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17.10.2016 · IWW-Abrufnummer 189289

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 06.07.2016 – 7 Sa 566/15


Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15. Juli 2015, Az. 1 Ca 1480/14, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.


2. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger als ehemaligem, zuletzt freigestellten Betriebsratsmitglied unter Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung seines Kollegen Z. Y. eine höhere Vergütung zusteht.



Bei der Beklagten handelt es sich um einen Betrieb mit heute 180 Mitarbeitern.



Der Kläger war bei der Beklagten in deren Niederlassung X. seit 1976 - zunächst als Studententätigkeit - beschäftigt. Circa 1985 wurde er in den Verkaufsinnendienst versetzt, nachdem er zuvor als Auslieferfahrer mit Lohngruppe III tätig war.



Nach dem Arbeitsvertrag vom 1. Februar 1990 (Bl. 32 ff. d. A.) war der Kläger zu diesem Zeitpunkt als "Angestellter/Mitarbeiter in Abteilung Versand" beschäftigt und erhielt eine Vergütung nach der Gehaltsgruppe III/7 zuzüglich einer freiwilligen, verrechenbaren Zulage. Mit Schreiben vom 29. Juni 1990 (Bl. 63 d. A.) erhielt der Kläger eine Gehaltserhöhung. Danach setzte sich das Gehalt neben dem Tarifgehalt auch aus einer freiwilligen Zulage, einer Leistungszulage und einer Verantwortungszulage zusammen. Nach § 14 des Arbeitsvertrags vom 1. Februar 1990 bildet der jeweilige gültige Manteltarifvertrag, insbesondere auch die Lohn- und Gehaltstarife die Grundlage des Arbeitsverhältnisses.



Mit "Änderungsvereinbarung" vom 16. Dezember 2008 (Bl. 60 d. A.) wurde die Vergütung des Klägers mit Wirkung zum 1. Januar 2009 auf G 4/4 zuzüglich einer übertariflichen Zulagen in Höhe von 300,00 € angehoben.



1988 ist der Kläger als ordentliches Mitglied in den bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat nachgerückt. 1990 wurde er stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und unter anderem Mitglied des Gesamtbetriebsrats. Seit 1996 ist der Kläger Betriebsratsvorsitzender. Zusätzlich war er von 1991 bis Juni 2014 Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der W. eG, später auch in den Aufsichtsgremien der W. AG und der W. GmbH. Außerdem war der Kläger seit 1991 ordentliches Mitglied im Wirtschaftsausschuss. 1992 wurde der Kläger nach § 37 Abs. 2 BetrVG und seit Mai 2002 gemäß § 38 BetrVG freigestellt.



Der heute 57-jährige Arbeitnehmer Z. Y., wurde am 1. Februar 1992 laut Arbeitsvertrag (Bl. 37 ff. d.A.) als Mitarbeiter Versand mit Lohngruppe III zuzüglich einer Versandzulage eingestellt. Er war zuvor als Spediteur für die Beklagte tätig. Vor der Übernahme der Versandleitertätigkeit wurde Herr Y. zuletzt nach der Gehaltsgruppe G IV ab dem 7. Tätigkeitsjahr vergütet.



Vom 1. Januar 1974 bis zum 30. Juni 2011 war V. U. Versandleiter. Stellvertretender Versandleiter war bis zum 1. Juni 1994 T. S.. Nach dem Übertritt des bisherigen Versandleiters V. U. zum 1. November 2011 in die Freistellungsphase der Altersteilzeit wurde Herr Y. als Versandleiter, zuletzt mit einer Vergütung nach Gehaltsgruppe VI ab dem 7. Tätigkeitsjahr entlohnt.



Der Kläger wird zuletzt nach der Gehaltsgruppe G IV ab dem 7. Tätigkeitsjahr entlohnt. Er erhielt seit dem 1. November 1992 eine monatliche übertarifliche Zulage von 300,00 € brutto. Auf die Stelle des Abteilungsleiters Versand hat der Kläger sich nicht beworben.



Der Kläger hat 2015 das 65. Lebensjahr vollendet und ist nach Erreichen der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung im Januar 2016 aus dem Unternehmen der Beklagten ausgeschieden.



Der Kläger war der Ansicht, der Arbeitnehmer Y. sei ein mit ihm vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung im Sinn von § 37 Abs. 4 BetrVG. Er hat vorgetragen, er selbst sei kurz nach seiner Versetzung in den Versandinnendienst 1985 zum stellvertretenden Versandleiter befördert worden. Herr Z. Y. sei als stellvertretender Versandleiter eingestellt worden, weil er selbst wegen seiner Tätigkeit als Betriebsrat gebunden gewesen sei. Herr Y. sei aber gleichwohl von ihm eingearbeitet worden, da er die Tätigkeit als stellvertretender Versandleiter seit vielen Jahren ausgeübt habe. Wegen seiner überwiegenden Tätigkeit als stellvertretender Versandleiter sei er Ende der 80er Jahre durch den damaligen Niederlassungsleiter der Rechtsvorgängerin der Beklagten zusammen mit dem Mitarbeiter T. S. in die Gehaltsgruppe III zuzüglich einer außertariflichen Zulage umgruppiert worden. Er habe unter anderem folgende Tätigkeiten ausgeübt: Im Wechsel mit dem Versandleiter U. und Herrn S. die alleinige Versandleitung am Samstag, Urlaubsvertretung für Herrn U., Kontrolle der Speditions- und Tankabrechnungen, Tourenplanung mit Intertour, Tourenkontrolle der Spediteure mit Intertour und die Berechnung der tourenabhängigen Kosten für die Betriebsleitung. Diese Tätigkeiten und die Eingruppierungen bewiesen, dass es sich hierbei um qualifizierte Aufgaben gehandelt habe, die ausschließlich im Aufgabenbereich der Versandleitung gelegen hätten.



Er habe sich nicht auf die Stelle des Versandleiters beworben, da er seine Tätigkeit als Betriebsrat zu keinem Zeitpunkt habe aufgeben wollen.



Wegen des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot stehe ihm daher seit dem Monat November 2011 eine Vergütung nach G VI ab dem 7. Tätigkeitsjahr zu.



Der Kläger war der Auffassung, tarifvertragliche Ausschlussfristen fänden keine Anwendung, weil die Beklagte gegen ihre Pflichten aus § 2 Ziffer 1 und § 18 Ziffer 5 MTV verstoßen habe.



Der Kläger verfolgte seine Vergütungsansprüche mit seiner der Beklagten am 13. August 2014 zugestellten Klage. Er hat erstinstanzlich - nach teilweiser Klagerücknahme bzgl. einer zunächst auch geltend gemachten Zulage in Höhe von 300 € monatlich - zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Betrag von 29.898,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn ab dem Monat August 2014 nach der Lohngruppe G VI ab dem 7. Tätigkeitsjahr nach dem Lohntarifvertrag für den Groß- und Außenhandel Rheinland-Rheinhessen zu vergüten.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Die Beklagte beruft sich auf die tariflichen Ausschlussfristen des § 17 des Manteltarifvertrags des Arbeitgeberverbandes Großhandel-Außenhandel-Dienstleistungen Rheinland-Rheinhessen e. V. und trägt im Wesentlichen vor, der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt als stellvertretender Versandleiter tätig gewesen. Weder habe er die Tätigkeiten eines stellvertretenden Versandleiters ausgeübt noch sei mit ihm diesbezüglich eine entsprechende arbeitsvertragliche (Änderungs-)Vereinbarung abgeschlossen worden.



Herr Y. sei 1992 nicht als stellvertretender Versandleiter, sondern als Schichtleiter Versand eingestellt worden. Er sei ausweislich der für ihn durchgeführten Betriebsratsanhörung und seines Arbeitsvertrags als Ersatz für Z. R. eingestellt worden, der das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt verlassen habe. Vor der Einstellung von Herrn Y. hätten P. N. und Z. R. die Schichtleitung im Versand im Wechsel von Früh- und Spätschicht betrieben. Nach dem Ausscheiden von Herrn R. hätten Herr N. und Herr Y. diese Wechselschicht weitergeführt.



Dementsprechend habe der Kläger Herrn Y. auch nicht in diese Position eingearbeitet. Herr Y. sei vielmehr als Schichtleiter eingearbeitet worden und zwar in erster Linie von Herrn N., der während der Einarbeitungsphase zusammen mit diesem die Abendschicht als Schichtleiter betreut habe. Demgegenüber sei der Kläger lediglich im Rahmen einer kollegialen Zusammenarbeit ein Ansprechpartner von Herrn Y. gewesen.



Zwar sei Herr Y. nach dem Ausscheiden von Herrn U. Versandleiter geworden. Herr Y. sei jedoch erst zum 1. Januar 2012 in die Gehaltsgruppe G VI eingruppiert worden. Seither erhalte Herr Y. keine Funktionszulage in Höhe von 300,00 € mehr.



Unrichtig sei auch, dass der Kläger im Wechsel mit Herrn U. und Herrn S. die alleinige Versandleitung am Samstag gemacht hätte. Die Versandleitung am Samstag reduziere sich zudem auf die reine organisatorische Abwicklung der Samstagschicht im Rahmen einer Schichtleitung. Diese Aufgabe habe der Kläger ab 1989 im Wechsel mit vier anderen Mitarbeitern übernommen. Unzutreffend sei auch, dass der Kläger Herrn U. regelmäßig vertreten habe. Die restlichen vom Kläger aufgelisteten Tätigkeiten seien diesem vor allem deshalb übertragen worden, weil es sich um zeitunabhängige Aufgaben handele, die er jederzeit neben seiner betriebsratsbezogenen Tätigkeiten habe auszuführen können. Es handele sich vor allem um softwaregestützte Büroarbeiten eines Sachbearbeiters, die keine Stellung eines stellvertretenden Versandleiters begründeten.



Betriebsübliche Beförderungs- bzw. Bewährungslaufbahnen gebe es nicht; insbesondere keine "Beförderungsautomatik", dass bestimmte Mitarbeiter zu Abteilungsleitern aufstiegen. Ein Abteilungsleiter stehe in der Hierarchie direkt unter dem Betriebsleiter mit der höchsten Position im Betrieb. Insgesamt seien lediglich fünf Abteilungsleiter für Lager, Warenwirtschaft, Versand, Einkauf und Telefonie beschäftigt.



Die Beförderung zum Abteilungsleiter werde jeweils im Einzelfall nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung, also nach individuellen Kriterien vorgenommen. Dies gelte auch für Herrn Y., der sich nach nahezu 20-jähriger Tätigkeit im Unternehmen für diese Position besonders qualifiziert gehabt habe und geeignet gewesen sei.



Demgegenüber habe der Kläger zunächst als Auslieferungsfahrer Touren gefahren und sei bereits vor seiner vollständigen Freistellung wegen den zeitlichen Anforderungen durch das Betriebsratsamt nur noch im Innendienst in der Tagesschicht eingesetzt worden. Der Einsatz im Innendienst sei nicht etwa wegen dessen besonderen Qualifikationen erfolgt. Zu keinem Zeitpunkt sei beabsichtigt gewesen, dem Kläger die Versandleitung zu übertragen.



Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 15. Juli 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Klage sei im Ergebnis unbegründet.



Nach § 37 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 BetrVG dürfe das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Es komme darauf an, ob die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der Dauer seiner Betriebsratstätigkeit in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückgeblieben sei. Das Betriebsratsmitglied habe daher während der Dauer seiner Amtszeit Anspruch auf Gehaltserhöhungen in dem Umfang, in dem die Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung erhöht würden. Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger habe bereits nicht darzutun vermocht, dass der Arbeitnehmer Y., der nunmehr als Versandleiter tätig sei, mit diesem als vergleichbarer Arbeitnehmer anzusehen sei. Das Vorbringen des Klägers hierzu, insbesondere seine Behauptung, er sei als stellvertretener Versandleiter tätig gewesen, sei bereits in zeitlicher Hinsicht unsubstantiiert und nicht frei von Widersprüchen und somit prozessual unbeachtlich. Entsprechendes gelte im Hinblick auf das Bestreiten der Beklagten bzgl. der vom Kläger behaupteten Tätigkeiten, aus denen sich seine Stellung als stellvertretender Versandleiter ergeben solle. Hinzu komme, dass der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger auch nicht darzutun vermocht habe, dass der Aufstieg des Arbeitnehmers Y. vom Schichtleiter zum stellvertretenden Versandleiter und dann zum Versandleiter eine betriebsübliche berufliche Entwicklung bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin dargestellt habe.



Ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung aus § 78 Satz 2 BetrVG könne sich ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellte. Dies setze allerdings voraus, dass dem Betriebsratsmitglied der Nachweis gelinge, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied einer Betriebsvertretung inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde. Es bedürfe daher der, wenn auch auf Hilfstatsachen beruhenden Feststellung des Tatrichters, dass das Betriebsratsmitglied diese berufliche Entwicklung ohne seine Amtstätigkeit tatsächlich genommen hätte. Auch dafür reiche indes ein Vergleich zu dem Arbeitnehmer Y. nicht.



Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz (Bl. 154 ff. d. A.) Bezug genommen.



Das genannte Urteil ist dem Kläger am 24. November 2015 zugestellt worden. Der Kläger hat hiergegen mit einem am 18. Dezember 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 17. Dezember 2015 Berufung eingelegt und diese mit am 22. Januar 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.



Zur Begründung der Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 15. April 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 185 ff., 197 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,



würde man dem angegriffenen Urteil folgen, könnte man § 78 BetrVG eigentlich abschaffen, weil das Betriebsratsmitglied in seiner Darlegungs- und Beweislast vor unlösbare Aufgaben gestellt werde. Der betroffene Arbeitnehmer, der sich auf eine Verletzung des § 78 BetrVG berufe, könne immer nur mit Hilfstatsachen arbeiten. Solche Hilfstatsachen, die auf die Benachteiligung des Betriebsratsmitgliedes hinwiesen, seien insbesondere vergleichbare Arbeitnehmer, die eine bessere Karriere machten als das Betriebsratsmitglied, das aus dem operativen Geschäft ausgestiegen sei. Auch wenn das Betriebsratsmitglied letztlich die Beweislast für die behauptete Benachteiligung trage, sei bei der Prüfung, ob eine solche Benachteiligung im Sinn des § 78 S. 2 BetrVG vorliege, von einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast auszugehen. Das sei schon deshalb geboten, weil das Betriebsratsmitglied über die Motivlage des Arbeitgebers naturgemäß in der Regel nur spekulieren könne. Deshalb sei es, wenn das Betriebsratsmitglied vortrage, die Nichtbeförderung beruhe auf seiner Betriebsratszugehörigkeit, zunächst Sache des Arbeitgebers, im Einzelnen substantiiert dazulegen, aus welchen Gründen die Beförderung nicht erfolgt sei.



Er habe Herrn Y., der damals als selbständiger Spediteur für die Beklagte (in der damaligen Form) tätig gewesen sei, überredet, in die Fa. W. einzutreten und als stellvertretender Versandleiter zu arbeiten, da es ihm wegen der zunehmenden Betriebsratstätigkeit immer schwerer geworden sei, gleichzeitig als stellvertretender Versandleiter und Betriebsrat zu fungieren, was auch Unzufriedenheit bei den Versandkollegen erzeugt habe. Herr Y. sei vom damaligen Versandleiter, Herrn U., und ihm - dem Kläger - eingearbeitet worden. In den ersten Jahren nach seinem Eintritt habe er noch die Urlaubs- und Krankheitsvertretung für den Versandleiter übernommen. Nach und nach habe er sich dann zwischen 13.00 und 14.30 Uhr aus dem Versandgeschäft herausnehmen und seine Betriebsratsarbeiten erledigen können. Anfangs habe er noch alle Dienstreisen absagen müssen.



Zu dem Zeitpunkt, als die Stelle des Versandleiters vakant geworden sei, sei Herr Y. besser für die Nachfolge geeignet gewesen als er, da er - der Kläger - zu diesem Zeitpunkt seit Jahren freigestellt und versandtechnisch nicht auf dem Laufenden gewesen sei. Der Kläger bestreitet, dass Herr Y. eine weitere angeborene oder erlernte Befähigung, besondere Eignung oder Qualifikation habe oder gehabt habe. Bei den von der Beklagten hervorgehobenen Eigenschaften des Herrn Y. handele es sich um solche, die er als Betriebsrat ebenfalls aufweise.



Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15. Juli 2015, zugestellt am 24. November 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Betrag von 29.898,00 € brutto, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, 2. das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15. Juli 2015, zugestellt am 24. November 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihn ab dem Monat August 2014 bis einschließlich Januar 2016, nach der Lohngruppe G VI ab dem 7. Tätigkeitsjahr, nach dem Lohntarifvertrag für den Groß- und Außenhandel Rheinland-Rheinhessen, zu vergüten.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 23. Februar 2016 sowie des Schriftsatzes vom 3. Juni 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 195 f., 203 f. d. A.), als rechtlich zutreffend. Herr Y. habe nicht die gleiche Tätigkeit wahrgenommen wie der Kläger. Dieser sei auch nicht vom Kläger angelernt worden. Der Kläger und Herr Y. hätten unterschiedliche persönliche und fachliche Fähigkeiten. Die Beförderung von Herrn Y. zum Abteilungsleiter sei unter Berücksichtigung seiner besonderen Eignung und Befähigung zur Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben erfolgt. Für diese habe sich Herr Y. nach vorausgegangener langjähriger Tätigkeit besonders qualifiziert. Eine solche besondere Qualifikation sei bei dem Kläger nicht gegeben gewesen, so dass dieser auch ohne seine Betriebsratstätigkeit nicht gleichermaßen befördert worden wäre. Da ihre Personalentscheidung nachvollziehbar und nicht willkürlich gewesen sei, könne auch nicht von einer Schlechterstellung des Klägers gesprochen werden.



Der Kläger wäre nie für die Position des Versandleiters in Frage gekommen. Herr Y. sei als ehemaliger Spediteur fachlich besonders gut qualifiziert, weil er sich nicht nur mit ihrem Geschäft, sondern sich in dem Speditionsgewerbe allgemein bestens ausgekannt habe. Er habe die Tourenplanung "aus dem FF" beherrscht und sei dazu in der Lage gewesen, sich permanent in weiterentwickelte Programme einzuarbeiten. Herr Y. sei darüber hinaus ein sehr guter Organisator, ein Mann mit ausgeprägtem Verhandlungsgeschick (zum Beispiel bei Preisverhandlungen) sowie ein sehr reflektierter und besonnener Mensch, der von Spediteuren und Fahrern gleichermaßen akzeptiert und anerkannt werde. Er habe einen ausgleichenden Charakter und handele besonnen im Umgang mit Menschen. Ihm gelinge es immer, Kompromisse zu finden, die für alle Beteiligten tragbar seien. Er schaffe es in der Regel, Konflikte zu entschärfen, wobei er stets engagiert und motiviert für sie tätig sei, stets auch außerhalb der Dienstzeit erreichbar und handlungsbereit, wenn Not am Mann. Der Kläger zeige sich demgegenüber eher als ein Mitarbeiter mit cholerischem Temperament, der in Stress- und Konfliktsituationen zu Überreaktionen tendiert habe. Schon aus diesem Grund wäre er nie für die Position des Versandleiters in Frage gekommen.



Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 6. Juli 2016 (Bl. 205 ff. d. A.) Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



A. Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.



B.I. In der Sache hatte die Berufung des Klägers jedoch keinen Erfolg.



Die Klage ist zulässig. Mit dem Leistungsantrag (Ziffer 1) hat der Kläger die im Zeitpunkt der Klageerhebung rückständige Lohndifferenz zwischen einer Vergütung nach Lohngruppe VI und derjenigen nach Lohngruppe IV geltend gemacht. Der Antrag zu 2) ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger festgestellt wissen will, dass die Beklagte auf im Zeitraum von August 2014 bis zu seinem Ausscheiden im Januar 2016 zur Zahlung der Vergütung nach Lohngruppe VI verpflichtet ist (vgl. zur Umdeutung einer unzulässigen Klage auf künftige Leistung: BGH, Urteil vom 12.Juli 2006 - VIII ZR 235/04 - NJW-RR 2006, 1485, 1486). Durch diesen Antrag wird der Streit der Parteien über die Berechnung der Arbeitsvergütung auch - aus der Sicht im Zeitpunkt der Klageerhebung - in der Zukunft beseitigt. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO besteht. Der Kläger war insoweit auch nicht gezwungen, seinen Antrag auf einen bezifferten Leistungsantrag umzustellen, nachdem die Bezifferung der Vergütung erst im Laufe des Rechtsstreits möglich geworden ist (BAG, Urteil vom 18. März 1997 - 9 AZR 84/96 - NZA 1997, 1168, 1169 m. w. N.).



II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung in Höhe von 29.898,00 € brutto noch war er im Zeitraum August 2014 bis einschließlich Januar 2016 nach der Lohngruppe G VI ab dem 7. Tätigkeitsjahr nach dem Lohntarifvertrag für den Groß- und Außenhandel Rheinland-Rheinhessen zu vergüten. Ein solcher Anspruch des Klägers ergibt sich weder aus § 611 BGB in Verbindung mit § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG noch aus § 611 BGB in Verbindung mit § 78 S. 2 BetrVG.



1. Nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung.



Nach der ständigen Rechtsprechung des siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt Urteil vom 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - BeckRS 2016, 67199 Rn. 21 f.) soll § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG sicherstellen, dass Mitglieder des Betriebsrats weder in wirtschaftlicher noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden.



Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren.



Üblich ist eine Entwicklung, die vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben. Eine Üblichkeit entsteht aufgrund gleichförmigen Verhaltens des Arbeitgebers und einer von ihm aufgestellten Regel. Dabei muss der Geschehensablauf so typisch sein, dass aufgrund der Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten zumindest in der überwiegenden Anzahl der vergleichbaren Fälle mit der jeweiligen Entwicklung gerechnet werden kann (BAG, Urteil vom 14. Juli 2010 - 7 AZR 359/09 - AP LPVG Bremen § 39 Nr. 1 Rz. 30; vom 15. Januar 1992 - 7 AZR 194/91 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 84). Da § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG konkretisiert, darf die Anwendung der Vorschrift auch nicht zu einer Begünstigung des Betriebsratsmitglieds gegenüber anderen Arbeitnehmern führen. Deshalb ist die Übertragung höherwertiger Tätigkeiten nur dann betriebsüblich, wenn diese dem Betriebsratsmitglied nach den betrieblichen Gepflogenheiten hätten übertragen werden müssen oder die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen Aufstieg erreicht. Nicht ausreichend ist es deshalb, dass das Betriebsratsmitglied bei der Amtsübernahme in seiner bisherigen beruflichen Entwicklung einem vergleichbaren Arbeitnehmer vollkommen gleich gestanden hat oder die Besserstellung eines oder mehrerer vergleichbarer Arbeitnehmer auf individuellen, nur auf diese bzw. diesen Arbeitnehmer persönlich zugeschnittenen Gründen beruht (BAG, Urteil vom 14. Juli 2010 - 7 AZR 359/09 - NJOZ 2011, 272, 274 f. - Rn. 30 ; vom 17. August 2005 - 7 AZR 528/04 - NZA 2006, 448, 449 Rz. 13). Die bloße Vergleichbarkeit der beruflichen Entwicklung der Arbeitnehmer in der Vergangenheit ist nicht ausreichend. Ansonsten wäre das Merkmal der Betriebsüblichkeit in § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG ohne eigenständige Bedeutung (BAG, Urteil vom 17. August 2005 - 7 AZR 528/04 - NZA 2006, 448, 449 Rz. 13). Auch bei der Vergleichbarkeit des Amtsträgers mit nur einem Arbeitnehmer kann nicht auf die Feststellung der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung verzichtet werden (BAG, Urteil vom 17. August 2005 - 7 AZR 528/04 - NZA 2006, 448, 450 Rz. 15).



Steht nur eine Beförderungsstelle zur Verfügung, so wird ein Anspruch nach § 37 Abs. 4 BetrVG nur dann ausgelöst, wenn gerade das Betriebsratsmitglied nach den betriebsüblichen Auswahlkriterien auf die höher dotierte Stelle hätte befördert werden müssen (BAG, Urteil vom 15. Januar 1992 - 7 AZR 194/91 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 84 m. w. N.).



Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, hat der für die Anspruchsvoraussetzungen des § 37 Abs. 4 BetrVG darlegungs- und beweispflichtige Kläger insbesondere die betriebsübliche Entwicklung im Sinn des § 37 Abs. 3 BetrVG nicht konkret dargelegt. Er hat nicht schlüssig vorgetragen, dass eine Beförderung zum Versandleiter spätestens zum 1. November 2011 der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung eines Angestellten/Mitarbeiters in der Abteilung Versand bzw. eines stellvertretenden Versandleiters entsprochen hätte. Das pauschale Behaupten einer betrieblichen Beförderungspraxis genügt nicht.



Bei der Stelle des Versandleiters handelt es sich im Betrieb der Beklagten um eine herausgehobene Position. Der Versandleiter steht als Abteilungsleiter direkt unter dem Betriebsleiter, der im Betrieb die höchste Position innehat. Die Anzahl der Abteilungsleiter ist im Betrieb der Beklagten auf fünf beschränkt, nämlich auf die Abteilungsleiter für Lager, Warenwirtschaft, Versand, Einkauf und Telefonie. Hieraus ergibt sich, dass sich nicht jeder Mitarbeiter im Betrieb zum Abteilungsleiter entwickeln kann. Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass im Betrieb stets der stellvertretende Abteilungsleiter zum Abteilungsleiter befördert wird. Entsprechende Beispiele hat der Kläger nicht vorgetragen. Es gab vielmehr in der Versandabteilung zumindest zeitweise zwei stellvertretende Versandleiter, von denen nicht beide Versandleiter werden konnten. So hat der Kläger vorgetragen, er sei Ende der 80er Jahre zeitgleich mit dem Mitarbeiter S. stellvertretender Versandleiter gewesen. Die Beklagte wiederum hat vorgetragen, vor der Einstellung von Herrn Y. hätten P. N. und Z. R. die Schichtleitung im Versand im Wechsel von Früh- und Spätschicht betrieben. Nach dem Ausscheiden von Herrn R. hätten Herr N. und Herr Y. diese Wechselschicht weitergeführt. Der stellvertretende Versandleiter S. ist nicht zum Versandleiter befördert worden, sondern wurde ausweislich des diesem erteilten Arbeitszeugnisses (Bl. 35 d. A.) in die Abteilung Kundenretouren versetzt. Es ist daher - auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers - keine betriebsübliche Gepflogenheit erkennbar, dass einem stellvertretenden Versandleiter beim Ausscheiden des Versandleiters dessen Position übertragen wird.



2. Ein Anspruch des Klägers als Betriebsratsmitglied auf eine Vergütung nach Lohngruppe VI lässt sich auch nicht aus § 611 BGB in Verbindung mit § 78 Satz 2 BetrVG herleiten.



Grundsätzlich kann sich ein solcher Anspruch ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. Die Vorschrift enthält ein an den Arbeitgeber gerichtetes allgemeines Verbot, ein Betriebsratsmitglied wegen der Amtstätigkeit in seiner beruflichen Entwicklung zu benachteiligen. Die Bestimmung dient unter anderem der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder, die ohne Furcht vor Maßregelungen und Sanktionen des Arbeitgebers ihr Amt ausüben können sollen (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - NZA 2013, 515, 516 Rz. 47 m. w. N.). Der Arbeitgeber muss den Mitgliedern der in § 78 Satz 1 BetrVG genannten Arbeitnehmervertretungen eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten. Von dem Benachteiligungsverbot erfasst wird nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. § 37 Abs. 4 BetrVG enthält keine abschließende Sonderregelung. Vielmehr ist § 78 S. 2 BetrVG neben § 37 Abs. 4 BetrVG anwendbar.



Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen (BAG, Urteil vom 17. August 2005 - 7 AZR 527/04 - NZA 2006, 448, 449 [BAG 17.08.2005 - 7 AZR 528/04] Rz. 18). Eine Benachteiligung im Sinn von § 78 S. 2 BetrVG ist jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht. Eine Benachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich. Es genügt die objektive Schlechterstellung gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - NZA 2013, 515, 516 Rz. 47 m. w. N.).



Will der Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderungen einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten (vgl. BAG, Urteil vom 27. Juni 2001 - 7 AZR 496/99 - NZA 2002, 106, 108) Er kann vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und/oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist .



Hat sich der Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Aber auch wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Betriebsratsmitglieds an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikation infolge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des Arbeitgebers für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsinhabers bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist (Urteil vom 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - BeckRS 2016, 67199 Rn. 31 f.; vgl. auch BAG, Urteil vom 14. Juli 2010 - 7 AZR 359/09 - NJOZ 2011, 272 - Rn. 20 m. w. N.).



Grundsätzlich trägt das Betriebsratsmitglied, das den Arbeitgeber auf die Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Benachteiligung. Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach die Nichtberücksichtigung eines Betriebsratsmitglieds bei einer Beförderung auf dessen Betriebsratstätigkeit beruht. Daher ist weder Raum für eine entsprechende tatsächliche Vermutung noch für die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Auch die Beweislastregel des § 22 AGG ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Allerdings ist die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, wonach es demjenigen, der eine Benachteiligung aus einem von der Rechtsordnung missbilligten Grund geltend macht, nicht durch die prozessuale Verteilung der Beweislast in unzumutbarer Weise erschwert werden darf, die sich daraus ergebenden Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Insbesondere ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Frage, welcher Bewerber eine Stelle erhält, um eine in der Sphäre des Arbeitgebers liegende "innere Tatsache" handelt, die einer unmittelbaren Wahrnehmung durch den Arbeitnehmer oder Dritte nicht zugänglich ist (vgl. BAG, Urteil vom 25. Juni 2014 - 7 AZR 847/12 - NZA 2014, 1209 zum Anspruch eines befristet beschäftigten Betriebsratsmitglieds auf einen Folgevertrag).



Hieraus folgt, dass der klagende Arbeitnehmer trotz genauer Kenntnis ohne Verstoß gegen seine zivilprozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) behaupten darf, er hätte gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit die Stelle nicht erhalten. Der beklagte Arbeitgeber muss sich zu dieser Behauptung wahrheitsgemäß erklären (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO). Da es sich bei der entscheidungserheblichen Haupttatsache um eine "innere Tatsache" des Arbeitgebers handelt, kann der Arbeitnehmer für das Vorliegen dieser Tatsache - außer einem Antrag auf Vernehmung des Arbeitgebers als Partei - keinen unmittelbaren Beweis antreten. Vielmehr ist er auf eine Beweisführung durch den Vortrag von Hilfstatsachen verwiesen, die ihrerseits den Schluss auf die zu beweisende Haupttatsache rechtfertigen. Auch zu diesen Hilfstatsachen muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen konkret erklären. Er hat die Möglichkeit, die Hilfstatsachen zu bestreiten oder seinerseits Umstände darzutun, die geeignet sind, die Indizwirkung der vom Arbeitnehmer vorgetragenen Hilfstatsachen zu entkräften. Insbesondere kann er die Gründe offenlegen, die für ihn maßgeblich waren, die Beförderungsstelle einem Kollegen zu übertragen.



Nach § 286 Abs. 1 ZPO ist es schließlich Sache des Tatsachengerichts, sich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen eine Überzeugung zu bilden.



Hiernach rechtfertigt das tatsächliche Vorbringen des Klägers den von ihm geltend gemachten Anspruch nicht. Der Kläger hat sich nicht auf die Stelle des Versandleiters beworben. Er müsste für einen Anspruch auf eine bestimmte Vergütung aus § 611 BGB in Verbindung mit § 78 S. 2 BetrVG daher darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen der Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Ein pauschales Behaupten eines fiktiven Beförderungsanspruchs reicht mithin nicht aus.



Zwar hat der Kläger vorgetragen, er habe von einer Bewerbung als Versandleiter abgesehen, da er seine Tätigkeit als Betriebsrat nicht habe aufgeben wollen. Er hat jedoch nicht dargelegt, dass eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre.



Unstreitig war der Kläger im Zeitpunkt, in dem die Stelle des Versandleiters vakant geworden ist, weniger für diese Position geeignet als der Mitarbeiter Y..



Der Kläger hat aber auch nicht dargelegt, dass er dann, wenn er in diesem Zeitpunkt nicht bereits seit Jahren freigestellt und versandtechnisch nicht auf dem Laufenden gewesen wäre, diese Stelle erhalten hätte.



Der Kläger durfte zunächst behaupten, er hätte ohne Betriebsratstätigkeit die Stelle erhalten. Er durfte sich zunächst auch darauf beschränken vorzutragen, dass der Mitarbeiter Y. - nach dem streitigen Vortrag des Klägers - allein deshalb eingestellt worden sei, weil er (der Kläger) wegen seiner Betriebsratstätigkeit seine arbeitsvertraglichen Tätigkeiten nicht mehr (in vollem Umfang) habe ausüben können und er deshalb die Entwicklung genommen hätte, die der Kollege genommen hat. Dies hat die Beklagte jedoch bestritten, und unter Vorlage der damaligen Betriebsratsanhörung dargelegt, dass der Mitarbeiter Y. bereits nicht als Ersatz für den Kläger, sondern für den Mitarbeiter Z. R. eingestellt worden ist. Weiter hat sie ihre Gründe für die Besetzung der Position des Versandleiters mit dem Mitarbeiter Y. offengelegt. Insbesondere hat sie darauf verwiesen, dass der Kläger - anders als der Arbeitnehmer Y. - nicht über die Qualifikationen aus einer Vorbeschäftigung als selbständiger Spediteur verfüge. So kenne sich der Mitarbeiter Y. im Speditionsgewerbe allgemein besser aus und habe die Tourenplanung "aus dem FF" beherrscht. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass auch er über entsprechende Berufserfahrung verfügt. Des Weiteren hat die Beklagte auf persönliche Eigenschaften des Mitbewerbers Y. verwiesen, so unter anderem sein Organisationstalent, sein ausgeprägtes Verhandlungsgeschick, seine Akzeptanz und Anerkennung durch Spediteure und Fahrer, seinen ausgleichenden Charakter, seine Besonnenheit, sein Potential, Kompromisse zu finden und Konflikte zu entschärfen, und sein Engagement und seine Motivation. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht darauf verwiesen hat, aus seiner Position als freigestelltes Betriebsratsmitglied ergebe sich, dass er über vergleichbare Eigenschaften wie der Mitarbeiter Y. verfüge, vermag auch dieser Vortrag nichts an der Bewertung durch die Beklagte sowie daran zu ändern, dass der Kläger bereits über keine vergleichbaren Berufserfahrungen aus einer Tätigkeit in der Zeit vor einer Beschäftigung bei der Beklagten verfügt.



Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der Position des Versandleiters um eine Position handelt, die in der Firmenhierarchie direkt unter der Firmenleitung angesiedelt ist, ist die Kammer davon überzeugt, dass der Mitarbeiter Y. nicht allein wegen der Betriebsratstätigkeit des Klägers die Position des Versandleiters von der Beklagten übertragen bekommen hat.



C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

Verkündet am: 06.07.2016

Vorschriften§ 37 Abs. 2 BetrVG, § 38 BetrVG, § 37 Abs. 4 BetrVG, § 2 Ziffer 1, § 18 Ziffer 5 MTV, § 37 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 BetrVG, § 78 Satz 2 BetrVG, § 78 BetrVG, § 78 S. 2 BetrVG, § 64 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 256 Abs. 1 ZPO, § 611 BGB, § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG, § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, § 37 Abs. 3 BetrVG, § 78 Satz 1 BetrVG, § 22 AGG, § 138 Abs. 1 ZPO, § 138 Abs. 1, 2 ZPO, § 138 Abs. 2 ZPO, § 286 Abs. 1 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG

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