage das Verhalten oder die Leistung eines einzelnen Arbeitnehmers nicht überwacht werden kann. Die geregelte abstrakte Struktur beschränkte sich auf den Mitbestimmungstatbestand "technische Einrichtung" und sollte hierdurch unabhängig vom Frageninhalt die Anonymität gewährleisten und dadurch die Eignung des Systems zur Verhaltens- oder Leistungskontrolle ausschließen.
Auch bei Fragen, die Aufschluss über das Verhalten Dritter geben, ist das Mitbestimmungsrecht nicht durch die Frage als solches begründet, sondern durch die technische Verarbeitung und damit vereinfachte Erhebung und Auswertung der Fragen. Die Arbeitgeberin würde keine Mitarbeiterbefragung durchführen, wenn sie die Antworten ausschließlich händisch in Strichlisten erfassen und auswerten müsste. Andererseits wären in einem solchen Fall die Frageinhalte unzweifelhaft nicht mitbestimmt, soweit die Teilnahme freiwillig ist und die Ausfüllenden anonym bleinben.
Die Mitbestimmung zu den technischen Strukturen der Mitarbeiterbefragung ist auch nicht inhaltsleer, wenn die Fragen im Einzelfall nicht mitbestimmt/nicht bekannt sind. Zunächst kann auch eine Mitbestimmung zum Frageninhalt nicht dazu führen, dass unzulässige Fragen zulässig werden. Insoweit hat der Konzernbetriebsrat nach wie vor das Recht, den Fragenkatalog zugeleitet zu erhalten und zu prüfen, ob sich gänzlich unzulässige, z.B. das Persönlichkeitsrecht verletzende Fragen hierunter befinden. Hinsichtlich dieser Fragen kann sodann ein Unterlassungsanspruch gemacht werden.
Vergleicht man die vorliegende Vereinbarung zur EOS mit Betriebsvereinbarungen beispielsweise zur Einführung des Textverarbeitungsprogramms Word, so weiß ein Betriebsrat auch bei diesem Textverarbeitungsprogramm nicht, welche konkreten Texte jemals mit diesem Programm geschrieben und damit verarbeitet werden. Er kann aber in der Struktur mitbestimmen, ob und wie Leistungsdaten, beispielsweise die Anzahl der Anschläge in einem Zeitintervall, oder die Anzahl der Korrekturen innerhalb eines geschriebenen Textes gemessen oder gespeichert werden dürfen bzw. wer unter welchen Voraussetzungen berechtigt ist, im Einzelfall Auswertungen des Arbeitsverhaltens mit dem Programm Word vorzunehmen.
Diese Überlegung kann ohne weiteres auf die Strukturen des IT-Systems EOS übertragen werden, welches zunächst abschließend mitbestimmt worden ist. Ergibt sich im Nachhinein, dass aufgrund veränderter Fragen eine Regelungslücke innerhalb der Systemregelungen auftaucht, so mag die Betriebsvereinbarung gekündigt werden und gegebenenfalls eine Einigungsstelle über neue abstrakt generelle Regelungen/technische Voraussetzungen einer Mitarbeiterbefragung entscheiden. Dabei ist es auch denkbar, dass sich ein Betriebsrat/Konzernbetriebsrat oder auch die Einigungsstelle dafür bewusst entscheidet, dass im Interesse der von einem ungeeigneten Vorgesetzten betroffenen Mitarbeiter dieser im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung identifiziert werden kann, wenn eine bestimmte kritische Größe negativer Aussagen über diesen Vorgesetzten vorliegt. Das Mitbestimmungsrecht kann damit unabhängig von der einzelnen Frage im Rahmen der Mitbestimmung über die Struktur der Mitarbeiterbefragung mittels technischer Einrichtung geregelt werden.
Da zu der vorliegenden Frage bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung ersichtlich ist, wurde die Rechtsbeschwerde zugelassen.