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23.11.2016 · IWW-Abrufnummer 190065

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 20.09.2016 – 12 Sa 381/16

Eine Abmahnung kann nicht mit der Begründung als rechtswidrig angesehen werden, sie sei unverhältnismäßig, weil der Arbeitgeber als milderes Mittel zunächst eine Ermahnung hätte aussprechen müssen.


Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.02.2016 zu Aktenzeichen4 Ca 3123/15 teilweise abgeändert.


2. Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kläger die Entfernung der Abmahnung vom 27.04.2015 betreffend den Vorwurf "Ladungssicherung" begehrt.


3. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.


4. Die Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits tragen der Kläger zu einem Viertel und die Beklagte zu drei Vierteln. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien jeweils zur Hälfte.


5. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit von Abmahnungen.



Die Beklagte betreibt eine Spedition. Der am 1957 geborene Kläger ist seit dem 07.07.2003 bei der Beklagten als LKW-Fahrer beschäftigt, zuletzt zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von ca. 2.500,00 €.



Am 17.04.2015 hatte der Kläger in I Ware abzuliefern und sodann neue Ware aufzuladen. Ausweislich der im erstinstanzlichen Kammertermin zur Gerichtsakte gereichten Auswertung der "Tachonova Driver Card Software" (Bl. 190 d. A.) hat der Kläger an diesem Tag um 04:30 Uhr seine Arbeit aufgenommen und alsdann im Zeitraum bis einschließlich 06:05 Uhr im mehrfachen Wechsel die Aktivitäten "Arbeit" und "Fahren" betätigt, mit Ausnahme einer sechsminütigen Pause im Zeitraum von 04:56 Uhr bis 05:02 Uhr. Für den Zeitraum 06:05 Uhr bis 10:10 Uhr stand das vom Kläger betätigte EU-Kontrollgerät (Tachomat) durchgehend auf "Arbeit". Alsdann ist von 10:10 Uhr bis 10:16 Uhr "Fahren" angegeben, für den Zeitraum 10:13 Uhr bis 11:29 Uhr - d. h. für eine Stunde und 13 Minuten - "Ruhe". Alsdann folgt wiederum ein fünfminütiger Zeitraum "Fahren", gefolgt von einer 47minütigen "Pause". Der darauffolgende Zeitraum von 12:21 Uhr bis 16:10 Uhr ist für den Zeitraum von drei Stunden und 49 Minuten wiederum auf "Arbeit" gestellt. Es wechseln sich alsdann wiederum Zeiten von "Pause", "Arbeit" und "Fahren" ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Auswertung der "Tachonova Driver Card Software" (Bl. 190 d. A.) Bezug genommen.



Tatsächlich hat der Kläger jedenfalls nach eigenen unstreitigen Angaben seiner handschriftlichen Notizen auf dem zur Gerichtsakte gereichten Ausdruck der Tachonova Driver Card Softwarte im Zeitraum 07:05 Uhr bis 11:10 Uhr sowie im Zeitraum 13:21 Uhr bis 17:10 Uhr auf die Beladung gewartet.



Am 22.04.2015 hatte der Kläger mit einem Innenlader, mit dem ausschließlich Glas transportiert wird, für den Kunden Saint G , einen der weltweit größten Hersteller von Glasprodukten für die Automobilindustrie, Glas in F abzuliefern. Der Innenlader ist mit einem zusätzlichen Anschlagbalken ausgestattet, welcher zur zusätzlichen Sicherung des Glases bei unterschiedlichen Bandmaßen am Gestell anzubringen ist. Üblicherweise wird das Glas in den Gestellen offen transportiert. Bei der Lieferung am 22.04.2015 war das Glas in Folie bzw. Papier verpackt. Insofern wird auf die vom Kläger im Kammertermin vor dem Landesarbeitsgericht zur Gerichtsakte gereichte Foto-Aufnahme (Bl. 196 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger hat den zusätzlichen Anschlagbalken zur zusätzlichen Sicherung des Gestells vor dem Transport nicht angebracht. Bei Ankunft am Ablageort in F war das Glas in einem von fünf Paketen gebrochen.



Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin unter dem 27.04.2015 zwei Abmahnungen. Mit der ersten Abmahnung vom 27.04.2015 (Bl. 186 d. A.) betreffend "Arbeitszeitgesetz" wurde dem Kläger folgender Vorwurf gemacht:

"Am Freitag, den 17.04.2015, haben Sie gegen 06:00 Uhr ein Gestell Glas mit dem LKW (...) in I-Mosciano entladen. Anschließend sollten Sie am selben Tag um 16:00 Uhr dort ein Gestell aufnehmen. Zwischen Entladung und Beladung hätte der Tachograph auf Pause stehen müssen. Da dieser aber immer noch auf arbeiten stand, haben Sie verantwortungslos gegen das Arbeitszeitgesetz § 21 a verstoßen. Das Arbeitszeitgesetz besagt ganz klar, dass diese Zeit keine Arbeitszeit ist."



Mit der weiteren Abmahnung vom 27.04.2015, betreffend "Ladungssicherung" (Bl. 187 d. A.), wurde dem Kläger folgender Vorwurf gemacht:

"Am Mittwoch, den 22.04.2015, sollten Sie mit dem LKW (...) Glas in F- C abliefern. Als Sie dort ankamen, wurde bei der Entladung ein Glasbruch festgestellt. Dieser war dadurch entstanden, da Sie vergessen hatten, einen zusätzlichen Anschlagbalken vor das Gestell zu legen. Aufgrund der unterschiedlichen Bandmaße am Gestell wäre dieser Balken zwingend notwendig gewesen. (...)"



Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Wortlaut der im Kammertermin der ersten Instanz zur Gerichtsakte gereichten Abmahnungen Bezug genommen.



Unter dem 22.07.2015 sowie 05.08.2015 erteilte die Beklagte dem Kläger zwei weitere Abmahnungen wegen weiteren Vorwürfen zu anderen Daten betreffend die Erfassung von Wartezeiten als Arbeitszeit und nicht als Pausenzeit. Von der Darstellung weiterer Einzelheiten zu diesen beiden Abmahnungen wird abgesehen, da diese Abmahnungen im Berufungsverfahren nicht mehr streitgegenständlich sind.



Der Kläger hat am 04.09.2015 die vorliegende Klage beim Arbeitsgericht Aachen erhoben, mit der er die Entfernung der zunächst vier streitgegenständlichen Abmahnungen vom 27.04.2015 (2 x) sowie 22.07.2015 und 05.08.2015 begehrt hat. Er hat erstinstanzlich vorgetragen, auch die Wartezeiten seien seiner Ansicht nach zu Recht als Arbeitszeit zu erfassen, da vorher angekündigte Termine von den Kunden regelmäßig nicht eingehalten würden und daher für den Fahrer stets ungewiss sei, wann er die nächste Beladung aufnehmen könne. Hinsichtlich der Abmahnung bezüglich der Ladungssicherung hat er erstinstanzlich vorgetragen, es sei für ihn gar nicht erkennbar gewesen, dass er Glas transportiere.



Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 27.04.2015, 22.07.2015 und 05.08.2015, insgesamt vier Stück, zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Sie hat die Ansicht vertreten, alle Abmahnungen seien zu Recht erfolgt und hierbei insbesondere darauf hingewiesen, dass die LKW-Fahrer regelmäßig in der Handhabung des Tachographen geschult werden. Der Kläger habe gegen die tariflichen Vorgaben verstoßen, indem er während Zeiten, bei denen es sich tatsächlich um Pausen- oder Bereitschaftszeiten beim Warten auf die Be- und Entladung gehandelt habe, den Tacho auf "Arbeiten" eingestellt habe. Die Beklagte hat weiter hinsichtlich der Abmahnung bezüglich des Glasbruchs darauf verwiesen, dass der Kläger als Fahrer die Ladung ihrer Ansicht nach hätte kontrollieren müssen.



Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 16.02.2016 der Klage vollumfänglich stattgegeben. Es hat sämtliche vier erstinstanzlich streitgegenständlichen Abmahnungen als unberechtigt angesehen.



Bezüglich der ersten Abmahnung vom 27.04.2015, betreffend den Vorwurf "Arbeitszeit", hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass ausweislich des vom Kläger im Kammertermin vorgelegten Auszugs der Tachonova Driver Card Software für den 17.04.2015 der in der Abmahnung erhobene Vorwurf der Beklagten unzutreffend sei, dass der Kläger das EU-Kontrollgerät zwischen Entladung und Beladung durchgehend auf "Arbeit" gestellt habe. Vielmehr seien nach diesem Ausdruck der tatsächlich erfolgten Angaben in dem streitgegenständlichen Zeitraum auch Zeiten der "Ruhe" sowie der "Pause" dokumentiert.



Hinsichtlich der weiteren Abmahnung vom 27.04.2015, betreffend den Vorwurf "Ladungssicherung", habe die Beklagte nach Ansicht des Arbeitsgerichts nicht hinreichend konkret dargelegt, dass dem Kläger bekannt gewesen wäre, dass er Glas transportiere und dass er gegebenenfalls zusätzliche Sicherungsmaßnahmen hätte ergreifen müssen.



Gegen das ihr am 16.03.2016 zugestellte Urteil des ersten Rechtszuges vom 16.02.2016 hat die Beklagte am 15.04.2016 Berufung eingelegt und diese am 17.05.2016 (Dienstag nach Pfingsten) begründet.



Die Beklagte wehrt sich in der Berufungsinstanz lediglich noch gegen ihre Verurteilung zur Entfernung der beiden Abmahnungen vom 27.04.2015 aus der Personalakte des Klägers. Die weitere Verurteilung zur Entfernung der beiden weiteren Abmahnungen vom 22.07.2015 und 05.08.2015 aus der Personalakte des Klägers greift sie mit der Berufung nicht an.



Mit der Berufungsbegründung verweist sie darauf, dass in einem Innenlader ausschließlich Glas gefahren wird und dem Kläger daher bekannt gewesen sein musste, dass er am 22.04.2015 Glas transportiert. Dieser Umstand ist zweitinstanzlich auch unstreitig geworden. Die Beklagte verweist weiter darauf, dass - ebenfalls zweitinstanzlich unstreitig - die Fahrer, darunter der Kläger, bei entsprechenden Schulungen darauf hingewiesen wurden, dass bei unterschiedlichen Bandmaßen am Gestell ein zusätzlicher Anschlagbalken zur Ladungssicherung anzubringen ist.



Zur weiteren Abmahnung vom 27.04.2015 betreffend den Vorwurf "Arbeitszeit" habe das Arbeitsgericht den Beklagtenvortrag der ersten Instanz falsch verstanden. Der Vorwurf sei lediglich dahingehend erhoben, dass für die Zeit bis 16 Uhr der Kläger falsche Angaben gemacht habe.



Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

unter Abänderung des am 16.02.2016 verkündeten und am 16.03.2016 zugestellten Urteils des Arbeitsgerichts Aachen (4 Ca 3123/15) die Klage abzuweisen, soweit der Kläger mit der Klage die Entfernungen der Abmahnungen vom 27.04.2015 aus der Personalakte begehrt.



Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Er erklärt hinsichtlich des Vorwurfs der "Ladungssicherung", ihm sei zwar bewusst gewesen, dass er am 22.04.2015 Glas in dem Innenlader transportiere. Für ihn sei jedoch nicht erkennbar gewesen, dass die Bandmaße über das eigentliche Gestell hinausreichen. Denn da ausnahmsweise das Glas in Folie und Papier verpackt war, habe er dies nicht erkennen können. Im Übrigen sei kein nennenswerter Schaden durch den Glasbruch entstanden. Es sei üblich, dass die Fahrer bei der Beklagten bei vergleichbaren Glasbruchschäden keine Abmahnung erhalten. Jedenfalls hätte es ausgereicht, wenn die Beklagte eine Ermahnung gegenüber dem Kläger ausgesprochen hätte.



Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



Die zulässige Berufung hatte teilweise auch in der Sache Erfolg.



I. Die Berufung der Beklagten war zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1i. V. m. Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft, da der Beschwerdewert über 600,00 € liegt. Sie wurde frist- und formgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. den §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet.



II. Die Berufung war darüber hinaus teilweise begründet.



Die Berufung war begründet, soweit sie die Verurteilung der Beklagten zur Entfernung der Abmahnung vom 27.04.2015 hinsichtlich des Vorwurfs "Ladungssicherung" angreift. Die Berufung war demgegenüber unbegründet, soweit sie auch die Verurteilung zur Entfernung der weiteren Abmahnung vom 27.01.2015 betreffend den Vorwurf "Arbeitszeit" angreift.



Denn das Arbeitsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Entfernung der Abmahnung vom 27.04.2015 betreffend den Vorwurf "Arbeitszeit" verurteilt. Demgegenüber hat das Arbeitsgericht zu Unrecht die Beklagte zur Entfernung der weiteren Abmahnung vom 27.04.2015 betreffend den Vorwurf "Ladungssicherung" verurteilt. Denn diese Abmahnung betreffend den Vorwurf "Ladungssicherung" ist rechtmäßig erfolgt.



Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann im bestehenden Arbeitsverhältnis aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) i. V. m. dem allgemeinen Unterlassungsanspruch des § 1004 BGB analog ein Arbeitnehmer Entfernung einer rechtswidrigen Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen, sofern diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält und den klagenden Arbeitnehmer in seinen Rechten verletzt (z. B. BAG, Urteil vom 14.09.1994, 5 AZR 632/93; m. w. N., BAG, Urteil vom 27.11.1985, 5 AZR 101/94, AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht).



Hiervon ausgehend kann der Kläger vorliegend Entfernung der streitgegenständlichen Abmahnung betreffend den Vorgang "Arbeitszeit" verlangen, nicht jedoch die Entfernung der weiteren streitgegenständlichen Abmahnung betreffend den Vorgang "Ladungssicherung".



1. Die Abmahnung betreffend den Vorgang "Arbeitszeit" enthält eine unrichtige Tatsachenbehauptung und ist bereits aus diesem Grunde aus der Personalakte des Klägers bei der Beklagten zu entfernen. Mit der Abmahnung wird dem Kläger vorgeworfen, er hätte am 17.04.2015 im Zeitraum zwischen 06:00 Uhr und 16:00 Uhr, zwischen Entladung und Beladung, den Tachographen auf "Pause" stellen müssen. Tatsächlich hätte der Tachograph demgegenüber "immer noch auf arbeiten" gestanden. Dies ist dahingehend auszulegen, dass dem Kläger vorgeworfen wird, dass er den Tachographen im gesamten Zeitraum zwischen 6.00 Uhr und 16.00 Uhr auf "Arbeit" gestellt hätte. Denn eine differenziertere Aufspaltung nach einzelnen Zeitabschnitten enthält der Text der Abmahnung gerade nicht, sondern lediglich die pauschale Aussage, der Tachograph habe in dem angegebenen Zeitraum - also zwischen 6.00 Uhr und 16.00 Uhr "immer noch auf arbeiten" gestanden.



Insofern erweist sich dieser gegenüber dem Kläger erhobene Vorwurf nachweislich als falsch bei Durchsicht der Tachonova Driver Card des Klägers für den 17.04.2015. Der Vorwurf, der Kläger hätte im Zeitraum zwischen 06:00 Uhr und 16:00 Uhr, zwischen Entladung und Beladung, den Tachographen durchgehend auf "Arbeit" gestellt, wird durch die Aufzeichnungen der Tachonova Driver Card des Klägers für den 17.04.2015 widerlegt. Der Kläger hat den Tachographen im streitgegenständlichen Zeitraum zwar teilweise auf "Arbeit" gestellt, teilweise jedoch auch auf "Fahren" bzw. auf "Pause". Damit ist der gegenüber dem Kläger erhobene Vorwurf, er habe am 17.04.2015 im Zeitraum 06:00 Uhr bis 16:00 Uhr den Tachographen durchgehend auf "Arbeit" gestellt, anhand der elektronischen Aufzeichnungen nachweislich falsch. Bereits aus diesem Grund ist die streitgegenständliche Abmahnung aus der Personalakte des Klägers bei der Beklagten zu entfernen.



Es kann dahinstehen, dass der Kläger gegebenenfalls eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten begangen hat, indem er auch nach eigenen Angaben unstreitig jedenfalls im Zeitraum 07:05 Uhr bis 11:10 Uhr den Tachographen auf "Arbeit" gestellt hat, obwohl er nach eigenen Angaben lediglich auf die Beladung gewartet hat. Denn ein diesbezüglicher Vorwurf ist nicht Gegenstand der hier streitgegenständlichen Abmahnung. Die hier streitgegenständliche Abmahnung ist aus der Personalakte des Klägers bei der Beklagten zu entfernen, da sie eine fehlerhafte Tatsachenbehauptung enthält.Es ist der beklagten Arbeitgeberin unbenommen, ggf. einen Vorwurf anhand korrekter Tatsachenbehauptungen für den Vorfall vom 17.04.2015 zu formulieren und gegebenenfalls dem Kläger eine erneute Abmahnung zu erteilen, bezüglich derer es alsdann auch dem Kläger unbenommen wäre, diese erneut gerichtlich überprüfen zu lassen.



2. Die weitere streitgegenständliche Abmahnung vom 27.04.2015 betreffend den Vorwurf "Ladungssicherung" erweist sich demgegenüber als rechtmäßig, so dass der Kläger keinen Anspruch auch auf Entfernung dieser Abmahnung aus seiner Personalakte hat.



a) Die Abmahnung "Ladungssicherung" enthält - anders als die weitere streitgegenständliche Abmahnung "Arbeitszeit" - keine unrichtige Tatsachenbehauptung.



Unstreitig hat der Kläger am 22.04.2015 Glas transportiert, bei dem es zu einem Glasbruch kam. Unstreitig hat der Kläger bei diesem Transport keinen zusätzlichen Anschlagbalken vor dem Gestell zur zusätzlichen Sicherung des Glases befestigt. Der Balken wäre jedoch aufgrund der unterschiedlichen Bandmaße am Gestell nach den erfolgten Schulungen bei der Beklagten, an denen unstreitig auch der Kläger teilgenommen hat, erforderlich gewesen.



Insofern ist der tatsächliche Sachverhalt, der Gegenstand der weiteren Abmahnung vom 27.04.2015 betreffend den Vorwurf "Ladungssicherung" ist, inhaltlich zutreffend.



Abweichend von den Sachverhaltsfeststellungen im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger auch gewusst, dass er Glas transportiert. Die Parteien haben im Berufungsverfahren zweitinstanzlich unstreitig gestellt, dass mit einem sogenannten Innenlader ausschließlich Glas transportiert wird. Der Kläger hat im Kammertermin vor dem Landesarbeitsgericht selbst gefertigte Fotoaufnahmen vom Schadenereignis vorgelegt, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass klar erkennbar war, das Glas transportiert wird. Der Kläger hat im Kammertermin auch selbst angegeben, dass ihm bewusst war, dass er Glas transportiert.



Mit der durch das Arbeitsgericht allein erfolgten Begründung, die Beklagte habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass dem Kläger bewusst gewesen sei, dass er Glas transportiere oder er zumindest aufgrund bestehender Weisungen die Ladung dahingehend hätte kontrollieren müssen, konnte ein Anspruch des Klägers auf Entfernung der streitgegenständlichen Abmahnung aus seiner Personalakte daher nicht gesehen werden.



Denn der Kläger wusste, dass er Glas transportiert und dass er bei unterschiedlichen Bandmaßen am Gestell den zusätzlichen Anschlagbalken vor das Gestell zu legen hat.



b) Der Kläger beruft sich im Berufungsverfahren allein darauf, er habe aufgrund der Verpackung des Glases durch Folien und Papier nicht erkennen können, dass unterschiedliche Bandmaße am Gestell vorlagen.



Auch den eigenen Vortrag des Klägers insofern als richtig unterstellt ergibt sich jedoch ein jedenfalls leicht fahrlässiges Fehlverhalten des Klägers, welches von der Beklagten zum Gegenstand einer Abmahnung genommen werden kann.



aa) Es liegt ein jedenfalls leicht fahrlässiger Arbeitspflichtenverstoß des Klägers vor.



Gerade wenn der Kläger nicht wusste, ob unterschiedliche Bandmaße vorliegen oder nicht, weil er dies nach eigenen Angaben aufgrund der Verpackung durch die Folie und das Papier nicht erkennen konnte, wäre der Kläger gehalten gewesen, vorsorglich den zusätzlichen Anschlagbalken zu befestigen.



Der Kläger trägt selbst vor, dass es zu seinen Aufgaben als LKW-Fahrer zählt, das Be- und Entladen seines Fahrzeuges zu bewachen. Er trägt insofern (im Zusammenhang mit den anderen Abmahnungen) ausführlich begründet vor, dass diese Zeiten der Bewachung des - durch Dritte vorgenommenen - Be- und Entladevorgangs seiner Ansicht nach als Arbeitszeit zu bewerten sei, weil dem Kläger als LKW-Fahrer insofern Kontrollaufgaben zukämen Damit ist es dem Kläger verwehrt, sich nunmehr im Zusammenhang mit der hier streitgegenständlichen Abmahnung bezüglich der Ladungssicherung darauf zu berufen, es hätte allein ein Fehler derjenigen Personen vorgelegen, welche die Beladung vorgenommen haben. Wenn der Kläger die Be- und Entladung seines Fahrzeuges zu überwachen hat, muss er dieser Überwachungsfunktion auch nachkommen. Gerade wenn Unsicherheiten bestehen, ob unterschiedliche Bandmaße am Gestell vorliegen oder nicht, ist es im Zweifelsfall angebracht, vorsorglich den zusätzlichen Anschlagbalken vor das Gestell zu legen, zumal dies nach der vom Kläger im Kammertermin vorgelegten Foto-Dokumentation offenbar auch nur mit einem überschaubaren zusätzlichen Arbeitsaufwand verbunden ist.



bb) Auf dieses jedenfalls leicht fahrlässige Versäumnis des Klägers hat die Beklagte berechtigterweise mit dem Ausspruch einer Abmahnung reagieren dürfen. Zu Unrecht wendet der Kläger ein, die Beklagte hätte es als milderes Mittel gegenüber einer Abmahnung beim Ausspruch einer Ermahnung belassen müssen.



Eine Abmahnung kann nicht mit der Begründung als rechtswidrig angesehen werden, sie sei unverhältnismäßig, weil der Arbeitgeber als milderes Mittel zunächst eine Ermahnung hätte aussprechen müssen.



Eine derartige Ausweitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes übersieht, dass die Abmahnung selbst bereits ihre Rechtfertigung gerade aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erhält. Denn als Ausfluss des das Arbeitsrecht prägenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist es regelmäßig erforderlich, dass ein Arbeitgeber, bevor er zu folgenschwereren arbeitsrechtlichen Sanktionen wie insbesondere dem Ausspruch einer Kündigung greift, zunächst dem Arbeitnehmer durch Ausspruch einer Abmahnung sein Fehlverhalten vor Augen zu führen hat und dem Arbeitnehmer zu verdeutlichen hat, dass der Arbeitgeber weiteres entsprechendes Fehlverhalten nicht hinnehmen wird (nunmehr - generell für Dauerschuldverhältnisse - auch gesetzlich geregelt in § 314 Abs. 2 BGB).



Genau dies hat die Beklagte durch Ausspruch der streitgegenständlichen Abmahnung getan. Es ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu verlangen, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Abmahnung - jedenfalls bei leichterem Fehlverhalten - zunächst eine Ermahnung aussprechen müsste.



Zwar ist im Ansatz der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Leitbild für das gesamte Arbeitsrecht, so dass jede arbeitgeberseitige Maßnahme, bei der der Arbeitgeber Ermessen ausübt - so auch der Ausspruch einer Abmahnung - im Grundsatz dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterfällt (BAG, Urteil vom 31.08.1994, 7 AZR 893/93; LAG Köln, Urteil vom 25.04.2008, 11 Sa 74/08). Entgegen einer teilweise in der Instanzrechtsprechung vertretenen Auffassung (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.09.2004, 10 Sa 390/04, juris, Rn 40; ArbG Berlin, Urteil vom 15.08.2003, 28 Ca 12003/03; ArbG Freiburg, Urteil vom 10.10.2001, 6 Ca 131/01) kann hieraus jedoch nicht gefolgert werden, dass eine Abmahnung unverhältnismäßig und damit unwirksam sei, wenn dem Arbeitgeber mildere Mittel, wie das Absehen von einer Sanktion oder der Ausspruch einer "Ermahnung" ohne Ankündigung etwaiger weiterer arbeitsrechtlicher Sanktionen, zumutbar zur Verfügung stehen.



Denn mit dem Ausspruch einer Abmahnung übt der Arbeitgeber lediglich sein Gläubigerrecht aus, den Arbeitnehmer auf seine vertraglichen Pflichten hinzuweisen und ihn auf deren Verletzung aufmerksam zu machen und zugleich für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten aufzufordern und für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung individualrechtliche Konsequenzen in Aussicht zu stellen (BAG, Urteil vom 31.08.1994, a. a. O., juris, Rn 27). Insofern ist der der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung berechtigt, selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen und deswegen abmahnen will (BAG, Urteil vom 31.08.1994, a. a. O., Rn 36). Eine Abmahnung ist nach der Rechtsprechung des BAG aber nicht allein deswegen unzulässig, weil der Arbeitgeber auch über den erhobenen Vorwurf hinwegsehen könnte (BAG, Urteil vom 31.08.1994, a. a. O., m. w. N.; ebenso LAG Köln, Urteil vom 25.04.2008,a. a. O.).



Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist als Übermaßverbot zur Vermeidung schwerwiegender Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen zu verstehen (BAG, Urteil vom 31.08.1994, a. a. O., m. w. N.; LAG Köln, Urteil vom 25.04.2008, a. a. O.).



Hiervon ausgehend treten derartige schwerwiegende Rechtsfolgen mit dem Ausspruch einer Abmahnung gerade nicht ein. Denn an die Abmahnung selbst sind unmittelbar noch gar keine Rechtsfolgen geknüpft. Sie hat - neben der auch einer Ermahnung zukommenden Hinweis- und Missbilligungsfunktion - insbesondere eine - bei einer bloßen Ermahnung fehlende - Warnfunktion und soll den Arbeitnehmer zu künftigem vertragsgemäßen Verhalten anhalten.



Diese Warnfunktion kann sie jedoch nur erfüllen, wenn der Arbeitgeber auch berechtigt ist, bereits auf einfache Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten mit dem Ausspruch einer Abmahnung zu reagieren. Denn ansonsten wäre der Arbeitgeber - dem ja aufgrund des Vorrangs der Abmahnung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bereits die Kündigungsmöglichkeit verwehrt sein wird - gehalten, einen Arbeitspflichtenverstoß sanktionslos hinzunehmen, wenn er nicht einmal eine Abmahnung, deren schwerwiegendste Rechtsfolge die Warnfunktion ist, aussprechen dürfte. Dies würde Wiederholungsfälle geradezu provozieren und zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen (so auch zutreffend LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.05.2004, 5 Sa 170c/02, NZA-RR 2005, Seite 244 ff.).



Schon aus Gründen der Rechtsklarheit ist daher - abgesehen von extremen Fällen des Rechtsmissbrauchs - jede auch nur geringe Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer zum Ausspruch einer Abmahnung geeignet, ohne dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf den Ausspruch einer Ermahnung als milderes Mittel verweisen könnte (so auch LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.05.2004, a. a. O.). Allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Unwirksamkeit einer Abmahnung führen (so auch LAG Köln, Urteil vom 25.04.2008, a. a. O.).



Ein Arbeitgeber mag zwar berechtigt sein, bei leichterem Fehlverhalten zunächst eine "Ermahnung" vor einer Abmahnung auszusprechen, wenn er insofern zum Ausdruck bringen will, dass er ein abgestuftes "Sanktionssystem" anwendet und insofern die Ermahnung nach diesem System Vorstufe zu einer Abmahnung sein soll. Eine rechtliche Verpflichtung, jedenfalls bei leichteren Pflichtverletzungen zunächst eine Ermahnung (ohne Warnfunktion) vor einer Abmahnung auszusprechen, gibt es jedoch nicht. Auch leichtes Fehlverhalten eines Arbeitnehmers berechtigt den Arbeitgeber regelmäßig zum Ausspruch einer Abmahnung.



cc) Da bereits ein geringer Arbeitspflichtenverstoß und jedenfalls ein leicht fahrlässiges Fehlverhalten des Arbeitnehmers zum Ausspruch einer berechtigten Abmahnung ausreicht, ist im vorliegenden Streitfall nicht entscheidungserheblich, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es vorliegend zu einem konkret bezifferbaren wirtschaftlichen Schaden für die Beklagte gekommen ist. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ist die Beklagte nicht gehalten, eine etwaige finanzielle Inanspruchnahme durch den Kunden aufgrund des Glasschadens nachzuweisen. Selbst wenn es überhaupt nicht zu einem Schaden gekommen wäre, hätte allein der Umstand, dass der Kläger den zusätzlichen Anschlagbalken nicht angebracht hat, die Beklagte bereits zum Ausspruch einer Abmahnung berechtigt, da der Kläger bereits hierdurch gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat. Davon abgesehen ist es vorliegend auch unstreitig zu einem Glasbruch gekommen.



III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG. Hiernach hatte eine Aufteilung der Kosten des Rechtsstreites entsprechend dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zu erfolgen. Da erstinstanzlich noch vier Abmahnungen streitgegenständlich waren und die Beklagte letztlich lediglich hinsichtlich einer dieser vier Abmahnungen obsiegt hat, hat sie hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens drei Viertel der Kosten zu tragen und der Kläger lediglich ein Viertel. Hinsichtlich der in der Berufungsinstanz noch streitgegenständlichen zwei Abmahnungen haben die Parteien jeweils zur Hälfte obsiegt, so dass eine hälftige Kostenaufteilung der Kosten des Berufungsverfahrens gerechtfertigt war.



Gründe, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, waren nicht gegeben, da die vorliegende Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.

Vorschriften§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz, § 1004 BGB, § 314 Abs. 2 BGB, § 92 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG, § 72 Abs. 2 ArbGG

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