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30.01.2007 · IWW-Abrufnummer 070372

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 20.12.2006 – VII ZB 58/06

Hat der Gläubiger Ansprüche des Schuldners auf gegenwärtiges und künftiges Arbeitseinkommen pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen, hat der Schuldner außer den laufenden Lohnabrechnungen regelmäßig auch die letzten drei Lohnabrechnungen aus der Zeit vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Gläubiger herauszugeben.


BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

VII ZB 58/06

vom
20. Dezember 2006

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Bauner und die Richterin Safari Chabestari

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hof vom 12. Mai 2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Wert: bis 300 ¤

Gründe:

I.

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Gesamtforderung von 553,55 ¤. Sie hat einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt, mit dem unter anderem die pfändbaren Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf gegenwärtiges und künftiges Arbeitseinkommen gepfändet und ihr zur Einziehung überwiesen wurden. In dem Beschluss wurde die Herausgabe der laufenden Lohnabrechnungen angeordnet. Den weiteren Antrag, auch die Herausgabe der Lohnabrechnungen der letzten sechs Monate vor der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses anzuordnen, hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich ihre vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Beschwerdegericht führt aus, der Schuldner sei zur Herausgabe von Lohnabrechnungen aus der Zeit vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht verpflichtet. Die Auskunfts- und Herausgabepflicht nach § 836 Abs. 3 ZPO beziehe sich nur auf die gepfändete, nicht aber auf eine vor der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses fällig gewordene und bezahlte Forderung. § 836 Abs. 3 ZPO solle die Geltendmachung der gepfändeten Forderung erleichtern und diene nicht der Erforschung möglicher weiterer Vermögensgegenstände des Schuldners. Allein ein möglicher Verdacht, der Schuldner könne im Rahmen des § 850 a ZPO pfändungsfreie Beträge zu Unrecht geltend machen, berechtige nicht, Urkunden herauszuverlangen, die sich nicht auf die gepfändete Forderung bezögen.

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Schuldner ist gemäß § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO verpflichtet, der Gläubigerin jedenfalls die letzten drei Lohnabrechnungen aus der Zeit vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses herauszugeben.

a) Gemäß § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist der Schuldner aufgrund der Pfändung und Überweisung einer Forderung verpflichtet, dem Gläubiger die zur Einziehung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen und ihm die über die Forderung vorhandenen Urkunden herauszugeben. Diese Herausgabepflicht betrifft Urkunden, die den Gläubiger als zur Empfangnahme der Leistung berechtigt legitimieren, sowie solche, die den Bestand der Forderung beweisen oder sonst der Ermittlung oder dem Nachweis ihrer Höhe, Fälligkeit oder Einredefreiheit dienen. Bei der Pfändung von Arbeitseinkommen des Schuldners gehören hierzu auch Lohn- oder Gehaltsabrechnungen (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2006 - VII ZB 142/05, FamRZ 2006, 1272 = JurBüro 2006, 547).

b) Ob sich die Herausgabepflicht nur auf die laufenden Lohnabrechnungen bezieht oder auch auf diejenigen der letzten drei bis sechs Monate vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, ist umstritten (verneinend: LG Bochum, JurBüro 2000, 437; Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl., Rdn. 945 d; Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 836 Rdn. 13; bejahend: LG Koblenz, DGVZ 1997, 126; Behr, JurBüro 1994, 327; 1995, 626 und 2000, 437; Musielak/Becker, ZPO, 4. Aufl., § 836 Rdn. 7; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 836 Rdn. 14 Fußn. 43 jeweils m.w.N.).

Der Senat entscheidet die Streitfrage dahin, dass der Schuldner regelmäßig die Lohnabrechnungen der letzten drei Monate vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Gläubiger herauszugeben hat.

aa) Die Auskunfts- und Herausgabepflicht nach § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO dient den Interessen des Gläubigers, die zur Durchsetzung der Forderung notwendigen Informationen zu erhalten (BGH, Beschluss von 28. Juni 2006 - VII ZB 142/05 aaO). Der Gläubiger soll in die Lage versetzt werden, die Aussichten einer Drittschuldnerklage überprüfen und notfalls eine solche exakt beziffern zu können (Zöller/Stöber aaO Rdn. 10; Musielak/Becker aaO Rdn. 6; Behr aaO). Unnötige und risikobehaftete Drittschuldnerklagen sollen vermieden werden.

Aus diesem Sinn und Zweck des § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO folgt, dass die Vorschrift weit auszulegen ist. Bei einer gepfändeten und zur Einziehung überwiesenen Lohnforderung gehören auch Lohnabrechnungen aus der Zeit vor der Pfändung zu den "über die Forderung vorhandenen Urkunden". Denn mit ihrer Hilfe kann sich der Gläubiger eine weitgehend sichere Kenntnis von der Höhe der gepfändeten Forderung und von den insoweit vom Drittschuldner zu erwartenden Einwendungen verschaffen. Erst dann kennt er die Einkommensentwicklung beim Schuldner vor und nach der Pfändung. So kann er überprüfen, ob etwa gemäß § 850 a Nr. 2 und 3 ZPO in Anspruch genommene Pfändungsfreibeträge zu Recht geltend gemacht werden oder ob eine Verschleierung von Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 h Abs. 2 ZPO versucht wird (vgl. Behr aaO).

bb) Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Pfändung werde erst mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wirksam und beziehe sich nicht auf die bereits bezahlten vorherigen Lohnforderungen, so dass die diesbezüglichen Abrechnungen nicht herausgegeben werden müssten (so Stöber aaO). § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO beschränkt die Herausgabepflicht nicht auf Urkunden aus der Zeit nach der Pfändung. Entscheidend ist, ob die Urkunden Beweis- und Überprüfungszwecken im Hinblick auf die gepfändete Forderung dienen. Das ist, wie dargelegt, auch bei Lohnabrechnungen aus der Zeit vor der Pfändung der Fall.

cc) Überwiegende Interessen des Schuldners stehen dieser Herausgabepflicht nicht entgegen. Der Gläubiger wird durch die Lohnabrechnungen aus der Zeit vor der Pfändung in der Regel keine Erkenntnisse gewinnen, an deren Geheimhaltung der Schuldner ein schützenswertes Interesse hat. Hinweise auf weiteres Vermögen des Schuldners ergeben sich aus ihnen regelmäßig nicht. Der Verdacht, das Herausgabeverlangen diene insoweit der Ausforschung, liegt daher eher fern.

dd) Herauszugeben sind regelmäßig die letzten drei Lohnabrechnungen aus der Zeit vor der Pfändung. Dies erscheint ausreichend, um dem Gläubiger eine verlässliche Überprüfung der Einkommensentwicklung beim Schuldner zu ermöglichen. Eine darüber hinausgehende Herausgabepflicht kann in Ausnahmefällen, deren Voraussetzungen der Gläubiger darzulegen hat, in Betracht kommen.

3. Danach kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Im Hinblick auf die seit der Pfändung verstrichene Zeit und die danach sich stellende Frage eines fortbestehenden Rechtsschutzinteresses der Gläubigerin kann der Senat nicht selbst entscheiden.

4. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 3 ZPO. Entscheidend ist nicht die Höhe der gepfändeten Forderung, sondern das Interesse der Gläubigerin an der Herausgabe der Lohnabrechnungen.

RechtsgebietZPOVorschriftenZPO § 836 Abs. 3

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